Hauffs Märchen mit Puppen, Perspektive und pädagogischem Mehrwert: Kalif Storch am RLT

Beitragsbild: Björn Hickmann/Stage Picture
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)

Puppentheater, das zeigen aktuelle Trends, scheint beim Theaterpublikum immer wieder gut anzukommen, was wir auch bei unserem Interview des mittlerweile bereits 20 Jahre erfolgreichen Puppenspielerduos half past selber schuld gelernt haben. Aber auch in die Theater-Evergreens werden Puppenelemente verbaut, wie dies die Düsseldorfer Inszenierung von Brechts Die Dreigroschenoper erfolgreich zeigt. Puppen und Schauspieler, die auf der Bühne eine spielerische Symbiose eingehen, das kann also definitiv ansehnliches und gutes Theater sein.

Am vergangenen Sonntag feierte die Inszenierung von Kalif Storch als Familienstück am Rheinischen Landestheater Neuss (RLT) unter der Regie von Nicole Erbe in Form eben dieses Schauspieler-Puppen-Spielgemischs Premiere und wir freuen uns, dabei gewesen zu sein.

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Foto: Björn Hickmann/Stage Picture Ilan Daneels (Wesir Mansor), Christoph Bahr (Kalif Chasid)

Wer in seinem Leben bereits schon einmal eine Verfilmung gesehen, eines der etlichen Hörbücher gehört oder gar selbst zu Wilhelm Hauffs Märchen-Almanach auf das Jahr 1826 gegriffen hat, kennt die Geschichte: Chasid, der Kalif zu Bagdad und sein Großwesir Mansor bekommen eines Tages Besuch von einem ominösen Händler, dem sie ein Döschen Pulver abkaufen, das sie, wenn sie es schnupfen und dabei „Mutabor“ sagen, in Tiere verwandelt. Wie auf einer Zigarettenverpackung steht auch auf der Pulverdose allerdings ein Warnhinweis, denn wer, einmal verwandelt, wagt zu lachen, wird das Zauberwort vergessen und kann sich dann nie wieder zurückverwandeln. Da in romantischen Texten nahezu die ganze Handlung von Anfang an zu erahnen ist, kommt es, wie es kommen muss: Chasid und Mansor, die unbedingt wissen wollen, wie die Störche reden, verwandeln sich in diese und müssen, als sie ihre neuen Artgenossen kennen lernen und ihre Art, sich zu bewegen sehen, so laut lachen, dass sie ebenjenes Zauberwort wahrhaftig vergessen. Schnell stellt sich heraus, dass der ominöse Krämer der Zauberer und zugleich des Chasids Todfeind Kaschnur war und zufälligerweise nun, nachdem der Kalif und sein Wesir verschwunden sind, Mizra, der Sohn des Zauberers, plötzlich neuer Kalif von Bagdad ist. Auf dem Weg nach Medina, man erhofft sich Lösung beim Grab des Propheten, treffen sie eine große Nachteule, die sich ihnen als behilflich herausstellt, war sie doch ebenfalls einst ein Mensch, nämlich die schöne indische Prinzessin Lusa. Dieser wurde prophezeit, dass eines Tages Störche ihr Erlösung bringen und sowieso lebt sie passenderweise in jener Ruine, in der sich auch Kaschnur mit seinem Gefolge gern zum Essen trifft und natürlich gerade in diesem Moment eine Zusammenkunft stattfindet, in der Kaschnur – wer hätte das gedacht – von seinem Nebensitzer aufgefordert wird, von seinen neusten Taten zu erzählen. Als in einer dieser Erzählungen nun das Wort „Mutabor“ fällt, können sich Kalif und Wesir zurückverwandeln. Und auch für Lusa ist das eine Win-Win-Situation, dieser mussten die beiden nämlich vorher versprechen, dass sie, wenn sie ihnen hilft, einer von beiden heiratet. Ein Deal, den der Kalif, nicht ganz überzeugt davon, dennoch eingeht. Und so verwandelt auch sie sich von einer hässlichen Eule zurück in eine wunderschöne Frau und der Kalif freut sich, nicht die Katze im Sack gekauft zu haben. Zurück in Menschengestalt lässt Chasid Kaschnur in seiner Ruine aufhängen, seinen Sohn aber lässt er das Zauberpulver schnupfen, verwandelt ihn in einen Storch und sperrt ihn in einen Käfig in seinem Garten. Am Ende heiraten Lusa und Chasid, bekommen Kinder und wenn sie nicht gestorben sind, dann… ach Ihr wisst schon!

