Hui! The Law of the Jungle – Das Dschungelbuch wieder durch Kinderaugen sehen

Beitragsbild: Lucie Jansch
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)

Kaum jemand, der, dank des Disney-Films, die Geschichte des Dschungelbuchs rund um das Menschenjunge Mowgli, von Wölfen im indischen Dschungel aufgezogen, befreundet mit Baloo dem Bär, verfeindet mit dem gefährlichen Tiger Shere Khan, nicht kennt. Dass der ursprüngliche Text, eine Geschichtensammlung, die Rudyard Kipling 1894 veröffentlichte, zu weitaus mehr inspirieren kann, als nur zu einem Zeichentrickfilm, auch das ist sicherlich kein Geheimnis. 

Und so begeisterte sich auch der amerikanische Bühnenvisionär Robert Wilson für den Stoff, den er für uns durch Kinderaugen betrachtet, nun auf die Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses gebracht hat.

„Ich halte mich an Baudelaire, der sagte: ‚Genie ist die willentlich zurückeroberte Kindheit.‘“

Dieses Zitat findet sich bereits auf dem Programmflyer zur Vorpremiere, die wir am  vergangenen Freitag besuchten. Wilson selbst richtet zu Beginn der Aufführung das Wort an das Publikum und äußert, nachdem er zum Einstieg ein paar Tierlaute machte, seine Freude darüber, dass unter den vielen Zuschauern auch viele Kinder sind und weist ausdrücklich darauf hin, dass während der Aufführung viel geklatscht und viel gelacht werden darf.

Robert Wilson
„Ich halte mich an Baudelaire, der sagte: ‚Genie ist die willentlich zurückeroberte Kindheit.‘“, Robert Wilson (Foto: Lucie Jansch)

Und diesen kindlichen Spirit bemerkt man sehr schnell. Erzählt wird die bekannte Geschichte um das Menschenjunge Mowgli, das bereits früh von seinen Eltern getrennt wird, unter den Tieren im Dschungel aufwächst und dort das Gesetz des Dschungels lernen und hieraus seine Vor- und Nachzüge im alltäglichen Leben unter allen anderen Tieren erkennen soll.

Nach der ebenfalls am Düsseldorfer Schauspielhaus noch immer jedes Mal stets ausverkauften Interpretation von ETA Hoffmanns Novelle Der Sandmann ist Das Dschungelbuch nun die zweite Inszenierung, die Wilson als Regisseur, Bühnen- und Lichtdesigner in Düsseldorf realisiert hat. Und ohne, dass diese Besprechung eine Vergleichsarbeit beider Bühnenarbeiten sein soll, bemerkt man doch schnell, dass die Grundlagen beider Stücke eine ganz andere Energie mitbringen.

Wo in Der Sandmann das Alptraumhafte und Düstere im Vordergrund steht, sind es bei Das Dschungelbuch die vielen bunten Dschungeltiere mit ihren verschiedenen Formen, Farben und Facetten. Was man Robert Wilson nachsagt, ist dass es gerade das Licht ist, das bei ihm im Vordergrund steht. Das verriet uns im Interview auch Schauspieler Christian Friedel, der den Nathanael in Der Sandmann spielt und dieser Ansatz setzt sich in Das Dschungelbuch fort. Neben der für Wilson klassischen Beleuchtung aus dem Hintergrund, die die Schauspieler*innen nur in ihren Silhouetten erscheinen lässt, sind es auch die punktuell auf Gesichter oder einzelne Ausschnitte der Bühne ausgerichteten Scheinwerfer, die um Zusammenhang mit der großen Gestik und Mimik der Schauspieler und der von den Boxen eingespielten Sounds ein großes Gesamtbild ergeben.

Das Dschungelbuch
Auf dem Bild: Georgios Tsivanoglou, Cennet Rüya Voß, Thomas Wittmann (Foto: Lucie Jansch)

Und auch das ist es wieder geworden: Wilson ist ein Regisseur, bei dem, wie bei kaum einem anderen, der Begriff Regiehandschrift so deutlich wird. Oder vielleicht könnten wir es bei ihm spezifiziert als Regiepinselstrich nennen, denn jede Szene wirkt wie ein einmaliges Gemälde. 

