Ich glaub‘, ich steh‘ im Wald: Wie es euch gefällt

Beitragsbild: Björn Hickmann/Stage Picture

Zugegeben, die Überschrift ist nicht sonderlich einfallsreich. Wir haben aber beschlossen, sie so stehen zu lassen, denn irgendwie passt sie. In zweierlei Hinsicht: Ein Großteil der Handlung aus William Shakespeares vermutlich zum ersten Mal 1599 aufgeführten Komödie Wie es euch gefällt findet im Wald statt und außerdem handelt es sich bei „Ich glaub‘ ich steh‘ im Wald“ um einen Ausruf der Verwunderung, des Erstaunens und der Überraschung, was bei der Aufführung der Version des Rheinischen Landestheaters von Ronny Jakubaschk, die am vergangenen Samstag Premiere feierte, durchaus zutreffende Gefühle waren.

Damit der Leser mit dieser Stückbesprechung überhaupt etwas anfangen kann, versuchen wir hier, die Handlung des Stückes kurz und übersichtlich zu gestalten, Shakespeare-Kenner wissen, besonders bei seinen Komödien ähnelt dieses Vorgehen der Quadratur des Kreises. Trotzdem, ein Versuch:

Die Herzöge Senior und Frederick haben sich verkracht, sodass Frederick Senior in den Wald von Arden verbannt hat. Auch die Brüder Oliver und Orlando sind nicht gut aufeinander zu sprechen. Ersterer ist älter und erbt vom verstorbenen Vater gemäß der damals gängigen Regel der Primogenitur alles, muss aber versprechen, dass er gut und ausreichend für seinen Bruder sorgt, was dieser aber nicht tut. Bei einem anstehenden Ringkampf meldet sich Orlando, gegen den immer siegreichen Charles anzutreten, den er, entgegen aller Erwartungen besiegt. Als Herzog Frederick, der dem Sieger gratulieren will, feststellt, wer dieser ist, nämlich der Sohn eines Feindes, verbannt er auch ihn von seinem Hof. Na? Kann der Leser noch folgen? Hoffentlich, denn jetzt wird es erst richtig verzwickt!

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Björn Hickmann/Stage Picture; Stefan Schleue (Touchstone), Andreas Spaniol (Herzog senior / Herzog Frederick), Anna Lisa Grebe (Celia / Aliena), Johanna Freyja Iacono-Sembritzki (Rosalind / Ganymed)

Am Hof des Herzogs Frederick leben zudem Rosalind, die Tochter des Herzogs Senior und Celia, die Tochter des Herzogs Frederick, die beiden sind also Cousinen, nebst den Höflingen LeBeau und LaBelle (die wir im originalen Text irgendwie gar nicht finden, wenn uns das vielleicht jemand erklären könnte?). Rosalind verliebt sich nach dem siegreichen Kampf in Orlando und als Frederick das spitz bekommt, Überraschung, verbannt er auch Rosalind von seinem Hof. Da Rosalind und Celia Hanni-und-Nanni-mäßig unzertrennbar sind, ist die Reaktion der Cousine eindeutig, diese fliegt gleich mit. Da es allerdings im Wald von Arden gefährlich zugehen kann, entscheidet sich Rosalind, die Verkleidung eines Mannes anzunehmen und sich fortan Ganymed zu nennen, Celia bleibt zwar ihrem Geschlecht treu, tauft sich allerdings kurzerhand auf den Namen Aliena. Für ihren Weg in den Wald nehmen sich Rosalind und Celia noch den Hofnarren Touchstone mit, der anfangs als Kofferträger dient, später aber noch für interessante Einblicke sorgen wird.

Im Wald von Arden, in dem Herzog Senior mit seinem Gefolge wie beispielsweise dem Lord und zugleich Musiker Amiens ein naturverbundenes Leben führt, werden nun all diese Charaktere aufeinandertreffen. Zusätzlich neu werden hier angeführt der Schäfer Silvius, der hier ohne seinen alten Freund Corin auskommen muss und zutiefst, mehr unglücklich als glücklich verliebt ist in Phoebe. Dank der klassischen Shakespeare’schen Elemente der Verkleidung, des gegenseitigen Belauschens und verschiedener Briefe und Texte, die in falsche Hände geraten, kann man sich bei dieser komplexen Konstellation vorstellen, dass das ein aufregendes Aufeinandertreffen werden wird, dem wir hier in diesem Text auch nichts vorwegnehmen möchten, denn, obwohl der Text schon mehr als 400 Jahre alt und damit vielleicht dem einen oder anderen Leser bekannt sein wird, ist es doch immer ein schönes Erlebnis, die Verzweigungen und deren Auflösung immer wieder selbst aufs Neue zu erleben.

