Beitragsbild: Björn Hickmann/Stage Picture
„Müßiggang, pflegt man zu sagen, ist aller Laster Anfang. Um dem Laster zu wehren, empfiehlt man die Arbeit.“ Diese bekannten und klugen Worte des dänischen Philosophen Søren Kierkegaard sind nicht nur eine schöne Maxime für den Alltag, wenn die Faulheit mal wieder durchschimmert und wir einfach nicht aus dem Bett kommen. Sie finden auch ihren Platz in Wilhelm Hauffs Märchen Das Kalte Herz aus dem Jahr 1827. Hauff, dem wir Werke wie Der Zwerg Nase, Die Geschichte von Kalif Storch, Die Geschichte vom kleinen Muck verdanken, erzählt in Das Kalte Herz die Geschichte vom Kohlenmunk-Peter, der es leid ist, ein armer Köhler zu sein und sich deshalb die Hilfe von zwielichtigen Waldgeistern holt, um auch ganz ohne Arbeit, quasi müßiggehend reich und beliebt zu werden. Man muss kein Literaturgelehrter sein um fühlen zu können, dass das dramaturgisch wertvollen Stoff liefert, aus dem man prima ein Theaterstück mit blendend durchschimmernder Moral machen kann.
Das dache sich auch Rebekka Kricheldorf, mehrfach preisgekrönte Autorin und Dramatikern, bekannt durch Bühnenadaptionen relevanter Stoffe wie Fitzgeralds Der große Gatsby (Hamburg, 2012) oder durch ihr von der Theaterzeitschrift Theater heute gefeiertes utopisches Stück Homo Empathicus (Göttingen, 2014), und adaptierte das Märchen für die Theaterbühne. Bettina Jahnke, aktuell noch Intendantin am Rheinischen Landestheater, fiel das Stück in die Hände, dankbar für die humorvolle Umwandlung für die Bühne, entschied sie sich dafür, sich mit diesem Stück als ihre letzte Regiearbeit am RLT von ihrem Publikum zu verabschieden, bevor sie im Sommer 2018 an das Hans-Otto-Theater nach Potsdam geht.

Worum geht es? Peter Munk, überall bekannt als Kohlenmunk-Peter ist mit seinem Leben nicht zu frieden. Von seinem Vater übernimmt er dessen Köhlerei und soll den Beruf des Köhlers in alter Familientradition fortführen. Leider kann er sich nicht mit dem niedrigen Stand abfinden, den sein Berufsbild mit sich bringt. Er beneidet die Glasmacher, die Uhrenmacher und die Musikanten. Wenn er abends ins Schankhaus geht, sieht er den dicken Ezechiel, der Bauholz teuer verkauft und daher viel Geld hat und auch den langen Schlurker, den er wegen seiner Kühnheit beneidet und den Tanzbodenkönig, dem, wie der Name bereits vermuten lässt, auf der Tanzfläche niemand das Wasser reichen kann. Um seinem Leben einen neuen Anstrich zu verleihen, wendet er sich an Waldgeister, zuerst das Glasmännlein und später den Holländer-Michel. Das Glasmännlein erfüllt ihm Wünsche, er will besser tanzen können, als der Tanzbodenkönig, immer so viel Geld haben wie Ezechiel und die schönste und reichste Glashütte im Schwarzwald. Doch wird Peters Leben hierdurch nur von kurzer Dauer erfüllt. Zwar wird er im Schankhaus gar zum Tanzkaiser, gewinnt aber im Glücksspiel gegen Ezechiel nur konsequenterweise so lange, bis dieser kein Geld mehr hat und weiß, weil er sich zur Glashütte zwar die erfahrenen Glasbläser gekauft hat, aber selbst nicht über die richtigen Kontakte verfügt, nicht, wo er all das Glas verkaufen kann. Verzweifelt wendet er sich nun an den Holländer-Michel, der ihm gern mit Geld aushilft, so viel Peter haben mag, unter einer Bedingung: Er will sein Herz und setzt ihm stattdessen einen Ersatz aus kaltem Stein ein. Ohne auch nur kurz zu zögern, willigt Peter