Beitragsbild: Björn Hickmann/Stage Picture
Religionskriege sind Konflikte zwischen erwachsenen Menschen, bei denen es darum geht, wer den cooleren, imaginären Kumpel hat. Beispiel:
„Glaubst du an Gott?“
„Nein.“
Bäm, Tot.
„Glaubst du an Gott?“
„Ja!“
„Glaubst du an meinen Gott?“
„Nein.“
Bäm. Tot.
Was ein eigentlich ziemlich dämlicher Witz ist, ist, mit Blick in die Tageszeitungen ein nicht alt werdendes, zeitloses Thema, das irgendwie so alt ist, wie der Glaube der Menschheit selbst. Glaube und Religion sind schon immer ein Teil des Menschen, denn durch die Religion kann er sich schnell Dinge erklären, die er nicht sofort versteht. Und dass der Mensch verschiedene Religionen hat, ist mit Blick auf seine kulturelle Diversität auch nur mehr als nachvollziehbar. So steht die gesamte Menschheit nun schon seit langem vor dem Problem: Welcher ist denn nun der richtige Glaube? Wer hat denn jetzt den coolsten unsichtbaren Kumpel?
Diese Frage ist genauso alt wie unsinnig. Es bedarf keiner langen religiösen oder auch philosophischen Diskussion, geschweige denn einer seitenweisen Stückrezension um zu der Einsicht zu gelangen, dass doch jeder glauben soll, was oder an wen er will. Gerade heutzutage. In einer aufgeklärten Multi-Kulti-Welt. Solange wir damit niemanden in seiner eigenen Entfaltung stören, darf jeder seinen eigenen unsichtbaren Kumpel haben. Ob der nun Gott heißt, oder Jesus, oder Allah oder JHWH oder Vishnu oder Odin oder Zeus oder Jupiter oder Fliegendes Spaghettimonster.
Dennoch ist die Frage nach der wahren Religion ein ständiger Begleiter unserer Geschichte und damit auch unserer Literatur und wird deshalb auch heute noch gerne an Theatern behandelt, denn die oben, eigentlich recht simpel beantwortete Frage, scheint dem einen oder anderen etwas festgerosteten Religionsfanatiker immer noch schwer im Magen zu liegen, weshalb es umso wichtiger ist, dass sich Kunstschaffende immer wieder mit dieser Frage beschäftigen.

So freuen wir uns, wenn wir in den Spielplan des Rheinischen Landestheaters in Neuss blicken und dort von einer Dramatisierung von Lion Feuchtwangers Roman Die Jüdin von Toledo blicken und damit feststellen, dass sich die Neusser da einer mächtigen und kraftraubenden Aufgabe gestellt haben. Man hat sich eben nicht zur Behandlung dieses Themas gemütlich Lessings Nathan der Weise geschnappt und gedacht: „Sobald die Ringparabel kommt, ist die Message raus.“ Nein, das Team um Regisseur Moritz Peters und Dramaturg Reinar Ortmann war wirklich fleißig und machte aus Feuchtwangers über fünfhundert Seiten langen, 1954 erschienenen historischen Roman eine Theaterfassung, die am vergangenen Samstag Premiere feierte.
Wer Feuchtwangers Texte kennt, weiß: Die Sprache ist nicht immer fluffig, sie wirkt alt, den historischen Kontexten, auf die sie sich beziehen, angepasst, die Verhältnisse sind meist komplex und die Charaktere nicht immer leicht gezeichnet. Auch in Die Jüdin von Toledo ist das so. Für eine ausführliche Inhaltsangabe verweisen wir jetzt schon einmal auf übersichtliche Quellen wie den Wikipedia-Eintrag zum Roman, um den Leser der Rezension nicht sofort zu verschrecken, und einen gewissen Lesespaß zu garantieren, bleibt unsere Inhaltsübersicht eher verhalten.

