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Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)
Wie bekommt man eine Woche lang ganz viel Theater ohne einen Cent dafür zu bezahlen? Viele Leute, die Rollen spielen, den Zuschauer verwirren um ihn zu begeistern, ihn dann aber vielleicht wieder schockieren und dann mit unerwarteten Twists wiederum zu packen? Klar, man schaltet täglich auf Phönix die Liveübertragung der Bundestagssitzungen ein.
Scherz.
Natürlich ist hier die Rede von richtigem Theater. Auf einer Bühne. Inszeniert mit Regisseuren, oder hier eher Dozenten, gespielt von Schauspielern, oder hier eher Schauspielschülern. In der vergangenen Woche fand an der Theaterakademie Köln die Prüfungswoche statt. Die Schülerinnen und Schüler der Semester zwei bis acht zeigten der Prüfungskommission, bestehend aus den Dozenten der Schauspielschule, was sie im vergangenen Semester in ihren unterschiedlichen Fächern gelernt haben und wir haben die Gelegenheit der Öffentlichkeit der Prüfungen genutzt und waren als Gast dabei.
Und da gab es nicht nur eine ganze Palette theatraler Schätzchen zu sehen, sondern zugleich auch einen Einblick in das weite Feld an Fachbereichen, die ein Schauspielschüler durchlaufen muss, um am Ende sein Diplom in der Hand zu halten. Mit Blick auf den Prüfungsplan erscheinen uns Begriffe wie „Grundlagen“, „Szenenstudium“, „Erzählen“, „Monologe“, „Gedichte“, „Balladen“, „Taisoo“, „Gesang“, „Tanz“, „Stückentwicklung“ oder „Impro“. Zudem gilt es für ein Semester auch, ein Kinderstück zu inszenieren.
Ein bunter Plan also, der wieder einmal deutlich macht, wie vielseitig das Schauspielhandwerk ist und der eine inspirierende Woche versprach.

„Es war einmal ein Rotschopf, der hatte weder Augen noch Ohren. Er hatte auch keine Haare, so daß man ihn an sich grundlos einen Rotschopf nannte. Sprechen konnte er nicht, denn er hatte keinen Mund. Eine Nase hatte er auch nicht. Er hatte sogar weder Arme noch Beine. Er hatte auch keinen Bauch, keinen Rücken, keine Wirbelsäule, und er hatte auch keine Eingeweide. Nichts hatte er! So daß unklar ist, um wen es hier eigentlich geht. Reden wir lieber nicht weiter darüber.”
Mit diesen Worten, einem Zitat des russischen Schriftstellers Daniil Charms, leitete Schulleiter Robert Christott die Präsentation seines dritten Semesters im Fach Szenenstudium ein. Mit seinem Kurs studierte Christott Szenen des Schriftstellers ein, dessen Theaterwerke in das absurde Theater einzuordnen sind. Bereits bei seiner Ankündigung sprach er an, dass uns Zuschauern Lücken bleiben werden, die wir mit unserer eigenen Phantasie schließen sollten. Und das war nicht zu viel versprochen. Irgendwie kommt es anfangs zu einem heuchlerischen Giftmord, dann isst jemand heimlich und verbotenerweise ein Stück Butter, was mit Gewalt bestraft wird, ein Drogendeal findet statt, ein Heiratsantrag, bei dem auch eine Stange Lauch eine Rolle spielt und sowieso ist eine immer wieder durch die Luft schwirrende Fliege der Running Gag des Gezeigten. Habt Ihr den Durchblick? Wir auch nicht. Aber, und das glauben wir, das war auch gar nicht die Intention der Darstellung. Als Prüfung eignen sich diese Szenen, bei der wir auch nach längerem Nachdenken nicht wirklich jeden Zusammenhang sehen, hervorragend, stellt doch das absurde Theater per definitionem den „häufigen Einsatz von Groteske und Parodie, Gestik, Pantomime und nicht- bzw. außersprachliche Handlungen, zugleich de[n] sinnbildhaften Gebrauch von Requisiten“ in den Vordergrund, wie es bei Sarrazac und Schneilin im Theaterlexikon heißt, Elemente also, die die Drittsemester alle sehr solide beherrschen und uns somit eine unterhaltsame und zum Nachdenken anregende und zugleich sicherlich (bewusst) verwirrende Vorstellung lieferten.

