Soziale Medien: Mobbing, Scheinwelt und Rechtsextremismus – Comic On! präsentiert #werbinich?

Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Beitragsbild: Privat

Zugegeben: Theater in der Schule, dann auch noch zu aktuellen Themen, die Jugendliche beschäftigen (sollten!) und die ihnen den Spiegel vorhalten. Ein bisschen fühlen wir uns bei der Premiere von #werbinich?, der neuen Produktion von Comic On! in die eigene Schulzeit zurückversetzt. Und dennoch: die Produktion ist unterhaltsam und legt den Finger in die Wunde, sie zeigt, was soziale Medien mit uns machen und auch wie wichtig es ist, sich in der realen Welt eine Meinung zu bilden. Am Ende fühlen wir uns zwar vergleichsweise alt, weil wir in Teilen von den neuen Trends noch nicht einmal gehört haben, doch wir sind uns sicher: diese Produktion muss an die Schulen dieser Republik!

Marie (Anne Katharina Müller) und Lara (Julia Knorst) sind beste Freundinnen, nichts kann sie trennen. Fast nichts, denn dann kommt Ben (Marcel Langer) ins Spiel: Ben soll mit Marie und Lara einen Vortrag für Geschichte über die Geschwister Scholl und die Weiße Rose vorbereiten. Für Lara und Marie ist das anfangs nervig, doch sehen sie in Ben eine gute Chance, die Arbeit abzudrücken. Ben hingegen findet das Thema wichtig, weil er auch die Aktualität erkennt, immerhin gibt es auch heute wieder rechte und rassistische Bewegungen, die einfach so geduldet werden. Zwischen Marie und Ben entsteht mit der Zeit eine tiefere Beziehung, dafür belügt Marie sogar ihre beste Freundin. Und im Eifer des Gefechts fliegt Bens Geheimnis, dass er der ominöse Mister Piss ist (was auf ein Partyspiel auf einer vergangenen Fahrt zurückzuführen ist), in der Klassen-WhatsApp-Gruppe auf, das Desaster ist perfekt. Ben verschwindet daraufhin von der Bildfläche, was am Ende auch erklärt, warum Lara und Marie immer wieder in einem Verhör auftauchen.

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Marcel Langer, Anne Katharina Müller und Julia Knorst (Bild: privat)

Obwohl die Aufführung nur rund 50 Minuten dauert, passiert doch eine ganze Menge. Thematisch ist sie sehr dicht gepackt: Umgang mit sozialen Medien, Mobbing, Antisemitismus und Rechtsextremismus, geschichtliche Hintergründe, Freundschaft, Rache, alles Themen, die in dieser Produktion Platz finden. Auch das Bühnenbild ist eher spärlich: einige schwarze Boxen, an denen Scheinwerfer angebracht sind, die auch immer wieder als Podeste, Tische oder Bänke genutzt werden, mehr findet der Zuschauer nicht. Mehr braucht es allerdings auch nicht. Die drei Schauspieler überzeugen mit ihrem Spiel und können so, auch ohne großes Bühnenbild, die Fantasie der Zuschauer anregen. Mit Hilfe der Technik wird dann die Umgebung perfekt, so braucht ein Club keine Besucher, lediglich etwas Musik im Hintergrund und das richtige Licht, Laras Zuhause kein großes Bett und ein voll eingerichtetes Mädchenzimmer, sondern nur einen Spot und ein Herzkissen. Kleinigkeiten, die aber vollkommen ausreichen.

Das Stück beginnt mit Musik und einigen Lichteffekten. In der Musik wiederzuerkennen sind Tippgeräusche vom Handy, der Sound eines Filters von Instagram oder der Tanz aus Fortnite. Dinge, die Jugendliche von heute bestens kennen. Dann steigen wir schnell ins Geschehen ein, lernen Marie und Lara kennen, zwei typische Mädels, die ihren gemeinsamen, und erfolgreichen, Instagram-Account pflegen, alles für die Likes versteht sich. Alles muss perfekt inszeniert sein, immerhin muss man den Fans draußen eine, bis zur Perfektion retuschierte, Welt zeigen. Ben, der später auftaucht, ist das genaue Gegenteil. Er ist introvertiert, liest gerne und hat mit den sozialen Medien gar nichts am Hut. Ein Freak, wie Marie und Lara finden, dennoch treffen sie sich mit ihm, um das Referat vorzubereiten. Ben hingegen findet das Verhalten der beiden nicht in Ordnung, zur Frage, wer denn die Geschwister Scholl oder die Weiße Rose waren, kommt lediglich ein „die waren gegen Nazis“, immerhin habe man das Thema schon oft genug durchgekaut, zweiter Weltkrieg, Nationalsozialisten, ein paar Leute waren dagegen, fertig. Doch Ben findet, dass dies bei der heutigen Entwicklung gefährliches Halbwissen sei, immerhin können Menschen auf den Straßen wieder den Hitlergruß zeigen, ohne, dass sie dafür mit ernsthaften Konsequenzen rechnen müssen. Eigentlich Themen, mit denen man sicher nur wenige Jugendliche ins Theater locken würde, doch verpackt in den Referatskontext, ist es eine Situation, die den Schülerinnen und Schülern, vor denen die Gruppe sich überwiegend präsentiert, bekannt vorkommen dürfte. Und in der Tat zeigen die Gespräche nach den Stücken, dass die Schüler (Zielgruppe 7.-10. Klasse) erschreckend wenig aus dem Geschichtsunterricht behalten haben: „Meist rezitieren sie nur die Aussagen unserer Charaktere“, sagt Julia Knorst während des Publikumsgesprächs.

