Double Bill in der Tanzfaktur: Performance, ein neues Terrain

Beitragsbild: Meyer Originals (oben) 
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)

Am vergangenen Wochenende wagten wir ein Experiment: Wir begaben uns auf fremde Pfade und stellten uns dem, was bisher eigentlich noch nicht so im Fokus der Theater WG stand, aber doch auch irgendwie eine Form des Theaters ist: Performance!

Wir sind uns der Diskussion bewusst, die Theater- und Performancekünstler seit je her führen und sagen auch gleich zu Beginn, dass wir gar nicht so sehr in die Materie vertieft sind, dass wir es wagen, irgendwelche Definitionen aufzustellen, woran man denn jetzt genau was erkennt, ob so manches Stück vielleicht Theater ist mit Performance-Elementen oder anders herum. Wir machen es uns einfach und betrachten das, was drauf steht!

Am vergangenen Wochenende waren wir eingeladen in die Tanzfaktur in Köln Poll zur Premiere der Tanz-Klang-Performance FRAGIL und AGIL der Tänzerin und Choreographin Benedetta Reuter. Dort angekommen, erklärte man uns, an jenem Abend stünde ein(e?) „Double Bill“ auf dem Programm, vor der eigentlichen Premiere gäbe es eine weitere Performance über fluide Zustände des Seins, Fluid States of Being, des Tänzers Kelvin Kilonzo und des Musikers Pablo Giw.

Was genau uns erwartete, wussten wir nicht, erforderten doch auch die Ankündigungstexte eine Menge Phantasie, um genau zu verstehen, was denn Sache war.

Die erste Performance, Fluid States of Being, kündigte sich wie folgt an:

Stimmungen, Zustände und Gedanken, die ineinander verschmelzen und dabei ihre ursprüngliche Bedeutung verändern. Elemente auseinander gebrochen und auf seltsame und fragmentierte Weise mit einem Gefühl der Leichtigkeit zusammengefügt – Zwei Performer lassen Konzepte langsam los, was zu einem Zustand des direkten Ausdrucks und unterschiedlicher flüssiger Identitäten führt. Ein ritueller Zustand, der Raum und Körper zu einer mystischen Qualität werden lässt. Was ist real?

Das fragten wir uns nach der Lektüre der Ankündigung allerdings auch. Doch ließen wir an diesem Abend alles auf uns zukommen, hatten wir uns ja bewusst entschieden, den uns bekannten Boden des Sprechtheaters zu verlassen. Und zuerst sollten wir nicht enttäuscht werden.

Die Bühne der Tanzfaktur ist, bis auf die beiden Künstler und ein Mikrophonstativ, leer. Kilonzo, am Boden, scheint körperliche Aufwärmübungen zu machen, Giw mit seiner Trompete in der Hand, über die Bühne laufend. Das ist der Aufbau der ersten Performance.

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Sobald wir Platz genommen haben beginnt die Performance. Oder vielleicht auch nicht. Oder vielleicht doch? Die beiden Künstler scheinen einfach das weiter zu machen, was sie beim Einlass taten. Auch das Licht über den Köpfen der Zuschauer wird zuerst nicht heruntergefahren. Ganz langsam lassen die beiden erkennen, dass sie uns mitnehmen auf ihre kleine musikalische und tänzerische Reise.

Nun darf man bei Pablo Giw, wenn er als Trompeter beschrieben wird, zumindest für diese Performance, nicht von Till Brönner-Musik ausgehen. Giw macht mit seiner Trompete Geräusche, die wir diesem Blechblasinstrument eigentlich nie zugetraut hätten. Alles, was jetzt beschrieben wird, ist nur Vermutung. Wir kennen uns mit Trompetenspiel nicht aus, geschweige denn mit jenem Trompetenspiel, das ja doch eigentlich keines ist: Giw lässt die Polster gar nicht erst schwingen, bläst nur leicht über und in das Mundstück und lässt mit seinem Instrument dadurch schabende und hauchige Klänge entstehen, die an kaltes Metall erinnern. Kurze Zeit später justiert er ein Mikrophon an sein Instrument, das bereits das Drücken der Knöpfe und einen leichten Fingertipp auf das Metall über die Anlage wirken lässt wie die Bass Drum eines Schlagzeugs. Hierdurch lässt er einen Beat entstehen, der dann im Laufe der Performance eben doch durch die uns bekannten Trompetenklänge ergänzt wird. So startet die Darstellung ganz leise und anmutig und entwickelt sich, wird immer lauter und beinhaltet somit bereits akustisch ihre eigene Dramaturgie. Auch beatboxende Elemente verbaut Giw und wird so zu einer Ein-Mann-Band, die dem Tänzer Kelvin Kilonzo eine ein einmaliges Ambiente gibt, das er mit seinem Körper füllen kann.

