Du hast’nen Prinzen in dir: In einem tiefen dunklen Wald am Rheinischen Landestheater

Titelfoto: Marco Piecuch/Pi-Pix
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de

Wenn die Rede von Kindertheater ist und ein Märchen auf dem Programm steht, dann ist dies meist schnell durchblickt. König, Königin, Prinzessin, Untier, Diener, manchmal noch ein sprechendes Pferd, eine Hexe und immer wieder gern gesehen: der Prinz, der alles, was auch aus der Reihe tanzen mag, mit Mut, Tapferkeit und leuchtend weißem Zahnpastalächeln wieder ins Gerade rückt. 

Kinderbuchautor Paul Maar, den man zumeist mit dem „Sams“ in Verbindung bringt, schrieb im Jahr 1999 das Kinderbuch In einem tiefen, dunklen Wald…, kehrte hiermit sämtliche Märchen-Stereotype um und erzählte eine mitreißende und herzerwärmende Geschichte, die nun Regisseur Dirk Schirdewahn vom Rheinischen Landestheater Neuss in die Hände gelangte und deren Bühnenfassung heute Nachmittag Premiere feierte. 

Alles beginnt mit Prinzessin Henriette-Rosalinde-Audora, die heiraten soll, aber unzufrieden einen Bewerber nach dem anderen abblitzen lässt. Da kommt ihr die Idee, sich von einem Untier im Wald entführen zu lassen. Ihre Eltern, der König und die Königin sollen als Belohnung für die Rettung ihrer Tochter dem sie rettenden Prinzen die Hälfte des Königreichs versprechen. So kommt es, dass sich die Prinzessin von einem Untier entführen lässt, das aber keine große Bedrohung für sie ist, da vorher durch eine List klargestellt wurde, dass es ein vegetarisches Ungeheuer ist. Und so macht Henriette-Rosalinde-Audora das Monster auch schnell zu ihrem Diener und bemerkt sein verwunschenes Geheimnis nicht. Eine weitere Prinzessin, Simplinella aus Kleinwinzlingen, deren Königreich so klein ist, dass sie noch nicht einmal ein eigenes Zimmer hat, will sich der Aufgabe stellen in der Hoffnung, dass sie die Hälfte des Königreichs bekommt. Da nur Prinzen hierfür auserkoren sind, verkleidet sie sich als ein solcher und lässt sich von Prinzessin Henriette-Rosalinde-Audoras Diener Lützel, der auf die Verkleidung hereinfällt, zum gefährlichen Untier führen. Als Simplinella auf das Untier trifft, stellt sich heraus, dass es ein verwunschener Prinz ist, der natürlich nur durch den Kuss einer richtigen Prinzessin wieder zurückverwandelt werden kann. Da Henriette-Rosalinde-Audora dieses Geheimnis in ihrer Bedienwut nicht bemerkt hat, küsst Simplimella das Untier. Hierfür muss sie ihre Tarnung aufgeben und sich als Prinzessin vorstellen. Das Untier verwandelt sich in einen Prinzen, der ihr danach sofort die Hochzeit anbietet, was Simplinella zu schnell geht, sie lehnt dankend ab, würde sich aber über ein Stückchen des Königreichs des Prinzen freuen, damit sie auch mal Besuch bekommen kann. Henriette-Rosalinde-Audora wirft ein Auge auf den soeben abgeblitzten Prinzen und ihr Diener Lützel findet in Simplinella eine Freundin und wer weiß, vielleicht auch noch mehr?

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Foto: Marco Piecuch/Pi-Pix; Auf dem Bild: Rouven Stöhr, Sarah Wissner, Laila Richter

Die Handlung beinhaltet also alles, was ein klassisches Kindermärchen benötigt,  verwebt dies mit einigen shakespearesken Verkleidungs- und Verwechslungselementen und bietet daher sicherlich viel Potenzial für eine besonders für Kinder unterhaltsame Theatervorstellung. Doch haben die Neusser dieses Potenzial auch genutzt?

Die Bühne stellt das Märchengeschehen nur in abstrakt-stilisierter und reduzierter Form dar. Nina Wronka zeigt hierbei ihr Auge für Reduktion gepaart mir logistisch pfiffigen Ideen. Wir sehen zwei große, dreieckige Aufsteller, auf denen angedeutete Landschaften, Berge, Wiesen, Täler gemalt sind. Diese Bühnenelemente beinhalten durch Türen verdeckte Innenräume, die bespielt werden, ein transparentes Fenster, das nur bei der richtigen Beleuchtung das Innere offenbart sowie Haltemöglichkeiten, durch die die Elemente auch von den Schauspielern*innen beklettert werden können. Rollen darunter ermöglichen ein Herumschieben und damit einen dynamisch wechselbaren Bühnenraum. Garniert wird dieser durch weitere dreieckige grüne Aufsteller, die symbolisch für den Wald stehen. 

