Konservatismus ist doch das Herstellen von Konserven…oder!?

Titelbild: Jürgen M. Wogirz

Im Rahmen des „playitagain“-Festivals im Theatermuseum Düsseldorf gab es nicht nur Ausstellungen, sondern auch Theater. Die Prothesengötter, wie sie sich nennen, aus Köln präsentierten dabei ihr Stück „Konservatismus der neue“. „Hä“ mag da manch einer denken, der Satz sei unvollständig oder „Der neue was denn!?“ hinterfragt man vielleicht. Wir nehmen uns da mal nicht raus. Zugegebenermaßen ohne jeglichen Input setzten wir uns ins Stück.

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Foto: Marina Rasschaert

Vorab aber noch zwei auf drei Worte zur Truppe selbst. Prothesengötter ist wohl ein eher ungewöhnlicher Name. Die Truppe ist „[e]in Bachelor-Arbeits-Projekt einer Studentin der Ästhetischen Erziehung an der Universität zu Köln.“, wie es auf der Homepage der Uni Köln heißt. Spannend ist auch, dass die Truppe die Einnahmen ihrer Aufführungen an Flüchtlingsprojekte in der Umgebung spendet. Wir finden das klasse und fanden deshalb auch, dass das in diesem Blog nicht unerwähnt bleiben soll. Aber kommen wir nun zum Theaterstück:

Begrüßt wurde man direkt von den Schauspielern auf der Bühne und einem…ja, wie soll man sagen…mysteriösen Typen mit einer Selfiestange, der uns zu filmen schien. Zugegeben, schon bei der Eröffnung der Theaterfotografieausstellung fühlte man sich beobachtet, stand eben dieser Typ schon vor der Türe. Aber was denkt man sich an so einem Abend schon: das ist Kunst, das muss so! Beim Betreten der Studiobühne dann die Erklärung: das Handy war mit einem Fernseher verbunden auf den die Bilder live übertragen wurden. Außerdem lag die ganze Bühne voller leerer Konservendosen – Konservatismus eben.

Dann wurden wir über eine Stunde mit verschiedenen collagenartigen Szenarien konfrontiert. In den Dosen waren teilweise LEDs montiert, mit denen man schön das Gesicht von unten beleuchten konnte, dazu einige Monologe. Es gab auch Sex mit den Dosen zu Stroboeffekten – das war etwas verstörend, aber gut dargestellt. Ihr wisst ja: Sex auf der Bühne birgt immer Fremdschäm-Momente, doch hier nicht!

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Foto: Nora Krause

Doch was ist eigentlich Konservatismus und was will uns dieses Stück dazu sagen? Konservatismus kann einfach zusammengefasst als Erhaltung der bestehenden Ordnung definiert werden, getreu dem Motto „Alles ist gut so, wie es ist“. Konservative Menschen streben am ehesten nach Kontinuität und Sicherheit. Doch ist das nicht etwas öde? Die Prothesengötter zeigten dazu eine sehr einprägende Szene in der sich zwei Gruppen darüber stritten was denn nun Konservatismus sei: ein geordnetes Leben, mit den ewig gleichen Hobbys, einem Zeitplan, dem Traum ein Haus zu bauen. Oder ist nicht eben auch der Drang nach Abenteuern Konservatismus, denn jemand der ständig nach Neuem strebt, geht der nicht auch einem immer gleichen Muster nach? Unterscheiden sich also die kleine Vorstadtfamilie mit Haus und das abenteuerlustige Paar in ihrer Haltung gar nicht so sehr, wie es zunächst scheint?

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Foto: Marina Rasschaert

Spannend war auch, dass man immer wieder den Eindruck gewann man schaut nur einer Theatergruppe beim Proben zu. Wo man zunächst Fehler vermutete stand eine klare Absicht dahinter. Und auch hier wurde der Konservatismus deutlich, denn plötzlich wollte man nicht mehr Theater spielen oder ein Stück über eben dieses Thema machen, sondern viel aktuellere Dinge inszenieren, die Spieler begannen zu fantasieren, zu diskutieren, aus ihrer Struktur herauszubrechen, bis, ja bis eine Stimme aus dem Off ertönte und die Spieler wieder zu Recht wies, sie sollen doch ihre Szene weiterspielen. Spätestens als der Kerl mit dem Selfiestick aufstand und provokant auf einen Spieler zuging, der nicht hören wollte, war auch dem letzten Zuschauer klar: der Typ mit der Kamera scheint eine Art Spielleiter zu sein – oder vielleicht auch die Personifizierung des Konservatismus?

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Foto: Andrea Rossmanith

Eins ist klar: das Stück hat zum Nachdenken angeregt. Dem Zuschauer wurde nicht die eine Definition oder die eine Lösung, wie wir unser Leben zu leben haben vorgegeben. „Morgen bin ich tot… vielleicht.“ Hieß es in einer Szene von einer Spielerin. Ein Satz, der sich sehr in unseren Kopf eingebrannt hat und der vielleicht auch ein Weckruf sein soll, immer mal wieder aus den Strukturen auszubrechen, nicht all zu konservativ zu sein und nicht nur das Leben aus der Konservendose zu leben. Denn sonst leben wir nur so, wie es schon unsere Vorfahren gemacht haben: nach Strukturen, nach einem Muster, das funktionieren muss. In diesem Zusammenhang war auch die Choreographie des Funktionierens sehr einprägend: dich nervt der Nebenmann, du wendest dich ab, du bist genervt, egal, lächeln und weitermachen, immer fröhlich sein, deine Arbeit verrichten, doch wenn jemand nicht funktioniert sieht das Gesamtbild scheiße aus, so wie wenn jemand sich in einer Choreographie vertanzt. Aber ist das wirklich nur scheiße oder ist es nicht einfach menschlich, individuell und mal nicht konservativ?

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Foto: Jürgen M. Wogirz

Wem wir Lust auf mehr gemacht haben, dem können wir die Internetpräsenzen der Gruppe ans Herz legen ( via Facebook oder über die Uni Köln nach der Truppe suchen). Ob sie das Stück noch einmal aufführen, wissen wir nicht, aber es wird sicher noch weitere spannende Inszenierungen geben. Wir warten auf jeden Fall gespannt auf neue Projekte der Prothesengötter.

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Foto: Jürgen M. Wogirz

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