Titelbild: Björn Hickmann/ Stage Picture, mit Hergard Engert (Fräulein Pfeffer), Pablo Guaneme Pinilla (Herr Salz), Peter Waros (Herr von Kuckuck), Richard Lingscheidt (Der Lebkuchenmann), Rainer Scharenberg (Der alte Teebeutel)
Es ist Sonntag, der ein oder andere hatte vielleicht eine anstrengende Nacht und möchte das Restwochenende auf dem heimischen Sofa genießen. Nicht wir. Das Rheinische Landestheater hat zur Premiere von Der Lebkuchenmann, einem Familienstück, geladen, und wir sind dem Ruf gefolgt!
Der Lebkuchenmann ist ein als Musiktheater geschriebenes Stück, welches bereits 1976 seine Uraufführung in England feierte. Geschrieben wurde es von David Wood. Wir wollen ehrlich sein: bis dato haben wir weder vom Einen noch vom Anderen gehört. Umso gespannter waren wir auf den Inhalt und die Umsetzung des Rheinischen Landestheaters. Schon vor dem Stück sehen wir: die Bezeichnung Familienstück muss stimmen, denn viele Eltern sind mit ihren Kindern gekommen, die überwiegend im Grundschulalter sind. Ausnahmsweise ziehen wir den Altersschnitt im Theater eher hoch, als runter, was uns persönlich freut, denn wir finden, mit Theater kann man nicht früh genug in Kontakt kommen!
In Der Lebkuchenmann wird die Geschichte, wie sollte es anders sein, eines Lebkuchenmanns erzählt. Herr von Kuckuck gibt stets Alles bei der Zeitansage in der Küche, doch eines Tages versagt ihm die Stimme. Fräulein Pfeffer und Herr Salz sind beunruhigt, denn das bedeutet nur eines: ab in den Mülleimer! Ein Glück wird ein Lebkuchenmann von den „Großen“, wie die Erwachsenen aus dem Off genannt werden, gebacken. Todesmutig, aber auch etwas naiv, wagt er sich auf das oberste Regal im Küchenschrank vor, um dort den wohltuenden Honig für Herrn von Kuckuck zu besorgen, damit dieser wieder seine Stimme zurückerlangt und nicht in den Müll kommt. Dort trifft der Lebkuchenmann jedoch auf den schlecht gelaunten alten Teebeutel. Und als ob die Situation nicht schon verzwickt genug wäre, wird der Lebkuchenmann auch noch von Flitsch, der Maus durch den Küchenschrank gejagt, denn sie hat Hunger und da kommt der Lebkuchenmann gerade recht.

Scharenberg (Der alte Teebeutel)
Eine putzige Story, wie wir finden, genau das richtige für einen gemütlichen Sonntagnachmittag. Doch nicht nur auf die Umsetzung durch das Team, rund um Regisseur Christian Quitschke, sind wir gespannt, sondern auch auf die Reaktionen des sehr jungen Publikums. „Kinder sind das ehrlichste Publikum“, heißt es in Theaterkreisen oft und es stimmt, denn wenn Kindern langweilig wird, werden sie unruhig, laut, oder sie schlafen ein. Sind Kinder jedoch interessiert, dann reagieren sie, lachen, interagieren oder schauen gebannt zu. Und so viel dürfen wir vorweg nehmen: den Darstellern und dem gesamten Team ist es gelungen den zweiten Effekt zu erzielen. Doch wie haben sie das gemacht?
Der Vorhang geht auf, wir sehen Fräulein Pfeffer, Herrn von Kuckuck und Herrn Salz auf der Bühne. Schon als Herr von Kuckuck seine Stimme verliert, bedient man sich kleineren Einspielern aus dem Off. So wird aus dem Kuckucksruf ein I-Ah eines Esels oder das Muhen einer Kuh. Eher untypische Geräusche für einen Kuckuck, doch für das Publikum ein gelungener Effekt, die Kinder lachen. Ein gelungener Trick ist es auch die „Großen“ lediglich aus dem Off auftreten zu lassen. Ein Lichtwechsel, mit Licht von oben, erstarrten Figuren auf der Bühne und ein kurzer Dialog aus dem Off. So wird der Zuschauer nicht gezwungen seinen Blick von der Bühne zu nehmen und bleibt gedanklich ständig bei den Figuren.
Ansprechend war auch das Bühnenbild. Es wurde zunächst in schwarz-weiß gehalten, man sah eine übergroße Küchenwaage oder ein Radio und natürlich die Kuckucksuhr des Herrn von Kuckuck. Im Verlauf des Stücks wurde das Bühnenbild jedoch immer bunter, die schwarz-weißen Elemente konnten abgenommen werden und plötzlich wurde aus dem schwarz-weißem ein bunt-geblümtes Radio. Auch die Teekanne, die Teetasse und der Honigtopf des alten Teebeutel sind im bunt-geblümten Mustern dargestellt. Allerdings ist nichts auf der Bühne dreidimensional und das ist gut so. Die Inszenierung lebt von ihrer Einfachheit in der Darstellung und von ihren Darstellern, die dadurch viel mehr zur Geltung kommen. Der Rest wird der Phantasie des Zuschauers überlassen.

