Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Beitragsbild: Birgit Hupfeld
Bernarda Albas Haus von Federico García Lorca. Harter Tobak soll man meinen, doch nicht in Oberhausen. Eigentlich gehört ein Fazit an das Ende eines Textes, eine Zusammenfassung oder eine Empfehlung, doch bei unserer Begeisterung für diese Inszenierung vom Regisseur Jan Friedrich finden wir, sollte die Empfehlung ganz klar an den Anfang! Knappe 120 Minuten haben wir eine Inszenierung gesehen, die inhaltlich sehr dicht war und bei der man auch vermutet hätte, dass man drei Stunden und mehr im Theater saß. Der Eindruck entsteht jedoch keinesfalls aus Langeweile, sondern durch immer wieder neue Eindrücke und verschiedene inszenatorische Kniffe. Der minutenlange Applaus am Ende einer gelungenen Premiere war mehr als verdient! Wer die Story kennt und bereit ist sich ein wenig überraschen zu lassen, dem empfehlen wir einfach das Theater Oberhausen aufzusuchen und unsere Rezension an dieser Stelle zu schließen. Wer allerdings noch Überzeugung braucht, oder aber die Inszenierung gesehen hat und sich nun für unsere Eindrücke interessiert, den laden wir gerne ein weiterzulesen. Willkommen in Bernarda Albas Haus!
In der Tragödie aus dem Jahre 1936 befasst sich García Lorca mit der Unterdrückung der Frauen im Spanien der 1930er Jahre. Das Drama beginnt mit dem Tod des zweiten Ehemannes von Bernarda Alba und die spanische Tradition verlangt, dass sie eine achtjährige Trauerzeit über ihre fünf Töchter verhängt. Das bedeutet Abschirmung von der Gesellschaft und keinen Kontakt zu jeglichen potenziellen Männern. Bernarda Alba führt ein strenges Regiment, ihre Mutter, für die sie sich schämt, hat sie einsperren lassen. Tradition, der Glaube und ihr Ruf sind ihr wichtiger als alles andere. Doch Bernardas Töchter sind im besten Heiratsalter, Angustias, die Älteste, droht sogar mit ihren 39 Jahren als alte Jungfer zu sterben, da sie nach der geplanten Trauerzeit bereits auf die 50 zugeht. Doch trotz der Isolation schleicht ein junger Mann, Pepe el Romano, immer wieder um das Anwesen und verdreht den Töchtern den Kopf, allen voran Angustias und Adela, die mit ihren 20 Jahren die jüngste Tochter ist. Neid, Missgunst und der Kampf um den einzigen Verehrer treiben einen Keil in die Familienverhältnisse und obwohl Angustias als älteste Tochter zuerst verheiratet werden soll schnappt sich Adela den Mann. Als alles auffliegt und Adela gegen ihre Mutter aufbegehrt kommt es zum tragischen Ende an dem Adela stirbt.

Schon diese Zusammenfassung in ihrer gekürzten Version vernachlässigt einige Rollen und noch mehr Details. Wie soll dann eine Inszenierung in rund 120 Minuten entstehen, bei der die Zuschauer sogar etwas zu lachen bekommen? Indem man fast alle Rollen mit Männern besetzt. Moment mal, Männer? Ging es nicht eben noch um Bernarda Alba, ihre Mutter und ihre Töchter, also alles Frauen? Ja genau, doch in Oberhausen sucht man diese Frauenrollen vergeblich. Einzig La Poncia, die Magd, wird von einer Frau (Susanne Burkhard) gespielt. Alle anderen Rollen sind männlich besetzt. Und das hat einen guten Grund, wie uns Regisseur Jan Friedrich im Anschluss der Premiere verrät: „Ich habe mit vielen Frauen gesprochen, auch über das Thema Emanzipation. […] Doch wollte ich nicht, dass Frauen um einen Mann kämpfen, das wäre wieder dieser Stempel gewesen, auch dass Frauen über Emanzipation reden, deshalb haben wir die Rollen mit männlichen Darstellern besetzt.“ Eine durchaus gute Entscheidung, wie wir finden, denn so werden Themen wie Emanzipation, Unterdrückung der Frau und der Kampf um den Mann auf eine andere Ebene gehoben, eine abstrakte bis absurde Ebene, die aber keineswegs am Thema vorbeiführt oder es lächerlich macht, sondern es vielmehr in seiner ganz eigenen Art kommentiert, ohne dass gleich wieder Klischeeschubladen aufgezogen werden.
