„Gefickt wird hier nur freiwillig“ – Die Textil-Trilogie ist die diesjährige Diplominszenierung der Theaterakademie Köln

Beitragsbild: Patric Prager
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)

Irgendwo in der Prüfungsordnung der Theaterakademie Köln steht geschrieben, dass die Bühnenreifeprüfung am Ende des Schauspielstudiums „mindestens aus der Diplominszenierung, drei Monologen, einem Lied, einer schriftlichen und mündlichen Prüfung im Fachbereich Sprechen, sowie einer Choreografie in Bewegung“ besteht. Zweifelsohne, bevor man sich ausgebildete/r (!) Schauspieler/in nennen darf, muss man so einiges vorlegen. Ferner steht da in der Prüfungsordnung, dass die Diplominszenierung gleich vierfach gewichtet wird. Das Theaterstück, das der Abschlussjahrgang dann mit einem Dozenten oder einer Dozentin seiner Wahl inszeniert und auf die Bühne bringt, sollte bei dieser schweren Gewichtung also ein theatrales Feuerwerk abfackeln.

Das diesjährige Abschlusssemester, ganz übersichtlich lediglich bestehend aus den drei Studierenden Tatiana Feldmann, Noelle Fleckenstein und Franziska Schmid, hat sich mit seiner Regisseurin und Dozentin Ragna Kirck für Volker Schmidts Die Textil-Trilogie entschieden und daraus einen dynamischen Abend gemacht, und zwar auf beiden Seiten der vierten Wand.

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Foto: Patric Prager

In seinem dystopischen Werk dreht Volker Schmidt die sogenannte erste Welt mit der sogenannten dritten einfach herum. Europäer und Europäerinnen arbeiten für einen Hungerlohn in Billigfabriken und Sweatshops, produzieren Kleidung für die reichen Industrienationen, die sich nun im mittleren und fernen Osten befinden. Auch die drei Protagonistinnen Liesl, Kathi und Hanni arbeiten tagein, tagaus, wochenends und feiertags zu menschenunwürdigen Bedingungen und nähen Kleidung ohne dafür richtig entlohnt zu werden. Eines Tages beschließen sie für sich den Aufstand, wollen raus aus dieser Welt, brechen auf und starten ihre Flucht in einen reichen Industriestaat, gehen dabei durch Prostitution und sogar über Leichen.

Niemand wird widersprechen, wenn wir behaupten, das Ensemble hat sich hier ein Thema ausgesucht, das an Relevanz und Aktualität kaum zu überbieten ist und dennoch von uns, die in dieser Realität im reichen Industrieland leben, gerne einmal unter den Teppich gekehrt wird. Und doch, dies ist nicht zu leugnen, besitzt sicherlich jeder von uns mindestens ein Kleidungsstück, an dem, mit Blick auf die niedrigen Sicherheitsstandards in solchen Fabriken und den immer wieder schockierenden Nachrichten von Unfällen und Bränden, im übertragenen Sinne Blut klebt.

Doch wie gelang es Kirck mit ihren drei Darstellerinnen nun, dem Zuschauer durch ihre Inszenierung genau diese Erkenntnis (wieder) ins Gewissen zu rufen? Durch Dynamik und Humor! Wie kann das passen?

Zuerst einmal ist Die Textil-Trilogie wirklich das, was der Titel ganz offen verrät: Eine Trilogie, die Erzählung um die drei renitenten Näherinnen ist in drei Teile geteilt, die, getrennt von jeweils zwei 15-minütigen Umbaupausen, separiert aufgeführt werden und somit einen knapp dreistündigen Theaterabend generierten. Diese Herangehensweise führte bei einigen Bewegungsmuffeln zu Gemoser, wurden sie doch am Abend gleich zweimal aus dem Raum gebeten und ja, die Kritik ist berechtigt, dass diese Umbaupausen den Zuschauer auch irgendwie immer herausreißen aus dem Gesehenen. Da die drei Stückteile allerdings eine angenehm moderate Länge aufweisen, nach der man sich gerne einmal kurz die Beine vertritt und auch weiterhin inszenatorisch geschlossen für sich stehen können, jeder Teil ein ganz neues Setting, neue Bilder und neue Kostüme aufweist, ist dieser Ansatz durchaus zu verzeihen.