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Anne Katharina Müller und Marcel Langer (Bild: privat)

Doch nicht nur das Geschichtliche, auch der Umgang mit den sozialen Medien wird hervorgehoben. Lara ist in Jonas, einen Schulkameraden, verknallt, der würde sich mit ihr Treffen, doch plötzlich kommen ihr Zweifel, denn Jonas hat sie noch nie wirklich im richtigen Leben gesehen, sie kennen sich nur über die Bilder von Instagram. „Hoffentlich findet der mich in real auch hübsch.“, überlegt Lara. Am Ende fühlt sich Lara auch von ihrer besten Freundin verraten und gibt kurzerhand Bens Geheimnis in der Klassengruppe bekannt, dies führt zu einem Shitstorm, aus dem Off ertönen massig Stimmen, die Bens Geheimnis verurteilen und Marie direkt mit reinziehen. Es werden Dinge gesagt, die man sich wohl so, wenn man sich im richtigen Leben gegenübersteht, nicht an den Kopf werfen würde. Allerdings macht es der Deckmantel der sozialen Medien einfach, auf den Shitstorm-Zug aufzuspringen, am Ende sind alle anderen ja genauso schuld, wie man selbst. „Wie bilde ich mir eine Meinung im Zeitalter der sozialen Medien?“, das sollte eine der zentralen Fragen sein, die im Stück behandelt werden, so die drei Schauspieler. Nicht einfach, wenn einem an jeder Ecke die perfekte Welt vorgegaukelt wird, oder man mit Videos konfrontiert wird, die klar Stimmung gegen bestimmte Gruppierungen machen.

Am Ende sind es knappe 50 Minuten, die auch Erwachsene an diesem Abend zum Nachdenken anregen. Im anschließenden Gespräch kommt aus dem Saal die Frage: „Ist das Realität, was ihr da zeigt oder habt ihr es bewusst übertrieben?“. Leider ist es Realität. Die Gruppe stellt regelmäßig auch einfache Fragen nach den Aufführungen, beispielsweise wer wie viel Zeit am Tag vor dem Bildschirm verbringt. In den letzten Jahren ist die Zahl auf rund acht Stunden täglich angestiegen. Dennoch will Comic On! die sozialen Medien nicht verteufeln. Es geht darum den feinen Unterschied zu erkennen, ob man jedes Video direkt ernst nehmen muss, ob es notwendig ist etwaige Konflikte online auszutragen oder ob man sich nicht viel besser mal wieder im richtigen Leben mit seinen Freunden trifft, quatscht, rumalbert und eine gute Zeit hat. Die sozialen Medien sollten das sein, wofür sie einmal gedacht waren: sie sollen uns verbinden, zum Diskutieren anregen, sodass wir Momente (und zwar ganz ohne Filter und ohne Zwang, sondern, weil wir das gerne möchten, nicht weil wir sonst Likes verlieren!) teilen können.

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Marcel Langer, Julia Knorst und Anne Katharina Müller (Bild: privat)

Und so zeigt uns Comic On! wieder einmal, was es bedeutet Präventionstheater zu machen. Dass man damit nicht alle erreicht, ist auch den Schauspielern klar, doch wenn Jugendliche bereits zu ihnen kommen und sie darauf ansprechen, dass sie schon mal an der Schule waren, oder wenn es nur ein paar Jugendliche zum Umdenken bewegt, ist das Ziel der Gruppe schon erreicht. Prävention ist wichtig und dass diese auch im Theater vermittelt werden kann, zeigt Comic On! regelmäßig. Damals trafen wir auch den Gründer und Leiter Franz Zöhren, der uns die Arbeitsweise und die Wichtigkeit solcher Stücke erklärte. Den Text hierzu gibt es nach wie vor hier in unserem Blog zu lesen.

Ein spannender Abend, von dem wir festhalten, dass dieses Stück an die Schulen gehört! Es ist aktuell und verpackt unterschiedliche Themen in einem jugendfreundlichen Kontext. Es regt zum Diskutieren an und hält der Jugend (und sicherlich auch manchem Erwachsenen!) den Spiegel vor.

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