Dass es nicht nur lustig und absurd kann, zeigt das dritte Semester bei einer anderen Präsentation des Szenenkurses, dieses Mal beim Dozenten André Erlen, der sich für seine Schüler eine besondere Herausforderung ausgesucht hat, nämlich Thomas Jonigks Stück „Täter“ aus dem Jahr 1999. Im Programmheft des Verlags wird es wie folgt beschrieben:
„Petra wird seit Jahren von ihrem Vater Erwin misshandelt, und ihre Mutter Karin sieht dabei weg. Magda vergewaltigt ihren Sohn Paul, doch niemand hört seine Hilfeschreie. Das Schicksal, das die beiden Kinder teilen, führt sie zusammen und gemeinsam versuchen sie mehr oder weniger erfolgreich, den Missbrauch durch ihre Eltern zu stoppen.
Diese angesichts der Unaussprechlichkeit ihres Vergehens zur Rede zu stellen, ist erst nach vielen Ansätzen möglich; die Sprachlosigkeit ist schwer zu überwinden, und das Benennen des Ungeheuerlichen bringt schließlich sogar die Form des Dramas zum Wanken.
Alle Erwachsenen in diesem Stück sind Täter. Die Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit, mit der sie es sind, ist das eigentlich Erschreckende und entfaltet zugleich eine bitterböse Komik.“
Ein Stück also, das Kindesmisshandlungen thematisiert und darstellt, ganz offen auf der Bühne. Hieraus gab es fünf Szenen zu sehen. Alle Schauspielschüler schlüpfen einmal in die Rolle eines Täters. Dennoch wirkt die Darstellung nicht moralinsauer, bringt hin und wieder sogar Komik mit sich, die uns aber zugleich im Halse stecken bleibt, beispielsweise bei der Darstellung zweier Erwachsener, die ein Baby im Kinderwagen unsittlich berühren und dabei masturbieren. Diese Szene geht, so wie der Großteil des Stückes, an die Nerven, man will das nicht sehen, will den Raum verlassen, schüttelt ungläubig den Kopf. Aber genau das will dieses Stück. Uns vorhalten, was Tag für Tag in Haushalten passiert, die nach außen hin eine heile Welt präsentieren. Und da ist Wegsehen einfach die falsche Devise. Die Schauspielschüler dieser Gruppe bringen diese Szenen gekonnt auf die Bühne. Es stimmt einfach alles: Schauspiel, Regie, Ton, Licht, Requisite. Vor allem aber der Mut der Jungdarsteller, sich dieser Materie anzunehmen und ihr so professionell zu begegnen, erfordert den größten Respekt, auch von uns!

Natürlich gab es neben dieser schwer zu verdauenden Kost auch etwas fürs kindliche Gemüt. Traditionell ist es das vierte Semester, das mit Dozentin Ragna Kirck ein Kindertheaterstück erarbeiten muss. Vor der Vorstellung im ausverkauften und äußerst schnuckeligen CASAMAX Theater betont Dozentin Kirck, warum ein Kindertheaterstück eine ideale Prüfungsform ist: Es stellt einfach alles auf die Probe, was die SchauspielschülerInnen bisher gelernt haben. Kindertheater ist häufig sehr physisch, groß in der Geste und laut im Wort, kann aber zugleich auch ganz leise und einfühlsam. Man sagt im Theater nicht umsonst, das kritischste Publikum seien die Kinder. Und was wäre ein Kindertheaterstück ohne Tanz und Gesang?

All dies beinhaltete auch die diesjährige Aufführung des Kinderstückes, Das Dschungelbuch, die sich auf die ersten uns besonders durch die Disneyverfilmung bekannten Erzählungen aus Rudyard Kiplings Sammlung von 1894/5 bezog und auf deren Inhaltsdarstellung wir deshalb – wir unterstellen jedem Leser nun einfach einmal, dass er oder sie eine Kindheit hatte – verzichten.
Kirck sagt in ihren einleitenden Worten ebenfalls, dass das fast zweistündige Stück eine Low Budget Produktion ist. Kostüme, Kulisse und Requisite sind preiswerte Anschaffungen oder von den Mitwirkenden selber von zu Hause hergebracht. Diese Reduzierung tut dem Stück allerdings keinen Abbruch. Es wirkt zwar improvisiert, stellt dadurch aber auch das Schauspiel in den Vordergrund. Es gibt keine wirklichen Auf- und Abgänge. Die kleine Bühne hat zur Folge, dass die Schauspieler, die mehrere Rollen verkörpern, sich im hinteren Bereich der Bühne, für das Publikum sichtbar, umziehen müssen. Allerdings ist dies nicht problematisch, meistens lenkt das Schauspiel, der Gesang und der Tanz im Vordergrund sowieso ab. Die Inszenierung gab jedem Schüler und jeder Schülerin die Möglichkeit, zu zeigen, was er oder sie auf dem Kasten hat. Und, das können wir attestieren, jeder hat etwas auf dem Kasten. Besonders in den Vordergrund ist zu rücken, dass sich die Spieler in ihrer Vorbereitung äußerst gut auf die Tiere vorbereitet haben, die sie verkörpern, fallen sie doch immer wieder äußerst gelungen in einen tierischen Habitus, der hin und wieder vielleicht sogar etwas zu tierisch ist.