Man könnte dem Regisseur hierbei fehlende Innovationskraft vorwerfen, besonders Neues entwickelt er bei Das Dschungelbuch nicht, man erwischt sich hin und wieder bei dem Gedanken: „Das habe ich doch schon einmal gesehen“, doch ist es gerade das, was die Arbeit Wilsons ausmacht: Sein Pinselstrich. Es geht ja auch niemand zu einem Picasso-Bild und moniert, dass das eine ja ähnlich kubistisch aussieht wie das andere und deswegen langweilig ist.

Das Dschungelbuch
Auf dem Bild: Cennet Rüya Voß, Sebastian Tessenow (Foto: Lucie Jansch)

Bei Wilson stehen die Gefühle im Zentrum, die die Bilder und vor allem die Musik vermitteln. Bei Das Dschungelbuch fühlte sich hierfür das surrealistische Folk-Duo CocoRosie verantwortlich und kreierte für das Theaterstück, das bereits im April 2019 am Grand Théâtre du Luxembourg Weltpremiere feierte, die Musik, die noch weit nach dem Vorstellungsbesuch für Gute-Laune-Ohrwürmer sorge. 

Die Schauspieler des Düsseldorfer Ensembles performten von einer stilisierten Glanzleistung in die nächste und wurden von Wilson nicht nur in das rechte Licht, sondern von Jacques Reynaud ins rechte Kostüm gerückt. Teilweise unterstreichen nur simplifizierte Anzüge oder ein paar Tierohren die animalische Erscheinung, manchmal kommen Puppenspielelemente hinzu und ermöglichen somit ein buntes Gesamtbild an verschiedenen Formen und Farben des Dschungels. Keinen einzigen Charakter gab es, an dem wir uns nur irgendwie hätten satt sehen können. Besonders in Erinnerung blieb und Baloo (Georgios Tsivanoglou), der mit einem Konglomerat aus seiner kratzigen Blues-Stimme, der kuscheligen Knuffigkeit und zugleich warmen Herzlichkeit die Bühne füllte, Bagheera dessen Grazie und Eleganz durch das Schauspiel von André Kaczmarczyk einen ganz eigenen Anstrich bekam. Von Thomas Wittmanns Schlange Kaa hätten wir gerne noch viel mehr gesehen, denn hier kommt ein Schlangenkopf zum Einsatz, den Wittmann in der Hand trägt, der seine Rolle hierdurch visuell sehr eindrucksvoll ergänzt. Ron Iyamu und Judith Bohle verkörpern Akela und Raksha, die Wölfe, bei denen Mowgli aufwächst und bringen trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Wilson’schen Stilisierung eine wundervolle Herzlichkeit in diese beiden Rollen hinein. Ein Raunen geht durch das Publikum, als Tabea Bettin als Messua, Mowglis Mutter auftritt. Ihr Kostüm ist weiß und grau, ihr Gesicht fast regungslos, die Wangenknochen betont geschminkt, eine wahrhafte Verkörperung der Strapazen des Menschseins. Ergänzt wird das Enseble durch Felicia Chin-Malenskis Schakal Tebaqui und Takao Baba, der neben einem kurzen Auftritt als furzender Jäger, das Publikum durch akrobatische Tanzeinlagen als Affe begeistert. Erzählt wird uns die Geschichte von Hathi, dem indischen Elefanten, gespielt von Rosa Enskat, die bereits als Nathanaels Mutter in Der Sandmann das Publikum begeisterte durch ihr Schauspiel, ihren Gesang und auch ihr komödiantisches Talent, was sie allesamt bei Das Dschungelbuch weiterführte und sich hiermit gebührend in Wilsons Tableaux vivants einfügt. Sebastian Tessenow gibt uns einen Shere Khan, der da liegt auf seinem Divan wie ein Mafiaboss, der die Fäden zieht und den Dschungel kontrolliert und mit seinen langen Klauen allem und jedem mit einem Fingerstreichen das Leben nehmen kann und doch ist der böse Tiger, der keinen Hehl daraus macht, dass er das Menschenjunge Mowgli töten will, uns irgendwie stets ein gern gesehener Charakter. Das gilt natürlich auch für Mowgli selber. Dargestellt von Cennet Rüya Voß, die uns mit ihrem Spiel vom ersten Moment an verzaubert. Nachdem sie den jungen Mowgli überzogen kindlich naiv dem Publikum vorstellt, begeistert sie vor allem später durch ihren herzerwärmenden Gesang und zieht damit sofort die Sympathien der Zuschauer*innen auf sich. 