Im Spanien des 12. Jahrhunderts kämpfen Christen und Muslime um das Land, besonders im südlichen Teil gibt es ein andauerndes Hin- und Her an Kämpfen um Territorium. Unter der muslimischen Herrschaft werden besonders die Juden gezwungen, sich von ihrem Gott abzuwenden, wenn sie nicht auswandern wollen. An den Hof des kastilischen Königs Alfonso kommt der jüdische Kaufmann Jehuda Ibn Esra, der hier die Möglichkeit bekommt, dem Zwang zum Bekenntnis zum Islam zu entgehen und seinen Glauben auszuleben. Auch seine schöne Tochter Rahel kommt mit an Alfonsos Hof, dem ein Waffenstillstand auferlegt worden ist, der ihn ungeduldig mit den Hufen scharren lässt. Während Jehuda König Alfonso gute Dienste als Berater leistet, verliebt sich dieser in Rahel, die auch den Namen La Fermosa, die Schöne, trägt und nimmt sie zur Nebenfrau. Im nun Folgenden kommt es zu vielen komplexen Verwindungen zwischen den verschiedenen Charakteren, zu politischen Spannungen und Entwicklungen, zu Scharmützeln und Schlachten, Verträgen und Verschwörungen, Krise und Krieg, auf all das einzugehen den Rahmen dieser Rezension sprengen würde. Und wer unsere Texte kennt, weiß, was diese Selbsteinschätzung heißt!
Vielmehr wollen wir uns auch damit beschäftigen, wie das Rheinische Landestheater diese komplexe und manchmal wirklich langatmige Vorlage aufgenommen hat und ob es ein Erfolg war, hieraus einen gelungenen Theaterabend zu machen.

Zuerst wollen wir feststellen: Die Dramatisierung des Romans ist definitiv nicht für jedermann ein Spaß. Man muss es mögen, das allseits immer so bös zerrissene Sprechtheater, das wir hier als Begriff einmal kurz entführen und etwas umdefinieren, um seine Abstraktion zu mildern: In der RLT-Inszenierung von Die Jüdin von Toledo wird nämlich zu allererst eines: Viel gesprochen. Böse Zungen reden gar von Deklamation. Das ist auch nicht verwunderlich. Immerhin hat man sich einer Vorlage bedient, die eine Menge Sprache mit sich bringt. Kürzungen des Textes oder zu viele Stilisierungen wären hier eine gefährliche Herangehensweise, die Feuchtwangers Text sicherlich nicht gerecht geworden wären. Dass diese ganze Menge an Text dennoch Teil eines sehr ansehnlichen Stückes geworden ist, ist nicht zuletzt den Beteiligten zu verdanken, so auch dem Bühnenbild.
Ebenjenes ist ein sehr gelungener Kniff. Zuerst wirkt es wie ein schlichter Hügel aus Holzpaletten, dahinter hochgeklappt und variierend beleuchtet weitere mächtige Planken, die versetzt ganz so wie Zinnen einer Burg wirken. Irgendwo in den Paletten steckt noch ein Schwert, dahinter, im Halbrund an Stangen befestigt, leichte Tücher und am Rand rechts und links zwei Mikrophone samt Ständern und dahinter sorgsam deponierte, nicht direkt dem Stück zuzuordnende Requisiten. Eigentlich ganz schlicht, das alles. Dynamisch wird dies erst im Spiel. So können die Stangen samt Tüchern aus den hinteren Verankerungen herausgenommen und vorn wieder eingesteckt werden, sodass die Darsteller hinterm halbdurchsichtigen Tuch verschwinden, der Boden des Hügels kann aufgeklappt werden, darunter erscheinen rot-weiße Matratzen. Das ganze Bühnenbild deutet nur an, scheint aber irgendwie alle Orte der Romanvorlage zu repräsentieren. Da wäre unter anderem der Thronsaal des Königs Alfonso, oder sein Lustschloss Galiana, alles in einem, alles da. Sehr klug und dynamisch, Chapeau an Jörg Zysik, der sich für die Kulisse verantwortlich zeichnet.

Auch die Kostüme sind klug gewählt. Man verzichtet auf Pomp, alle Darsteller tragen zuerst ein khakifarbenes Grundkostüm mit schwarzem Gürtel. Den Rollen entsprechend schmeißen sie sich schlichte Gewänder in unterschiedlichen Farben über, die alle selber ihre Symbolik tragen. So trägt man am kastilischen Hof rot, der Beichtvater des Königs, Rodrigue eine braune Soutane, ein muslimischer Arzt, Musa, gekleidet ganz in grün, die Farbe des Islams, der Jude Jehuda ein Tekhelet-blaues Gewand.
