Beitragsbild: Eine Szene aus der West End Produktion von Harry Potter and the Cursed Child, Foto von Manuel Harlan.
„Die achte Geschichte, neunzehn Jahre später.“ So heißt es auf der Rückseite des Skriptes, das es seit gut einem Jahr im Buchhandel gibt. Und bevor wir in die eigentliche Diskussion des Stückes einsteigen, müssen wir etwas persönlich werden, denn Harry Potter, das ist auch unsere Kindheit, Jugend und – das haben wir am Wochenende gemerkt – auch immer noch Teil unseres Erwachsenenlebens. Und wenn wir so die Rückseite lesen, dann kriegen wir Gänsehaut, denn im Jahre 1998 erschien der erste Band von Harry Potter in den Buchläden und nun, neunzehn Jahre später machen wir uns auf den Weg nach London um das erste Theaterstück aus der Reihe zu sehen. Zugegeben: für uns ist es dieses Mal nicht nur ein Theaterstück, es sind auch ein bisschen Kindheit und Jugend und dementsprechend Emotionen, die wir in diese Vorführungen mitgenommen haben, die halten uns jedoch nicht davon ab weiterhin kritisch auf das Gesehene zu schauen.
Vorab noch einen Hinweis in eigener Sache: wer im Netz nach Informationen zu dem Stück sucht wird nur das Nötigste finden, denn getreu dem Motto „#keepthesecrets“ liegt es der Fangemeinde, vor allem aber Autorin J.K. Rowling sehr am Herzen, dass man als Fan die Möglichkeit hat die Eindrücke vor Ort zu erleben. Über diese Möglichkeit waren wir sehr dankbar, denn so konnten wir uns vollkommen mitnehmen lassen von dem was dort geschah. Wir werden in der Besprechung, wie immer, auch auf die technische Umsetzung eingehen, sind aber bemüht, die Magie des Stückes aufrecht zu erhalten. Dennoch sprechen wir hier sicherheitshalber mal eine pauschale Warnung vor eventuellen Spoilern aus.
Obwohl wir im Folgenden versuchen, die Handlung des Stückes darzustellen, setzen wir eine solide Grundausbildung in Harry Potter Studies voraus, denn das gesamte Universum zu erklären, würde den Rahmen sprengen. Technisch handelt es sich übrigens bei Harry Potter and the Cursed Child um zwei Theaterstücke, die, jeweils mit einer Dauer von knapp drei Stunden, separat aufgeführt werden. Für die Besprechung behandeln wir beide Stücke der Einfachheit halber aber als eines.

Harry Potter, der 19 Jahre nach dem erfolgreichen Kampf gegen Lord Voldemort ein mit Akten zugeschütteter Mitarbeiter im Zaubereiministerium ist, glücklich verheiratet mit Ginny Weasley, mittlerweile Sportreporterin beim Tagespropheten (Quidditch!) schickt seinen Sohn, Albus Severus Potter nach Hogwarts, der berühmten Schule für Zauberei. Dort wird Albus vom sprechenden Hut in das Haus Slytherin (!) gesteckt und freundet sich mit Scorpius Malfoy an, dem Sohn Draco Malfoys, in den Büchern noch Harry Potters Erzfeind, mittlerweile ein geduldeter Kollege im Ministerium, der immer mal wieder zum Necken vorbei kommt.
Albus hat große Statusprobleme, steht er doch im Schatten des berühmten Harry Potter und auch Scorpius hat es nicht leicht, denn ihm eilt der Ruf voraus, er sei der Sohn Lord Voldemorts. Somit bekleiden beide Protagonisten eine Außenseiterrolle und finden schnell zusammen. Mit der Zeit lernen beide auch Delphi Diggory, die vermeintliche Cousine des verstorbenen Cedric Diggory kennen. Sie machen sich auf Delphis Onkel, Amos Diggory (Vater von Cedric) zu helfen die Vergangenheit zu verändern, um seinen Sohn und Delphis Cousine vor Voldemort zu retten. Dafür stehlen die drei den letzten Zeitumkehrer im Zaubereiministerium und drehen immer mehr an der Geschichte. Sogar soweit, dass Lord Voldemort an die Macht gelangt und Harry Potter stirbt. Nun liegt es an Scorpius die Geschichte wieder so herzustellen, wie sie ursprünglich war, um Harry und Albus zu retten. Mit der Zeit wird deutlich, dass Delphi eigentlich Augurey heißt und ebenfalls ein falsches Spiel spielt.