ein, wird nun steinreich (wir entschuldigen uns für Augenrollen verursachende Wortwitze) und weiß sein Geld nun wohl zu behüten. Denn mit seinem Herz gibt er auch seine Gefühle, die Wärme und Liebe für andere ab. Peter wird immer reicher, aber ihm wird zugleich alles gleichgültig, sogar seine mittlerweile auch in Elend lebende Mutter, die ihm und dem wirtschaftlichen Potenzial seiner Glashütte vertraut hat, lässt er vom Hof jagen. Bald darauf heiratet Peter Lisbeth, die zwar in seinem Reichtum leben darf, aber die Herzlosigkeit ihres Gatten nicht zu unterstützen vermag. Nachdem sie mehrfach Bettlern Brot und gar Wein geschenkt hat, erschlägt Peter sie in seiner Wut. Dem Glasmännlein, das sich als einer der Bettler ausgegeben hat, ist dieses Verhalten zuwider. Es interveniert und gibt Peter eine Frist, in welcher er sich zum Guten zu wenden hat, ansonsten würde das Glasmännlein ihn töten. Nach langem Zögern wendet sich Peter an den Holländer-Michel, welchen er durch eine List dazu bringt, ihm sein echtes Herz wiederzugeben. Nachdem Peter dem Holländer-Michel entflohen ist, trifft er wieder auf das Glasmännlein, das ihm, der nun wahre Reue über seine Taten zeigt, seine Mutter und Lisbeth zurückgibt, mit denen er nun, schließlich wieder einfacher Köhler, ein glückliches weiteres Leben führt.
Eine solch hanebüchene Handlung kann nur der Spirit eines Märchens sein. Hauff schreibt seinen Text sehr düster, Spaß macht die Lektüre des Märchens kaum, irgendwie will man so recht mit keinem der Charaktere warm werden, noch nicht einmal für den Kohlenmunk-Peter bleibt da irgendwo Sympathie übrig. So stellt sich natürlich die Frage, wie Kricheldorfs Stück in der Umsetzung von Bettina Jahnke funktioniert.

Zuerst einmal sind wir begeistert von der Bühne. Grob beschrieben befinden sich fünf Baumstämme auf ihr, von denen vier senkrecht stehen. Sie sind sicher fixiert und können an ihren kurzen Ästen von den Spielern beklettert werden. Ein fünfter Baumstamm liegt diagonal nach oben abgehend auf der rechten Bühnenseite. Der vordere Bühnenboden ist grünlich bemalt, es wirkt moosig. Hierauf stehen fünf Stühle, in derselben grüngelben Farbe. Die hintere Bühnenwand ist gekennzeichnet durch eine gewaltige Metallwand, in die beleuchtete Herzen eingelassen sind, in der Mitte der Wand: zwei Flügeltüren, die ein großes Portal bilden, dahinter ein Bühnenbereich, der ebenfalls grüngelb gefärbt und beleuchtet ist. Die Interpretation von Farben scheidet die Geister, seit es Farben zu geben scheint. In der Literatur lässt sich allerdings immer wieder nachlesen, dass Gelb und Grün als Farbe des Neides, Grün zusätzlich als Farbe der Großzügigkeit gilt. Gelb wird angesehen als Schandfarbe von diskriminierten Gruppen und soll, erstaunlich, sowohl bei Kaufsucht und Geiz helfen. Grün steht zudem als Farbe für Gleichgültigkeit, Stagnation und Müdigkeit. Das versteh einer. Wir wissen nicht, welche Deutung nun welche Richtigkeit hat, es soll jeder in seinen Farben für sich sehen, was er will. Wir wissen auch nicht, inwieweit Bettina Jahnke und ihr Bühnenbildner Juan León ihre Farbsymbolik so interpretieren, wie wir dies tun. Aber irgendwie sind wir glücklich mit dieser Darstellung, denn sie passt so schön zum Spirit des Stückes und ist, obwohl sie sich bei so manchen Lichteinstellungen fies auf die Netzhaut brennt, im Gesamtbild ein wahrer Augenschmaus.

