Maulhelden Tag 5: This is a Man’s World – Genderwahn im Nahen Osten

Am letzten Tag der Maulhelden stand das Räumen der Jugendherberge und ein letztes Theaterstück an. Entsprechend steigen wir direkt ein und verlieren keine großen Worte. Eine Zusammenfassung zum Festival werden wir dann im Laufe der Woche noch einmal separat tippen, denn nach dem ganzen Lesen fragt ihr euch sicherlich was wir (und auch andere) von dem Festival mitgenommen haben.

Seit circa den 1970er Jahren unterscheidet man nun besonders im soziologischen Forschungsraum die englischen Begriffe „sex“ und „gender“. Zwar übersetzen sich beide irgendwie als „Geschlecht“, tragen aber definitorisch signifikante Unterschiede. So bezeichnet „sex“ das biologische, „gender“ das so genannte „soziale Geschlecht“. In Zeiten des aufkommenden Feminismus wurde der Welt bewusst, dass Frauen und Männer bei weitem nicht den gleichen gesellschaftlichen Stellenwert haben. Innerhalb der nun vergangenen 40 Jahre scheint man daran gearbeitet zu haben. Es ist die Rede von Frauenquoten in Führungspositionen, die Kanzlerin ist schon seit mehr als zehn Jahren weiblich und Genderforscher wie Lann Hornscheidt, Dozentin für Gender Studies in Berlin, die sich selber ProfessX Hornscheidt nennt, weil erst hier Geschlechtsneutralität im Wort herrscht, gibt es an mehr und mehr Hochschulen.

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Beispiele wie diese zeigen, dass der Genderwahn zwar immer noch ein ernstzunehmender ist, denn Gleichberechtigung gibt es auch hier in Deutschland noch lange nicht gänzlich, aber dennoch sind dies Luxusprobleme, vergleicht man diese mit den eingeschränkten Rechten der Frauen in Ländern des Nahen Ostens, wie beispielsweise dem Iran.

Hajusom ist ein Kollektiv aus jungen Menschen, welche sich zusammentun mit Künstlern unterschiedlicher Genres und mit ihnen Projekte erarbeiten zum Thema der aktuellen Migrationspolitik. Ha-Ju-Som, diese Silben stehen für die Gründer der Gruppe, Hatice aus Kurdistan, Jusef aus Afghanistan und Omid aus dem Iran. Seit 1999 finden sich in Hamburg viele junge Leute zusammen, die – wie das Kollektiv auf seiner Homepage schreibt – alle eine Ladkarte in sich tragen. Und so ist es auch bei der Nachwuchsgruppe JUNGE STERNE, die uns mit „Gender_Ding“ eine Produktion zeigt, die bereits vor drei Jahren initiiert wurde, und immer noch sehr aktuell ist.

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Wer nun also ein Theaterstück zur Frauenquote in hiesigen Wirtschaftsunternehmen oder der Mädchenförderung an deutschen Schulen erwartet hat, der wird enttäuscht werden.

Hajusom bedient das Bild, das die Leute von nicht bestehender Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen in Ländern wie dem Iran, dem Irak oder Afghanistan haben. Dem Publikum werden direkt passende Bilder dargeboten. Über eine Videoprojektion wird ein Mädchen eingeblendet, das uns auf Türkisch etwas erzählt. Davor sitzt ein junger Mann, der übersetzt. Das Mädchen hätte gerne im Theaterstück mitgespielt, sagt er. Das ginge aber nicht, da ihr dies durch ihre Eltern verboten wurde. Dann treten alle Spieler auf die Bühne. Alle tragen Hemden, Krawatten und Strumpfhosen, auch die Männer, ein ulkiges Bild. Nur einer hat sich geweigert, der musste nicht, wenn er nicht wollte. Das Publikum wird später anmerken, dass der Tausch nicht fair ist. Frauen können problemlos eine Krawatte tragen, werden nicht so sehr degradiert wie Männer in Strumpfhosen. Wird ein Rollentausch hier also diffus?

Ein Wortspiel sorgt für Stirn in Falten: Es ginge nicht um „jende“, wie eine Spielerin anmerkt und dabei erklärt, dass dies auf Farsi Hure heißt. Es geht um GendeR, mit deutlicher Betonung auf dem R. Es geht um Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlechterrollen.  Wir verstehen das Wortspiel nicht ganz. Hätte doch wahrscheinlich nie jemand von uns „Gender“ mit dem persischen Wort für Prostituierte assoziiert. Was wir mehr verstehen ist die (De)Konstruktion der Rollen, welche Geschlechter im Nahen Osten spielen.

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Ein Spieler macht es vor, er demonstriert die Regeln für die Bedeckung bestimmter Körperstellen. Männer sehen das nicht so ernst, wenn sie Körperstellen bedecken, dann eher mit modischen Accessoires. Aber wenn sie dies nicht tun, dann ist das anscheinend auch okay. Eine Frau allerdings muss sich verhüllen, teilweise gänzlich. Ein über Beamer an die Wand geworfener Ausschnitt aus dem Film „Osama“ des Regisseurs Siddiq Barmak aus dem Jahr 2003 zeigt eine Demonstration von Frauen in Afghanistan zur Zeit der Talibanherrschaft. Man sieht hier keine Individuen. Die Frauen tragen alle eine blaue Burka, tragen Schilder hoch mit arabischen Aufschriften. Demonstrationen wie diese wurden schlicht mit Waffengewalt aufgelöst. Im Film lernt man, dass Witwen keine Möglichkeit zur Arbeit haben, der einzige, der arbeiten durfte, war der Mann. Dies führt zu unglaublichen Maßnahmen, wie jener, dass Frauen sich als Männer verkleiden, nur, um irgendwie arbeiten und Geld verdienen zu können. Wir erinnern noch einmal daran, dass wir uns in Deutschland mit der Frage beschäftigen, ob es der Gleichberechtigung wegen neben den Ampelmännchen auch Ampelweibchen geben soll…

