Zwei mündige Darsteller im Tecklenburger Idyll – Milica Jovanović und Thomas Borchert im Interview

Beitragsbild: Jan Frankl (Thomas Borchert) / Steffi Henn (Milica Jovanović)
Text: Marius Panitz (marius.panitz@the
aterwg.de)

In ihrem eigenen Stadtmarketing stellt sich Hamburg als Musicalhauptstadt Deutschlands dar. Dies mag, besonders mit Blick auf die in epischer Breite aufgezogenen Stage-Musical-Paläste an der Elbe und im Zentrum der Hansestadt vielleicht sogar stimmen. Doch jedes Jahr im Sommer macht eine knapp 9.000 Einwohner zählende, bei Osnabrück liegende idyllische Kleinstadt mit bezaubernd schönem mittelalterlichen Stadtkern dem großen Hamburg den Titel der deutschen Musicalhauptstadt streitig. Dann nämlich, wenn die Freilichtspiele Tecklenburg die Pforten ihrer Open-Air-Bühne öffnen und die 2.300 Sitzplätze wieder besetzt sind mit begeisterten Musiktheaterfans, die sich auf gleich drei Hochglanzstücke in jeder Saison freuen. Und gerade dieses kleinstädtliche Idyll ist es, was vielen anderen Theaterstädten Deutschlands fehlt. In einer Welt, in der sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, erlebt man Theater ganz anders und trifft abseits der Vorstellungen die Stars und Sternchen des Musiktheaters auf den Kopfsteinpflasterwegen der Altstadt und gibt sich mit ihnen die Klinke in die Hand.

Auch wir haben uns kürzlich nicht nur die aktuellen Musicalproduktionen Doktor Schiwago und Don Camillo & Peppone auf der Freilichtbühne angesehen, sondern uns auch mit zwei Hauptdarstellern ebenjener Stücke getroffen. Mit Milica Jovanović, die schon viele Jahre in Tecklenburg spielt und Thomas Borchert, der in diesem Jahr zum ersten Mal die Tecklenburger Bühnenbretter betrat, sprachen wir über den Zauber der Stadt, über die Besonderheiten der Freilichtbühne, über Rollenarbeit und darüber, was gute Regisseure ausmacht.

Milica studierte, wie der von uns bereits vorgestellte Victor Petersen, an der Bayerischen Theaterakademie August Everding, erlebte mit Rollen in Musicalklassikern wie My Fair Lady, Aida oder The Sound of Music schnell die Diversität dieses Genres, stand neben Mark Seibert in Schikaneder auf der Wiener Raimund-Bühne und spielt bereits seit 2009 immer wieder auf der Tecklenburger Freilichtbühne, unter anderem in Stücken wie Evita, Artus Excalibur oder Rebecca.

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Im wunderschönen Tecklenburg trafen wir Thomas und Milica zum Interview.

Thomas Borchert ist seit fast 30 Jahren im Musicalgeschäft und ist nicht nur ein Name, sondern eine Marke. Bereits während seiner Ausbildung stand er als Rum Tum Tugger im Erfolgsmusical Cats in Hamburg auf der Bühne. Schnell folgten darauf die Rollen, von denen jeder Musicaldarsteller träumt: Frank N. Furter in der Rocky Horror Show, das Phantom in Das Phantom der Oper oder Graf von Krolock aus Tanz der Vampire, um nur einige bezeichnende Charaktere zu nennen, die in ihrer Gänze aufzuzählen den Textrahmen sprengen wird.

Wenn man diese beiden Vollprofis, die gemeinsam fast 50 Jahre Bühnenerfahrung mitbringen, erlebt, dann denkt man im Traum nicht daran, dass sie noch aufgeregt sind. Im Interview aber belehrten sie uns schnell eines Besseren.