Die Liebhaber sauberer Dramaturgie haut dieser Plot sicherlich nicht aus den Socken und auch wir sehen den Text, der diesem Theaterstück zu Grunde liegt, als eher oberflächlich und einfallslos an, wirkt er fast wie Fanfiction. Er gibt den beliebtesten Charakteren ein Wiederauftreten, verdreht die Welt ein wenig, indem er aus Erzfeinden Freunde macht und leidet unter unsauberen Brüchen, so hat beispielsweise das erste Problem der Rettung Cedrics nichts mit dem eigentlichen dramatischen Konflikt zu tun und bereitet eigentlich nur den Boden für die Demaskierung Augureys, die, einmal ihre wahre Identität preisgegeben, doch sehr flott besiegt ist.

Jedoch geben wir zu Bedenken, dass es sich bei Harry Potter and the Cursed Child um eine West End- beziehungsweise Broadway-Produktion handelt. Hier zählt generell eher die Show als das, was dahinter ist. Somit halten wir es für vollkommen verfehlt, hier mit der gleichen Oberlehrer-Brille heranzugehen, wie man dies vielleicht bei einer Inszenierung nach Brecht oder Shakespeare täte. Und deshalb beziehen auch wir uns mehr auf die Show und verzeihen die Oberflächlichkeiten nur zu gerne. Und da sind wir nun, knapp zwölf Monaten, nachdem wir in einem Krimi im Internet die Tickets ergattert haben. Wir sitzen im Londoner West End, im imposanten Palace Theatre, das uns schon als Gebäude selbst, erreichtet zum Ende des 19. Jahrhunderts hin, nicht schlecht staunen lässt. Die Bühne ist spärlich beleuchtet, man hört Gleisgeräusche, sieht Koffer und eine Uhr durch die ein Licht scheint. Haben sich die Macher also für ein eher überschaubares Bühnenbild entschieden? Ja! Und das ist gut so. Oftmals sind es wenige Elemente, die aber in ihrem Einsatz große Effekte erzielen. Ein Beispiel: das Stück beginnt, Musik setzt ein, ein munteres Gewusel auf der Bühne. Klar: Ein Bahnhof. Mit den Koffern wird eine Choreo getanzt, die einfach sofort mitreißt, dabei sieht man nicht mehr als Schauspieler mit Koffern, einfach, aber toll anzusehen. Ein harmonisches Zusammenspiel aus Musik, Schauspiel und Bewegung. Und mit diesen ersten Bewegungen sind wir eingetaucht in die Welt von Harry, Ron, Hermine, in der das Böse zurückzukehren scheint.
Wo bietet es sich mehr an, Theater und Zaubershow zu verbinden, wenn nicht bei Harry Potter. Aus Büchern und Filmen wissen wir: In der Welt jenseits der Muggel-Grenzen sieht es anders aus. Überall fliegt, blitzt, raucht, knallt es. Ein Wedeln mit dem Zauberstab, und schon ist der Haushalt erledigt, der Aktenberg abgearbeitet, das Abendessen gekocht. Diese Magie auf die Bühne zu bringen und dem Zuschauer eben nicht zu verraten, wie das geht, ist eine der vielen Stärken des Stückes. So staunen wir direkt am Anfang nicht schlecht, wenn die Protagonisten am Gleis 9 ¾ angedeutet durch die Wand zum Hogwarts Express laufen. Mit ihren Kofferwagen laufen sie Alltagskleidung tragend auf das Publikum zu und in etwa auf der Hälfte der Bühne gibt es ein „Wusch“ aus den Boxen, Scheinwerferlichter blitzen auf und plötzlich tragen sie binnen eines Bruchteils einer Sekunde, Hogwarts Roben. So klappte der Kiefer schon ziemlich früh herunter.