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Björn Hickmann/Stage Picture; Christoph Bahr (Oliver), Andreas Spaniol (Herzog senior / Herzog Frederick), Stefan Schleue (Touchstone)

So viel zur Handlung. Doch wie war’s denn nun im RLT? Schauen wir uns, wie immer zuerst, die Bühne an:

Da ein Großteil von Wie es euch gefällt im Wald spielt, sieht man auf Theaterbühnen bei entsprechenden Inszenierungen sicherlich ganz häufig: Bäume und Natur. Gerne wird der Fürstenhof durch ein kleines Gemäuer angedeutet, aber meistens sind es dann doch nur Bäume. Anna Sörensen, die sich bei dieser Inszenierung für Bühne und Kostüm verantwortlich zeichnet, hat sich da für etwas anders entschieden – auf der Bühne: Sechs Umkleidekabinen, wie beim Herrenschneider, alle bestückt mit schweren dunkelgrünen Samtvorhängen, die im Laufe des Stückes zigfach auf und zu gezogen werden. Links ein Kleiderständer, auf dem langweilige graue Anzüge hängen, rechts eine Schneiderpuppe. Vor den Umkleidekabinen noch drei Teppiche, in der Mitte der Kabinen, ein gelbes Schild, das die männlichen und die weiblichen Kabinen mit entsprechenden Strichmännchen-Figuren darstellen soll, manchmal leuchtet es, manchmal nicht. Im Laufe des Stückes wird sich an diesem Bühnenbild nicht viel ändern. Der Kleiderständer wird leer geräumt werden und, sobald man im Wald ist, wird ein Mond im Hintergrund aufgehen.

Diese Lösung ist pfiffig. Zwar sehen wir in Wäldern selten Umkleidekabinen mit Vorhängen, bietet diese Lösung doch trotzdem viele Möglichkeiten verschiedenster Wechsel, plötzliches Auf-, Ab- und Untertauchen und mit ein bisschen Phantasie hilft die Farbwahl braun und grün bei der Vorstellung des Waldes. Diese Lösung ist also okay, wenn auch anfangs gewöhnungsbedürftig.

So wird auch bei der Differenzierung Fürstenhof-Wald nichts am Bühnenbild, sondern lediglich am Kostüm verändert. Der Hof Fredericks fordert öde, schnöde Trockenheit. Alle, Männer und Frauen, tragen bis nach oben hin zugeknöpfte, graue Anzüge. Luft zum Atmen bleibt da aus und so kommentiert die Farb- und Kostümwahl hier auch schon direkt die erste Welt des Stückes, die Welt, die auch die unsere ist: die Zivilisation mit ihren Häusern, Wänden, Regeln und ihrer Tristheit im 90°-Winkel. Im Fokus, bei Shakespeare, aber auch ganz klar im RLT: der Wald mit seinen Farben, Unebenheiten und Freiheiten. Bunt eben und das sehen wir an den Kostümen hier.

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Björn Hickmann/Stage Picture; Hergard Engert (LaBelle / Phoebe), Andreas Spaniol (Herzog senior / Herzog Frederick), Josia Krug (Charles / Amiens), Anna Lisa Grebe (Celia / Aliena), Christoph Bahr (Oliver), Stefan Schleue (Touchstone), Johanna Freyja Iacono-Sembritzki (Rosalind / Ganymed), Michael Meichßner (LeBeau / Silvius), Pablo Guaneme Pinilla (Orlando)

