Abwarten und Tee trinken?!

Das haben wir nicht erwartet… Ein Thema und so viele Gefühle!

Hier sitzen wir nun und warten. Der Insider weiß es natürlich sofort: Der erste Satz ist eine Anspielung auf das gesehene Stück. Am vergangenen Samstag gab’s zu sehen: Warteritis, eine Eigenproduktion des Q2-Kurses des Stiftischen Humanistischen Gymnasiums, Mönchengladbach, kurz HUMA. Kurz nur für alle Menschen, die mit Schule so gar nichts mehr am Hut haben: Q2 steht für Qualifikationsphase zwei, für eine G8-Schule, also eine der Schulen, in der man das Abitur nach 12 Jahren macht, also in bekannten Termini die zwölfte Klasse. Nun aber zurück zum Theater!

Verena Schriever ist die Neue. Die junge Lehrerin hat den Theaterkurs des Gymnasiums nach langer Tradition des Sprechtheaters in diesem Schuljahr übernommen und hat ihm sogleich eine ganz neue und dynamische Note gegeben. Das Stichwort der Inszenierung ist das uns wohl bekannte autobiografische Jugendtheater. Aus theaterpädagogischer Sicht bedeutet dies, dass das Inszenieren des Stückes zuerst einmal gar nicht im Vordergrund steht. Wichtig ist hier zu allererst, dass sich eine Gruppe findet, die sich vertraut, in der jeder aufgeht, in der positive Harmonie herrscht. Danach werden Schreibübungen gemacht, welche – wenn sie richtig angelegt werden – fruchtbares Grundmaterial für Szenen ergeben, die dann zu einem Theaterstück zusammengefügt werden. Beim Q2 Kurs des HUMA gelang dies hervorragend. Heraus kam eine mehr als einstündige Szenencollage zum Thema „Warten“. Was gab’s also zu sehen?

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Ein Stück zum Thema „Warten“ könnte ja zu allererst alles bedeuten. Vor allem erscheint die Thematik zunächst einmal sehr simpel und irgendwie auch langweilig. Die Bühne ist bis auf einen Stuhl  leer. Am hinteren Vorhang sind verschiedene Uhren aus Pappe angebracht. Über der Bühne ist eine Leinwand ausgefahren, auf ihr läuft in einer Endlosschleife ein mit Filmtrailermusik unterlegtes Video, das uns darauf hinweist, dass wir warten. Und so warten wir nun. Auf den Beginn des Stückes. Scherzhaft bemerkt Werner, dass es ja doch sehr lustig wäre, wenn wir jetzt einfach 60 Minuten hier säßen um auf den Beginn des Stückes über das Warten zu warten, was dann letztendlich das Stück gewesen wäre und sicherlich künstlerisch sehr tiefgreifend wäre. Marius bemerkte zusätzlich, dass das Thema auch auf die Dynamik geschickt gewählt sei, denn warum sollte man einem Theaterstück in dem es um das Warten geht nachsagen, dass es Längen hätte? Gottseidank blieben uns diese Experimente aber erspart.

Die Collage, die der 19-Personen starke Kurs uns präsentiert ist vielseitig. Die Szenen stehen alle für sich in ihrem eigenen Kosmos, hängen nicht zusammen. Einen wirklichen roten Faden gibt es nicht, wir sehen eigentlich eine Aneinanderreihung von vielen kleinen Theaterstücken. Man könnte sogar sagen, es handelt sich hier um ein inszeniertes Brainstorming zum Thema „Warten“. Doch dies wäre zu pauschalisierend und würde dem Stück nicht gerecht.

Als das Stück losgeht haben viele Spieler bereits im Publikum platzgenommen. Sie stehen nun auf und konfrontieren den Zuschauer mit verschiedenen themenbezogenen Phrasen. „Warten ist eine Tugend“ oder „Abwarten und Tee trinken“  heißt es da, später auf der Bühne dann „Ich warte auf meinen Brief von Hogwarts“ (wir übrigens auch!) oder „Ich warte auf Godot“ (angelehnt an das Theaterstück von Samuel Beckett). Doch von einem eher abstrakten Warten kommt man auch schnell zu den Dingen auf die wir wirklich Warten, bestes Beispiel sind hier sicher die öffentlichen Verkehrsmittel. Das Wartespektrum scheint kein Ende zu kennen.

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Keineswegs wollen wir das Stück seiner Magie berauben und hier nun Szene für Szene kommentieren. Unser Anliegen ist es eher, festzustellen, wie sehr und das Stück berührt hat. Denn schnell stellen wir schockiert fest, wie sehr unser Leben eigentlich nur aus Warten besteht. Die Spieler auf der Bühne sprechen von einem Tagesmarsch des Wartens. Wir werden wach, warten auf den Wecker, darauf, ins Badezimmer zu können und dass – endlich ins Badezimmer gelangt – das Glätteisen heiß wird, wir warten auf den Bus, auf die Ampel, in der Schule, dem „Tempel des Wartens“ warten wir generell irgendwie auf alles. Wenn wir warten, hängen wir am Handy, in Social Medias warten wir dann allerdings auf Likes, im Messenger auf Antworten und generell warten wir ja sowieso eigentlich auch ständig auf die große Liebe (sollte man auf so etwas überhaupt warten!?).

Das Warten ist omnipräsent. Da fragen wir uns, wieso nicht schon lange zuvor jemand auf die Idee gekommen ist, zu diesem Thema ein Stück mit Jugendlichen zu machen und sind zugleich froh, dass Verena Schriever das mit ihren Schülern angegangen ist.