Der gewiefte Leser wird zwischen den Zeilen mitbekommen haben, dass wir diese Inhaltsangabe etwas lieblos in die Zeilen gehauen haben. Hierbei, soviel Insiderwissen sei verraten, verdrehten wir zudem nicht selten die Augen. Dies ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass wir mit diesen ach so perfekten Handlungssträngen, in denen dem Helden auf seiner Abenteuerreise nun wirklich alles in die Hände zu spielen scheint, nicht wirklich viel anfangen können. Da wir aber bereits im vergangenen Jahr gesehen haben, dass das RLT bei der Umsetzung von Das Kalte Herz ein Händchen für Hauff-Vorlagen bewiesen hat, machten wir uns unbesorgt auf Richtung Neuss. Also: Was haben wir gesehen?

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Foto: Björn Hickmann/Stage Picture Christoph Bahr (Kalif Chasid), Josia Krug (Zauberer Kaschnur)

Das Bühnenbild wirkt bunt und ein wenig chaotisch, wir sehen Holzhäuser in verschiedenen Größen, mit runden Fenstern, Vogelstangen darunter sowie Vogelkäfige davor hängend, im Hintergrund ist eine Platte in Form einer blauen Wolke angebracht. Der Gesamteindruck wirkt kindlich verspielt. Und das ist der erste richtige Schritt, Hauffs Vorlage anzupacken.

Bei der Lektüre des Ursprungstextes kommen nämlich tatsächlich ein paar Fragen über den pädagogischen Mehrwert des Märchens auf. Der Kalif will Lusa eigentlich gar nicht heiraten, weil sie ja hässlich sein könnte, es handelt sich eher um eine opportunistische Zweckehe, Chasid und Mansor lachen die Störche aufgrund ihres Verhaltens aus und auch der am Ende am Strick hängende Kaschnur ist wahrhaftig nichts für Kinderaugen. So freuen wir uns, dass Regisseurin Erbe zusammen mit Dramaturg Reinar Ortmann sich das Märchen geschnappt und daraus eine ansehnliche und familienfreundliche Theaterversion gemacht haben, die man ohne Bedenken mit den Kleinen besuchen kann.

Großen Wert legt die Erzählung nämlich auch auf die Vorgeschichte, anfangs lernen wir den Zauberer Kaschnur kennen, dem seine Zaubersprüche nie so ganz gelingen wollen. Josia Krug verkörpert einen tollpatschigen Bösewicht, der von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt und ja doch eigentlich auch nur geliebt werden und einen Kuss bekommen will. Auch Kalif Chasid, gespielt von Christoph Bahr und sein Wesir Mansor, verkörpert von Ilan Daneels zeigen uns ein Gespann, das weniger wirkt wie ein Herrscher und dessen Berater und eher wie zwei Kumpels, die sich bereits seit der Krabbelgruppe kennen und mögen und sich jeden Tag auf ein neues Abenteuer freuen. Prinzessin Lusa, deren Spiel Juliane Pempelfort übernimmt, bekommt in der RLT-Fassung ebenfalls etwas mehr Beachtung mit eigener Geschichte und Persönlichkeit geschenkt, ist sie bei Hauff doch eher eine notwendige Nebenfigur, die nur irgendwie den Plot vorantreiben soll.