Und jetzt bricht es los, unser Lobfeuerwerk: Die Kostüme! Wie toll! Wir unterstellen Anna Sörensen für diese Rezension einmal einen Faible für das Universum von Marvel und DC. So haben wir einen Fürst Senior, der, neben seiner offensichtlichen Ähnlichkeit mit dem großen Barden höchst selbst die Farben Grün und Lila trägt und uns mächtig an den Joker, den Gegenspieler Batmans erinnert, eine(n) Genymed mit flatterndem Superman-Cape, einen Green-Arrow-Orlando, eine Wonder-Woman-Phoebe, einen Captain America-Silvius, einen Robin-Amiens und – das tanzt von diesen Motiven ausgehend etwas aus der Reihe – eine Schneewittchen-Aliena. Warum sich das Superhelden-Motiv nicht durch die gesamte Palette an Wald-Charakteren zieht, warum nur eine Disneyprinzessin dabei ist, warum Oliver, der sich am Ende seinem Bruder gegenüber öffnet und sich in Celia verliebt, ebenfalls aus dem Rahmen fällt und ein vergleichsweise normales Kostüm ohne Superhelden-Bezug trägt, wie und wodurch sich ein Charakter qualifiziert, in den Kreis von Marvel und DC aufgenommen zu werden, haben wir nicht ganz verstanden.

Dass man aus Shakespeares Werken gerne kürzen und dennoch ein schönes Stück auf die Bühne bringen kann, ist so alt, wie der Barde selbst und hat auch der Version von Wie es euch gefällt am RLT nicht geschadet. So reduzierte man das anfängliche Hin- und Her zwischen Fürstenhof und Wald des Originals auf eine klare Linie: Exposition am Hof, Rest im Wald. Das macht es übersichtlicher und ist sicherlich auch für das oben beschriebene Bühnenbild schlüssiger. Doch auch die Dramatis Personae wurden etwas entschlackt, man verzichtete auf Charaktere, die für die Handlung nicht von großer Relevanz sind. Und das ist, seit dem wir in Köln gesehen haben, dass man bei Hamlet sogar ganz entspannt auf Horatio verzichten kann, gar nicht mal schädlich. Auf der Bühne standen, teilweise in Mehrfachbesetzungen Andreas Spaniol, der beide Herzöge (Senior / Frederick) spielte, Johanna Freyja Iacono-Sembritzki als Rosalind und somit auch Ganymed, Anna Lisa Grebe als Celia / Aliena, Pablo Guaneme Pinilla als Orlando, Christoph Bahr als Oliver, Josia Krug spielte Charles und Amiens, Hergard Engert in der Rolle von LaBelle und Phoebe, LeBeau und Silvius wurden von Michael Meichßner gemimt und Stefan Schleue hatte den Touchstone ganz für sich. Es wird sicherlich niemand Widerspruch einlegen, dass diese Masse an Rollen bereits mehr als genug ist, für einen qualitativ hochwertigen Theaterabend und die Schauspieler brillierten auch allesamt durch die Bank weg darin, ihre Doppelrollen so zu spielen, dass sie jedem einzelnen Charakter ein ganz eigenes Leben einhauchten. Nur für den Klugscheißer-Effekt sei gesagt, dass das originale Stück im Gesamten 28 verschiedene Figuren auf die Bühne bringt. Hier sind wir allerdings sehr froh, dass Jakubaschk den Rotstift angesetzt hat.

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Björn Hickmann/Stage Picture; Hergard Engert (LaBelle / Phoebe), Michael Meichßner (LeBeau / Silvius), Andreas Spaniol (Herzog senior / Herzog Frederick), Pablo Guaneme Pinilla (Orlando), Johanna Freyja Iacono-Sembritzki (Rosalind / Ganymed), Anna Lisa Grebe (Celia / Aliena), Christoph Bahr (Oliver)

