Titelbild: Collage aus zwei Fotos von Simon Hegenberg
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)
Der Mensch ist, so sagt man, ein Gewohnheitstier. Aus dieser Einstellung rühren solche netten Sprichworte wie „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ oder „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“ Wenn sich etwas Neues anbahnt, dann ist der Mensch generell erst einmal skeptisch und beäugt die Veränderung mit Misstrauen und Vorsicht.
Etwas, oder besser gesagt: jemand Neues bahnt sich nun auch im Rheinischen Landestheater Neuss an. Manch einer wird es bereits mitbekommen haben: zur kommenden Spielzeit wechselt die Intendanz. Grund genug für uns, los zu ziehen und im Namen aller Theatergänger des Rhein-Kreis Neuss und darüber hinaus herauszufinden, wer da bald im Chefsessel des Rheinischen Landestheaters sitzen und wen und auch was sie mitbringen wird.
Diese Woche trafen wir die designierte Intendantin des RLT, Caroline Stolz, gemeinsam mit Eva Veiders, ebenfalls neu im Haus und Leiterin neuen Bereichs „TheaterAktiv“, und sprachen mit den beiden über das neue Profil des RLT, die Wichtigkeit des Jugendtheaters, über Puppenspiel und das Neusser Schützenfest.
Dass am Neusser Theater frischer Wind weht, das bemerkt man bereits an seinem Außenauftritt. Hierbei zeigt sich, wie detailverliebt sich Stolz und ihr Team Gedanken machen über ihre neue Wirkungsstätte: „Optisch verabschieden wir uns von dem Rot, das Bettina Jahnke eingeführt hat und gehen wieder zurück auf weiß. Wir gehen in den Urzustand des Gebäudes“, verrät Caroline Stolz, die wir in ebenjenem Gebäude treffen, das für die Neusser mehr ist als „nur“ ein Theater. Das, was die älteren Semester noch unter dem Kaufhaus „Horten“ kennen, wurde im Jahr 1998 von den beiden Architekten Robert und Oliver Ingenhoven zu jenem Gebäude umgebaut, das nicht nur das Rheinische Landestheater selber, sondern auch die Kreisverwaltung, eine Ladenpassage, das Programmkino Hitch und gastronomische Angebote enthält und für die Neusser mittlerweile ein Wahrzeichen ihrer Stadt geworden ist.

Gemeinsam mit dem Typografen Johannes López Ayala und den Künstlerinnen Jennifer López Ayala und Simone Klerx der Agentur Studio Bronx entwickelte Stolz auch ein neues Theater-Logo, das auf den ersten Blick wirkt wie zwei tanzende Satzzeichen. Besonders der verspielte Ansatz der Künstler gefällt Stolz sehr gut. Natürlich erfordert ein solch ausgeklügeltes Konzept einen zweiten Blick, wie uns Stolz erklärt: „Das Logo ist zum einen inhaltlich zu verstehen. Es ist nicht nur ein Fragezeichen und ein Ausrufezeichen, es bildet in seiner Darstellung auch die beiden Buchstaben „R“ und „L“ für Rheinisches Landestheater.“ Zudem nennt sich die Aneinanderreihung dieser beiden Symbole „Interrobang“, man kennt ihn als Ausdruck der Verwunderung, des Erstaunens und des Fragenstellens.
Und genau dies ist die Annäherung, mit der Stolz ihre Zuschauer begrüßen will. Sie will Fragen stellen und das Publikum einladen, diese gemeinsam mit ihr und ihrem Team an Künstlerinne und Künstlern zu beantworten.
So werden sich in den kommenden fünf Spielzeiten die Spielzeitmottos in assoziative Fragen verwandeln, auf die auch jeder Zuschauer eine andere, eine eigene Antwort findet. Ihren Einstand feiert Stolz mir der Frage „Was ist Familie?“ für die Spielzeit 2019/2020 und verrät uns sogar die bereits feststehende Motto-Frage für die Spielzeit 2020/2021, da fragt man sich am Rheinischen Landestheater nämlich: „Wie schmeckt Gold?“.

