Vor einigen Wochen traf eine E-Mail von Richard Lingscheidt, Ensemblemitglied am Rheinischen Landestheater, bei uns ein. Darin lud er uns zu einer Veranstaltung ein, mit dem Namen „40.000 Theatermitarbeiter treffen ihre Abgebordnete“. Interessiert und dankbar für die Einladung sagten wir prompt zu, gespannt darauf, was uns erwarten wird.
Nun, zunächst müssen wir zugeben erwartete uns eine Enttäuschung, denn das weitläufige Foyer des RLT war gut bestuhlt, eine kleine Bühne, das Programm klang interessant, doch der große Ansturm blieb aus. Teile des Ensembles waren auf Gastspielen, Politiker waren nicht wirklich vor Ort. Stattdessen viele leere Stühle. Schade, denn hier reißen sich Leute den Allerwertesten auf, um bestimmte Differenzen anzusprechen und zu diskutieren und dann interessiert sich nur ein harter Kern dafür.
„Früher war alles besser.“ Mit diesem Ausdruck leitet Richard Lingscheidt, der Initiator, den Abend ein. Doch ist das wirklich so? War früher alles besser? Diese Fragen standen im Vordergrund, wie hat sich das Theater in den letzten Jahren entwickelt und wo geht der Trend hin? Marc Grandmontagne vom Deutschen Bühnenverein zeigt anhand einiger Zahlen auf, dass das Theater lebt. Zwar ist die Zahl der Theater im Direktvergleich Spielzeit 1995/96 zur Spielzeit 2015/2016 leicht von 154 auf 143 zurückgegangen, allerdings ist die Zahl der Spielstätten im gleichen Zeitraum von 655 auf 815 angestiegen. Auch die Zahl der Veranstaltungen ist von rund 62.000 auf 67.000 angestiegen, allerdings, und das muss auch erwähnt werden, sind die Zuschauerzahlen im genannten Zeitraum leicht von 23 Millionen auf 21 Millionen zurückgegangen.

Das Theater in der Krise? Macht die Digitalisierung das Theater kaputt oder geht das Theater den Trend mit? Die Bedingungen sind schärfer geworden, keine Frage. Wo in den 70er Jahren an den Theatern noch über lange Zeit ein festes Ensemble engagiert war, sind heute Spielzeitverträge Gang und Gäbe. Die Krisen der letzten Jahre hat nicht nur Banken oder Unternehmen erschüttert, nein, auch die Theater wurden getroffen. Gelder wurden gekürzt, Personal abgebaut. Häufig wurden die Tarifverträge angesprochen, speziell der Tarif NV Bühne, nach dem beispielsweise Schauspieler oder Theaterpädagogen bezahlt werden. Doch das Problem sei nicht der Tarifvertrag an sich, sondern dass weniger Leute mehr Arbeit leisten müssten, so Harald Wolff von der Dramturgischen Gesellschaft. Das führt am Ende zu Burn-Out, Überarbeitung und rechtfertigt am Ende auch nicht mehr die Balance zwischen Arbeit und Gehalt.
Auch Stephanie Schönfeld, Vertreterin des Ensemble-Netzwerks und Ensemblemitglied am Grillo-Theater Essen, hat im Vorfeld mit Kollegen gesprochen. Auch hier die Meinung, dass früher vieles anders war, der Druck war nicht so groß, man kam gerne auch schon morgens um halb 10 und habe sich mit Kollegen getroffen und einen Kaffee getrunken. Man habe ausprobiert und abends gerne auch länger zusammengesessen, gesprochen, diskutiert, ohne dabei einen bestimmten Zweck zu verfolgen. Dies seien gute Ensembles gewesen. Heute stehe nur noch Zeit und Geld im Vordergrund. Mit wenig Mitteln viel schaffen, dann müssen Schauspieler eben auch mal sechs oder sieben Stücke in einer Spielzeit spielen. Und reich werden sie davon nicht. Nein, reich wolle Schönfeld auch gar nicht sein: „Ich will keinen Porsche fahren und bei Gott kein Eigenheim. Ich will nur mein Kind ernähren, bei Bedarf den Fußballverein bezahlen und mich ohne oder nur mit wenig Angst vor dem sozialen Abstieg meinem Beruf widmen und eine gesicherte Altersvorsorge haben, oder mir einen Babysitter leisten können, den ich in meinem Job oft benötigen werde.“ Schönfeld ist schwanger, was, da sind sich alle Anwesenden einig, schön ist, doch schnell kommt der Begriff „Karrierekiller“ auf. Ein fieses Wort, das einem so natürlich nie jemand ins Gesicht sagt. Schönfeld sieht sich in der glücklichen Lage hier auch nicht unter Druck zu geraten, doch sie weiß, dass Familie und Beruf im Bereich Theater oft schwer zu vereinen sind. Aus diesem Grund hat sie sich bereits mit dem Gedanken angefreundet ihren Beruf nur noch teilweise oder sogar gar nicht mehr so wahrnehmen zu können, wie jetzt. Sie habe 16 Jahre lang als Schauspielerin gearbeitet und viel erleben dürfen, sie sei mit sich im Reinen, wenn es das jetzt gewesen sein sollte. Eine realistische und starke Einstellung, wie wir finden, aber dennoch traurig, dass solche Gedanken überhaupt erst aufkommen.