Und trotz der Kürzungen: Gut Ding will Weile haben und so dauerte die Inszenierung, was für Shakespeare nicht unüblich ist, fast drei Stunden. Größtenteils, nicht immer, können wir der Darstellung des RLT vollkommen sorglos Kurzweil unterstellen. Manchmal allerdings zog sich die Dynamik ein wenig, wir dachten uns: wir haben es verstanden, es kann weitergehen. Einen wunden Punkt bei Ungeduldigen trifft Andreas Spaniol, wenn er als Herzog Senior mit seinen ihn Umgebenden, nachdem der Hirsch des Waldes getötet worden ist, diesem, sein Geweih in die Höhe haltend, ein Lied zum Abschied singt. Auf den ersten Blick bringt dies auf jeden Fall eine lustige Szene, es sieht herrlich dämlich aus, wie der Herzog mit seinem Geweih immer wieder pastoral über die Bühne prozessioniert, begleitet von einer Gitarre und dem Gesang seiner Wald-Mitbewohner, dann abgeht und mit dem gleichen Singsang wieder aufkommt. Allerdings müssen wir uns an den The Big Bang Theory – Charakter Sheldon Cooper erinnern, der in einer Folge der Serie über den abnehmenden humoristischen Ertrag referiert. Das bedeutet, in klug formuliert, dass, je häufiger man einen Witz macht, dieser immer unlustiger wird. Die Zuschauer reagierten hier gemischt: die Einen brechen auch beim fünften Einstieg des Liedes in schallendes Gelächter aus, während die Anderen die Augen verdrehen und darauf warten, dass man endlich damit abschließt, den Hirsch heimzusingen. Wie Intendantin Bettina Jahnke nach der Aufführung im Foyer scherzhaft kommentierte, hätte es auch aus ihrer Sicht nicht mehr lange gedauert, bis Spaniol den ganzen Theatersaal zum Mitsingen animiert hätte. Ob dies nun wirklich Intention war, oder ein Gedanke, den man sich macht, wenn man mehr als dreimal das gleiche sieht, kann am Ende nicht mehr festgestellt werden. Ein Ohrwurm ist das Lied aber allemal!

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Björn Hickmann/Stage Picture; Michael Meichßner (LeBeau / Silvius), Hergard Engert (LaBelle / Phoebe), Josia Krug (Charles / Amiens), Anna Lisa Grebe (Celia / Aliena), Stefan Schleue (Touchstone), Andreas Spaniol (Herzog senior / Herzog Frederick), Christoph Bahr (Oliver), Pablo Guaneme Pinilla (Orlando), Johanna Freyja Iacono-Sembritzki (Rosalind / Ganymed)

Tatsächlich müssen wir uns hier noch etwas genauer mit dem Hirsch beschäftigen. Bevor dieser nämlich getötet wird, hat er auch mehrere Auftritte im Stück selber. Majestätisch schreitet er in einigen Szenen mit seiner langen Schnauze und seinem mächtigen Geweih über die Bühne, ist eigentlich eine Holz-Puppe, deren Spieler von einem braun-gelb-grünen Blümchen-Kleid überdeckt wird. Ohne nun zu sehr in der Literaturwissenschaft abzutauchen und das Diana und Actaeon-Fass aufzumachen, in dem der Jäger Actaeon die Jagdgöttin Diana beim Baden belauscht und dafür zur Strafe von ihr in einen Hirsch verwandelt wird, der dann von seinen eigenen Hunden gefressen wird, diese Geschichte war Shakespeare bekannt, er leiht sich sogar einige Worte des römischen Dichters Ovid, der für diese Geschichte verantwortlich ist in der ersten Szene des zweiten Aktes einen Lord von einem verwundeten Hirsch erzählen lässt: „The wretched animal heaved forth such groans […] and the big round tears/ Coursed one another down his innocent nose“. Man könnte fast meinen, Shakespeare hatte ein großes Herz für Tiere. Eine weitere Referenz zum englischen Original: In der vierten Szene des dritten Aktes hält Touchstone eine Rede, in der er die Umgebung des Waldes beschreibt, indem er sagt „for here we have no temple but the wood, no assembly, but horn-beasts“. Mit „horn-beasts“ ist natürlich in erster Linie der Hirsch gemeint, allerdings ist zugleich hier die Rede, so zumindest unsere Deutung, vom gehörten Ehepartner. Der immer wieder auftretende Hirsch ist also nicht nur ein komödiantisches Element, die Zuschauer lachen oft, als er wieder über die Bühne schreitet und manchmal einen Apfel ins Maul gesteckt bekommt, sondern spielt für die Aussagekraft des Stückes eine übergeordnete Rolle.