Ein schönes Bild wird erschaffen, wenn die Spieler eine circa einen Meter breite und zwei Meter hohe Wand mitten im sonst leeren Bühnenraum aufstellen. Auf diese wird eine Videoprojektion gegeben, die einen Spieler zeigt, der selber nun wahrhaftig neben der Wand steht, allerdings in Kleidung des jeweilig anderen Geschlechts. So sprechen die Spieler quasi zu ihrem Alter Ego, welches aber eigentlich das normale, der Spieler in privat sein könnte. Wir deuten daraus, dass jeder im Kern erst Mensch und dann Mann oder Frau ist. Die einzige Unterscheidung, die da gefällt wird, ist eine biologische, wenn sich ein XX zu einem XY Chromosom verändert, wird halt ein Junge, kein Mädchen geboren. So ist die gesamte Gender-Debatte aus biologischer Sicht vollkommen zweitrangig und die große Frage wird aufgeworfen: Warum ist es so weit gekommen? Der Mann als das „stärkere“ Geschlecht und Jahrhunderte patriarchalischer Gesellschaften sind die Antwort. Und es bedarf lediglich solch einfacher Mittel um dies in unserer heutigen Welt klarzustellen!

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Musikalisch wird das Stück häufig getragen von einer Musikeren, die mit ihrer Saz und glasklaren Stimme einen wertvollen Beitrag leistet. Manchmal trägt sie einen künstlichen Schnurbart. Das sieht zuerst lustig aus, ist aber Kalkül. Vor Kurzem erst wurde ein Film hoch gefeiert, „No Land’s Song“ heißt der und erzählt dokumentarisch von der Komponistin Sara Najafi, die im Iran, in welchem es Frauen seit der Islamischen Revolution 1979 verboten ist Solo vor Männern zu singen, ein eben dieses Programm bedienendes Konzert zu organisieren. Eine Frau mit einer Saz, solo singend vor Männern. Hier in Düsseldorf kein Problem. Im Iran folgen Peitschenhiebe und Todesstrafe. Das sitzt, wird aber von der Gruppe weniger thematisiert. Die junge Musikerin vertont mehrfach den Alphaville-Hit „Big in Japan“ in Farsi und Türkisch. Im Original geht es darum, dass Musiker davon träumen, in Japan den großen Erfolg einzufahren, der in der Heimat ausblieb. Bei Erscheinen des Liedes war Japan, was die Musiktechnik anging, Vorreiter. Bands wie Deep Purple nahmen in dem Land, das scharf war auf Rockmusik, eine erste Liveplatte („Made in Japan“) auf und wurde sofort berühmt. Das Album wurde der größte kommerzielle Erfolg der Gruppe. Deuten wir also die Verwendung des Liedes im Zusammenhang nach der Frage der sozialen Gleichberechtigung von Frauen als Aufforderung zur Flucht in ein anderes Land, in eine andere Welt? Würde das die Probleme lösen? Wir wissen es nicht, würden uns aber um Korrektur der Deutung bitten, wenn wir falsch liegen.

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Was bleibt am Ende zu sagen? Wir haben ein Stück gesehen, das sehr auf die Rolle der Frau zugeschnitten ist. „This is a man’s world“ wird am Ende gesungen, während die Männer allesamt lauthals weinen und trauern. In der Nachbesprechung erzählt man uns, dass man in der schiitischen Kultur so um verstorbene Imame trauert. Das Zeigen von Tränen ist kein Zeichen von Schwäche oder Männlichkeit, sondern soll so groß und laut wie nur möglich gemacht werden. Im Gegensatz zu „Big in Japan“ verstehen wir hier den Appell ganz deutlich: Die Welt – so sing James Brown schon 1966 – ist zwar von Männern erbaut und worden und mit vielen technischen Innovationen versehen, doch ist ohne Frauen nichts wert.

Ob nun in Europa, dem Nahen Osten, in Russland oder den USA. Gender und Feminismus sind überall noch immer aktuell und durch solche Projekte wie die von Hajusom müssen sie immer und immer wieder aufgegriffen werden. Damit die Begriffe nicht in Verruf gelangen, muss man zwischen wirklich wichtigen Umständen und Unsinn entscheiden. Nicht hilfreich ist das Investieren in Debatten um Ampelweibchen oder Unisex-Toiletten, während Witwen in der Welt Hungern und ihre Kinder nicht ernähren können, weil sie nicht arbeiten dürfen. Wir müssen Kräfte fokussieren. Gleichberechtigung aller, von Männern und Frauen, Homo- und Heterosexuellen, Schwarzen und Weißen und allen Religionen ist keine Utopie, sondern ein erreichbares Idealziel. Und das im Theater zu bedienen ist der richtige Weg. Künstler wie Hajusom formen die Meinungen der Leute. Diese setzen der Politik wiederum die Pistole auf die Brust. Und irgendwann ändert sich etwas. Das zeigt die Geschichte. Und so wollen wir hoffen, dass Hajusom mit ihrer bereits langen Arbeit sich an diesem Prozess beteiligen kann, bedanken uns für den interessanten Einblick in die Arbeit und für die Ohrwürmer nach dem Stück!

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