Von: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Theaterpädagogik, ein Thema, mit dem auch ich mich in den letzten Jahren oft auseinandergesetzt habe. Meist im Eigenstudium mit Hilfe von Büchern oder über unsere aktive Theaterarbeit mit den Jugendlichen. Seit gut 1,5 Jahren beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema, denn am Off-Theater in Neuss mache ich berufsbegleitend eine Grundlagenfortbildung zum Theaterpädagogen. Aber was genau machen diese ominösen Theaterpädagogen eigentlich den ganzen Tag?
Und damit herzlich Willkommen zu unserem ersten Portrait: Theaterpädagogik.
Neben den eigenen Erfahrungen suche ich regelmäßig den Austausch mit anderen Gleichgesinnten (und Theaterverrückten!). So auch an einem kalten Dezemberabend, kurz vor Weihnachten, als ich Tanja Meurers im Rheinischen Landestheater (RLT) Neuss treffe. Tanja ist die neue Theaterpädagogin am RLT, als Elternzeitvertretung. Sie gibt mir einen Einblick in die theaterpädagogische Arbeit an einem Theater und räumt auch mit einigen Vorurteilen auf. Nur weil das Wort Pädagogik bei der Theaterpädagogik enthalten ist, heißt das noch lange nicht, dass sie – ganz Lehrer-like – ein bisschen Goethe, ein bisschen Schiller, ein bisschen Büchner oder ein bisschen Beckett im Frontalunterricht vor einer Klasse vermittelt. Nein, sie bringt das Theater des RLT ins Klassenzimmer und bereitet so Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auf Theaterbesuche vor. Unter anderem, denn Theaterpädagogik bedeutet viel mehr: „In der Theaterpädagogik geht es für mich um Erfahrungen und Erfahrungsräume, um Erleben und Ausprobieren.“
Tanja ist Anfang 30 und als ich sie im RLT treffe, gerade mit dem Theaterchor, der sich „Die Unerhörten“ nennt fertig. Für sie eine Herausforderung, wie sie mir später berichtet, hat sie doch während ihres Kulturpädagogikstudiums in Mönchengladbach und ihres Masterstudiums in Theaterpädagogik in Nürnberg-Erlangen nur wenig mit Gesang zu tun gehabt. Ein Glück bekam sie Unterstützung von Christoph „Chris“ Bahr, einem Schauspieler des RLT. Nach Ende des offenen Angebots ist Tanja erleichtert, denn der Chor hat ihr viel Spaß gemacht und jetzt freut sie sich auf die nächste Stunde mit den Teilnehmern, auch dank Chris. Theaterpädagogik ist eben „Erleben, Experimentieren, Fantasieren, Probieren, Fühlen“. Außerdem ist für Tanja die Theaterpädagogik einerseits „für alle, die mehr vom Theater wollen“, andererseits aber auch „Vermittlung“.

Also doch irgendwo Pädagogik, sprich Leuten etwas beibringen wie in der Schule? Nein, eben genau das nicht: „Wenn ich mit verschiedenen Gruppen im Theater bin, löst sich das ‚Unterrichtsgefühl‘ schneller auf. Der Ort Theater hat für mich etwas Aufregendes und Zauberhaftes, und wenn beispielsweise der Klub der ‚Theaterkinder’ im Studio auf der Bühne probt, oder die Leute abends zum Theaterchor kommen und dort gemeinsam mit einem Schauspieler/einer Schauspielerin singen, dann herrscht alles andere als Schulatmosphäre und man kommt dem Theater ein Stück näher.“
Eigentlich ist Tanja gelernte Fremdsprachenkorrespondentin. Eine Gemeinsamkeit, die ich entdecke, denn als gelernter Industriekaufmann sind wir doch beide mit unserer ersten beruflichen Wahl zunächst weit weg vom Theater. Im Gegensatz zu mir hat Tanja der Theatervirus aber erst spät gepackt. Erst im Studium der Kulturpädagogik gerät sie intensiver an das Theater und dort ist sie „[…] glücklicherweise hängen geblieben“.
Von 2012 bis 2015 war Tanja am DAS DA Theater in Aachen. Dort hat sie die Eröffnung eines theaterpädagogischen Zentrums angeleitet und dort Spielclubs, Workshops und Fortbildungen integriert. Ja, auch das ist Theaterpädagogik: Eigenverantwortung, Ideenreichtum und dass man die Dinge anpackt. Angepackt hat sie anschließend auch am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf, wo sie neben ihrer theaterpädagogischen Tätigkeit mit dem Jungen Schauspielhaus und der „[…] Hedwig-und-Robert-Samuel-Stiftung im Rahmen des interkulturellen Begegnungscafés Café Eden mit Geflüchteten und dem Schwerpunkt ‚Theater und Spracherwerb‘[…]“ gearbeitet hat. Theaterpädagogik ist eben die Arbeit mit allen, egal ob jung ob alt, theatererfahren oder nicht oder eben deutsch- oder fremdsprachig. Und hier bietet das Theater, vor allem aber auch die Theaterpädagogik, Verbindungen zwischen Menschen zu schaffen, spielerisch, denn Theater braucht nicht immer Sprache.