Wir verstehen den Ansatz und sind sofort begeistert. Das Theater stellt die Fragen, gibt aber keine Antworten, es versucht, einen interaktiven Zugang zum Zuschauer zu finden, ihn zum Mitsuchen anzuregen, ihn emotional anzusprechen und ihm kein Dogma vorzugeben. Ob dem Zuschauer dieser Ansatz gefallen wird, weiß niemand. Auch Caroline Stolz und Eva Veiders sagen, sie sind gespannt auf die Reaktionen. „Immer wenn jemand Neues mit neuen Ideen kommt, steht erst einmal eine Bewährungsprobe an“, sagt Stolz. Hierzu ergänzt Veiders: „Es wird immer unterschiedliche Reaktionen auf Neues geben. Wenn wir alles so belassen würden, wie es ist, fänden die Leute es sicherlich auch falsch.“ Klar, die Schwierigkeit wird der schmale Grat zwischen der Etablierung von neuen Ideen und dem Beibehalten der alten Fundamente, die die Zuschauer nicht missen möchten: „Das Theater muss auch einen gewissen Spagat machen, da es zum einen das Stadttheater in Neuss ist und zum anderen Gasttheater in vielen anderen Städten. Dort gibt es natürlich auch Geschmäcker und diese sind vielleicht noch einmal ganz anders“, stellt Stolz klar. Wir sind uns allerdings sehr sicher: Das Repertoire, das sich das neue RLT-Team ausgedacht hat, wird wirklich für jeden Geschmack etwas Passendes aufweisen. Man hat versucht, eine schöne Mischung zu erstellen. Es wird Uraufführungen geben von Stücken, die noch nie gelaufen sind, manchmal etwas schwerere Kost, manchmal leicht Verdauliches. Einen genauen Überblick über die anstehende Spielzeit findet sich im Spielzeitheft, das bereits online einsehbar ist.
Hierfür besuchten Stolz und Veiders auch in den vorherigen Laufzeiten bereits Stücke am RLT. Schnell macht Stolz aber deutlich, dass es ihr nicht darum ging, die alten Muster aufzugreifen. Sie wollte eher Regiehandschriften studieren und sich die Arbeit der Schauspieler ansehen.

Besonders begeistert betrachten Stolz und Veiders die Arbeit, die im Kinder- und Jugendtheater am RLT geleistet wurde und loben damit auch das Engagement der aktuellen Theaterpädagogin Tanja Meurers, über die sich auf unserem Blog ebenfalls ein Porträt finden lässt und die das RLT mit Beginn der neuen Spielzeit leider verlassen wird. Eva Veiders wird mit ihrer Theaterpädagogik-Abteilung auf dieser Arbeit aufbauen: „Hier ist etwas Tolles angefangen worden, was ich weiter mache und was ich mit den Kollegen zusammen größer machen will. Besonders die Vernetzung ist mir wichtig“, erklärt Veiders. Vernetzung, da sprechen auch wir aus Erfahrung, ist das Alpha und das Omega der Jugendtheaterarbeit.
Im Rahmen des „TheaterAktiv“ bietet Veiders gemeinsam mit ihrer Kollegin Katja König zahlreiche Aktivitäten an. Von den altbewährten Theaterkindern, über einen Jugendclub für Spieler von dreizehn bis 19 Jahren, Workshops zu Tanz, Stimme und Bühnenkampf, wird es viele Möglichkeiten geben, als Kind oder Jugendlicher Theater aktiv zu erleben. Auch die Etablierung von Partnerschaften mit Schulen oder Kindergärten, die sich die RLT-Stücke sowie theaterpädagogische Begleitung, Vor- und Nachbereitung in die heimische Aula oder Turnhalle holen können, steht, wie auch schon in der Vergangenheit, wieder stark im Mittelpunkt.
Und dann sagt Eva Veiders etwas, das in unseren Ohren klingt wie Musik: „Für mich ist es wichtig, den Kindern und Jugendlichen Angebote zu geben, selber etwas zu machen. Das ist das, was Spaß macht und was einen wirklich mit Theater verbindet. Ich finde, dass man eine gewisse Verantwortung hat. Man muss die Menschen mit ihren eigenen Gedanken bekannt machen, denn genau das passiert, wenn man als junger Mensch Theater spielt. Man steht auf der Bühne, mit seinem Körper, seiner Stimme und seiner Seele und man muss sich überwinden.“ Wir freuen uns über diese Ansicht. Veiders will die Jugendlichen ihre eigenen Geschichten erzählen, ihre eigene Stimme erheben lassen und ihnen nicht, so wie viele Jugendtheatermacher das leider immer noch tun, ein vorgefertigtes Stück zum Einstudieren vorsetzen.