Bei Thomas sind es gerade die Premieren, die ihm eine Aufregung bereiten, die manchmal sogar über das klassische Lampenfieber hinausgeht: „Ich habe besonders bei Premieren unglaubliche Versagensängste. Viele Leute können sich das gar nicht vorstellen. Oft sagen die Menschen zu einem, sehr gut gemeint: ‚Ach, du brauchst doch nicht nervös zu sein’ – man hat dann Schwierigkeiten, diesen Menschen zu erklären, warum man das nicht abschalten kann, man weiß es auch selber nicht “. Selber versucht Thomas, sich diese Ängste durch die Erwartungen zu erklären, die er an sich und seine Arbeit hat. Wer ihn auf der Bühne erlebt, weiß, wovon er bei dieser Erwartungshaltung an sich selber spricht, Thomas ist nämlich ein Perfektionist in seiner Arbeit: „Es könnte daran liegen, dass man auch die Erwartungen an sich selbst immer höher schraubt“ mutmaßt er und fügt schnell die Situationen an, die ihn ganz besonders anspannen: „Wenn Familie und Freunde kommen oder Kollegen, auch dann habe ich eine Extra-Nervosität und möchte, dass diese Vorstellung ganz besonders gut wird. Dann aber macht man sich sehr schnell einen Strich durch die Rechnung, man ist verbissen und fängt an, sich über Kleinigkeiten auf der Bühne zu ärgern, die man normalerweise überspielen würde. Man steht neben sich und beginnt, sich beim Spielen selber zu kritisieren.“ Wenn die Premiere dann gelaufen ist und er durch lange Standing Ovations die Bestätigung bekommt, dass alles gut gelaufen ist, kann er die Stücke, die er spielt, auch wieder genießen, dann geht das Spiel für ihn richtig los, nämlich „wenn man nach der Premiere in den Spielfluss kommt und immer wieder neue schöne Momente im Stück findet. Das ist sowieso das Wichtigste, ganz neu ranzugehen an die Rolle und das Stück, alles neu zu sehen und neu zu erleben.“

Bei Milica ist dies nicht anders: „Ich bin immer nervös, bei jeder Rolle, weil jede Rolle eine neue Herausforderung ist und eine andere Schwierigkeit mitbringt, an der ich arbeite“. Nervosität ist also etwas ganz Normales. Und vielleicht ist es ja eher ungewöhnlich, wenn man vor einem Auftritt nicht nervös ist, denn dann ist man sogleich weniger fokussiert auf die Rolle und die Arbeit auf der Bühne. Diese Arbeit wird noch einmal besonders aufregend, wenn die Stücke, die Milica und Thomas spielen, nicht in einem überdachten Theater, sondern eben auf einer Freilichtbühne, so wie in Tecklenburg, gespielt werden. Das Theater unter freiem Himmel bringt viele neue Herausforderungen mit. „Eine Freilichtbühne ist natürlich etwas anderes, als ein festes Theater mit Wänden und einen Dach, wo alles immer gleich ist“, erzählt Milica uns. „Beispielsweise ist der Ton unterschiedlich. Wenn der Wind von hinten weht, kommt der Sound nicht mehr so gut bei uns an. Wir haben immer andere Gegebenheiten, die sehr vom Wetter abhängen.“ Doch nicht nur die Witterung, auch Mutter Natur, die die Freilichtbühne mit hochgewachsenen Sträuchern und Bäumen umgibt und ihr dadurch diese malerische Kulisse gibt, mischt sich so manches Mal in die Vorstellung ein: „Letztens hatte ich eine Wespe vor mir fliegen und konnte nicht den Mund öffnen. Das sind Situationen, die immer neu sind. Das macht es aber auch aufregend.“

Diese Umwelteinflüsse sind gerade bei Don Camillo & Peppone, wo es auf präzise gesetzte Pointen ankommt, damit die Gags funktionieren, ein entscheidender Faktor, wie Thomas erklärt: „Man muss immer mit dem Unvorhergesehenen rechnen. Das kann manchmal total toll und manchmal auch vernichtend sein. Gerade bei Don Camillo & Peppone, wo man auf die Pointen spricht oder singt, kann auch plötzlich ein Insekt eine Pointe versauen.“ Dass die Darsteller bei den Freilichtspielen in Tecklenburg nicht aus Zucker sein dürfen und manchmal auch bei strömendem Regen spielen, wie wir dies selbst vor zwei Jahren bei Shrek gesehen haben, ist hierbei selbstredend.