Doch ein kluges Bühnenbild und pfiffig gewählte Kostüme machen noch keinen großartigen Theaterabend aus. Ist es nicht, so könnte man sagen, dennoch super langweilig, zweieinhalb Stunden gesprochenen Text um die Ohren geschleudert zu bekommen? Ohne großartige Action? Einem Herren in den hinteren Reihen war die Inszenierung wohl eine so erholsame Wohltat, dass er gleich mehrere Male einschlief und deutlich hörbar, präzise in den ruhigeren Stellen des Stückes, den vollen Theatersaal mit seinem Schnarchen zum Teil erheiterte, zum Teil echauffierte, jedem sein Humor. „Kaum Abwechslung“, hören wir in der Pause jemanden schimpfen. „Kann nicht folgen, so viel Input“ kommt von einem anderen. Nun, diesen Kritikern wollen wir erklären, was die Inszenierung dennoch sehenswert macht: Es sind die Details und der Respekt, mit dem man sich dem Ausgangstext genähert hat, sowie großartige Darsteller!
Wie schon erwähnt, bleibt man bei der Romanbearbeitung Feuchtwangers Sprache so gut es geht treu. Das mag sich ziehen, wenn es nicht Schauspieler gibt, die mit diesem Text umzugehen wissen. Stefan Schleue zeigt uns einen Draufgänger-Alfonso, der so gern Krieg führen würde, aber gefesselt ist durch einen Waffenstillstand und fehlende finanzielle Mittel. Gekonnt gibt Schleue den König und spielt klug mit der Kulisse, drückt seinen Hochstatus als König und Befehlshaber dadurch aus, dass er sich häufig auf den höchsten Punkt des Hügels bewegt und dort seine Befehle an Untertanen und Berater gibt, verlässt diesen Hügel, wenn er schwach ist, zweifelt oder sich seiner späteren Liebe hingibt und eher naives Kind ist, als mächtiger König. Auch Juliane Pempelfort weiß, Alfonsos Frau Leonore darstellend, die Statuswippe zu bedienen, begegnet ihrem Mann immer abwechselnd auf Augenhöhe, dann mal unter und mal über ihm, ganz so, wie Feuchtwanger sie darstellt, als Königsfrau, die das Verhalten ihres Mannes und seine Liebesabenteuer nicht gutheißt und ihn Lieber im Kampf sehen will. Von Josia Krug hätten wir uns mehr gewünscht, übernahm er eher marginalere Charaktere, spielte sowohl einen Minister des Königs als auch Jehudas Sohn Alazar, der ganz vernarrt ist in das Leben am Hofe. Krug zeigt mit diesen beiden Rollen seine Wandlungsfähigkeit, sehen wir doch tatsächlich einen stocksteifen Minister und in der nächsten Szene einen energiegeladenen jungen Mann, der König Alfonso schon fast zu vergöttern scheint. In der Titelrolle glänzt Alina Wolff, zeigt uns Jehudas schöne Tochter Rahel, ist ständig präsent, dominiert aber nie die Inszenierung, wir nehmen sie jederzeit ernst, sie und die Krise, in der sie steckt, die Gratwanderung zwischen ihrem Vater und dem König, der sie liebt und damit einhergehend zwischen Christen- und Judentum. Mit seinem grauen Bart, der tiefen, bassigen Stimme, dem ernsten Blick entspricht Joachim Berger schon fast einem Ebenbild des Jehuda Ibn Esra, ganz so, wie man ihn sich vorstellt, wenn man den Roman liest. Berger versteht die Versiertheit des Jehudas in sein Spiel mit einzubringen, zeigt uns einen weisen Kaufmann und Berater des Königs, charakterisiert ihn so, wie wir uns einen berechnenden Königsbeistand vorstellen. Ein ganz großes Lob geht an Michael Meichßner und Andreas Spaniol, die als Rodrigue und Musa zwar ebenfalls für die Handlung lediglich Randerscheinungen sind, aber für das Stück essenziell. Regisseur Peters lässt sie sich als Chronisten vorstellen, stellt sie vor ein Mikrophon und macht sie somit zu den Erzählern der Geschichte. Das ist ein kluger Kniff, ist somit doch die Rolle des epischen Erzählers ganz leicht mit in das Stück eingebracht. Mehr noch: Meichßner und Spaniol erzählen nicht nur, sie machen auch Geräusche und bringen mit den oben erwähnten, bereitliegenden Requisiten manch unterhaltsames Element mit ein. So schreckt auch der schnarchende Herr hinter uns auf, wenn Meichßner mit einem Revolver einen Schuss abgibt um damit den Tod eines Charakters in der Erzählung darzustellen und das Publikum amüsiert sich köstlich, wenn Spaniol dazu noch eine aufrecht stehen bleibende Plastikrose auf den Boden schmeißt, um das Grab zu symbolisieren. Meichßner brilliert zudem als Soundeffektgeber, hören wir ihn beispielsweise Babyschreie imitierend, während im Spiel ein Säugling geboren wird oder röcheln, wenn davon die Rede ist, dass Heinrich II. gestorben ist. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch originell. Allerdings erschließen uns die Grenzen der narrativen Ebenen nicht immer, fallen doch auch andere Charaktere manchmal aus der Rolle und erzählen ihre Geschichte dem Publikum, manchmal am Mikrophon stehend, manchmal in der Kulisse, all das wirkt etwas durcheinander und manchmal verwirrend.