Die Rollenbeschreibungen sind sehr eindimensional, was vermutlich der Darstellung im Wilson’schen Theater geschuldet ist. Die Charaktere bewegen sich typischerweise in für sie festgelegten Körperlichkeiten und brechen aus diesen kaum heraus. Die für sie charakteristischen Bewegungsmuster wiederholen sich ständig und auch ihre Sprache ist von Wiederholungsmustern geprägt. Ein Kind aus dem Publikum merkte kritisch an: „Die sagen ja immer wieder das gleiche hintereinander“, und das hat das Kind richtig beobachtet. Auch die ständige Wiederholung von Sätzen in unterschiedlichen, sich, teilweise im Einklang mit Soundeffekten oder Musik befindlichen, Betonungen, ist ein für Wilson üblicher Inszenierungsansatz, denn für Wilson ist Sprache mehr der Klang im Raum, die sinnliche Wirkung des Textmaterials soll in den Vordergrund gerückt werden, die Sprache wird zum Musikstück, wodurch der Zuschauer eingeladen wird, den Klang zu genießen und nicht unbedingt den Worten zu folgen. 

Das Dschungelbuch
Auf dem Bild: Rosa Enskat (Foto: Lucie Jansch)

Und so holt sich das Düsseldorfer Schauspielhaus eine zweite Produktion von Robert Wilson ins Haus und wird auch hiermit die Zuschauer*innen wieder begeistern. Das Theater bewirbt Das Dschungelbuch als Stück für Erwachsene und Kinder ab acht Jahren und dem stimmen wir zu. Die Bildgewaltigkeit, das hervorragende Schauspiel und die verträumte und mitreißende Ohrwurm-Musik sind auf jeden Fall ein Spaß für die ganze Familie und laden zudem gestandene Erwachsene dazu ein, sich ebenfalls einfach mal wieder zu fühlen, wie Kinder. Robert Wilson will nicht unbedingt verstanden werden und kritisiert regelrecht die Interpretationskultur in der Kunst. Er appelliert mit seinen Arbeiten daran, einfach einmal die Bilder auf sich wirken zu lassen und eben nicht immer alles direkt verstehen zu müssen. Diesen kleinen Tipp beherzigend, wird auch jede Szene in Das Dschungelbuch wie ein Gang durch ein lebendiges Museum, das ein zweistündiges Bildfeuerwerk für den Besucher bereithält. Nichtsdestotrotz soll gesagt sein, dass es auch durchaus Theatergänger*innen gibt, die mit der Kunst von Robert Wilson, seiner Reduktionen, seiner Stilisierungen und Musikalisierungen von Text, nichts anfangen können. Wer sich also mit vorherigen Arbeiten des Regisseurs nicht anfreunden konnte und lieber auf textgewaltige Romanadaptionen abfährt, der wird auch mit Das Dschungelbuch nicht glücklich werden. 

Allen anderen raten wir einen dringenden Besuch des Stückes und auch allen Zweiflern geben wir mit: Geht hin, lasst Euch drauf ein und erobert Euch, so wie Robert Wilson das tut, Eure Kindheit willentlich zurück. Wer hierfür weitere Informationen benötigt, dem sei die Website des Theaters ans Herz gelegt.


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