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Foto: Björn Hickmann/Stage Picture Juliane Pempelfort (Prinzessin Lusa), Josia Krug (Zauberer Kaschnur)

Großen Spaß für jung und alt schaffen da auch die verschiedenen komödiantischen Elemente, die sich von Schauspiel bis hin zu Requisite und Kostüm ziehen. Schnell beispielsweise wird klar: hier handelt es sich um eine Inszenierung der ganz großen Gesten und Mimik. Die Schauspieler arbeiten allesamt mit einer übertrieben Körperlichkeit, wie beispielsweise, wenn Mansor, der in der RLT-Version nicht zu sprechen scheint, Chasid in einer Scharade darstellen will, dass der Händler angekommen ist oder später mit Auftreten Kaschnurs, der mit einem fliegenden Teppich über die Bühne flitzt, ein Kostüm, das man Krug um die Hüften fixiert hat. Auch auf gesangliche oder tänzerische Elemente wird nicht verzichtet. Sehr schön anzusehen beispielsweise die Verwandlung Chasids und Mansors zu Störchen. Daneels tanzt diese nämlich zu zauberhaft anmutender Musik und wandelt sein Wesir-Kostüm immer mehr in den Phänotyp eines Storchs und übernimmt hierbei auch seine Körperlichkeit. Für Lacher sorgt währenddessen Bahr, der als Chasid immer wieder den Tanz unterbrechend auf die Bühne kommt und immer weitere Storchelemente trägt, dies aber nicht zu merken scheint. Obwohl hier der Tanz Daneels‘ mehrfach unterbrochen wird, schadet das dem Gesamtbild nicht.

Generell müssen wir der Visualität des Stückes ein großes Kompliment machen. Die Kostüme, für die sich – wie auch für die Bühne – Esther van de Pas verantwortlich fühlt, sind mehr als ansehnlich, besonders die Puppen, gerade die, die Christoph Bahr spielt, sobald er gänzlich verwandelt ist, mit der einen Hand spielt er den Flügel, mit der anderen den Kopf samt Schnabel der menschengroßen Vogelpupe. Und überhaupt: Was trägt Juliane Pempelfort für geile Eulenfüße! Unsere Hochachtung für diese coolen Kostümelemente. Doch auch ein Hochsitz, auf dem die Eule später sitzen wird, ist ein Augenschmaus, der sich sehr passend in das Gesamtbühnenbild integriert, wir wollen da aber nichts vorwegnehmen. Mirjam Schollmeyer coachte die Darsteller allesamt im Puppenspiel, was ebenfalls bemerkbar ist. Die Schauspieler verstehen es, wenn sie mit den Puppen arbeiten, sich selbst in den Hintergrund zu rücken und in ihren schwarzen Kostümen eins zu werden mit dem Hintergrund. Klar, wer es will, der sieht sie. Aber derjenige, der den Spirit des Puppenspiels versteht, denkt sie sich in diesem Moment weg, sieht einen großen Storch, eine Maus und einen Frosch ganz für sich alleine auf der Bühne.

Bei all dem Lob allerdings müssen wir uns auch ein paar Fragen stellen. So bedient sich die Kostümierung Krugs als kurzbeiniger Kaschnur eines Tricks, der so alt ist, wie das Theater selbst, um den kleinen Mann zu mimen: Er trägt Schuhe, die an seinen Knien fixiert sind und bewegt sich auf ebendiesen fort. Von vorne wirkt er dann um seine Unterschenkel gekürzt kleiner und der Effekt ist gelungen. Allerdings eben nur von vorne. Krug gibt sich alle Mühe, dem Publikum nicht den Rücken zuzuwenden, häufig allerdings ist das bei seiner stark ausgeprägten Bühnenzeit nicht möglich. Man sieht die Unterbeine einfach viel zu häufig. Wäre da, wie wir es bereits beim Musical Shrek in Tecklenburg bei Lord Farquaad gesehen haben, nicht noch ein kleiner Umhang am Kostüm möglich, der die Beine hinten verdeckt? Das Resultat würde das ansonsten tolle Kostüm Krugs abrunden und dem Effekt mehr Wirkung verleihen.