Die Reduktion des Bühnenbildes ist ein durchgehender und gut funktionierender Stil. Das Stück besteht aus vielen Szenenbildern, die durch elegante und tänzerische Umbauten nacheinander auf- und wieder abgebaut werden. Dabei werden die Orte durch die Kulissen immer nur angedeutet. So sitzen die Schüler des Hogwarts-Express auf Kofferwagen, die hintereinander in einer Reihe stehen und der Eleganz halber noch durch ein riesiges Drehelement auf der Bühne angedreht werden. Zwei große verschiebbare Treppen dienen zum einen als Podest, auf dem Zaubereiministerin Hermine Granger ihre Versammlungen abhält, fungieren aber auch, durch Tänzer innerhalb einer Choreo durchgehend über die Bühne geschoben und von den Schauspielern dabei bespielt, als das verzauberte Treppenhaus der Magierschule, das nie stillzuhalten scheint. Besonders imposant ist die Darstellung eines Friedhofs, dessen Grabsteine ebenfalls nur aus über die Bühne verteilten, senkrecht aufgestellten Koffern besteht. Ansonsten findet sich auf der Bühne häufig nur ein Tisch mit zwei Stühlen, ein Bett sowie an der hinteren Bühnenwand eine weitere Tür und ein Kamin, der – die Fans ahnen es – natürlich zur Reise durch die Zaubererwelt mit Hilfe des Flohpulvers genutzt wird. Die wirkliche Magie bringt die Bühnenoberfläche selber mit. Auf ihr finden sich eine Vielzahl an Falltüren und sogar ein kleiner Wassertank für die Darstellung des Sees beim Trimagischen Turnier, durch die unzählige magische Momente kreiert werden. Wir sind nicht der Magier mit der Maske und verraten die Tricks nicht, wir staunen nur: Wenn sich Albus, Scorpius und Delphi in Harry, Ron und Hermine verwandeln um im Ministerium den Zeitumkehrer zu stehlen und sie sich dann durch die Telefonzelle in ebenjenes Ministerium einsaugen lassen oder wenn Scorpius später durch den Cruciatus Fluch in physikalisch gar unmögliche Körperhaltungen malträtiert wird zeigt die Bühne, was sie kann. Auch eine Vielzahl von spannend verwendeten Seilzügen begeistert uns. So werden klassisch Bühnenrahmen auf und abgezogen, mal hängen Flaggen von der Decke, mal Lampen. Aber manchmal eben hängen auch Schauspieler an den Seilen. Gänsehaut, Staunen, Angst, Tränen in den Augen und ein Gefühlsmischmasch aus Angst, Freude, Ungläubigkeit wird in uns erzeugt, wenn drei Dementoren ihren Auftritt haben. Zwei schweben über der Bühne von der Decke, die an den unsichtbaren Seilen hängenden Darsteller tragen seidig-leichte schwarze Gewänder, die lange nach unten hängen und wie der düstere Nebel wirken, der die seelenaussaugenden Wächter umgibt. Besonders imposant-gruselig wird es, wenn ein Dritter über den Köpfen des Publikums schwebt und uns alle hoffen lässt, dass er uns nicht sogleich küssen wird. Im Zusammenspiel mit der Musik und dem direkt durch Mark und Bein schießenden Kreischen der Askaban-Wächter, tun sich hier theatrale Bilder auf, die wir so schnell nicht vergessen werden. Prädikat schaurig-schön!
Erstaunlich ist auch, was die Darsteller mit ihren Zauberstäben machen können, denn in erster Linie ist das: nichts. Doch wenn die Magier der Requisiten- und Bühnentechnikabteilung ihre Finger mit im Spiel haben, sprühen Funken, blitzen Lichter oder – im Falle des tödlichen Avada Kedavra Fluchs, ganze Feuerstrahlen über die Bühne, die sogar uns, in der vierten Reihe sitzend, als deutlich wahrnehmbare Hitze ins Gesicht schlagen. Ein ebenfalls wundervoll anzusehender Effekt ist der Patronus-Zauber des Severus Snape. Er wendet ihn gegen Dementoren an. Ein Schauspieler, den man im Hintergrund kaum sieht, trägt an einer Stange das Gestell eines bläulich brennenden Hirschkuhkopfes über die Bühne, langsam, anmutig, lyrisch. Im wahrsten Sinne des Wortes zauberhaft, wir können uns an diesem ruhigen Moment nicht satt sehen.