Und trotz der vielen Erfahrungen wird der Job nie langweilig. Allein die Wechsel bringen immer wieder neue Herausforderungen mit sich, so auch der jüngste Wechsel zum RLT im letzten Quartal 2017. „Ja, ich war sehr aufgeregt. Die vielen neuen Gesichter und Menschen, die neuen Zuständigkeiten, die sich zwar teilweise an den Häusern überschneiden, sich aber auch unterscheiden. Und ich habe ja in der laufenden Spielzeit begonnen, wo der Betrieb auf Hochtouren läuft.“
Doch was passiert, wenn es mal hakt? Als Theaterpädagoge lernt man auf zack zu sein. Du planst immer alles, malst dir aus, wie dein Workshop sein soll, deine Stunde, dein Kurs und dann läuft plötzlich alles aus dem Ruder. Oder es läuft alles so gut, dass man den Stoff für 90 Minuten in 60 Minuten durchhat. Deshalb ist es auch in der Ausbildung nur von Vorteil, dass man bereits dort Probestunden abhalten muss und sich thematisch mit vielen Bereichen auseinandersetzt. So entsteht ein bunter Korb an Erfahrungen und Übungen, die man jederzeit anpassen und einsetzen kann.
Und wenn einem dann doch mal die Arbeit über den Kopf wächst? „Ich hatte das einmal in einem Projekt. Da ich bereits sehr arbeitsintensiv eingebunden war, kam dieses eine Projekt noch dazu. Ich war zuerst etwas ideenlos zu meinem gewählten Thema […]. Ich bin aber dennoch in die Proben gestartet. Die Gruppe hatte eine so tolle Motivation und hat selbst sehr viele thematisch inhaltliche Ideen gegeben, so dass die Arbeit super lief und unheimlich viel Spaß gemacht hat. Am Ende ist es ein tolles Stück geworden […].“ In meiner Ausbildung gibt es einen Dozenten, der das Credo „Vertraue dem Prozess“ vertritt. An diesem Beispiel zeigt sich, dass man manchmal einfach mutig sein muss. Als Theaterpädagoge ist es wichtig, offen zu sein, manchmal lassen sich Ideen nicht erzwingen, dann kann eine Gruppe, richtig angeleitet, eine Fundgrube an Ideen sein.
Und was genau ist Theaterpädagogik nun? Ist es der Kontakt zu den Schulen und Kitas, die ins Theater kommen, ist es der Kontakt zu theaterinteressierten Menschen, die sich ausprobieren wollen? Ist es der Austausch mit anderen über die eigene Arbeit – und damit verbunden oftmals auch eine eigene, kleine Fortbildung? Ist es die Vermittlung des Theaterwissens in überwiegend spielerischem Kontext, sprich: das Theater erlebbar zu machen? Um ehrlich zu sein: das ist es alles, und noch viel mehr. Natürlich will ein Kurs oder eine Stunde gut vorbereitet sein. Man braucht Übungen und der Austausch mit erfahrenen Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen ist Gold wert. Der Rest kommt oftmals von selbst.
Wer sich nun für das Feld der Theaterpädagogik interessiert, aber noch Fragen hat, dem kann ich nur empfehlen: fragt! Nehmt an Workshops Teil, versucht mit anderen zusammen zu arbeiten. Geht auch zu Schnupperstunden von Fortbildungskursen. Überall kann man wertvolle Erfahrungen mitnehmen und am Ende des Tages entwickelt jeder seinen eigenen Stil.
Und für alle, die noch den Kontakt zum Theater suchen und sich nicht sicher sind ob Theater immer noch das verstaubte Inszenieren von Shakespeare oder Goethe ist, für den hat Tanja auch noch einige Tipps: „Einfach kommen und sich ein Stück anschauen. Die Theater bieten thematisch oft eine weite Bandbreite an Stücken an, so dass für jede/n immer was dabei ist. Oder man geht den Weg über die zahlreichen Angebote der Theaterpädagogen/innen, die neben dem Spielplan angeboten werden. So biete ich in Neuss zum Beispiel einmal im Monat einen Theaterchor an. Es gibt aber auch viele Möglichkeiten selbst auf der Bühne aktiv zu werden oder man wirft einfach mal einen Blick hinter die Kulissen bei einer Theaterführung.“
Neugierig geworden? Ihr wollt mehr wissen? Ihr habt Fragen? Das Internet bietet heutzutage viele Antworten. Schaut mal auf den Seiten der lokalen Theater vorbei (z.B. der vom RLT Neuss, sucht nach Theaterpädagogischen Zentren oder schreibt uns einfach. Wir versuchen Euch gerne weiterzuhelfen: kontakt@theaterwg.deIm Februar werden wir Euch dann ein neues Portrait vorstellen.
Kennt ihr jemanden, den wir einmal interviewen sollen? Möchtet ihr zu einem ganz bestimmten Job mehr erfahren? Schreibt uns eure Anregungen, wir machen uns dann auf die Suche.
Ein Gedanke zu “Januarportrait: Theaterpädagogik – Das Greifbarmachen des Theaters für Jeden, wirklich JEDEN!”