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Foto: Björn Hickmann/Stage Picture Juliane Pempelfort (Prinzessin Lusa), Maus

Mit der Zeit der fast 70-minütigen Aufführung wurden vor allem die Kinder im nahezu vollbesetzten Zuschauersaal unruhig. Das muss nicht am Stück als solchem liegen. Wir beobachten, dass die jungen Zuschauer sich von der Geschichte mitreißen lassen, mit den Protagonisten mitfiebern und Angst haben vorm Bösewicht Kaschnur. Die Schauspieler reißen uns alle mit. Dennoch stellen wir uns die Frage, ob es hier nicht auch kürzer hätte gehen können? So wird uns beispielsweise nicht klar, welche Aufgabe genau die zusätzlichen Puppen, die Maus und der Frosch darstellen. Interessant, dass es sich bei diesen Tieren jeweils um die Nahrung von Storch und Eule handelt, bei einer Szene um Lusa wird auch deutlich, dass diese die Maus mit einer Mausefalle jagen will. Auch diese Szenen sind allesamt nett anzusehen und passen ins Netz der Charaktere, doch sorgen sie unweigerlich für eine Überlänge des Stückes und für einen Handlungsstrang, der hin und wieder stockt und das Spiel auf der Bühne manchmal chaotisch wirken lässt.

Hinzu kommt nämlich, dass die Schauspieler sich die Kulisse entsprechend, wie sie sie gerade beklettern müssen, ständig zurechtschieben, manchmal gar von hinter der Bühne mitbringen müssen. Das wirkt alles keineswegs privat und ist passend in die jeweiligen Rollen integriert, frisst aber für die Gesamtschau viel Zeit. Bei der Dynamik des Stückes fällt es uns dann teilweise schwer, allem zu folgen, so wirken Schauspiel, Musik, Tanz, Szenen- und Lichtwechsel mit verschiedensten Effekten, Musik aus den Boxen und Gesang von der Bühne sowie Puppenspiel und generell der Umbau, Auf- und Abgänge zum Kostüm- oder Puppenwechsel häufig irgendwie manchmal unkoordiniert zusammengewürfelt, dass sogar der Lichttechniker kurzerhand nicht weiß, wie es um ihn geschieht und anstatt eines Lichtwechsels einen Flackerlichteffekt einspielt, der einem ruhigen und sehr schönen Dialog zwischen Chasid und Lusa unschön in die Parade fährt.

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Björn Hickmann/Stage Picture Christoph Bahr (Kalif Chasid)

Wir vermuten, die gut gemeinte Multiperspektivität, die alle Figuren des Märchens mal zu Wort kommen lässt, birgt einfach die Gefahr, dass sich verschiedene Erzählstränge am Ende im wahrsten Sinne des Wortes verknoten. Auch die Kinder um uns herum hören wir ihre Eltern des Öfteren Dinge fragen wie: „Was ist das?“ oder „Wieso macht der das?“ oder „Wer ist das?“ oder ganz direkt als Statement: „Das verstehe ich nicht.“ Vielleicht wäre manchmal weniger mehr gewesen und wir wären nur der Perspektive von Chasid und Mansor gefolgt, hätten dann aus ihrer Sicht die anderen Charaktere etwas besser kennengelernt und dann vielleicht auch ein Stück gehabt, das die Geschichte bei gleichbleibend tollem Schau- und Puppenspiel, Bühne und Kostüm genauso dynamisch erzählt, lustig und mitreißend, aber das vielleicht eben in nur, besonders für Kinder angemessenen, 50 Minuten?

Dies sind nur Dinge, die wir uns auf der Rückfahrt im Auto durch den Kopf haben gehen lassen. Sicherlich gibt es viele der im Nachhinein minutenlang Applaus spendenden Zuschauer, die das anders sehen und sich über die ganzen Figuren und ihre Biografien auf der Bühne und die 70 Minuten Familienstück gefreut haben und das definitiv auch zurecht. Das RLT hat auch uns mit seiner Arbeit begeistert und reiht sich ein in die Theater, die verstanden haben, Puppen und Menschen gleichermaßen als Darsteller in ein Theaterstück zu integrieren und daher meckern wir hier natürlich nur auf höchstem Niveau und empfehlen die Neusser Inszenierung von Kalif Storch jedem Märchenfreund weiter, der gerne Schauspiel mit großen Gesten, viel Slapstick und gelungenem Puppenspiel sehen will. Für diese Leute finden sich weitere Infos zum Stück sowie Termine wie immer auf der Website des Theaters.

2 Gedanken zu “Hauffs Märchen mit Puppen, Perspektive und pädagogischem Mehrwert: Kalif Storch am RLT

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