Besonders die Dynamik des Stücks lässt die angekündigten 65 Minuten wie im Flug vergehen. Wie eingangs beschrieben handelt es sich um ein Musiktheater und so gibt es zwischendrin immer wieder Gesang und Musik. Schade an dieser Stelle ist jedoch, dass besonders beim ersten Gesang der Maus Flitsch nur wenig beim Publikum ankommt, da der Gesang kaum zu verstehen ist. Dennoch bringt der Gesang eine angenehme Abwechslung mit sich, was gleichzeitig die Art der Charaktere unterstützt. So singt der grimmige alte Teebeutel von seinem Leid, warum ihn niemand mag oder die Maus Flitsch versucht mit coolen Zeilen die Kinder zu beeindrucken. Und hier fällt uns eines direkt auf: auch wenn es die klassische Verteilung von Held und Antiheld gibt, ist uns keiner der Charaktere unsympathisch. Im Gegenteil, die eigentlich böse Maus Flitsch bekommt sogar regelmäßig von den Kindern im Publikum Hilfe. Das liegt allerdings auch an der wirklich coolen Art, mit der Johanna Freya Iacono-Sembritzki die Maus spielt, denn auf einmal steht sie auf den Sitzen, in Mitten des Publikums oder sie und der Lebkuchenmann jagen sich quer durch den Theatersaal. Die vierte Wand wird nicht nur durchbrochen, sondern die Zuschauer – und besonders die Kinder – werden plötzlich Teil des Stücks, denn sie werden angesprochen, gefragt, ob sie helfen können oder etwas zu Essen haben oder der Lebkuchenmann bittet sie die Maus aufzuhalten. Und genau das braucht es, um Kinder 65 Minuten lang bei Laune zu halten, eine angenehme Mischung zwischen unterhaltenden Elementen auf der Bühne und einer leichten Interaktion.

Jeder Schauspieler ist in seiner Rolle ideal besetzt gewesen. Besonders hat uns Rainer Scharenberg als alter Teebeutel überzeugt, der in einem so pompösen Kostüm wirkte wie eine alternde Diva. Scharenberg haben wir schon in vielen Rollen gesehen und er schafft es immer wieder sie mit seiner ganz persönlichen Note zu versehen, die dem Zuschauer jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Selbst als grummeliger Teebeutel ist er dem Publikum durchweg sympathisch. Und als er den heilenden Tee für den Kuckuck anrührt und dies zu diffusem Licht und einer Diskokugel tut, da muss wohl auch der letzte Erwachsene im Saal lachen. Auch Hergard Engert und Pablo Guaneme Pinilla überzeugen in ihrem Zusammenspiel als Fräulein Pfeffer und Herr Salz. Engert wirkt wie eine stolze Lady, dagegen ist Pinilla der eher zerstreute Part dieses Pfeffer-Salz-Gespanns. Die beiden sind in dieser Produktion in jedem Fall wörtlich das Salz (und auch der Pfeffer!) in der Theatersuppe und gegen Ende ergibt sich sogar eine kleine Liebesgeschichte zwischen den beiden. Richard Lingscheidt macht uns als Lebkuchenmann Lust auf mehr, denn mit seiner leicht naiven, fast schon kindlichen Art entdeckt er die Welt des Küchenschranks. Und das spricht auch die Kinder an, erkennen sie sich eventuell in der Figur des Lebkuchenmanns wieder, der mit der Zeit viele Dinge erst lernt und zeigt, dass Mut, Freundschaft und Hilfsbereitschaft gute und wichtige Elemente sind um durch das Leben zu kommen. Als neues Gesicht haben wir Peter Waros wahrgenommen, der als Gast am Rheinischen Landestheater den Herrn von Kuckuck darstellt. Und obwohl dieser nicht viel zu sagen hat, da ihm die Stimme verloren geht, überzeugt er uns voll und ganz durch seine Körperlichkeit und seine Bewegungen. Und nachdem der Kuckuck seine Stimme wiederhat, zelebriert er dies mit einem besonders stolzen Auftritt. Ein herrlicher Moment. Wir hoffen, ihn auch in anderen Inszenierungen noch sehen zu dürfen. Zuletzt möchten wir auch die Leistung von Johanna Freya Iacono-Sembritzki als Maus Flitsch nicht unerwähnt lassen. Sie schafft es, selbst als eigentlicher Antagonist, die Kinder um die Finger zu wickeln, sodass sie sogar den Lebkuchenmann an sie verraten würden. Das zeigt mit welch sympathischer Art sie ihre Rolle spielt, ohne dabei abgrundtief böse zu sein. Markant ist wohl auch ihre Art ständig Wörter zu verdrehen, was immer wieder für Lacher sorgt.