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„Die Leute [Tecklenburg] sind so lieb! Es gibt hier beispielsweise den Besitzer eines Obststandes, der mir oft Beeren schenkt, weil er uns Künstler*innen unterstützen will. Auch musste ich hier einmal zum Arzt und ich bin sofort drangekommen. Ich habe das Gefühl, dass man von dieser Stadt liebevoll aufgenommen wird und die Leute sich freuen, dass die Künstler*innen jetzt da sind.“ Foto: Steffi Henn

Doch nicht nur die Freilichtbühne, auch die Stadt Tecklenburg selber ist für die Künstler immer ein Highlight in ihrem Berufsleben, denn hier, um dies einmal spirituell auszudrücken, herrschen die positiven Energien! Die Bewohner der Stadt lieben die Freilichtbühne und ihre Künstler, Milica bemerkt das schon seit vielen Jahren: „Die Leute hier sind so lieb! Es gibt hier beispielsweise den Besitzer eines Obststandes, der mir oft Beeren schenkt, weil er uns Künstler*innen unterstützen will. Auch musste ich hier einmal zum Arzt und ich bin sofort drangekommen. Ich habe das Gefühl, dass man von dieser Stadt liebevoll aufgenommen wird und die Leute sich freuen, dass die Künstler*innen jetzt da sind.“ Auch Thomas, den es in diesem Jahr zum ersten Mal nach Tecklenburg zieht, spürte bei seiner Ankunft die Wärme der Stadt und ihrer Bewohner sofort: „Das Städtchen blüht auf, wenn die Festspiele kommen. Man fühlt sich als Künstler hier sehr wohl und willkommen. Ein Kollege hat mir erzählt, wie lieb die Vermieter sind, sie leihen ihm sogar ihr Auto. Es ist eine sehr schöne Atmosphäre und man ist wirklich gerne hier. Es wird einem leicht gemacht, sich hier wohlzufühlen und mit einer positiven Energie auf die Bühne zu gehen.“

Und diese positive Energie, die Thomas erwähnt, ist in Tecklenburg ein großartiger Austausch zwischen Darstellern und Besuchern der Freilichtspiele. „Man schickt etwas ins Publikum und es kommt in nahezu jeder Vorstellung mit einer großen, wunderbaren, warmen Welle zurück. Das ist das Schönste, was einem Schauspieler passieren kann. Und dann fängt man an, sich freizuspielen, das macht dann einen Mordsspaß.“

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„Man schickt etwas ins Publikum und es kommt in nahezu jeder Vorstellung mit einer großen, wunderbaren, warmen Welle zurück. Das ist das Schönste, was einem Schauspieler passieren kann. Und dann fängt man an, sich freizuspielen, das macht dann einen Mordsspaß.“ Foto: Conny Wenk

 Auch unter den Kollegen im Ensemble beobachten die beiden diese positiven Energien. „Es geht nicht nur darum, dass man eine bestimmte Rolle im Stück spielt, es geht darum, einen Sommer mit tollen Leuten und tollen Kollegen hier in Tecklenburg zu verbringen. Und diese Energie geht in die Produktion ein. Alle wollen, dass das Gesamte wieder eine tolle Show wird, alle erfreuen sich daran. Auch daran, wenn gerade bei jemand anderem auf der Bühne etwas besonders gut läuft. Du merkst richtig, dass alle das toll finden“, stellt Thomas fest und Milica bestätigt das schnell: „Wenn wir hinter der Bühne stehen und diese Welle des Lachens mitbekommen, trägt uns die Energie des Publikums mit in die nächste Szene, denn wir wissen, was die Kollegen da vorne machen, begeistert die Leute. Und so soll es sein. Es ist unser Stück.“ Einen großen Dank für diese enorme Harmonie innerhalb der Kollegen spricht Milica auch dem ersten Vorsitzenden der Freilichtspiele Tecklenburg, Radulf Beuleke, aus: „Er hat ein gutes Händchen, wie er das Ensemble wählt, man spürt einen großen Zusammenhalt und erlebt auch nie, dass Leute laut in der Gasse reden oder auf der Bühne privat werden. Wir nehmen das alle ernst. Das ist großartig!“