Besonders auffällig ist die Rolle der Bernarda Alba besetzt, ebenfalls gespielt durch einen Mann (Mervan Ürkmez). Der Zuschauer bekommt das Gesicht von Bernarda Alba nie zu sehen, denn die Mutter ist, wie die anderen auch, in ein Latexgewand gehüllt, dunkle Farben mit pink, Trauer und ein weiblicher Touch. Im Gesicht trägt der Schauspieler ein Netz, eine Art Maske, in der nur der Mund rund ausgehöhlt mit einer Perlenkette ist. Das Gesicht ohne Augen und mit dem offenen Mund und den Perlenketten, die fast aussehen wie Reißzähne erinnern etwas an die Aliens im gleichnamigen Film. Diese unheimliche Erscheinung wird noch weiter durch einen Stimmverzerrer unterstrichen, der Bernarda Alba wie die Ausgeburt der Hölle klingen lässt, und das obwohl die Bernarda streng die christlichen Werte vertritt. Besonders beeindruckend ist die darstellerische Leistung von Mervan Ürkmez, der Bernarda Alba immer als alte gebrechliche Frau spielt, aber doch die grazilen Bewegungen umzusetzen weiß. So wird das Heranwinken der Angustias, nach einem Essen, als die Töchter einen Spaziergang machen wollen, zu einer kleinen aber sehr bedrohlichen Geste, die einen ganzen Saal füllt. Toll gespielt und eine respektable Leistung. Einen Stimmverzerrer für Bernarda Alba zu wählen war für Regisseur Jan Friedrich eine logische Lösung, denn als fest stand, dass die Bernarda Alba von einem jungen Mann gespielt werde, wusste er, dass er die Rolle abstrahieren müsse. Dies ist gelungen und sorgt oft für Gänsehautmomente.

Doch auch die anderen Schauspieler wollen wir nicht in den Schatten stellen. Kilian Ponert, der die Adela spielt, und den wir erst kürzlich interviewt haben, geht in seiner Rolle der Verführerin und Träumerin vollkommen auf. Als jüngste Schwester weiß er sogar als Mann seine Reize zu nutzen, und so stört es auch nicht, dass man ihn teilweise nahezu nackt auf der Bühne sieht, besonders wenn es zu heißen Szenen mit Pepe el Romano kommt. Auch Daniel Rothaug als Martirio und Michael Morche als Magdalena verstehen ihre Rollen als Damen auszuspielen. Und eben diese Besetzung gibt der eigentliche Tragödie ihre tragisch-komischen Momente, denn auch das Zusammenspiel der Schauspieler untereinander und das Spiel mit dem Publikum führen immer wieder zu kurios-lustigen Momenten, in denen man einfach lachen muss. Unterstützt wird dies durch Susanne Burkhard, die die Magd La Poncia spielt. Besonders sie bekommt immer wieder den Spagat hin in den komischen Momenten mit den Schwestern präsent zu sein, beispielsweise als sie bei einer Projektion plötzlich ganz nah von links ins Bild schießt und ihren Kommentar abgibt, aber auch die unterwürfige Magd der Bernarda Alba zu spielen. Ein besonderes Highlight im Zusammenspiel von Susanne Burkhard und Mervan Ürkmez ist eine Szenerie, in der beide auf einer Art Balkon miteinander sprechen und in der Bernarda Alba im Rollstuhl sitzt. Es scheint als würde die tyrannische Bernarda in diesem Moment ihren immer deutlichen Hochstatus abgeben, doch schnell kippt das Bild als La Poncia sich zu sehr in die familiären Angelegenheiten einmischt und von Bernarda in den Rollstuhl gedrückt wird. Mit gebückter, aber stolzer Haltung verlässt Bernarda das Geschehen und lässt La Poncia im Rollstuhl zurück. Es scheint als könne niemand Bernarda Alba das Wasser reichen. Clemens Dönicke glänzt als älteste Schwester Angustias, die er in ihrer Verzweiflung und ihrer Sehnsucht nach Pepe el Romano ganz wundervoll abbildet. Generell sind alle Schauspieler, die Frauenrollen übernommen haben, in ihrem