Die Aufführung hat ihre eigene Dynamik, die sehr angenehm ist, denn regelmäßig gibt es ruhigere, dann aber auch wieder schnellere Momente. Untermalt wird dies besonders durch die Musik von Serge Corteyn, da auch sie zwischen ruhigerer, eher jazziger Musik bis hin zu hektischer Musik, wie sie aus Kinderfilmen von Verfolgungsjagden bekannt ist, das ganze Repertoire bietet. Unterstützt wird diese Dynamik durch das Schauspiel der Darsteller, die teilweise sehr übertriebene, dann aber auch wieder kleine Handlungen auf der Bühne zeigen. Und auch hier können wir wieder sagen: genau das brauchen Kinder, denn kein Kind hört sich stundenlang Dia- oder Monologe an, Kinder brauchen Bilder, manche sehr deutlich, andere wiederum klein, denn wer den Kleinsten nicht zutraut auch kleine Details zu entdecken, der irrt. So wird beispielsweise das Nachdenken von Fräulein Pfeffer, Herrn Salz und dem Lebkuchenmann in einer kleinen Choreografie dargestellt. Diese ist zwar größer als wir es im natürlichen Leben tun, doch bei Weitem nicht so groß, dass damit eine Bühne gefüllt werden muss, doch das braucht es nicht. Schon die kleinen Andeutungen und die Wiederholungen sind witzig und machen jedem Zuschauer, egal ob groß oder klein, deutlich was die drei gerade auf der Bühne tun.
Am Ende können wir sagen: ja, es handelt sich um ein Familienstück. Es gibt viele sehr einfache, aber schöne Element. Die Inszenierung ist sehr kurzweilig und selbst für ältere Zuschauer durchaus zu empfehlen, denn hier darf man noch einmal Kind sein. Es muss nicht viel nachgedacht werden, man muss nicht tiefgreifende Dialoge auseinandersezieren oder krampfhaft die Verbindung zwischen dem gewählten Soundtrack, dem Lichtkonzept und der Handlung auf der Bühne suchen. Nein, hier darf man einfach Platz nehmen und sich unterhalten lassen. Und ganz nebenbei bekommen die kleinen Zuschauer noch einige wichtige Werte des Lebens vermittelt. Aus diesem Grund verleihen wir das Prädikat: Fluffig.

Wer sich Der Lebkuchenmann noch ansehen möchte, kann sich wie gewohnt die Termine auf der Seite des Rheinischen Landestheaters ansehen. Ein besonderes Schmankerl: bei den Aufführungen im Dezember wird im Vorfeld ein 30-minütiges Warm-Up durch die Theaterpädagogin des Hauses angeboten. Wer also vor oder an Weihnachten noch nichts vorhat oder das Weihnachtsessen bei leichtem Theater sacken lassen möchte, der ist hier genau richtig.