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„Es geht darum, einen Sommer mit tollen Leuten und tollen Kollegen hier in Tecklenburg zu verbringen. Und diese Energie geht in die Produktion ein. Alle wollen, dass das Gesamte wieder eine tolle Show wird, alle erfreuen sich daran. Auch daran, wenn gerade bei jemand anderem auf der Bühne etwas besonders gut läuft.“ Foto: Holger Bulk (Szene aus Don Camillo & Peppone)

Auch Eitelkeiten finden die Kollegen untereinander nicht. Jeder Darsteller ist sich seiner Aufgabe im Stück bewusst. Ob dies nun eine kleine Rolle ist oder eine große, das tut nichts zur Sache. Milica zitiert hier ein passendes Gleichnis, das sie von einem Schauspiellehrer mitgenommen hat: „Manche sind in der Geschichte des Stückes die großen Steine, manche die kleinen Hilfssteine, die die Zwischenräume ausfüllen. Manchmal ist man ein kleiner Hilfsstein, aber dennoch muss man die Aufgabe gut machen.“ Jede Figur, egal ob groß oder klein, erfüllt in einem Gesamtbild einen Zweck. Thomas ergänzt: „Manchmal ist man in einem Stück sogar ein großer und ein kleiner Stein“ und spricht sich sehr für dieses Bild aus, für ihn haben Schauspieler*innen, die nur die großen Steine spielen wollen, nichts auf der Bühne zu suchen, denn „Eitelkeit hat hier nichts verloren, sie macht alles kaputt.“

Bei so positiven Energien innerhalb des Ensembles, aber auch unter den Besuchern der Freilichtspiele sowie den Tecklenburgern selbst, macht es auch nichts aus, wenn die Probenphasen den Darstellern mehr abverlangen, als sie dies vielleicht von anderen Häusern kennen, Milica erklärt: „Dieses Jahr waren sie von den Freilichtspielen großzügig und hatten fünf Wochen pro Stück berechnet. Normalerweise waren es immer vier Wochen. Wir hatten nur den Sonntag nach der Premiere von Don Camillo & Peppone frei. Wir proben den ganzen Tag, von zehn bis eins, von drei bis sechs und von halb acht bis zehn Uhr. Manche von uns haben nebenbei noch Konzerte oder Auftritte, ich musste zum Beispiel nach Salzburg. Hierfür reist man dann nachts noch weiter und spielt und probt dort ebenfalls.“ Auch Thomas, der bei den Proben für Don Camillo & Peppone Tecklenburger Neuland betrat, war anfangs ein wenig überrascht: „Das sind ziemlich harte Bandagen, dass man hier keinen Tag frei hat. Das war mir vollkommen neu, ich wusste es vorher auch nicht. Als ich dann ganz naiv am ersten Probentag einen Kollegen nach dem freien Tag fragte, lachte der mich nur an und fragte: ‚Frei? – Hier ist kein Tag frei.’“ Teilweise spielen die Künstler in Tecklenburg in drei Stücken, die manchmal sogar parallel geprobt und dann gespielt werden. Doch am Ende der intensiven Probenzeit, wenn es in die Aufführungen geht und jede Vorstellung mit wohlverdientem, minutenlangem stehendem Applaus abschließt, weiß jeder einzelne Darsteller, dass sich die ganzen Mühen gelohnt haben.