Das Stück geht los. Das Saallicht wird gelöscht. Auf der Bühne sehen wir zwei Silhouetten jeweils den rechten und linken Baumstamm emporklettern. Das Bühnenlicht geht an. Der Holländer-Michel (Pablo Guaneme Pinilla) und das Glasmännlein (Johanna Freyja Iacono-Sembritzki) leiten in das Geschehen ein, stellen uns den Schwarzwald vor, den Märchen und Stück zu ihrem Schauplatz machen. Und schon beim Auftritt dieser beiden Figuren wird sogleich die zweite visuelle Stärke des Stückes klar: Die Kostüme, ebenfalls designt von Juan León, haben solch einen besonderen Charme, dass wir einige hier hervorheben müssen. So wirkt besonders das Glasmännlein mit seiner Halbglatze und dem hinteren wuschig-wild abstehenden Haar wie die Inkarnation eines Waldgeistes. Doch auch der Holländer-Michel gibt bereits durch sein Äußeres, einen langen Mantel, hohe Lederstiefel, schmierig zurückgegeltes, grauweißes Haar und pechschwarz geschminkte Augenpartien das Idealbild eines fiesen Antagonisten. Die wunderbar erfrischende Kostümwahl zieht sich durch die gesamte Besetzung. So tragen der Tanzbodenkönig (Richard Lingscheidt), Ezechiel (Rainer Scharenberg) und die Schlurkerin (Anna Lisa Grebe) gülden glänzende Anzüge und Kleider, die den überschwänglichen Reichtum und Erfolg ausstrahlenden Charakteren in nichts nachstehen. Ein überaus simples aber für uns einprägsames Kostüm ist ebenfalls der Amtmann, den auch Richard Lingscheidt verkörpert, mit seinem Frack und dem Tief ins Gesicht gezogenen, übertrieben hohen Zylinder.
Das Stück ist episodisch in zwei Teile teilbar, der Part bevor Peter (Josia Krug) sein biologisches Herz verliert und jener danach. Diese Charakterwandlung darzustellen, ist für einen Schauspieler sicherlich mit aufwendigen Studien verbunden. Im ersten Part hält sich Peter für einen Niemand, man kann ihm fast schon Minderwertigkeitskomplexe unterstellen. Krug versucht dies hier durch die Erschaffung eines Milchbubis, der beim Tanzduell dem Tanzbodenkönig so erstaunt und zugleich verunsichert zusieht wie ein Dreijähriger, der nicht verstanden hat, wohin der Zauberer die Münze hat verschwinden lassen. Unterstützt wird dieser Bubicharakter durch die Schaffung von oberflächlich komischen Situationen, beispielsweise, wenn Peter den Tanzbodenkönig herausfordert, ihm zum Tanz aber keine Musik geboten wird, er aber dennoch zu seiner eigenen Musik tanzt, die er kurzerhand selber, mehr schlecht als recht singt. Auch das verzweifelte Entsinnen des Spruches, mit dem er das Glasmännlein im Wald zu rufen versucht, wirkt wie ein Grundschüler, der zum ersten Mal vor der ganzen Klasse ein Gedicht aufsagen soll, das er so wirklich gar nicht auswendig gelernt hat. Diese ganze übertrieben verweichlichte Darstellung ist sicherlich mit Absicht gewählt, denn sie soll den Kontrast aufzeigen zum zweiten Teil des Stückes. Ist Peter hier doch reich, herzlos, arrogant, egoistisch, selbstverliebt und schlicht böse. Krug gibt hier das Arschloch, fernab vom stotternden Grundschüler. Er spricht wie ein Badass und zieht finstere Fratzen. Beide Rollen, die des vom Leben enttäuschten Bubi-Peters und die des reichen Arschloch-Peters kaufen wir ihm aber nicht immer ab. Wir haben das Gefühl, dass diese beiden Facetten der Peter-Rolle etwas zu sehr karikiert worden, damit der Kontrast deutlicher wird. Für eine Märcheninszenierung ist dies nicht sonderlich schädlich, sind jene doch immer etwas over-the-top. Doch wäre es für uns spannender gewesen, wenn man beiden Darstellungen entweder etwas den Wind aus den Segeln genommen und sie mehr naturalisiert oder aber sie vollkommen übertrieben hätte. Ein paar darstellerische Ungereimtheiten könnten da auch sogleich mit weggebügelt werden: So genossen wir beispielsweise das Aneinandergeraten von Peter und seiner Frau Lisbeth, die Brot und den guten Wein an Bettler verschenkt hat. Peter schimpft mit Lisbeth, ebenfalls gespielt von Anna Lisa Grebe, kommt ihr immer näher, plötzlich liegt sie auf einer Reihe von Stühlen, er liegt