Lange bewegt dieser sich nur am Boden, wirkt auf uns wie eine wabernde Masse. Erst mit der Dynamisierung der Musik richtet er sich langsam in tatsächlich immer flüssigen Bewegungen auf, fällt aber wieder zu Boden, scheint sich nicht halten zu können und wird in dieser Entwicklung immer stärker, bleibt irgendwann aufrecht stehen. Würde man den Titel der Performance als Interpretationshilfe nehmen, könnten wir vermuten, er stellt flüssige Stadien des Seins dar. Aber was genau bedeutet das? Wir sehen eine Evolution, aus einem Zellhaufen wird irgendwann ein Lebewesen, das sich noch sehr unsicher bewegt, dann Halt bekommt, irgendwann den aufrechten Gang für sich entdeckt, hier aber auch erst unsicher ist, um dann doch auch irgendwann Stabilität zu erlangen. Auch seine Mimik lässt ihn anfangs nicht menschlich wirken, diese leeren Augen lassen uns in seinen ausfallenden und expressiven Bewegungen in einigen Sequenzen fast vermuten, wir werden Zeuge eines Exorzismus.

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Was genau wir da gesehen haben, können wir gar nicht sagen. Im Interview für unser Novemberporträt kamen wir im Gespräch mit Schultheatermacher, Schauspieler und Pina Bausch-Fan André Valente auch auf das Thema, dass wir uns sehr schwer tun damit, Performance zu verstehen. André brachte da ein wenig Licht ins Dunkle, indem er uns ermahnte, nicht immer alles verstehen zu müssen, sondern bei der Performance das Gefühl in den Vordergrund zu rücken. Auch Theatergroßmeister Robert Wilson rief in einem Interview einmal auf, wenn es einmal nicht geht, sich einfach mal mehr verwirren zu lassen.

Dies berücksichtigend, fühlten wir zu Beginn eine gewisse Geborgenheit, je mehr sich diese Evolution entwickelte, desto hektischer wurde uns, manchmal fühlten wir uns durch Dynamik und Lautstärke regelrecht gestresst, bis die Performance sich am Ende wieder fing und sowohl sich selber als auch uns beruhigte.

So wurde Fluid States of Being die erste Performance, die wir auf unserem Theaterblog besprechen und wir können freudig behaupten: Hat ja gar nicht weh getan, war ja gar nicht so schlimm, konnte man sich gut angucken und vor allem konnten wir sogar ein bisschen mitfühlen. Daher danken wir Giw und Kilonzo für diese kurzweilige Darstellung!

Dass es nun, im zweiten Teil, bei der eigentlichen Premiere, wirklich wehtun wird, das konnten wir ja zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.

Nach einer zwanzigminütigen Umbaupause betreten wir den Spielort erneut, auf der Bühne hat sich etwas getan. Wir sehen über die ganze Bühne verteilt zu Haufen gelegte, kleine Glasfläschchen, von der Decke hängen verteilt über die Bühne drei Schnüre, an die ebenfalls kleine Glasflaschen gebunden sind. Vorn sind zwei Stühle, einer rechts, einer Links aufgebaut.

FRAGIL und AGIL wird im Programmheft so beschrieben:

Zeitgenössischer Tanz trifft auf Klangkunst europäischer wie orientalischer Natur im Kontext fragiler Architekturen und eröffnet auf diese Weise einen Dialog über die Zerbrechlichkeit und gleichzeitige Stärke beider Kunstformen. In FRAGIL und AGIL erforschen die Choreographen Benedetta Reuter und die Musiker Neuer Musik Nicola Hein und Bassem Hawar Bruchunkte wie Kippmomente und in ihrer gemeinsamen Auseinandersetzung, im unmittelbaren Austausch ihrer Sparten. Durch die Interaktion mit dem fragilsten aller Materialien – nämlich Glaskörpern – erforschen die Künstler*innen ästhetische Dimensionen von Klang und Bewegung. Verweise auf Momente von Ungleichgewicht / Gleichgewicht in Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse und Strukturen bleiben hierbei nicht aus. Es handelt von Momenten und Betrachtungsweisen, die in FRAGIL und AGIL sowohl in der Körpersprache als auch in der Musik eingebettet, von diesen einverleibt wie widergespiegelt werden.

Wir geben ganz ehrlich zu, dass wir mit dieser Performance reichlich Schwierigkeiten hatten.

FRAGIL & AGIL by Benedetta Reuter
photo copyright ©MEYER ORIGINALS

Sie beginnt, indem Musiker Nicola Hein sich vorne rechts auf den Stuhl setzt, seine Gitarre einsteckt und das macht, was oben als Neue Musik beschrieben, von Oma und Opa aber sicherlich eher als „Radau“ bezeichnet werden würde. Wir geben als Disclaimer sicherheitshalber noch einmal an, dass wir im Bereich der Performance aber auch der expressionistischen Musik nicht sonderlich erfahren sind und fokussieren uns auch hier wieder darauf, dass wir weniger interpretieren, denn eher fühlen. Und ziemlich schnell fühlen wir eines: Schmerz! In den Ohren. Hein spielt auf seiner Gitarre, während Tänzerin Reuter zwei Glasfläschchen an Fäden gebunden, diese Schritte machen lassend auf die Bühne kommt, solch atonale, laute Lieder, dass sich binnen weniger Sekunden nahezu das ganze Publikum die Ohren zuhält. Reuter bewegt sich hierbei in stoischer Ruhe über die Bühne, baut mit den verschiedenen auf dem Boden liegenden Fläschchen die Silhouette ihres Körpers nach und drückt mit ihren tänzerischen Bewegungen auf der Bühne einen Kampf zwischen Balance und Umkippen aus. Derweil haben bereits drei Zuschauer ob der unangenehmen Musik den Raum verlassen.