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„Manche sind in der Geschichte des Stückes die großen Steine, manche die kleinen Hilfssteine, die die Zwischenräume ausfüllen. Manchmal ist man ein kleiner Hilfsstein, aber dennoch muss man die Aufgabe gut machen.“ Foto: Stephan Drewianka (Szene aus Doktor Schiwago)

Der künstlerische Prozess bei den Proben, die Erarbeitung der Rollen gemeinsam mit den Regisseuren, ist für beide Darsteller auch immer eine aufregende und bereichernde Arbeit. Beide sind sie voll des Lobes und betonen, dass die Freiheiten, die sie bei der Gestaltung der Rollen in Tecklenburg genießen, bei weitem nicht überall selbstverständlich sind. Thomas Borchert spricht bildlich von einem Korsett, das die Rollen tragen und das von den Regisseuren mal enger und mal weiter geschnürt wird und den Schauspielern und Schauspielerinnen dadurch die Möglichkeit gibt, die eigenen Ideen mal mehr und mal weniger in die Rolle einfließen zu lassen. Hierfür erinnert er sich an Arbeiten wie das Phantom der Oper, wo manchmal sogar jede einzelne Hand- oder Kopfbewegung choreografiert ist.

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Thomas Borchert als Graf von Krolock in Tanz der Vampire, Wien 2009, Foto: Brinkhoff/Mögenburg

Besonders prägend war für ihn die Arbeit mit Kultregisseur Roman Polański, 2003 zu Tanz der Vampire: „Er hat mir ganz viele Freiheiten gelassen und immer nur dann eingegriffen, wenn er der Meinung war, dass man das, was ich anbiete, verbessern kann. Das ist ja das Beste, was uns passieren kann. Total konstruktive Kritik! Er schaut, was der Schauspieler macht und perfektioniert es. Natürlich liegt darin auch eine gewisse Gefahr. Aber er ist darin so unfassbar gut, dass man ihm da vertrauen kann.“ Zu diesem Prozess bringt Thomas ein Beispiel aus Tanz der Vampire, das für viele Zuschauer sicherlich eine kleine unmerkliche Geste war, welche ihm in der Rollenentwicklung aber enorm geholfen hat: „Als Polański mir damals gezeigt hat, auf welche spezielle Art ich als Graf von Krolock die Visitenkarte von Professor Abronsius annehmen und anschauen soll [zwischen Zeige- und Mittelfinger und dann in schwingendem Bogen unter das Gesicht bringen und mit großer Mimik lesen]. Diese kleine andere Bewegung, die sich erst einmal eigenartig anfühlte, hat mir sehr geholfen für die gesamte Figur. Du kannst Rollen von innen nach außen erarbeiten, aber manchmal kann man auch sehr gut von außen nach innen arbeiten. Wenn du etwas mit deinem Körper machst, dann wird sich das auch auswirken.“ Diese Erkenntnis nutzt Thomas bei seinen weiteren Rollen. Auch der Rolle des Don Camillo konnte er hierdurch seine ganz persönliche Färbung geben: „Die Gangart einer Figur sagt sehr viel über sie aus. Mein Don Camillo zum Beispiel geht stark auswärts, mein Krolock hingegen scheint fast über die Bühne zu schweben. Und deshalb fand ich es damals sehr inspirierend, mit Polański an diesen Feinheiten zu arbeiten. Ich bin ein Fan von Regisseuren, die uns machen lassen und trotzdem wissen, was sie wollen.“

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„Du kannst Rollen von innen nach außen erarbeiten, aber manchmal kann man auch sehr gut von außen nach innen arbeiten. Wenn du etwas mit deinem Körper machst, dann wird sich das auch auswirken.“ Foto: Holger Bulk (Szene aus Don Camillo & Peppone)