auf ihr, seinen hasserfüllten Blick scheint er mit ihrem ängstlichen zu vereinen, er droht ihr, würde sie es noch einmal wagen, etwas an Bettler zu verschenken, schlüge er sie tot. Das Schauspiel hier ist überragend. Wir können die Spannung und den Druck zwischen beiden in der Luft spüren. Wenn Peter Lisbeth dann schließlich erschlägt, scheint dieser Hass, die Wut, die Spannung wie verflogen. Er nimmt ihren Kopf und schlägt diesen vor einen Baumstamm. Sie ist sofort tot. Peter tötet Lisbeth so beiläufig, als erschlüge er eine nervige Fliege mit einer eingerollten Fernsehzeitung, die er zuvor noch las, sich mehr über das Fernsehprogramm ärgernd denn über Lisbeth. Man mag durchaus argumentieren, dass dies vielleicht zu seiner Rolle gehört, er Lisbeth vielleicht auch nur noch genauso viel Zuneigung zu schenken hat, wie einer nervigen Fliege. Doch haben wir das Gefühl, dass hier Potenzial verschenkt wurde, Peters Charakterbild dementsprechend anzupassen, wie es zu Beginn des zweiten Teils als Badass eingeführt wurde, zumal jener Peter im Märchen Lisbeth, die vor ihm kniend um Vergebung bettelt, mit dem Griff einer Peitsche totschlägt.

Eine besondere Stärke dieser Inszenierung ist die Musik. Größtenteils kommt sie live von der Bühne, gespielt von zwei begnadeten Musikern, Christoph Kammer und Henning Nierstenhöfer, auf mehr als passenden Instrumenten wie einer Bass-Balalaika, einem Akkordeon, einer Darbuka. Neben teilweise die Handlung kommentierenden oder Stimmung erzeugenden Geräuschen, für die auch einmal mit Wasser gefüllte Weingläser und der allseits bekannte Stick-Slip-Effekt genutzt werden (hiervon gerne mehr!), spielen die beiden Musiker Lieder aus einer für eine Märcheninszenierung eher ungewöhnlichen Playlist. So hören wir Songs wie „Schüttel deinen Speck“ (Peter Fox), wenn der Tanzbodenkönig tanzt, „Ding“ (Seeed) im genialen Duett zwischen Krug und Lingscheidt oder „Liebe Ist Alles“ (Rosenstolz), gänsehauterzeugend interpretiert von Anna Lisa Grebe, wenn sie als Lisbeth überlegt, ob sie Peter heiraten soll. Die Auswahl der Pop- und Schlagerklassiker ist ein spannender Schritt, dem Stück eine gewisse Frische zu verleihen. Die eigene Interpretation der teilweise passend gekürzten Lieder durch die Musiker und Schauspieler auf der Bühne gibt ihnen einen zum Stück passenden, einmaligen Charme.

Ein für uns selbst kontroverses Highlight ist die Szene, in der der Holländer-Michel Peter das Herz herausnimmt. Dies passiert auf eine zu unserer Zufriedenheit sehr stilisierten Art und Weise. Zu Stroboskopeffekten und Sinusrhythmusbeat zuckt Peter schmerzerfüllt und oberkörperfrei über die Bühne, der Holländer-Michel selber ist nicht da. Etwas unglücklich sind wir mit dem Magic-Mike-Manöver Krugs. Ein lediglich aufgeknöpftes Hemd, so wie beim Rücktausch des Herzens hätte durchaus gereicht. Wir stellen fest, das geben wir zu, dass der Schauspieler einen beneidenswert durchtrainierten Oberkörper hat, empfinden allerdings diese Zurschaustellung als Reduktion seines schauspielerischen Tuns. Krug hat spielerisch vieles auf dem Kasten und sollte in solchen Szenen nicht auf sein körperliches Aussehen reduziert werden, was besonders dann noch gesteigert wird, wenn er nach der Herausnahme des Herzens auch noch eine Weltreise tanzt, zu Songs wie „Empire State of Mind“ oder „London Calling“ seine Muskeln zappeln lässt. Wir hätten uns zudem eine konsequentere musikalische Live-Begleitung gewünscht, die durchgehend von den Musikern auf der Bühne umgesetzt worden wäre, haben die dringende Notwendigkeit dieses Tanzes und der Popsongs aus den Boxen auch nicht wirklich verstanden. Ferner haben wir nicht verstanden, warum der Holländer-Michel sich zurückzieht, wenn er Peter das Herz herausnimmt. Er läuft einfach von der Bühne, als sei er an diesem Prozess nicht beteiligt. Andeutung und das Herz Peters, das nachher an der Wand leuchtend erscheint hin oder her, die Relevanz des Waldgeistes in dieser Szene ist nicht von der Hand zu weisen.

