Und dann war da nur noch Nebel – Uraufführung von Richard Siegals „New Ocean“ am Schauspiel Köln

Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Beitragsbild: Thomas Schermer, mit: Jemima Rose Dean, Margarida de Abreu Neto, Claudia Ortiz Arraiza, Mason Manning, Andrea Mocciardini

Fasziniert. Dieses Wort trifft es bereits auf den Kopf, was wir da im Schauspiel Köln gesehen haben. Ballet of Difference nennt sich die Gruppe, rund um den Tänzer und künstlerischen Leiter Richard Siegal, die 2016 von ihm gegründet wurde. Ballett ist soweit klar, doch was genau soll „difference“ bedeuten? Auf der Homepage der Gruppe gibt es die Erklärung: Man versteht sich nicht als klassisches Ballett, sondern eher als Gegensatz dazu. Innerhalb der Gruppe sollen verschiedene Genotypen, Menschen, mit verschiedensten kulturellen Hintergründen, gemeinsam an einer Inszenierung mitwirken. Menschen, die auf höchstem Niveau tanzen. Und das bekamen wir bei der Uraufführung von „New Ocean“ zu sehen.

Das Interesse in Köln ist in jedem Fall groß: die Veranstaltung ist ausverkauft, gefördert wird das Projekt auch durch das Land NRW. Diverse Gäste aus Politik und Kultur sind vor Ort, der rote Teppich ist ausgerollt. Und das Publikum? Bunt gemischt! Von ganz jung bis ganz alt, erfahrenen Kennern, bis hin zu blutigen Neulingen, alle sind da und interessieren sich für den neuesten Clou des Schauspiel Köln, denn das Ballet of Difference soll zukünftig das feste Tanzensemble des Hauses sein.

New Ocean
Bild: Thomas Schermer, auf dem Bild: Gustavo Gomes, Andrea Mocciardini, Long Zou

Das Stück selbst ist inspiriert von Merce Cunningham, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Cunningham war ein US-Amerikanischer Choreograph und Tänzer, außerdem war er der Lebenspartner des Komponisten John Cage. Siegal setzt mit seinem Werk an der Arbeit Ocean von Cunningham an, die in Zusammenarbeit mit John Cage entstand, der jedoch während der Vorbereitungen 1992 verstarb. Doch versucht Richard Siegal weniger einen Nacfolger zu schaffen, als mehr eine eigene Kreation, auch mit Bezug auf die aktuellen Probleme des Klimawandels.

Wir verstehen zu wenig vom Ballett als dass wir es uns herausnehmen würden die Leistung der Tänzer im Detail zu besprechen. Dennoch hat uns die Darbietung aller Beteiligten fasziniert. Wir bekamen Bewegungsabläufe zu sehen, deren Umfang wir nicht in Gänze aufnehmen konnten. Zwar passierte nicht allzu viel und einige Abläufe haben sich immer wieder wiederholt, doch bekam man als Zuschauer immer neue Details zu sehen. Fokussiert wurde die Aufmerksamkeit besonders im ersten Teil, als fast komplett auf Musik verzichtet wurde. Lediglich einige dominante Töne erklangen immer wieder, die unserer Meinung nach neue Abschnitte markiert haben. Und obwohl aus unserer Erfahrung Musik und Tanz immer zusammengehören, haben wir sie erstaunlicherweise kein bisschen vermisst. Man hörte zum Teil nur den quietschenden Tanzboden, auf dem die Tänzer sich bewegten und im Saal herrschte gespannte Aufmerksamkeit, sodass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Wer auch schon einmal Gunther von Hagens Ausstellung Körperwelten besucht hat, wird hier Zeuge davon, wie die dargestellten Muskeln des Menschen in Aktion aussehen. Es wirkte wie in der Ausstellung, nur dass die Tänzer noch Haut hatten und im Gegensatz zu den Exponaten noch lebten. Ein großer Respekt für eine solche Disziplin, seinen Körper so präzise und eisern zu trainieren!