Und diese Freiheit sieht man ganz deutlich in Thomas’ Don Camillo. Der wirkt unglaublich authentisch und ist wirklich seine Figur und die ist richtig lustig, was manchen Stückbesucher bei Thomas Borchert wundert, denn aus Musicals wie Tanz der Vampire, Der Graf von Monte Christo oder Mozart! verbindet man Thomas eher mit schwerer Dramatik, er selbst sieht das auch so und freut sich, in diesem einzigartigen Boulevardstück mal eine ganz andere Seite von sich zu zeigen: „Man findet so etwas wie Don Camillo und Peppone in der deutschen Musicallandschaft wirklich selten, ein Musical, in dem man so viel lachen kann. Eine so schöne komödiantische Herausforderung in einem Musical habe ich auch noch nie gehabt, da bin ich sehr dankbar, dass ich hier wirklich mein komödiantisches Talent in voller Breite zeigen, entfalten und weiterentwickeln darf. Darum geht es in jeder Vorstellung, die Pointen und Momente noch mehr zu schärfen, das Timing zu spüren, oder eine Körperlichkeit zu entwickeln, die ja schon fast in Richtung Slapstick geht.“

Milica und Thomas sind sehr dankbar für die Freiheiten, die ihnen ihre Regisseure bei der Arbeit lassen. Andreas Gergen, der bei Don Camillo und Peppone Regie führte und Ulrich Wiggers, Regisseur bei Doktor Schiwago. Gergen und Wiggers sind Theatermacher, die ihren Bühnenkünstlern mit viel Respekt begegnen und sie als mündige Darsteller ansehen. Thomas lobt sie sehr: „Es gibt Regisseure wie Ulrich Wiggers und Andreas Gergen, die lassen dir diese Freiheiten, die spüren dich und das, was du einbringen kannst und deshalb lassen sie dich auch viel machen. Das sind sehr intelligente Regisseure, die auch den Weg des Schauspielers selber kennen. Sie lassen dich selber forschen. Auch wenn sie sich wahnsinnig gut vorbereitet haben und ziemlich genau wissen, was sie im Endeffekt haben wollen, geben sie dir diese Freiheit, deinen Weg selber auszuloten, sodass eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe stattfinden kann.“

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Eine so schöne komödiantische Herausforderung in einem Musical [wie die Figur des Don Camillo] habe ich auch noch nie gehabt, da bin ich sehr dankbar, dass ich hier wirklich mein komödiantisches Talent in voller Breite zeigen, entfalten und weiterentwickeln darf.“ Foto: Stephan Drewianka (Szene aus Don Camillo & Peppone)

Auch Milica genießt die Arbeit, die sie mit den Tecklenburger Regisseuren erlebt, freut sich besonders immer über die Arbeit mit Ulrich Wiggers und Andreas Gergen, weil sie genau verstehen, was sie auf die Bühne bringen will: „Ich habe bereits vier mal mit Ulli und fünf mal mit Andreas zusammen gearbeitet und liebe diese Arbeit. Es ist ihnen wie mir sehr wichtig, die Frauenfiguren nicht eindimensional zu zeigen.“ Dies sieht man besonders an der Rolle, die Milica in Doktor Schiwago verkörpert. Lara, die Geliebte, mit der der verheiratete Protagonist Juri Schiwago eine Affäre beginnt, ist bereits in der Romanvorlage eine eigensinnige Frau, die Stärke beweist und sich selten vorschreiben lässt, was sie tut und damit ein für die Zeit des Beginns des 20. Jahrhundert sehr emanzipiertes Frauenbild verkörpert. Wiggers und Milica geben dieser Lara einen noch stärkeren Charakter, der sich manchmal gar autonomer anfühlt als der des Protagonisten Juri Schiwago selbst. „Ich finde auch die Begegnung zwischen Lara und Tonia [der Eherfrau Schiwagos] sehr stark, eben, dass, wenn zwei Frauen aufeinandertreffen, sie sich nicht gleich hassen und klischeehaft anzicken. Wir kommen auf gleicher Augenhöhe zusammen und verhandeln ein Thema und das finde ich sehr schön.“ Milica ist sehr begeistert, in Ulrich Wiggers einen Theatermacher gefunden zu haben, der die Rollen aus heutiger Zeit sieht: „Es ist ja die Vorlage und was du daraus machst, ist die Sache der Inszenierung und der Darsteller*innen. Ulrich und ich haben beispielsweise auch Der kleine Horrorladen zusammen gemacht. Die Rolle der Audrey wird meistens sehr dumm dargestellt und wir haben für uns gesetzt, dass sie nicht dumm ist sondern ungebildet. Und das ist ein Unterschied.“

