Beitragsbild: Sebastian Hoppe
Wir alle kennen das Sprichwort mit den vielen Köchen und dem verdorbenen Brei. Man könnte sich die Frage stellen, wie viele Köche es zusätzlich benötigt, um wieder einen ganz hervorragenden, deliziösen Brei zuzubereiten, an dessen Geschmack man sich noch ganz lange erinnern wird.
Brei gab’s nicht. Aber das Sprichwort kann man so schön umkehren. Im Projekt „Garten Eden“, initiiert vom Jungen Schauspielhaus, Düsseldorf kommen keine Schauspieler zu Wort, so, wie man das kennt. Im Fokus stehen du und ich. Der Mensch. Normale Leute. Stichwort „Bürgerbühne“. Dieses Format ist so nichts Neues. Immer wieder erarbeiten professionelle Häuser mit Laien zusammen begeisternde Theaterstücke. So auch „Garten Eden“. Hier im Fokus: Sehnsucht(sorte). Und da liegt es nahe, schwerpunktmäßig mit denen zusammenzuarbeiten, die sich seit langem, mehr als alle anderen sehnen. Sehnsucht haben nach Frieden, Ruhe, Familie, Recht und Gerechtigkeit. Und so stehen bei „Garten Eden“ hauptsächlich geflüchtete Menschen aus Bürgerkriegsgebieten wie Nordafrika, dem Nahen Osten oder dem Kosovo auf der Bühne. Sie werden häufig in die Schublade „Flüchtlinge“ gesteckt und sorgen anscheinend für eine „Krise“. Diese Umstände sind ein Armutszeugnis für Europa, es gibt Hass, überforderte Parlamente, aufsteigende rechte Parteien, brennende Heime. Menschen, die gesehen haben, wie ihre Familie zerrissen wird, ihre Häuser brennen, werden angesehen als Störfaktor und spalten jenen Kontinent in zwei, von welchem solche Ideen wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Solidarität kommen.

In dieser Zeit muss es die Kunst richten. Und „Garten Eden“ ist da ein Vorzeigprojekt. Mehr als 50 Menschen stehen hier auf der Bühne. Deutsche und Geflüchtete, Kinder und Erwachsene, Frauen und Männer, Alte und Junge. Es wirkt wie ein Querschnitt aus allem, was unser Planet hergibt. Dieses Bild sagt ganz deutlich: es gibt nur eine Schublade. Die Schublade Mensch. Und DAS muss allen klar werden.
Das Bühnenbild beeindruckt mit seiner Schlichtheit. In der Mitte der Bühne eine Fläche von mal höher, mal tiefer gestapelten Europaletten, die begehbar sind. Die hintere Wand bildet ein Vorhang aus langen, weißen Streifen, die nebeneinander gehängt eine Projektionsfläche für einen Beamer und zugleich Auf- und Abgang bilden. Rechts und links die gleichen Flächen im kleineren Format. Links steht ein Tisch, auf den von oben eine Videokamera gerichtet ist, rechts drei Mikrophonständer.
Sehnsuchtsorte sind schlicht Orte, nach denen wir uns sehnen. Im Gegensatz zu Utopien, die uns nur ein Ideal vorleben und uns Orientierung geben, wie es aussehen könnte, sind Sehnsuchtsorte Orte, die es sicher gibt. Jeder Mensch hat seinen eigenen, und jeder sieht ganz anders aus. Das Paradies ist eine Assoziation, die hierbei schnell aufkommt. Schnell rutscht einem das Wort heraus, wird überinflationär benutzt. Bei Facebook sieht man häufig solche Abstrusitäten wie #paradise in einer Zeile direkt neben #foodporn unter dem Foto eines Burgers aus dem Burgerrestaurant, was einfach nur ausdrücken soll, dass die Bulette im Brötchen lecker schmeckt. Doch das wirkliche Paradies ist doch etwas ganz anderes. Das ganz eigene, persönliche Paradies, das kennt man vielleicht auf Anhieb gar nicht. Und so muss man in sich gehen und erst einmal überlegen.