Doch nicht nur in dieser Szene, sondern für das gesamte Stück stehen die Waldgeister, der Holländer-Michel und das Glasmännlein in der Gunst des Publikums. Von Guaneme Pinillas Interpretation hätten wir uns mehr gewünscht. Alleine schon mehr Bühnenzeit, wir mochten seine Art des Holländer-Michels. Uns ist nicht klar geworden, warum er so reduziert auftritt: Bei der Herzentfernung läuft er von der Bühne, wenn er Peter das Herz wieder einsetzt, sitzt er nur gelangweilt daneben. Wenn Peter ihm offenbart, dass dies eine List war, stampft er nur verärgert auf und gibt dann klein bei. Da hätten wir uns von einem so mächtigen Waldgeist, wie er sich am Anfang ankündigt, etwas mehr Widerborstigkeit erwartet. Irgendwie ist er dann doch für einen Herzen sammelnden Bösewicht zu liebenswürdig. Star des Abends ist allerdings ganz klar Johanna Freyja Iacono-Sembritzkis Glasmännlein. Alleine schon für die gefährlichen Klettereinlagen auf dem senkrecht stehenden Baum, aber auch für die fließende Bewegungen auf dem diagonalen Stamm gebührt der Schauspielerin, die hier ohne Sicherung herumkraxelt und es dabei nie danach aussehen lässt, als sei sie auch nur im Geringsten unsicher, der allergrößte Respekt. Ihre Interpretation der Rolle ist zudem so herrlich frei, dass sie wahrhaftig sagt, was sie denkt. So wirken ihre Sprüche, die sie Peter entgegenschleudert häufig nicht sonderlich märchenhaft, sondern eher jugendlich-lapidar. Fast schon wie mit einem zwinkernden Auge bringt sie teilweise auch Ungereimtheiten des originalen Märchens auf. So wird bei der Lektüre des Textes nicht sonderlich klar, welcher genau einer der drei Wünsche Peters ist, die das Glasmännlein ihm erfüllt. Er wünscht sich die Fähigkeit zu tanzen, ein Pferd, einen Wagen, Bargeld und das Glashaus, das Glasmännlein kommentiert harsch, dass es mal so täte, als seien all diese Wünsche nur zwei gewesen, sodass es ihm den dritten noch verwehren kann. Wenn Lisbeth am Ende wieder lebt, kommt vom Glasmännlein: „Weil ich ein so nettes Glasmännlein bin, habe ich beschlossen, die Lisbeth wieder lebendig zu machen.“ Hiermit wird die überaus unsinnige Reue-Passage im originalen Märchen übersprungen und humorvoll persifliert. Diese klugen Bemerkungen stammen zwar aus der Feder von Kricheldorf, werden aber von Iacono-Sembritzki so gnadenlos scharfzüngig umgesetzt, dass uns die Begeisterung in die Augen schießt. Auch physisch begeistert die Schauspielerin. Sie klettert nicht nur auf den Baumstämmen herum, sondern auch auf Peter selbst. Sie steht auf seinem Rücken, hockt auf seinen Knien und verdient sich für dieses Scharwenzeln, das wirklich an einen Waldgeist erinnert, den man einfach nicht los wird, sogar ausgiebigen Szenenapplaus. Da mussten auch wir einstimmen.