Zu den nennenswerten Effekten des Stückes gehört auch ein ausführlicher Einsatz von Licht und Sound. Trifft beispielsweise ein Zauberspruch eine Person, leuchtet auf der Stelle für einen kurzen Moment ein kaltweißer Spot auf, was in Verbindung mit einem Geräusch aus den Boxen und natürlich dem Spiel der Schauspieler die Illusion des Spruches perfekt macht. Für die Verwendung des Zeitumkehrers bei den Zeitreisen ist besonders der Boxensound von Relevanz, denn hier arbeitet man, sobald die Maschine auslöst, nebst einer projizierten Wellenillusion, die das ganze Bühnenbild wie Pudding wackeln lässt, mit einem sehr tiefen Bass-Schlag, der so heftig wummert, dass die Sitze wackeln. Die Sound- und Lichttechniker lassen uns hier also quasi gleich mitreisen. Besonders fanden wir auch, dass gänzlich auf die bekannte Harry Potter Musik verzichtet wurde. Für das Stück wurden extra Songs der Sängerin und Komponistin Imogen Heap ausgewählt. Diese wurden nicht extra komponiert, sondern stammen aus verschiedenen Alben, dennoch blieb man bei der Musikauswahl bei der Wahl einer Sängerin. Das beweist auch wieder, dass man in solchen Umsetzungen nicht immer auf altbewährtes setzen muss, sondern auch neue Wege gehen kann, denn die Musikstücke harmonieren so wundervoll in den einzelnen Szenen, dass es beim Zuschauer ein ganzes Gefühlsfeuerwerk zündet.
Wer es als Schauspieler – zumindest für die Ansprüche des anglo-amerikanischen Raums – geschafft hat, für eine West-End-Produktion gecastet zu werden, kann hier bereits einen großen Erfolg verbuchen. Und so können wir bedenkenlos jedem einzelnen Ensemblemitglied eine hervorragende Spielleistung attestieren. Schon die kleinsten Rollen werden hervorragend ausgespielt, sei es nur der Zauberer, der bei der Konferenz im Ministerium ganz hinten links, für uns Zuschauer eigentlich kaum sichtbar, den Ausführungen Hermines durch Kopfnicken seine Zustimmung ausdrückt. Auch die Tänzer begeistern mit jedem Schritt, den sie tun, sei es in den Umbaupausen, die uns durch die Wirkung ebendieser Tänzer gar nicht wie Umbaupausen vorkommen oder in den narrativen Choreographien, bei der uns besonders bei jenem Tanz, der auf düstere Art und Weise zu harten Trommelklängen die alternative Welt, in der Voldemort die Welt regiert einführt, den Atem stocken lässt. Dennoch können wir es uns nicht nehmen lassen, einige der Rollen, beziehungsweise ihre Darsteller, ein bisschen mehr zu loben. Zwar ist Namensgeber wieder einmal Harry Potter und Darsteller Gideon Turner gibt einen sehr guten Protagonisten, doch gibt es das eine oder andere Spieltalent, das uns besonders in Erinnerung bleiben wird. Allen voran nennen wir Samuel Blenkin, der Scorpius Malfoy spielt. Beim Hören des Namens Malfoy wird es dem Harry Potter Fan mulmig. Waren in den Büchern Lucius und sein Sohn Draco doch eher der Voldemort’schen Seite zugetragen, kreieren J.K. Rowling, John Tiffany und Jack Throne, die sich alle drei für das Skript verantwortlich fühlen, einen Malfoy-Charakter, der nicht so ganz in dieses Schema passt. Scorpius ist schüchtern, wirkt oft wie ein nervöses Nervenbündel, hat häufig Angst vor gefährlichen Situationen und beginnt nur durch Albus herauszufinden, dass er auch mutig sein kann. Blenkin spielt den Scorpius so übertrieben physisch ausfallend, betont seine Texte schon fast übertrieben karikiert, dass nahezu jeder zweite Einsatz beim Publikum Gelächter hervorruft. Bei jedem anderen Theaterstück wären wir spätestens nach einer halben Stunde genervt, nicht bei Scorpius. Blenkin verleibt diese übertriebene Art seiner Rolle so ein, dass sie Teil des Charakters wird und wir sie so akzeptieren und ihn sofort ins Herz schließen.