Im Rahmen der Vorbereitung gab es eine intensive Probenphase, die zum einen darauf ausgerichtet war, die Gruppe zusammen zu führen, zum anderen aber auch, an autobiografisches Material für die Texte heranzukommen. So gab es viele Schreibübungen oder solche, die Geschichten erzählen durch Tanz, Bewegung und Raumwahrnehmung. Die Ergebnisse dieser Übung fließen als Textmaterial in das Stück ein.
Den Rahmen der Handlung gibt Kurt Schwitters‘ „Märchen vom Paradies“ aus dem Jahr 1924. Hier wird die Geschichte von Hans erzählt, der ein Ei findet, aus dem ein Paradiesvogel schlüpft. Dieser fliegt eines Tages weg, sodass Hans beschließt, ihm mit einem selbstgebauten Drachen zu folgen. Hans landet plötzlich im Paradies, wo alle Tiere Freunde sind und singen und tanzen. Er findet auch seinen Paradiesvogel wieder. Plötzlich verwandelt sich die paradiesische Insel in die Wiener Hofreitschule, in der Hans selber auch reiten lernen will, darf dies aber nur auf einem Esel, was ihm nicht gefällt, sodass sich Hans Gedanken macht, ob er wirklich im Paradies ist und sehnsüchtig seiner Mutter Briefe schreibt.
Auf der einen Ebene wird die Geschichte erzählt. Es gibt drei Erzähler, die das Publikum in Deutsch, Persisch und Arabisch ansprechen. Auch, wenn das Publikum meistens nur ein Drittel des Erzählten versteht, so gehören die anderen Sprachen einfach dazu. Die Geschichte wird live von einem Zeichner auf der Bühne illustriert und über Kamera und die Beamer an die Wände geworfen. So ist man mit Hans und seinem Abenteuer immer direkt dabei. Die Zeichnungen werden durch übereinandergelegte Basteleien sogar dynamisiert. Manchmal hat der Zuschauer Schwierigkeiten, all dem auf der Bühne zu folgen. Es gibt die Geschichte, es gibt die Zeichnungen, es wird getanzt. Bei der Nähe zwischen Publikum und Darstellen und der hierfür fast schon zu breiten Bühne, fühlten wir hin und wieder eine starke Reizüberflutung, wussten gar nicht, wo wir hinsehen sollten und hatten Angst, etwas zu verpassen.

„Man kann nur eins: Entweder zu Hause sein oder im Paradies. Beides geht nicht und ist noch keinem Menschen gelungen. Wenn du einmal drin bist, kommst du so bald nicht wieder heraus.“ So beschreibt das Theater Hans‘ verzwickte Situation selbst. Und eben dieser Umstand verlangt, dass man sich genaue Gedanken darüber machen muss, was das ganz persönliche Paradies ist.
So kommen neben der erzählten Geschichte von Hans viele Menschen auf die Bühne, die einfach von sich erzählen. Wir erfahren ganz intime Dinge. Die Leute wünschen sich die große Liebe für das Kind, einen Husky, den Bruder aus dem Kosovo, besseres Wetter in Deutschland oder dass der Sohn in den Kindergarten gehen kann. Man hat Angst vorm Weihnachtsmann, vor dem Zahnarzt oder davor, dass wieder eine Bombe explodiert. Angst davor, dass ein Mädchen einem das Herz bricht, in den Keller zu gehen oder die Eltern nicht mehr wieder zu sehen. Man muss Fahrrad fahren lernen, eine Ausbildung machen oder nachweisen, dass man politisch verfolgt oder homosexuell ist. Das sind Wünsche, Ängste und Pflichten, die unterschiedlicher nicht sein können aber doch auf der gleichen Ebene vorgetragen werden. Und das berührt einfach sehr tief, sagen sie uns doch, wie gleich wir alle im Inneren aussehen und wie sehr uns die Welt um uns zerreißt.
So geht Integration. Projektleiter Alexander Steindorf, selbst Schauspieler am Jungen Schauspielhaus, erzählt, dass das ganze Projekt begonnen hat mit einem Schnuppertag, Leute kamen, Leute gingen. Diese Fluktuation findet noch immer statt, so bleibt die Truppe bunt. Mithilfe unterschiedlichster Übungen wurde das Theater zur direkten Kontaktmöglichkeit der Menschen und Kulturen. So kam es immer wieder zu inspirierenden Improvisationen aber auch zu bewegenden Gesprächen. Im Nachgespräch wird betont, dass man so viel voneinander lerne. Zuallererst natürlich die Sprache. Die Geflüchteten sehen das Projekt als Möglichkeit an, Deutsch zu lernen. Aber auch darüber, traditionelle Tänze aus dem Nahen Osten gelernt zu haben, freut sich eine deutsche Spielerin.

Geht es nicht darum? Dass wir voneinander lernen? In einer multikulturellen Gesellschaft? Viele Zuschauer hatten während der Vorstellung Tränen in den Augen. Diese waren Tränen der Berührung, von denen wir nicht verschont wurden. Das Stück hat berührt, ganz tief, weil es appelliert, ganz stark. Es ist so wundervoll zu sehen, wie intensiv Theater Menschen verbindet und wie viel möglich ist. Krise ist, wenn man Krise draus macht. „Garten Eden“ zeigt, wie es auch anders gehen kann. Keine Krise, sondern Verständnis und Freundschaft. Und wir appellieren: Mehr davon!
Leider feierte die Produktion gestern ihre Dernière, hinterlässt aber eine Homepage, auf der man den Fortschritt des Projekts, welches – so Steindorf – noch nicht zu Ende ist, nachverfolgen kann. Wir empfehlen dem Leser: Bleibt am Ball und nehmt so viel davon mit, wie es nur geht oder werdet einfach selbst aktiv, denn wer diesen Menschen in die Augen sieht, während sie einige Worte Deutsch mit uns sprechen und sich dafür bedanken, dass wir einfach für sie da sind, der weiß: an dieser Stelle kann und darf noch nicht Schluss sein!