Ästhetisch hervorzuheben ist auch der anfängliche Ringkampf zwischen Orlando und Charles. Jakubaschk entscheidet sich hier für ein Tauziehen. Warum er das tut, ist uns nicht ganz klar. Denn eigentlich soll es sich hierbei um ein Fliegen der Fäuste handeln, denn im Text verlangt Oliver vom Ringkämpfer Charles, dass dieser seinen Bruder Orlando so heftig anpacken soll, dass dieser „didst break his neck as his finger“ (I,1), ihn also auffordert, Orlando im Kampf zu töten, sodass Oliver seinen aus seiner Sicht lästigen Bruder loswird. Bei einem Tauziehen ist diese raue Form der Gewalt kaum zu erreichen, doch, und hierfür gibt es dann auch wieder einen Pluspunkt, wird der Wettkampf auf der Bühne des RLT doch in Slow Motion dargestellt, das Tauziehen im Vordergrund, die anfeuernden Zuschauer dahinter, unterstützt wird dies atmosphärisch durch Licht- und Musikeffekte. Wahrscheinlich ist dieser heimtückische Versuch Olivers, seinen Bruder bereits in der ersten Szene umbringen zu lassen so offensichtlich zum Scheitern verurteilt, dass man sich am RLT sogleich dazu entschloss, eine harmlosere, dafür viel cooler anzusehende Version des Zweikampfes zu inszenieren.

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Björn Hickmann/Stage Picture; Josia Krug (Charles / Amiens), Andreas Spaniol (Herzog senior / Herzog Frederick), Pablo Guaneme Pinilla (Orlando), im Hintergrund: Christoph Bahr (Oliver), Anna Lisa Grebe (Celia / Aliena), Johanna Freyja Iacono-Sembritzki (Rosalind / Ganymed), Michael Meichßner (LeBeau / Silvius)

Eines wird deutlich: die Version des RLT lebt definitiv von ihren Kleinigkeiten und das ist ein großes Kompliment für eine Shakespeare-Inszenierung, denn vom alten Will gibt es nichts, was noch nicht schon aufgeführt wurde. So sind wir immer wieder verwundert, wie Theatermacher es schaffen, den 400-Jahre-alten Stoff immer neu zu erfinden. Hin und wieder fließen Textpassagen ein, die wir (vielleicht haben wir auch schlampig gelesen, Korrekturen und Schimpfe gerne in die Kommentare) aus dem Text nicht kennen. So spricht Touchstone, als er mit dem Schädel der Schneiderpuppe spricht (Was? Eine Hamlet-Referenz?) die ersten Worte des Johannes Evangeliums: „Am Anfang war das Wort […]“, einige Zeit später fallen die berühmten Worte Caesars, der einst meinte, er „kam, sah und siegte“ und – und das war mutig – bastelte man auch an der berühmtesten Rede von Wie es euch gefällt herum, denn plötzlich hieß es: „Die ganze Welt ist eine Bühne, und alle Frauen und Männer und Hirsche (!?) bloße Spieler […]“. Andreas Spaniol, hier als Herzog Senior den Hirschkopf hochhaltend (im Original gesprochen von einem anderen Charakter, Jaques, einem Melancholiker an der Seite des Herzogs Senior), brachte diese kurze Neuerung ein, die irgendwie spontan wirkte und – aus unserer Sicht – ganz hübsch passte, haben wir doch oben die Relevanz des Hirsch-Motivs fleißig herausgearbeitet. Dem Publikum hat es auch gefallen, der Intensität der Rede tat dies keinen Abbruch. Doch der eine oder andere Shakespeare-Ultra wird hier sicher die Nase gerümpft haben.