Generell ist die Art eines etwas karikierten und übertriebenen Spiels der Stil, der sich durch das ganze Stück zieht. So ist es auch verzeihlich, wenn Rollen etwas größer und offener gespielt werden, sodass man eher von Charakterzeichnungen sprechen kann, die man in Deutschland beispielsweise von Stage-Musicalproduktionen (Tanz der Vampire, König der Löwen, Aladdin, Tarzan) kennt. Aber das ist am West End eine ganz übliche Tugend und gehört damit zum Gesamtbild des Spiels. Einen wundervollen Moment der Erinnerung schafft Sarah Miele, die einen Auftritt als Maulende Myrte hat, den wir fast schon als Cameo bezeichnen wollen, denn ihr Kostüm und ihre Art, die Rolle auszuschmücken, sind so sehr inspiriert vom Film, dass wir glatt Shirley Henderson, die Schauspielerin aus dem Film vermuteten, das aber nur als kurzes Gedankenspiel, Henderson ist mittlerweile 51 Jahre alt. Dennoch gibt Miele uns hier eine Myrte, die uns an die Filme und damit wieder mal zutiefst an die Jugend erinnert. Ebenso nostalgische aber auch zugleich beunruhigende Erinnerungen schafft Lowri James als Dolores Umbridge, die in den Filmen schon fies war aber ihre Fiesheit im Stück noch etwas mehr auf die Spitze bringt, ist sie in dieser Zeitlinie wieder Schulleiterin von Hogwarts, in der Voldemort über die Welt herrscht und Hogwarts sich zu einer Brutstätte blutrünstiger Zauberschüler entwickelt hat. Auch Severus Snape bekommt in dieser Welt, verkörpert von David Annon, einen kurzen Auftritt und hilft Scorpius, als Mitglied im geheimen Widerstand. Uns ging das Herz auf, als er an der Tafel seines Klassenraums stand und dort, im Dialog mit Scorpius das Wort „semper“ anschrieb, lateinisch für „immer“, und damit eines der für diesen Charakter prägendsten Worte, bezieht sich dieses „Semper“ doch auf den wohl berühmtesten Dialog zwischen Albus Dumbledore und Severus Snape, in welchem letzterer seine Liebe zu Harry Potters Mutter Lily offenbart und somit zum ersten Mal wirklich klar sicherstellt, dass er kein Bösewicht ist, sondern sein Leben dem Schutz Harry Potters verschrieben hat. So rührte uns dieses kleine und unauffällige Wort doch sehr!
In den Büchern und Filmen schon beliebt, im Theaterstück noch beliebter: Ron Weasley. Schauspieler Thomas Aldridge passt mit seiner etwas korpulenteren Figur auf den ersten Blick nicht zu einem doch recht schlanken Rupert Grint aus den Filmen, doch, sind wir ehrlich: Bei dem, was Ron in seiner Jugend schon immer in sich hineinschlang, ist der knuddelige Bauch, den Aldridge mit sich bringt, eine ganz passende Entwicklung, sollte Ron seinen Lebensstil diese 19 Jahre lang beibehalten haben. Ron, nun mit Hermine verheiratet, ist und bleibt tollpatschig und hat, auch in den gefährlichsten Situationen, immer noch einen aufmunternden Spruch auf den Lippen und hat für diese Art, die der Charakter mit sich bringt, für unseren Geschmack schon zu wenig Bühnenzeit. Mehr Ron bitte!