Dabei darf Jugendtheater auch politisch sein. Sollte es sogar. Wie überrascht hat die Gesellschaft reagiert auf #FridaysForFuture oder jugendliche Proteste auf die Urheberrechtsreform der EU. Die junge Generation sitzt also nicht nur vorm Computer oder hängt am Smartphone. Diesen Spirit will Veiders auch aufnehmen: „Jugendtheater darf total politisch sein. Alles, was kontrovers diskutiert wird, ist gut für das Theater. Man arbeitet sich an sowas auch ab. Und wenn man inhaltlich etwas ganz falsch findet oder ganz richtig, da verbinden sich auch Emotionen und Intellekt und mit dem Theater kann man sich auf diese Art mit all diesen Themen auseinandersetzen. Theater als kommunikatives Kunstmedium funktioniert nur, wenn Leute Dinge sehen, erleben, fühlen und das dann gut oder auch schlecht finden. Theater muss etwas anregen.“
Auch zur Rezeption von Theater vertreten Stolz und Veiders eine klare Meinung, nämlich die, dass man seine Meinung vertreten soll: „Wir wollen definitiv anregen. Ich finde es nicht schlimm, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Theater, das sind Dinge, die aus einer fiktiven Welt kommen. Denk-, Lebens- oder Traummodelle, über die man sich austauschen kann. Das ist ja das Tolle am Theater, es ist eine Versuchsanordnung parallel zur Realität.“ Sehr zitierfähige Worte! Konkret soll das heißen, dass Veiders den Theaterzuschauern den Mut zusprechen möchte, einfach mal, getreu dem Motto „Das Publikum hat immer Recht“ seine eigene Meinung nicht von anderen beeinflussen zu lassen und nicht in Schwarz-Weiß-Kategorien zu denken: „Ich erlebe es oft, besonders in Gesprächen mit Kindern und Jugendlichen, dass sie glauben, sie sagen etwas Falsches, wenn sie ihre Meinung zu dem, was sie gerade erlebt haben, wirklich kundtun.“ Oft sind die jungen Theaterzuschauer (die alten manchmal auch!) noch geprägt vom mathematischen Ansatz, dass etwas entweder falsch oder richtig ist. „Es gibt noch immer eine seltsame Vorstellung davon, wie der Regisseur wohl etwas gemeint haben könnte“, was Eva Veiders „grundfalsch“ findet: „Die Idee von Theater ist, dass man ganz emotional Sachen blöd finden oder sich langweilen und diese Emotionen auch nach außen vertreten darf.“ Deshalb findet Veiders es wichtig, junge Leute zu ermutigen, Lust auf Diskussionen zu haben und die Hemmungen, zu sagen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, abzulegen.
All dies soll auch im Fokus des YourStage-Festivals stehen, das diese Woche beginnt und bereits für das kommende Jahr bestätigt ist. Eva Veiders sieht im YourStage eine große Möglichkeit des Austauschs der jungen Theaterschaffenden. Wichtig für sie ist besonders, dass es sich beim Festival nicht um eine Leistungsschau handelt. „Es geht um Begegnungen, es geht um Vielfalt und darum, sich möglicherweise auch bei den anderen Gruppen zu inspirieren.“ Wenn es nach Veiders geht, soll das YourStage auch noch lange Bestand haben und noch weiter ausgebaut werden. Auch Caroline Stolz ist sehr angetan von den Schultheatertagen in Neuss. Dennoch betrachten die beiden Frauen die Entwicklung realistisch: „Ich weiß, dass Tanja Meurers sehr viel dafür getan hat, dass das Festival stattfinden kann. Ich kann mir auch vorstellen, dass man auf lange Sicht inhaltliche Schwerpunkte verschieben und das Festival noch vergrößern kann. Da ich aber auch weiß, dass es sehr viel Arbeitsaufwand gekostet hat, dass es in dieser Form aktuell stattfindet, bleibe ich erst einmal realistisch. Man muss sehen, inwiefern die Leute mit dem Festival erreicht werden und ein Gefühl für die Menschen entwickeln. Na klar soll das größer und toller werden. Ich kann nur nicht sagen, wie schnell das geht.“ Auch von unserer Seite aus können wir das Festival nur begeistert bewerben. Zwischen Donnerstag, 13.06. und Samstag, 15.06.2019 bekommen sehr ansehnliche Schülertheaterproduktionen die Möglichkeit, sich auf den Profibühnen des RLT dem Publikum zu zeigen. Interessenten können auf der Website des Festivals ihre Karten reservieren.