Doch ist es wirklich notwendig, dass Theater, Kommunen, Land und Bund den Gürtel in der Kulturförderung enger schnallen müssen? Müssen Theater dann eben fusionieren, damit aus zwei Häusern eins werden kann? Oft wird sich zu Beginn der Veranstaltung auf Art.5, Abs. 3, Satz 1 des Grundgesetz bezogen: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Doch wie frei ist die Kunst noch, wenn am Ende einer Spielzeit nur noch Zahlen zählen, Besucherzahlen, Umsatzzahlen, Produktionszahlen. Und wie frei sind Schauspieler, Regisseure und Intendanten noch, wenn sie nur noch liefern müssen? Da geht es nicht mehr um kreative Prozesse, da geht es drum in kurzer Zeit ein Stück zu präsentieren. Der Zuschauer erwartet eine Show, bezahlt für die Show und er soll die Show auch bekommen, keine Frage. Doch wie viel Herzblut steckt noch in einer Sache, wenn der Druck steigt und man jeden Tag Existenzängste hegt? Dies mag überzogen erscheinen und auch die Notwendigkeit den Gürtel enger zu schnellen muss es nicht in einem solchen Ausmaß geben, wie Dr. Hildegard Kaluza, vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW, aufzeigt. Gelder sind da und Gelder können zur Verfügung gestellt werden. Dr. Kaluza präsentiert einige Zahlen und Projekte, die die neue Landesregierung bereits auf den Weg gebracht hat und auf die Frage, ob die Entwicklung auch so weiter gehen solle, sagt sie klar: „Das muss so weitergehen!“ Doch auch in der später folgenden Diskussion wird deutlich, dass man miteinander reden müsse. Natürlich sitzen die da oben in ihren Büros und wissen viele Dinge nicht. Und gerade deshalb sind solche Veranstaltungen wichtig. Was bringt es immer auf die Straße zu gehen und zu protestieren, wenn die Leute, die angesprochen werden zum Teil nicht mal wissen, was die Beweggründe sind? Und dann muss am Ende auch niemand den Gürtel enger schnallen, wenn man sich an einen Tisch setzt und miteinander spricht. Dafür muss jedoch dieser Schritt getan werden, darin sind sich alle Beteiligten einig. Schade deshalb, dass, wie eingangs erwähnt, nur wenige Leute an diesem Abend die Chance zum Austausch genutzt haben.

Und dennoch kam in einem kurzen Satz die Bitte auf, nicht direkt wieder auf die Verantwortlichen, speziell die Politiker zu schimpfen. Ein Politiker-Bashing ist immer der einfachste weg Probleme aufzuzeigen. Das ebnet immer auch den Weg für die, die sich diesem Bashing anschließen und auf das Versagen der aktuellen Politik hinweisen und so auf Stimmenfang gehen. Wir selbst wollen an dieser Stelle weder jemanden in Schutz nehmen, noch jemanden anprangern, auch die Beteiligten verfolgten dieses Ziel nicht an dem Abend. Stattdessen soll man die Freiheiten der Demokratie nutzen, nicht direkt eine Revolution starten zu wollen, sondern versuchen die Ansprechpartner mit ins Boot zu nehmen. Bürgersprechstunden könnten bereits ein gutes Forum bieten, um bestimmte Differenzen anzusprechen.