Habitus insgesamt sehr feminin, was den Zuschauer mit der Zeit vergessen lässt, dass dort eigentlich Männer auf der Bühne stehen. Als etwas kleinere, aber nicht weniger anspruchsvollere Rolle finden wir Torsten Bauer als Maria Josefa, der Mutter Bernarda Albas, wieder. Bauer, der statt im Zimmer, wie es die Vorlage vorgibt, in einem Käfig im Innenhof gefangen ist, spielt bis in die Haarspitze die wahnsinnige Mutter, für die sich Bernarda so schämt. Und trotz des Wahnsinns scheint sie doch die einzige zu sein, die das Unheil kommen sieht. Geführt wie ein Hund an der Leine, setzt Bauer nicht nur menschliche Verhaltensweisen, sondern auch die eines wilden Hundes um, sodass seine Rolle zu jeder Zeit authentisch wirkt. Zuletzt spielte Burak Hoffmann den Liebhaber und Verführer Pepe el Romano, der Mann, der keinen Text hat und nicht oft zu sehen ist, aber immer präsent zu sein scheint, und sei es nur, weil man über ihn spricht. Schon der erste Auftritt ist der des coolen Machos, eines 69ers, der die Party, die Liebe und das Leben liebt und dabei aussieht wie Jesus. Als er dann Adela ein Bild von sich gibt, auf dem Jesus zu sehen ist, wird der Widerspruch deutlich zwischen dem Heiligen, den er äußerlich verkörpert und seinen versauten Absichten. Und trotz seiner wenigen Auftritte ist Burak Hoffmann überzeugend, man nimmt ihm die Rolle des Liebhabers ab, man kann ihn anhimmeln und mögen oder ihn einfach widerlich finden, doch in jedem Fall ist sein Habitus auch ein weiter Schlüssel zu dieser gelungenen Inszenierung.

Auch Kostüme, Bühnenbild und die gewählten Medien harmonieren perfekt miteinander. Einerseits hält sich Regisseur Jan Friedrich inhaltlich dicht an der Vorlage, auch wenn beispielsweise die Rolle der Amelia auf Grund ihrer fehlenden Relevanz gänzlich gestrichen wurde, andererseits zeigt er dem Zuschauer eine postdramatische Produktion wie aus dem Lehrbuch. Die Kostüme, die den alten Gewändern, die zum Teil heute noch bei älteren Spanierinnen zu sehen sind (lange Röcke, Bluse mit Jacke und Kopftuch), nachempfunden sind bestehen aus Latex, auch hier wieder der Gegensatz zum erzkatholischen Spanien mit seinen kirchlichen Werten und den verruchten Gedanken, die man bekommt, wenn man Latexkostüme sieht und das, obwohl diese nicht einmal eng anliegend geschnitten sind. Als dominierendes Medium, neben dem eigentlichen Sprechtheater, wird das des Videos genutzt. Immer wieder sieht der Zuschauer Projektionen, die live gefilmt, und mit Untertitel unterlegt werden. Dazu etwas spanische Folklore Musik oder einige live gespielte Gitarrenklänge und ein Untertitel, denn sind die Schwestern, La Poncia oder die Großmutter im Off, hört man ihre Stimmen nicht, man sieht nur ihre Lippenbewegungen und den entsprechenden Text eingeblendet. Mit diesem Medium wurde allerhand gespielt, entweder fühlte man sich als Zuschauer wie in einem Stummfilm, den man in Ruhe genießen konnte oder es erfolgte ein Dialog über das Video, beispielsweise als La Poncia durch ein Fenster zu sehen und zu hören ist und Adela über das Video und per Untertitel antwortet. Einzig Bernarda Alba setzt sich über diese Grenze hinweg und ist immer mit ihrer verzerrten Stimme zu hören. Zum Ende hin vermischen sich die Ebenen sogar so sehr, dass es chaotisch wirkt, was wiederrum gut passt, da die Szenerie gen Ende einer Orgie nachempfunden ist. Besonders für den Zuschauer sind die Videoprojektionen toll anzusehen, da sie trotz der Distanz immer Nähe zum Geschehen vermitteln, keine Sekunde hat man das Gefühl etwas zu verpassen.