Für Entspannung sorgt der spätere Auftritt Bassem Hawars, der mit seiner Djoze, einem irakischen Folkloreinstrument, das ähnlich wie eine Violine mit einem Bogen bespielt wird, in die Performance einsetzt. Er betritt ganz hinten rechts die überraschend tiefe Bühne und bewegt sich, seinem ruhigen Spiel entsprechend, gemäßigten und bewussten Schrittes um die von Reuter erbauten Flaschensilhouetten auf seinen Stuhl vorne links zu. Seine Musik ist ein Wohlklang für die zuvor belasteten Ohren. Dass dieses Wechselspiel zwischen lauter, aggressiver Gitarrenmusik und den seichten Djozeklängen mit Blick auf die beiden Themen Fragilität und Agilität etwas mit dem Zuschauer machen soll, wird schnell deutlich, spätestens an dem Zucken, das durch die Reihen geht, wenn Hein wieder zu seiner Gitarre zu greifen scheint. In Windeseile legen sich nahezu alle Zuschauer wieder die Hände auf die Ohren. Auch an uns geht dieser Impuls nicht vorbei. Doch Fehlalarm: Hein aktiviert nur ein Gebilde bestehend aus verschieden Glaskörpern, die elektronisch betrieben von sich rotierenden Drähten angeschlagen werden, damit ein ungleichmäßiges Klimpern entsteht, das ein wenig an prasselnden Regen erinnert. Dennoch soll der automatische Schutzreflex nicht unnötig gewesen sein, denn kurze Zeit später geht das beruhigende Regengeprassel, das mit dem Tanz Reuters wirklich harmonisch eine Symbiose einzugehen scheint, wieder über in das Kreischen der Gitarre Nicola Heins, das uns schnell wieder aus dieser, auch von Hawars Djoze erzeugten Traumwelt herausreißt.

Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass diese Art der Neuen Musik, die auch Heins Arbeitsfeld ist, mit der er, wie er beschrieben wird „die musikalische Ontologie der Improvisierten Musik auf verschiedene ästhetische Räume zu projizieren“ versucht. Allerdings finden wir uns, seine Arbeit in allen Ehren, nicht in seinem Fankreis wieder. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter, indem wir feststellen müssen, dass wir uns durch die Musik, nach welcher wir den restlichen Abend tatsächlich einen leichten Ohrenschmerz davontrugen, von der Performance angegriffen fühlten.

FRAGIL & AGIL by Benedetta Reuter
photo copyright ©MEYER ORIGINALS

Man könnte uns jetzt vorwerfen, auf der Akademimi studiert zu haben, allerdings ist es nicht unsere Absicht, diese Rezension in Wehleidigkeit zu ersäufen. Dennoch müssen wir uns die Frage stellen: Darf Performance das? Diese Frage stellen wir auch gerne an den Leser und freuen uns auf Diskussion und Aufklärung. Aus unserer Sicht haben nicht zu Unrecht einige Zuschauer den Saal verlassen und wir hätten das, wären wir nicht als rezensierende Presse eingeladen gewesen, ebenso getan. Wenn Marina Abramović Leitern emporklettert, die anstatt Sprossen mit der Klinge nach oben gerichtete Tranchiermesser tragen oder ein Pina Bausch-Künstler zehnmal hintereinander gegen die Wand läuft, ja, dann ist das Performance mit einem letztendlich physischen Effekt auf den Künstler selber. Die Frage, die wir uns hierbei stellen: Inwiefern sollte der Zuschauer physisch mitgenommen werden und sei es nur durch das Überstrapazieren des Hörnervs?

Geschmack ist allerdings bekanntlich verschieden. Sicherlich gibt es Theatergänger, die uns da widersprechen, im Publikum erblickten wir Zuschauer, die bei Heins Musik mit dem Kopf rhythmisch mitwippten. Und das ist auch gut so. So sehr wir uns der Objektivität verpflichtet fühlen, glauben wir aber, war diese Performance nur subjektiv zu rezipieren. Wir entwickelten durch die Musik zum Gesehenen sogar eine gewisse Antipathie und konnten den Tanz Reuters sicherlich gar nicht in der Gänze würdigen, die er bestimmt verdient hat.

Schließlich kann man sagen, freuen wir uns, an diesem Abend einmal etwas Abwechslung genießen zu dürfen aus unserem eigentlich bereits durch das Theater bunten Alltag. Dennoch sind wir um die Erkenntnis reicher geworden, dass wir uns sicherlich noch viel ausführlicher mit Tanz und Performance auseinandersetzen müssen, um hierzu den gleichen Bezug zu haben, wie diejenigen Zuschauer, die am Ende Standing Ovations gaben.

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