Dass Politik und Theater eng zusammenstehen, ist übrigens nicht nur ein Phänomen, wenn es um Gelder geht, sondern auch um Inszenierungen, denn ein Trend der letzten Jahre zeigt deutlich, dass politisches Theater von den Zuschauern wieder gerne angenommen wird. Theater sei immer noch ein Erfahrungsraum der Demokratie, wie es an diesem Abend beschrieben wurde. Dem können wir nur zustimmen und wir finden es auch gut, wenn Theater vielleicht mal provoziert. Das Theater verpflichtet sich oft dazu politisch neutral zu agieren, selbst an einigen Häusern werden inzwischen nicht mehr Botschaften, wie „Keine Bühne für Rechts“ angepriesen, weil sich hausintern die politischen Einstellungen breiter aufgestellt haben, wie Bettina Jahnke, die scheidende Intendantin des RLT, in einer späteren Diskussion erklärt. Ein Haus könne natürlich nicht eine Message nach außen geben, die nicht vom gesamten Team vertreten werde. Eine Gratwanderung, die man heutzutage auch immer mehr in der Gesellschaft machen muss. Wie politisch darf Theater sein? Wenn es nach uns geht, sehr politisch, gar provokant, dabei aber nie verletzend. Wir dürfen nie vergessen: in einer Demokratie ist die Meinungsfreiheit eines der höchsten Güter. Und dennoch sollte man Stellung beziehen dürfen und anschließend in den Dialog gehen, vielleicht verstehen sich so am Ende alle Seiten besser.

Am Schluss waren wir froh, Teil dieses Abends gewesen sein zu dürfen. Speziell auch, weil wir die Themen vollständig als Außenstehende verfolgen durften, denn die angesprochenen Themen, wie Verträge, Rettung von Theatern, Stellenabbau im Theater, betreffen uns von Berufswegen her aktuell eher weniger. Deshalb hätten wir es natürlich noch spannend gefunden, wenn es eine etwas jugendlichere Perspektive an dem Abend gegeben hätte, oder auch mehr jüngere Teilnehmer, denn passend dazu gab es auch einen Vergleich zur Echo-Situation mit Campino, die durch die Presse ging. Während Campino auf der Bühne klar Stellung gegen bestimmte Musiker bezog und die älteren Semester ihm zustimmten, verfolgten die jungen Menschen im Saal das Geschehen relativ unbeteiligt. Einige schienen die Meinung von Campino sogar zu verurteilen. „Etablierte, alte Säcke warnen vor dem Zusammenbruch der Ordnung“, so die Wortwahl von Harald Wolff. Und das spiegelt auch den Abend etwas wider, während erfahrene Theatermenschen rege diskutieren interessiert es die jungen Leute scheinbar wenig, was da passiert. „Die kennen es nicht anders“, gibt Stephanie Schönfeld in der Diskussionsrunde zu bedenken. Und deshalb auch unser klarer Aufruf: sucht den Dialog, sucht das Gespräch, bringt euch ein! Wir selbst können wenig dazu beitragen, es lediglich den Menschen mitgeben, mit denen wir gegebenenfalls aus der Szene in Kontakt kommen, was wir auch tun werden, doch wichtig ist, dass man das nicht nur den Erfahrenen überlässt, sondern auch hier die jungen Leute ranzieht. Doch dafür müssen die Jungen auch aufgeklärt werden, denn wie soll man über Probleme sprechen, über deren Relevanz man sich nicht bewusst ist?
„Alles muss besser werden, es gibt keine Alternativen!“, so der eindringliche Appell von Adil Laraki, von der Genossenschaft deutschen Bühnenangehöriger. Natürlich ist nicht alles schlecht in der Theaterwelt, um Gottes willen, doch es gibt heutzutage viel Raum für Verbesserungen. Und man sieht, diese Veranstaltung hat bei den Anwesenden und auch bei uns einen Eindruck hinterlassen. Dafür auch noch einmal ein Dankeschön an Richard Lingscheidt für die Organisation, was zeigt, was ein Einzelner bewegen kann. Wenn sich dieser Effekt in Zukunft multipliziert, dann wäre das einfach nur großartig und wir hoffen auch in Zukunft die Chance zu bekommen das Thema weiter verfolgen zu dürfen.
Übrigens: die „40.000er-Reihe“, wie sie von den Beteiligten genannt wird, ist eine bundesweite Aktion, mit verschiedenen Veranstaltungen. Wer sich hierzu informieren möchte, sollte im Internet einfach mal nach lokalen Treffen suchen oder sich auf den Seiten der einzelnen Organisationen umsehen. Wer sich selbst noch einmal die Diskussionen und Beiträge anhören möchte, dem können wir das WDR3 „Forum“ ans Herz legen, das jeden Sonntag um kurz nach 18 Uhr ausgestrahlt wird. Der WDR hat den Abend nämlich aufgezeichnet und wird dies auch in den kommenden Wochen ausstrahlen.