Unterlegt werden die Stummszenen aber nicht nur mit instrumentaler Musik. Besonders die Auftritte von Pepe el Romano werden immer wieder mit verschiedenen Songs bespielt, die rebellisch wirken, aber auch fast zum Kuscheln einladen, wie in einem kitschigen Teeniefilm. Beispielsweise heißt es im Song „Sweet“ von Cigarettes After Sex: „It’s so sweet knowing you love me.“ Bei einer Orgie am Ende wird Adela auch mit Textzeilen wie „In your next life you’ll get what you deserve“ oder „In your next life you’re gonna be an ugly girl“ aus dem Song „ Ugly Girl“ von Molly Nilsson besungen. Insgesamt ist die Musikauswahl sehr abwechslungsreich, von spanischer Folklore über Live-Gitarrenklänge bis zu den oben genannten Titeln ist für jeden Geschmack etwas dabei und die Auswahl ist für diese Inszenierung genau die richtige, da die Musik zu jeder Zeit das Geschehen auf der Bühne perfekt untermalt und es in teilen sogar kommentiert.
Anfangs sieht der Zuschauer nur eine Holzfassade von Bernarda Albas Haus. Schnell mag man vermuten, dass man nicht mehr als diese zu sehen bekommt, denn die Videosequenzen werden genutzt um das Innere des Hauses darzustellen, doch da liegt man falsch, denn nach einiger Zeit wird klar: die Bühne ist eine Drehbühne und der Zuschauer bekommt nicht nur per Video, sondern auch über die Bühne Einblicke in die verschiedenen Räumlichkeiten und diese sind nicht pompös ausgeschmückt, schon wenige Details und die richtige Beleuchtung lassen den Zuschauer in das Spanien der 30er Jahre abtauchen. Die Dekoration ist dabei auf den Punkt, wenige Kleinigkeiten, wie die klapprigen Betten der Schwestern, ein Beistelltisch oder ein kleiner Baum im Innenhof tragen dazu bei, dass man vollkommen in die Welt von Bernarda Albas Haus abtaucht.

Eine tolle Inszenierung, die wir deutlich weiterempfehlen können. Wir könnten sogar noch viel mehr schreiben, tolle Bilder beschreiben, doch möchten wir nicht alles vorweg nehmen. Übrigens: als Motiv für die Inszenierung nennt uns Regisseur Jan Friedrich einerseits, dass er Lust gehabt habe García Lorcas Werk zu inszenieren. Andererseits wollte Friedrich den Finger in die Wunde legen. Warum müsse eine Frau, die viele Sexualpartner hat direkt von anderen Frauen als Hure betitelt werden, nur weil sie ihren Trieben folgt und Spaß am Leben hat. Immerhin werden Männer andersherum so nicht betitelt oder gelten unter männlichen Kollegen gar als Helden, wenn sie mehrere Sexualpartner hatten. Frauen wollen emanzipiert sein, zeigen aber teilweise keine Solidarität untereinander, sondern hauen sich lieber gegenseitig in die Pfanne, nur damit sie selbst besser dargestellt werden oder sich für einen Typen interessanter machen. Ein spannender Spagat, der aufzeigt, dass die Konflikte, die im Stück ausgetragen werden, in moderner Form noch heute existieren.
Wer sich die Inszenierung ansehen möchte, kann sich einfach auf der Seite des Theater Oberhausen umsehen, dort sollten alle Infos, sowie Tickets schnell zur Verfügung stehen. Wir drücken dem gesamten Team weiterhin die Daumen und wünschen allen Beteiligten noch gut besuchte Vorstellungen.