New Ocean
Bild: Thomas Schermer, auf dem Bild: Margarida de Abreu Neto, Mason Manning, Jemima Rose Dean

Im zweiten Teil wurde es dann deutlich dynamischer. Musik kam hinzu, die ebenfalls in Abschnitte unterteilt war. Auch das Spiel mit Licht und Schatten und dem Nebel wurde deutlich mehr. Und obwohl wir oft das Gefühlt hatten, dass jede Tänzerin und jeder Tänzer seinen ganz eigenen Bewegungsablauf hatten, kam es im zweiten Part immer wieder zu einem Zusammenspiel. Sei es, dass Elemente gemeinsam getanzt wurden oder jeder Einzelne ein Teil eines Gesamtbildes war, das einfach Wirkung erzeugte. Man fühlte sich als Zuschauer nach einer kurzen Eingewöhnungszeit schnell abgeholt und wurde Teil von etwas. Was genau, können wir nicht sagen, persönlich fühlten wir uns mitgenommen auf eine Reise, die bis zum Mond führte. Das was war wurde zerstört oder zerfressen und man besiedelt eine neue Welt. Am Ende wird die Reinheit der Bühne wieder hergestellt (alle Schatten verschwinden, die Ausleuchtung zeigt wieder einen glatten, weißen Tanzboden), doch der Schein trügt, denn noch während die Tänzer auf der Bühne sind beginnen viele Nebelmaschinen den gesamten Bühnenraum einzunebeln. Abschließend verschwindet auch der letzte Tänzer. Eine umfallende Wand sorgt dafür, dass ein starker Windstoß, und mit diesem eine riesige Nebelwolke, in das Publikum rollen. Ein Gänsehautmoment, der einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.

New Ocean
Bild: Thomas Schermer, auf dem Bild: Andrea Mocciardini, Mason Manning

Zu diesem Eindruck hat auch das Zusammenspiel zwischen Bühnenbild und Technik beigetragen. Im ersten Teil sieht man als Zuschauer einen Kreis in der Mitte, der mit Leuchtelementen ausgestattet ist. Die Bühne ist in Weiß gehalten: weißer Tanzboden, sowie weiße, herunterfahrbare, Wände. Dies hat den Vorteil, dass durch bestimmte Lichteinstellungen bestimmte Bereiche der Bühne gezielt angeleuchtet werden können. Dies passiert im ersten Part immer wieder, der Fokus rückt immer mehr auf den Mittelkreis, um dessen Bedeutung wir uns nicht sicher sind. Fakt ist in der Mitte dominiert irgendwann mehr ein blau als ein weiß, mit Blick auf die Thematik eventuell ein Hinweis auf die steigenden Meeresspiegel und die schmelzenden Gletscher und Polarkappen. Im zweiten Teil wurde der Kreis halbiert, stand auch nicht mehr so sehr im Fokus. Immer wieder wurde mit Nebel gespielt, der einerseits etwas Lebenseinhauchendes hatte, denn einige Tänzer erwachten aus dem Freeze, sobald neuer Nebel kam, andererseits schien er auch etwas Bedrohliches zu sein, eventuell eine Anspielung auf die Luftverschmutzung. Besonders schön anzusehen waren auch die Momente, in denen Ausleuchtung und Nebel so aufeinander abgestimmt waren, dass man nur noch die Silhouetten der Tänzer sah.

Am Ende bleibt der Eindruck von einem sehr spannenden und anregenden Abend. Stehende Ovationen und ein langer Applaus gaben Richard Siegal und seinem Team Recht in dem, was sie auf die Bühne gebracht haben. Wir für unseren Teil bereuen jedenfalls nicht Teil dieser Uraufführung gewesen zu sein und wünschen dem Ensemble für die weiteren Aufführungen, sowie für die weiteren Arbeiten am Schauspiel Köln viel Erfolg und gut gefüllte Ränge.

New Ocean
Bild: Thomas Schermer, auf dem Bild: Jemima Rose Dean, Andrea Mocciardini, Long Zou

Wer sich für Ballett oder Tanz im Allgemeinen und auch performative Ansätze interessiert, dem können wir diese Inszenierung nur ans Herz legen. Aus unserer Perspektive können wir sagen: Auch wenn man nicht viel Ahnung von der Tanztechnik hat und auch nicht immer zu hundert Prozent versteht, was vermittelt werden soll, so lohnt es sich offen an die Inszenierung heranzugehen und einfach mal zu schauen, was man beim Betrachten fühlt. Alle weiteren Infos und Termine gibt es auf der Website des Schauspiel Köln.


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