Was uns bereits in der Neusser Produktion von Kalif Storch sehr begeistert hat ist das Puppentheater, das unter Caroline Stolz einen viel größeren Zugang auf die RLT-Bühnen bekommen soll. „Ich erfülle mir einen Kindheitstraum. Ich finde Puppentheater wahnsinnig faszinierend. Ich staune darüber, wie ein Puppenspieler es schafft, einen toten Gegenstand zum Leben zu erwecken. Das finde ich sehr poetisch.“ Stolz betont, dass es zu Beginn keine Stücke geben wird, die nur aus Puppenspiel bestehen, für sie macht es eher die Mischung: „Wir haben zwei Puppenspieler engagiert und zudem Regisseure, die in der Puppenspielregie geübt sind. Wir verbinden die Puppenelemente mit Schauspiel, was sich sicherlich wunderbar ergänzen wird.“
Dieser Ansatz verspricht wie so vieles, das wir in unserem Gespräch erfahren, eine enorme Experimentierfreudigkeit, die wir nur begrüßen. Hierzu zählt auch das Format „Wortlos“, das unter der Beteiligung der Bürgerbühne beispielsweise den italienischen Filmemacher Federico Fellini feiert. In nonverbalem Spiel sollen Laiendarsteller gemeinsam mit den Profis aus dem Neusser Ensemble auf der Bühne stehen. Caroline Stolz betont, dass es ihr wichtig ist, dass alle gemeinsam und gleichwertig auf der Bühne stehen und kommt ins Schwärmen: „Ich habe auch schon tolle Abende gesehen von Antonia Schirmeister, der Regisseurin von Fellini. Ein Traum (Premiere am 18. Januar 2020). Ihre Arbeit ist dominiert von einer poetischen Bildsprache. Es wird ein Pantomime mitspielen, die Puppenspieler sind dabei, man kann also auch hier wieder verschiedenste Elemente vereinen.“ Gerade Theater ohne Worte kann auf einer ganz anderen Ebene die Menschen vereinen, wie Eva Veiders erklärt: „Wir teilen die Überzeugung, dass es schön ist, für alle zu Leute Theater zu machen und ein Stück ohne Worte schließt noch mehr Leute ein. Es ist egal, wie gut man Deutsch kann oder ob man noch Kind ist.“
So kann man sich also sicher sein: Neuer Wind kommt auf jeden Fall ins Rheinische Landestheater. Frische Ideen und Ansätze, die vielleicht die Sehgewohnheiten des Neusser Publikums ein bisschen auf die Probe stellen, aber dadurch sicherlich auch für Neues und für Experimente öffnen werden. Wir sind uns da sehr sicher.
Und freuen sich die beiden auch auf das Schützenfest? Genau wissen sie es noch nicht, denn so ein wirklich großes Schützenfest wie das aus Neuss haben sie noch nicht miterlebt. Neugierig sind sie auf jeden Fall. Gespannt sind die beiden besonders darauf, beim Schützenbiwak, den das RLT traditionell, noch vor Spielzeiteröffnung, wieder veranstaltet, mit vielen Schützen und Theaterinteressierten ins Gespräch zu kommen.
Caroline Stolz gibt dem RLT nicht nur ein visuelles Makeover. Zum einen bringt sie tolle neue Ideen mit, die dem modernen Theater des 21. Jahrhunderts mehr als würdig sind, zum anderen läuft sie selbst keinen Konventionen hinterher, sondern betrachtet ihre Intendanz als Labor für viele spannende theatrale Experimente, auf die zu sehen wir uns jetzt bereits freuen! Hinzu kommt Eva Veiders, die ein ausgeprägtes Verständnis dafür hat, besonders aus theaterpädagogischer Sicht Kindern und Jugendlichen eine Stimme auf der Bühne zu verleihen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit können wir also sagen, dass die nächsten fünf Jahre am RLT definitiv tolles und spannendes Theater, eben für alle werden wird.
Wer die beiden sympathischen Frauen auch einmal kennen lernen möchte, dem sei das Theaterfest am Sonntag, 8. September 2019, ab 13 Uhr empfohlen, mit dem das Rheinische Landestheater in die neue Spielzeit startet. Hier wird sich sicherlich die eine oder andere Gelegenheit für einen spannenden Plausch ergeben. Wir jedenfalls werden da sein.
Für das Interview bedanken wir uns ganz recht herzlich und wünschen allen neu startenden Teammitgliedern, genauso natürlich wie den alten und etablierten Hasen, einen tollen Start in die Spielzeit 2019/2020 und Caroline Stolz spannende und inspirierende fünf Jahre Intendanz am Rheinischen Landestheater Neuss.
3 Gedanken zu “Theater ist für alle da – Die Neue RLT-Intendantin Caroline Stolz und Theaterpädagogin Eva Veiders im Porträt”