Auf der Bühne sehen wir die pure Theaterlust! Die Jugendlichen vermitteln durchgehend, welchen Spaß sie auf der Bühne haben. Auf allerhöchstem Niveau könnte man kritisieren, dass hier und dort zu schnell oder zu leise gesprochen wurde, die Spieler ihre privaten Momente hatten und kurz aus ihren Rollen fielen. Aber sind wir ehrlich: Who cares? Wenn man eine solche Spielfreude sieht, ist das Stück ohne den geringsten Zweifel rund. Schade, dass es sich um einen Kurs der Q2 handelt, so werden die Spielerinnen und Spieler nach dem Abitur wohl ihren Weg gehen, gerne hätten wir die verschiedenen Charaktere auch noch in einem anderen Stück gesehen.

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Highlight des Stückes war eine Impro-Szene. Wir alle erinnern uns noch an Fernsehshows wie Frei Schnauze oder Schillerstraße, die großen Unterhaltungswert und Stil hatten. Wir fragen uns bis heute, wie diese Formate ersetzt werden konnten durch Sendungen, in denen vollkommen unbekannte Menschen dieses Foto oder jene Rose nicht bekommen. Umso erfreuter waren wir, als uns der Literaturkurs des HUMA hier live und in Farbe eine Improvisationsszene auftischte. Das Publikum entschied: Worauf warten wir? – Auf Abiergebnisse. Wie fühlen wir uns? – Aggressiv. Wo warten wir? – Auf der Toilette. In welchem Genre wird die Szene nach einmaligem Spielen wiederholt? – Horrorfilm. Und dann hieß es „10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, LOS!“, das Publikum schmetterte den Countdown ebenso runter wie die beiden Moderatoren der Szenerie. Theatersport lässt grüßen. Und dann kreierten die jungen Spieler und Spielerinnen einen der unterhaltsamsten Momente, den wir im Schultheater je sehen durften. Schenkelklopferhumor vom Feinsten, und das war auch gut so! Tatsächlich kullerte das eine oder andere Tränchen vor Erheiterung und wir danken für diesen Moment, der für jugendliche Spieler viel Mut und ebenfalls eine große Spanne an Kreativität fordert!

Neben kullernden Tränchen der Erheiterung, gab es auch Gänsehaut. Mit ganz einfachen Mitteln. Eine Spielerin steht auf der Bühne. Sie hält Herzluftballons in der Hand, die an Schnüren befestigt über ihrem Kopf schweben. Sie wirkt bedrückt, erzählt von ihrem Freund, ihrer großen Liebe, erwähnt sehr oft, wie sehr sie ihn liebt, das Publikum fühlt mit, freut sich über die warme Geschichte. Umso stärker wirkt der letzte Satz der Geschichte. Wie ein Schlag ins Gesicht: Die große Liebe liegt im Koma. Das Mädchen geht ab. Die Luftballons steigen an die Decke. Kloß im Hals. Dazu Hans Zimmers „Time“ aus Christopher Nolans Filmmeisterwerk Inception. Noch mehr Kloß im Hals. Die Stille in der Aula ist unerträglich. Die Luftballons steigen in Zeitlupe an die Decke. Zu schade, dass die Collagenstruktur es nun mit sich bringt, dass die nächste Szene wieder eine ganz andere, heitere Emotion mit sich bringt. In uns drin: Gefühlschaos. Sollen wir lachen oder sind wir noch bedrückt? Die Entscheidung, eine solche Szene mit einzubauen, war auf jeden Fall korrekt. Schwierig ist nur, und da stimmt uns Verena Schriever zu, ist die Einbettung, denn, obwohl die Szenen alle für sich stehen, wirken sie natürlich im Gesamtwerk. Dennoch tut dieser Stolperer dem Stück in keinster Weise einen Abbruch.

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Zwischendrin fühlte man sich fast wie im Zirkus, nicht weil man irgendwelche Clowns auf der Bühne sah oder sich Spieler wortwörtlich zum Affen machten und auf dem Hochseil des Theaters balancierten. Im Gegenteil! Collagen werden leider oft so entwickelt, dass Umbauphasen lange dauern und langweilig sind, besonders weil die Spieler sich alle Zeit der Welt lassen. Doch die Spieler überbrückten diese Zeit mit einem Affenzahn, dazu immer die passende Musik. Jede Szene wirkte wie eine Vorführung eines Artisten in der Manege und da störte es auch kaum, dass es immer wieder Szenenapplaus gab (der fortlaufenden Stücken gerne in ihrer Dynamik beraubt).

Und so verlassen wir nach mehr als einer Stunde Schultheater das HUMA nachdenklich. Immer noch erstaunt, wie sehr unser Leben aus Warten besteht. Faszinierend auch, wie philosophisch das Thema ist. Was ist Warten? Ist Warten menschlich? Oder warten Tiere auch? Ist Warteritis eine Krankheit? Und ist sie heilbar? Wie wäre ein Leben ohne das Warten? Fragen über Fragen. Die Antwort bildet sich am besten jeder selbst. Warten wir’s ab…

Am kommenden Dienstag, 26.04.2016 habt Ihr um 19:30 Uhr noch die Möglichkeit, das Stück Warteritis in der Aula des HUMA in Mönchengladbach zu sehen. Weitere Infos hierzu findet Ihr auf der Seite des HUMA (http://www.huma-gym.de/).

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