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Foto: Patric Prager

Spielerisch verlangt die Inszenierung eine Menge von Feldmann, Fleckenstein und Schmid ab, muss sie doch als Abschlussprüfung alles abdecken, was die Schauspielschülerinnen in ihren acht Semestern Ausbildung gelernt haben: Tanz, Choreographie, Gesang, Kameraarbeit, Sprechen, Körperbeherrschung und natürlich Schauspiel. Und Regisseurin Kirck bietet ihren Schülerinnen, ach was, Kolleginnen eine ganze Bandbreite an Möglichkeiten, ihr Bühnenpotenzial zu erbringen. Generell legt diese Inszenierung ihren Schwerpunkt eher auf das Visuelle und Dynamische. Zwar sind Schmidts Texte bahnbrechend gut, auch durchweg von den Schauspielerinnen kongenial gesprochen, doch erfreuen wir Zuschauer uns noch ein bisschen mehr der Bewegungen, ihrer Körperlichkeiten und der Kostüme, die wirklich sehr passend ausgearbeitet sind. Tragen die Schauspielerinnen im ersten Teil den Namen der Rollen entsprechend plakativ-deutsche Dirndl, verschmelzen sie im zweiten Teil mithilfe von Gaffa-Tape zu einem stimmigen Konglomerat aus Stoff-Hängebrüsten, Tangas, aufblasbaren Maschinengewehren und einer männlichen Sexpuppe (dieses Bild überlassen wir nun auch unkommentiert der Imagination des Lesers), um dann im dritten Teil auf einem Podest stehend, gänzlich und bis zum Boden in weißen Stoff gehüllt, dem Zuschauer von Oben herab das Ende der Geschichte zu erzählen. Diese, sofern wir sie als Statuen richtig interpretieren, sind unser persönliches Highlight. Nahezu durchgehend chorisch sprechen Feldmann, Fleckenstein und Schmid hier und führen das Narrativ um Liesl, Kathi und Hanni zu Ende. Nicht nur begeistern die drei Schauspielerinnen durch nahezu perfekte Aussprache, Pausensetzung und Sprechdynamik, sie schaffen es auch lediglich durch Mimik und die Bewegung ihrer Oberkörper (auch die Arme sind unter dem Stoff) ihr Sprechen stimmig zu untermalen und sind einfach so synchron und weisen ein solch präzises Timing auf, dass wir ihnen sogar durchaus noch länger hätten zuhören können.

Den Schauspielerinnen gelingt es, tatsächlich durch ihr Auftreten und ihr Spiel jedem der drei Teile etwas ganz Eigenes zu geben, jeder Teil sieht nicht nur optisch anders aus, er fühlt sich auch, man mag uns die spirituelle Beschreibung verzeihen, irgendwie anders an. Sehr energetisch füllen sie ihre Rollen aus und bringen somit viel Dynamik ins Spiel, sodass uns als Zuschauern trotz des vielen Texts ausreichend Interpretationsspielraum geboten wird. Zwar ziehen sich ihre Rollen durch alle drei Teile, doch brechen sie im Laufe der Inszenierung immer weiter auf, aber auch zusammen, und bieten den Schauspielerinnen jeweils eine große Spielfläche, diese Rollen auszufeilen.

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Foto: Patric Prager

Zudem dröhnt Helene Fischers „Atemlos“ die Qual der Arbeitsbedingungen in den Sweatshops widerspiegelnd aus den Lautsprechern, es gibt Videoeinspieler, in denen auf die wirklich ekelhafteste Art und Weise Fisch gegessen wird, Dialogeinlagen, in denen zwei der drei Schauspielerinnen einem Zuschauer auf dem Schoß sitzen und auch Nacktheit spielt immer wieder eine Rolle.