Ebenfalls begeistert haben uns die Gesangsprüfungen. Während das zweite Semester mit Every Breath You Take, das dritte mit New York, New York und das vierte Semester mit Schpilsche mir a Liedele jeweils als gesamte Gruppe auf der Bühne stand, zeigten die Schüler und Schülerinnen des fünften bis achten Semesters das, wovor es unsereinem schon beim bloßen Gedanken daran den Schweiß in die Handflächen und auf die Stirn treibt: einzeln vorgesungene Lieder. Und – das hat man schon gemerkt – wenn hierbei nicht bei jedem jeder Ton saß, waren die Einzelgesangsprüfungen dennoch immer eine spannende Show, denn die Prüflinge umgaben sich mit Kommilitonen, die als Statisten für ihre Gesangsnummer dienten, sodass mit jedem Lied auch eine kleine Geschichte erzählt wurde. Wir fühlten uns einfach abgeholt, als beispielsweise eine Schülerin Todo Cambia in perfektem Spanisch auf die Bühne brachte und wir uns vorkamen wie auf einem Konzert von Mercedes Sosa oder als wir eine viel lieblichere Version von Sandi Thoms I Wish I Was a Punk Rocker dargeboten bekamen. Ein besonderes Feuerwerk lieferte das achte Semester, das all seine Einzelsongs zu einer durchgehenden Performance verband und hier Klassiker brachte wie Das Spiel von Annett Louisian als liebliche Anmache über eine krankhafte Diebin, die da passenderweise Kleptomanin sang bis hin zum besten Gute-Laune-Song aus dem Musical „Hamilton“, nämlich You’ll Be Back, das der erboste King George eigentlich als Drohung gegen die sich von ihm abwendenden revolutionierenden Amerikaner singt und droht, dass er Freunde und Familie umbringen will, um sie an seine Liebe zu erinnern, was in der Inszenierung der Achtsemester dadurch an Witz gewinnt, dass der Sänger sich hier an seine Geliebte wendet, die ihm nicht mehr so treu zu sein scheint.
Auch bekamen wir in der Prüfungswoche einen Einblick in die Tricks und Kniffe des Bühnenkampfes. Als Dozent Gregor Weber mit seinen Schülern und Schülerinnen des dritten Semesters mehrere kleine, durchaus absurde Alltagsszenen aus dem Supermarkt darstellte. Natürlich waren diese lediglich Mittel zum Zweck um eine gewaltgeladene Eskalation zwischen zwei Spielpartnern entstehen zu lassen, sodass diese sich dann mal so richtig mit Bühnengewalt verprügeln konnten. Zu sehen gab es hier Ohrfeigen, Köpfe die auf Knie geschleudert oder ganze Körper, die mit Knall und Karacho gegen Wände klatschten. Alles nur Show natürlich. Und da ein einzelnes Aufwärmen vor der Darbietung ebenfalls Teil der Prüfung war, konnten wir bei den mehrfachen Wiederholungen auch die Tricks sehen, die man dann später aufgrund der Schnelligkeit bei der Ausführung nicht mehr auffielen und jeden Schlag oder Tritt wirklich nach roher Gewalt aussehen ließen. Die Schüler zeigten, dass sie in der Lage waren, ihren Körper, und sei es auch nur durch die kleinste Gewichtverlagerung, so zu beherrschen, die Energien, die hierbei aufgebracht werden müssen, so zu kontrollieren, dass wir alle Spaß hatten bei diesen Szenen, wussten wir doch, dass alles nur Spiel war und wirkliche Verletzungen eher die Ausnahme waren.
Leider konnten wir nicht an allen Tagen und bei allen Prüfungen dabei sein, es war einfach zu viel. Dennoch gehen wir davon aus, dass auch das, was wir verpasst haben, ansehnlich und spannend war. Wir wünschen allen Schülern und Schülerinnen gute Noten, schöne Sommerferien und einen guten Start ins neue Semester. Bei der nächsten Prüfungswoche sind wir bestimmt wieder dabei. Außerdem bedanken wir uns ganz herzlich bei der Theaterakademie Köln für die Möglichkeit, dass wir als Schulfremde dabei sein, so viele Eindrücke sammeln und sogar noch ein bisschen dazulernen konnten.
Ein Gedanke zu “Wir wünschen ToiToiToi! Prüfungswoche an der Theaterakademie Köln – Ein Rückblick”