Was wir in den Rollenbeschreibungen als löblich darstellen, kann dem einen oder anderen Theatergänger ein Dorn im Auge sein: Der Humor des Stückes kommt eindeutig von Rowling, ist vergleichbar mit dem der Bücher und Filme. So ist es auch hier üblich, dass in eigentlich schon lebensbedrohlichen Situationen die Protagonisten ihren Humor nicht verlieren und immer wieder noch mal ein Spruch oder eine erheiternde Slapstick-Einlage wahrzunehmen sind. Es ist nicht jedermanns Geschmack, wenn es kurz vor dem finalen Kampf gegen Augurey noch ein künstlich herbeigeschriebenes Necken zwischen Draco Malfoy und Ron Weasley gibt. Uns stört dies nicht weiter, denn es gehört zur Handschrift Rowlings, sie stellt den Humor auf die gleiche Stelle wie den Mut und gibt ihren Texten damit einen ganz besonderen Spirit. Und spätestens, wenn Lord Voldemort über die Bühne und durch den Zuschauersaal schreitet, verfliegt sogar einem Ron Weasley der Humor und so behält das Stück schließlich doch immer seine Ernsthaftigkeit. Eigentlich leider schon fast marginal aber dennoch auf jeden Fall erwähnenswert ist der Schauspieler Mark Theodore, der in einer Traumsequenz, in der Harry Potter von seiner Kindheit träumt, Hagrid spielt und, sich aber auch für die Darstellung des sprechenden Huts von Hogwarts verantwortlich zeichnet. Hierbei tritt er im eleganten Anzug mit Melone auf, ist also eine stilisierte Darstellung des Hutes. Wenn es zur Auswahl des Schülers kommt, lässt er seine Melone über dem Kopf des Kindes schweben und beginnt einen expressionistischen Tanz, durch die ihm sein Abwägen physisch deutlich wird, bevor er mit seiner tiefen und brummigen Stimme das entsprechende Haus verkündet. Das war so toll, von uns aus hätten wir uns gerne die Auswahl aller Schüler angesehen.
Ein großes Thema im Theaterstück ist die Zeit. Im Vordergrund stehen Zeitreisen, die, wie bereits oben beschrieben, bombastisch inszeniert sind. Zugleich spielt die Regie mit einer Darstellung von Zeitdehnung, häufig in Form von Zeitlupenbewegungen aber auch von Zeitraffung. Wenn Charakteren eine Handlung nähergelegt wird, die das Publikum bereits kennt (Albus und Scorpius erzählen den Eltern, was sie mit dem Zeitumkehrer gemacht haben [wir Zuschauer waren dabei, wir wissen darüber Bescheid]), wechselt für einen kurzen Moment das Licht, die Spieler wenden sich vom vorderen Bühnenteil ab, ein Sound wird eingespielt, bis die Spieler sich wieder nach vorne drehen und man quasi am Ende des Gesprächs wieder einsetzt, wo nun die Reaktion der Eltern auch für uns Zuschauer wieder relevant ist. Die Genialität dieses Stilmittels ist kaum in Worte zu fassen und bietet die Möglichkeit, das Stück naturalistisch konsequent zu inszenieren, ohne für uns Zuschauer zu langatmig zu werden.

Und so gehen mehr als fünf Stunden Zaubertheater vorbei. Und wir sind traurig. Genauso traurig, als wir damals die letzte Seite des letzten Harry Potter Buches lasen. Die letzten drei Worte: „Alles war gut.“ Danach stand nichts mehr. Wir konnten die Seite noch so verzweifelt nach mehr Text untersuchen. Vorbei. Sieben Bücher. Verschlungen. Genau wie dieses Stück. Der Abschlussapplaus reißt uns brutal zurück in die Wirklichkeit. Zurück aus der Welt der Zauberer und Hexen, in die wir sofort beim ersten Anschlag der Musik eintauchten. Schon die Pausen zwischen den kurzweiligen Stücken waren für uns störend. Wenn es nach uns ging, hätte man durchaus die fünf Stunden durchspielen können. Das sagen wir jetzt einfach ganz egoistisch, ohne Rücksicht auf die Darsteller. Fünf Stunden kamen wir nicht mehr aus dem Staunen heraus. Haben uns mitreißen lassen, alte Charaktere wiedergesehen, neue lieben gelernt und spenden natürlich am Ende voller Überzeugung Standing Ovations.
Wer auch einmal in den Genuss des Theaterstückes kommen will, sollte die Ellenbogen ausfahren. Die Tickets für die Performance sind heiß begehrt und teuer, am West End wird Geld gescheffelt. Doch können wir bestätigen: Diese Performance ist wirklich jeden Pence wert. Also worauf warten? Tickets besorgen, um den Theaterbesuch einen schönen Trip planen und auf geht’s in eine der schönsten Städte der Welt!
Ein Gedanke zu “Ein Ausflug ans West End: Harry Potter and the Cursed Child”