Besonders die darstellerischen Kleinigkeiten sind es, die diese Inszenierung sehenswert machen. So ist die angedeutete Darstellung von Sex zwischen König Alfonso und Rahel imposant: Sie sitzen auf dem weichen Matratzen-Boden, liebkosen sich. Dann kommt es zu einem abrupten Lichtwechsel und sie liegen schwer atmend nebeneinander, visuell wurde der Liebesakt einfach übersprungen, aber jeder weiß Bescheid. Wenn es dann später zu einer Vergewaltigung Rahels durch Alfonso kommt, spielt man auch hier mit Licht und Schatten, deutet alles nur an, endet darin, dass Rahel ihre Unterwäsche tief an den Knien tragend am Boden liegt, ein grausames Bild, das dieser Tat des Königs nur gerecht wird. Ein ziemlich cooler Move ist auch das Übergeben einer Liste von einem Charakter zum anderen. Statisch-dynamisch könnten wir das nennen: Jehuda bittet den Minister, ihm ein Schreiben zu zeigen, was letzterer in der Hand hält. Josia Krug in der Rolle des Ministers bejaht, zerknüllt das Schreiben, schmeißt es hinter sich von der Bühne, Berger zieht einen eigenen Zettel hervor und mimt, dass es sich um das ursprüngliche Schriftstück handelt. Das ging so schnell, es wirkte fast wie ein Zaubertrick. Die Beschreibung einer Schlacht, in die sich König Alfonso stürzt, ist auch mehr als ansehnlich. Rahel bekommt ein Telegramm gereicht, hier in Form einer Kompaktkassette, aus der sie das Tonband herauszieht, während alle weiteren Darsteller auf die Bühne kommen und das „Abgespielte“ vortragen. Von diesen „zauberhaften“ Momenten hätten wir uns noch mehr gewünscht. Zwar haben wir bereits deutlich gemacht, dass die Textlast uns nicht gestört hat, sie bei einer Feuchtwanger-Inszenierung quasi notwendig ist, doch handelt es sich bei diesen Regieeinfällen um solch geniale Kniffe, wir sind uns sicher, Moritz Peters hätte da noch mehr im Petto gehabt.

Inwiefern die Inszenierung nun einen aktuellen Bezug zu Religionen, den mit ihnen verbundenen Auseinandersetzungen und Kriegen mit sich bringt, ist, trotz der hin und wieder beiläufig von den Chronisten eingebrachten Kommentierungen eher fraglich. Aber damit bleibt die Darstellung am Rheinischen Landestheater dem Werk Feuchtwangers auch nur treu, denn auch der Autor der Vorlage, selbst Jude, dessen Werke zur Zeit des Nationalsozialismus verbrannt worden, beabsichtigte mit seinen historischen Werken weniger den Blick zurück denn mehr die kritische Betrachtung der Gegenwart unterstützt durch seine Texte. Daher gliedert sich das Theater alleine durch die Aufnahme dieses Werks in seinen Spielplan selber mit ein, in den leider immer noch währenden Streit darüber, wer denn nun den cooleren unsichtbaren Freund hat.
Und so waren zweieinhalb Stunden Historienromantheater doch ein eigentlich sehr kurzweiliges Ereignis. Zugegeben, ohne zuvor den Roman gelesen, oder sich zumindest mit der Inhaltsangabe aus dem Internet gerüstet zu haben, ist die Geschichte von Die Jüdin von Toledo schon ziemlich schwere, komplexe und verwirrende Kost. Wer allerdings ein bisschen seine Hausaufgaben macht und vorbereitet ins RheinischeLandestheater Landestheater geht, um sich die Inszenierung, die noch sechs weitere Male gespielt wird, anzusehen, kann sich zurücklehnen und eine wirklich gute Show mit ansehnlichen Regieideen, guten Darstellern und toller Bühne ansehen.
Ein Gedanke zu “Wir müssen die Chronik weiterschreiben: Die Jüdin von Toledo”