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Ich finde auch die Begegnung zwischen Lara und Tonia [der Eherfrau Schiwagos] sehr stark, eben, dass, wenn zwei Frauen aufeinandertreffen, sie sich nicht gleich hassen und klischeehaft anzicken. Wir kommen auf gleicher Augenhöhe zusammen und verhandeln ein Thema und das finde ich sehr schön.“ Foto: Stefan Drewianka (Szene aus Doktor Schiwago)

Und gerade diese Herangehensweisen wünscht sich Milica viel häufiger, denn sie betont: „Wir sind mündige Menschen und ich sehe meine Aufgabe darin, meinen Mund aufzumachen und zu sagen, wenn ich finde, dass das Verhalten meiner Rolle nicht emanzipiert genug ist. Und das haben wir mit Andreas Gergen sehr schön bei Gina und Mariolino [ein verliebtes Pärchen, dessen Familien aber zerstritten sind, weshalb sie anfangs nicht heiraten können] gelöst. Mariolino hilft Gina am Anfang in einem Liebesduett über einen Stein und in der Szene später ist sie die treibende Kraft, die voran geht. Sie springt jetzt alleine über den Stein und ist die aktivere Figur im Duett, wenn die beiden sich umbringen wollen. Das sind so Kleinigkeiten, die vielleicht nicht direkt auffallen, aber unbewusst bemerkt man schon, dass man eben nicht eine Frau sieht, die dem Mann folgt, sondern diese Situation bewusst anders inszeniert ist. Dafür muss man aber auch wach sein als Darstellerin, dass man aufmerksam ist, wo man wieder in Klischees und Stereotype zurückfällt.“ Wir können Milica auf jeden Fall sowohl für Don Camillo und Peppone, als auch für Doktor Schiwago attestieren, dass sie sehr emanzipierte Rollen spielt und sich die intensive Arbeit mit beiden Regisseuren bezahlt gemacht hat.

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Wir sind mündige Menschen und ich sehe meine Aufgabe darin, meinen Mund aufzumachen und zu sagen, wenn ich finde, dass das Verhalten meiner Rolle nicht emanzipiert genug ist. […] Dafür muss man aber auch wach sein als Darstellerin, dass man aufmerksam ist, wo man wieder in Klischees und Stereotype zurückfällt. Foto: Holger Bulk, (Szene aus Don Camillo & Peppone)

Und so geht ein spannendes Interview mit vielen Einblicken in das Leben als Musicaldarsteller und die Arbeit in Tecklenburg zu Ende. Wir empfehlen definitiv den Besuch der Freilichtbühne, denn die dort gezeigten Stücke sind jedes Jahr ein Highlight. Die idyllische Stadt mit ihrem mittelalterlichen Stadtkern, dem Kurpark und dem Hexenpfad tut ihr Übriges, um bei diesem Musicalwochenende zudem so etwas wie ein Urlaubsgefühl aufkommen zu lassen.

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Milica Jovanović und Thomas Borchert für ihre Zeit und dieses wirklich sehr herzliche und inspirierende Gespräch, wünschen ihnen sowie all ihren Kollegen und Kolleginnen noch viele tolle Vorstellungen und hoffen, sie bald wieder auf der Musicalbühne, vielleicht sogar in Tecklenburg, wiederzusehen.


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