Zweifelsohne will das Kollektiv provozieren und das ist auch gut so! Das Thema alleine muss schon provozieren, ist es doch so aktuell und wird doch so gern vom Wohlstand überschattet. Manchmal allerdings ist uns das Spiel nicht provokant genug. Manchmal fühlt es sich an, als sei das Schauspiel eingeschlossen in eine Blase auf der Bühne, so nah am Text, der zwar als Utopie das Thema bei weitem nicht verfehlt, aber uns dennoch manchmal nicht nah genug geht. Dieser Ansatz ist durchaus verständlich, das Ensemble hat Respekt vor seinem Publikum, will es vielleicht nicht belehren und damit verärgern. Aber ein Belehren und Verärgern geht vielleicht mit diesem Thema Hand in Hand einher: Wir lesen in der Zeitung Texte wie „Mehr als 100 Tote bei Feuer in Textilfabrik“ oder „Fabrikbrand in Pakistan – ‚Sie haben mit dem Leben für Kleidung von Kik gezahlt‘“ und rennen dann drei Wochen später doch wieder zu ebenjenen gerade noch angeschwärzten Textilunternehmen. Vielleicht vertreten wir hier eine Mindermeinung, aber mit dem moralischen Zeigefinger hätte man hierbei durchaus blind ins Publikum zeigen können und mit hoher Wahrscheinlichkeit stets jemanden getroffen, der oder die sich Gedanken machen sollte über das, was er oder sie am Körper trägt.

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Foto: Patric Prager

Vielleicht wollen Kirck und ihr Team innerhalb der Inszenierung aber auch einfach eine gesunde Distanz zu konkreten Vorfällen wahren und den Zuschauer mitnehmen auf die Reise von Liesl, Kathi und Hanni, die genug Gräuel erleben, dass das schlechte Gewissen auch ohne den oben genannten Zeigefinger durchaus bei jedem Zuschauer wachsen und gedeihen sollte. Es ist ja bei Weitem auch nicht die Aufgabe des Theaters, dem Zuschauer alles auf dem Silbertablett zu servieren, weshalb wir durchaus die Meinung verstehen, dass die Provokation der Inszenierung genau das richtige Maß hatte.

Doch was genau kann man denn nun tun, will man ruhigen Gewissens Kleidung tragen? In einem Radio-Interview empfehlen die Künstler, mehr Second-Hand zu kaufen, Kleidertausch-Partys zu veranstalten und beim Kleidungskauf auf Siegel wie das „Fairware-Foundation“-Siegel oder das „GOTS“-Siegel. Zudem unterstützen sie mit ihrer Inszenierung den FEMNET e.V., der sich ebenfalls für die Rechte von Frauen in der globalen Bekleidungsindustrie einsetzt.

Vermutlich muss man es nur wollen und eben nicht schnell wieder in die europäische Gelassenheit verfallen, die schnell für Scheuklappen sorgt und alles außerhalb unseres Wohlstands ausblendet. Und hierfür war die Inszenierung von Die Textil-Trilogie des diesjährigen Abschlussjahrgangs der Theaterakademie Köln mit Sicherheit die richtige Inszenierung, denn ihre Bilder und Eindrücke bleiben uns bestimmt noch länger im Hinterkopf.

Wir drücken Tatiana Feldman, Noelle Fleckenstein und Franziska Schmid für ihr Diplom ganz fest die Daumen, sind uns aber sicher, so wie sie abgeliefert haben, wird da eine mehr als zufriedenstellende Note auf dem Zeugnis stehen und wünschen ihnen jetzt schon einmal voller Zuversicht alles Gute!

Jeder, dessen Interesse wir hiermit wecken konnten, findet weitere Infos zum Stück, weitere Auftrittsdaten und die Möglichkeit zur Ticketreservierungen auf der Website des Theaters.

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