Nach fast drei Stunden Shakespeare-Spaß klatschen wir lange für die Darsteller. Wir haben viel gesehen, vieles sicherlich noch immer nicht verarbeitet, müssen über einiges noch nachdenken und schauen das Stück vielleicht sogar noch ein weiteres Mal, denn sicherlich haben wir noch nicht jedes Detail gesehen und erkannt. Auch beschäftigen uns noch Fragen: Jedes Mal, wenn ein Charakter einen der Umkleide-Kabinen-Samtvorhänge zur Seite zieht um dahinter dann David-Copperfield-mäßig in der Kabine zu verschwinden, ertönt aus den Boxen zuerst, am Hof des Frederick ein „Ding-Dong“, was später im Wald zum „Kuckuck“ wird. Allerdings kommt dieses Geräusch nicht durchgehend. Manchmal hören wir gar nichts, manchmal das Geräusch einer schweren ins Schloss fallenden Tür. Vielleicht ging einfach alles zu schnell, aber wir konnten keine Bezüge zu den auf- und abgehenden Personen herstellen, welche in Verbindung mit den Geräuschen stehen könnten, besonders dann, wenn gar keines ertönte. Auch das hin und wieder aufleuchtende gelbe Garderoben-Schild ist uns nicht deutlich geworden. Es zeigte – das war klar – eine weibliche und eine männliche Figur, war daher sicherlich erstmal Teil der Umkleide-Kabinen-Dekoration und lässt uns auf der Deutungs-Ebene vermuten, dass es sich um einen kleinen Kommentar zur zwielichtigen Geschlechterrolle einiger Charaktere des Stückes handelt. Diese trieb am Ende – und auch hier fiel der Groschen noch nicht ganz – der Hofnarr Touchstone ins Extreme, als dieser mit einem Kostüm auf die Bühne kam, das ihn halb als Mann und halb als Frau zeigte. Im unveränderten Original tritt auch Audrey auf, eine Ziegenhirtin, in die Touchstone sich verliebt. Das RLT verzichtet auf diesen Charakter, lässt den Hofnarren zuerst mit einer Unsichtbaren hinter den zugezogenen Vorhängen flirten, bevor es ihn im besagten Zwitter-Kostüm auftreten lässt. Ob wir nun hier eine verwirrte Unisex-Gestalt haben, den Hofnarren, dessen Partnerin nicht mehr besetzt werden konnte und daher durch eine Kostüm-Frage angepasst wurde oder es vielleicht ein viel tiefgründigerer Kommentar über das Sein oder Nicht-Sein von Männlichkeit und Weiblichkeit geht, können wir abschließend nicht sagen. Historisch gesehen erfüllt Touchstone als Hofnarr die Rolle des so genannten „Jester“ oder auch „Licensed Fool“, welche, wie der Name schon sagt, die offizielle Lizenz des Fürsten oder Königs hatten, sich über andere lustig zu machen ohne dafür Ärger zu bekommen. Touchstone darf also sagen, was er denkt, weshalb wir diesen Auftritt vielleicht wirklich als zusammenfassende Kommentierung des Geschehens auffassen können.

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Björn Hickmann/Stage Picture; Stefan Schleue (Touchstone)

Doch worum ging es denn jetzt genau? Was hat sich Shakespeare denn selber gedacht zum Thema Liebe und Heirat. Immerhin stammt aus seiner Feder auch Romeo und Julia, eines der wenigen Stücke von ihm, das wir ganz furchtbar finden, welches aber dennoch ebenfalls irgendwo die Liebe thematisiert. Bei Wie es euch gefällt steht unseres Erachtens allerdings eher die Hochzeit im Fokus. Vielleicht wollte Shakespeare ganz bewusst darauf hinweisen, dass man sich, bevor man sich ewig bindet, den Partner ganz genau ansieht, ihn sehr gut kennen lernt, damit die Ehe auch – wie man sich das am Traualtar verspricht – bis dass der Tod uns scheidet hält, das passiert heutzutage ja irgendwie immer seltener. Oder aber William erlaubte sich, wie er dies so oft tat, einen Scherz: Viele Charaktere im Stück sind nicht diejenigen, die sie anfangs vorgeben zu sein. In der damaligen, wie auch in der heutigen Welt verstellen sich die Menschen, spielen Rollen und würden alles sagen, um beim Gegenüber anzukommen und an ein Date und vielleicht noch mehr zu gelangen („Hast du Wasser in den Knien oder warum schlägt meine Wünschelrute aus?!“), daher ist all dies vielleicht nur eine Darstellung der Extreme? Abschließend muss dieses Urteil jeder für sich fällen.

Dabei helfen kann in jedem Fall ein Besuch der Vorstellung von Wie es euch gefällt im Rheinischen Landestheater in Neuss. Das Stück wird noch mehrere Male im Haus selber aufgeführt. Als besonderes Schmankerl bietet das RLT traditionsgemäß für das ultimative Shakespeare-Erlebnis am 12.06. und am 13.06.2017 jeweils um 20 Uhr sogar eine Aufführung im Globe-Theater in Neuss. Und da können wir ja nur schließen mit: Wer das verpasst, ist selber schuld!

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