Abschließend können wir sagen, dass es sich bei der Inszenierung von Das Kalte Herz durchaus um ein sehenswertes Stück handelt. Wir stoßen uns aber auch an einigen wenigen Ungereimtheiten, über die wir aber bei der Betrachtung der Gesamtheit des Stücks hinweg zu sehen mehr als gern bereit sind. Die Inszenierung wirkt häufig statisch, manchmal hat man das Gefühl, dank der bekletterbaren Bäume findet mehr Bewegung auf der y-Achse statt, daher können wir nur vermuten, dass oberkörperfreie Tanznummern das Textbombardement etwas auflockern sollten. Zugegebenermaßen gibt Hauff nun auch eine Vorlage, in der es viel zu erzählen gibt, und, soviel sei verraten, die Bühnenfassung kürzt bereits wirklich nervige und irrelevante Passagen weg. Daher handelt es sich bei all diesen Bemerkungen um Pingeligkeiten auf hohem Niveau. Bettina Jahnke verziert ihre Interpretation von Das Kalte Herz mit überaus ansehnlichen Ideen, bringt ein Ensemble auf die Bühne, das überzeugend spielt und wagt es, zu experimentieren.
Bewusst haben wir uns dagegen entschieden, die Motive des Märchens und des Stückes zu analysieren. Es liegt auf der Hand, dass bereits Hauff mit seinem Text die Machenschaften geldgeiler Unternehmer und Kaufleute angreifen wollte und dies mit der Würze, die Kricheldorf dem Text verpasst, eine gelungene Kapitalismuskritik mit sich bringt. Geht es wirklich immer um das große Geld? Wieso sind wir denn nicht mal mit dem zufrieden, was wir haben? Bringt uns ein Ford Fiesta nicht genauso ans Ziel wie ein Maybach? Ist es nicht mehr Luxus, Menschen um uns versammelt zu haben, die wir lieben können als tagein, tagaus damit zu verbringen, Geld zu zählen? Wir sind froh, alle ein warmes Herz in der Brust schlagen zu haben und beneiden all jene nicht, die für ihr dickes Portemonnaie über (metaphorische) Leichen gehen. Und so findet das Stück ein schönes Ende, wenn der Holländer-Michel und das Glasmännlein wieder auf den Bäumen sitzen, auf die sie anfangs geklettert waren, und sich gegenseitig necken, dass es doch schon ziemlich knapp war, ein Punkt für den Glasmann, aber fast hätte der Holländer-Michel den Peter bekommen. Es war alles nur eine Wette zwischen den beiden Geistern. Umso imposanter ist es, wenn beide am Ende ins Auditorium schauen, sie die Zuschauer zu scannen scheinen und der Michel abschließt mit: „Aber den nächsten armen Bub, der vom großen Aufstieg träumt, den werde ich wieder kriegen. Verlass dich drauf.“

Im Jahr 2010 besuchten wir zum ersten Mal das Rheinische Landestheater, ein Großteil unseres damaligen Deutsch-Leistungskurses fühlte sich von unserer Lehrerin verhaftet, wir aber, damals bereits selbst auf Bühnen stehend, freuten uns, uns hier das für uns erste Stück anzusehen, in dem Bettina Jahnke Regie führte, das Musical Cabaret mit dem Untertitel „Heute tanzen wir und morgen brennt die Welt“. Diese imposante Inszenierung brachte einen Stein ins Rollen, der uns immer wieder zurück ans RLT zog und das hat sich bis heute nicht geändert. Das RLT ist ein vergleichsweise kleines Theater mit einer übersichtlichen Belegschaft an Kunstschaffenden und wir fühlen uns immer sehr wohl dort. Und daher möchten wir es uns auch nicht nehmen lassen, uns bei Bettina Jahnke zu bedanken, nicht nur für die sehenswerte Inszenierung von Das Kalte Herz, sondern für all die schönen theatralen Bilder, die wir seit 2010 immer wieder auf ihrer Bühne zu sehen bekamen und wünschen ihr bereits jetzt schon einmal alles Gute für ihren weiteren Weg.
Wer neugierig geworden ist und Das Kalte Herz auch sehen möchte, stöbere auf der Internetseite des Rheinischen Landestheaters. Wie immer (Wortwitz!) legen wir einen Besuch des Stückes wärmstens ans Herz!