Auch für die Kostüme der Darsteller*innen ist Nina Wronka verantwortlich. Wir sehen bunte Kostümierungen, die sich besonders in den Kopfbedeckungen der Monarchen ausdrücken, denn neben den farbenfrohen Kleidern, die die Darsteller über ihre neutralen weißen Grundkostüme ziehen, fallen die floral ausgeschmückten Hüte, die ein wenig an den Schwarzwälder Bollenhut erinnern, gesondert ins Auge. Auch das Kostüm des Untiers weckt Assoziationen und erinnert uns an slowenische Kurents, die mächtigen, zotteligen Schafspelz-Faschingsmonster, die im Februar in Ptuj, der ältesten Stadt Sloweniens, die Wintergeister mit Kuhglocken und rhythmischen Hüftschwüngen vertreiben. Visuell ist In einem tiefen, dunklen Wald… bereits ein absoluter Hingucker. 

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Foto: Marco Piecuch/Pi-Pix; Auf dem Bild: Laila Richter, Sarah Wissner

Bewegung kommt ins Spiel durch die vier Schauspieler*innen, die ob der vielen Rollen in Mehrfachbesetzungen auf der Bühne stehen. Neben Schafen, Heiratsbewerbern, König oder Königin, etablieren sich für die Darsteller*innen aber vier durchgehende Rollen. So sehen wir Sarah Wissner als Prinzessin Henriette-Rosalinde-Audora, Philippe Ledun als ihr Diener Lützel, Laila Richter als Prinzessin Simplinella und Rouven Stöhr im Kostüm des Untiers und später als Prinzen. Und Bewegung ist vermutlich das passende Wort, um die Darstellung zu beschreiben. Wie es sich für ein Kinderstück gehört, spielen die Schauspieler*innen mit großer Geste und Mimik, nehmen ihre Körper mit ins Sprechen und senden jede Äußerung nicht nur akustisch, sondern auch visuell bis in die letzte Reihe. Besonders begeistert Philippe Ledun. Wie es seine Kurzvita berichtet, verbrachte der Sohn eines französischen Clowns „einen Teil seiner Jugend im Zirkus und im Varieté-Theater und begann früh, sich mit Zauberei und Artistik zu beschäftigen“, was man in all seinen Darstellungen sieht. Auch Laila Richter erfreut uns mit ihrem lieblichen Verkleidespiel, für das wir uns hin und wieder noch den einen oder anderen augenzwinkernden Tritt gegen Geschlechterrollenstereotype mehr gewünscht hätten. Sarah Wissner gibt überzeugend die quirlige und verwöhnte Königstochter, die in ihrer Blase des Wohlstandes sogar noch das letzte Ungeheuer des Waldes zum Lakaien degradieren kann und Rouven Stöhr begeistert als Kurent-Untier durch seine Körperlichkeit, seine weltfremde Art, die Wünsche und Ängste des Untiers zu äußern und erzeugt dadurch ein Ungeheuer mit einem wohlig warmen Kern, das eigentlich weniger gruselig und mehr knuddelig wirkt.

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Foto: Marco Piecuch/Pi-Pix; Auf dem Bild: Laila Richter, Philippe Ledun

Als Theaterkritiker gehen wir immer sehr gerne in Vorstellungen von Kindertheaterstücken. Zum einen, weil auch wir große Fans sowohl der stets schönen Geschichten und ihrer Moral, als auch der übertrieben großen Spielweise der Darsteller*innen sind. Fürderhin können wir in Kindertheatervorstellungen immer ein wenig die Kritikerarbeit delegieren. Denn, das sagen wir immer wieder gerne, die ehrlichsten Theaterkritiker sind nunmal Kinder. Wenn ein Theaterstück Kinder nicht anspricht, werden sie unruhig, konzentrieren sich nicht mehr, langweilen sich, quengeln. Und dabei achten Kinder gar nicht so sehr auf all das, was den Erwachsenen auffällt. Sie interpretieren nicht jede Bewegung und überanalysieren nicht jede Aussage. Kinder begeistert eine solide Story und Charaktere, mit denen sie mitfühlen können. Und gerade das bietet In einem tiefen, dunklen Wald… den jungen (aber auch den älteren!) Zuschauern*innen zu Genüge. Bei der heutigen Premiere bemerkten wir, dass die Kinder von der ersten Minute an am Ball waren, sie hingen den Darstellern*innen an den Lippen und wären am liebsten selber auf die Bühne gesprungen, um Lützel und Simplinella vorm Schlafengehen vor dem bösen Untier zu warnen. So entstehen besonders drollige Momente, wenn die Kinder den Darstellen*innen auf der Bühne Hilfestellungen zu geben versuchen, sie beispielsweise dem Untier dabei helfen wollen, das richtige kirschrote Kleid aus dem Koffer der Prinzessin zu holen oder erfreut „Noch mal!“ schreien, wenn Lützel das Untier mit einem Koffer vermöbelt und die Darsteller*innen auf diese jungen Impulse sogar eingehen. 

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Foto: Marco Piecuch/Pi-Pix; Auf dem Bild: Rouven Stöhr, Sarah Wissner

Und so schließen auch wir uns dem Urteil der Kinder an: In einem tiefen, dunklen Wald … ist ein kurzweiliges Märchen, das im Rahmen ansehnlicher Kostüme und einem wundervoll reduzierten Bühnenbild in starker darstellerischer Dynamik aufgeführt wird und, obwohl ursprünglich bereits 1999 geschrieben, topaktuelle Fragen vertritt. Die Erkenntnis, dass auch eine Prinzessin Abenteuer erleben, mutig sein und Gutes tun kann, ist wahrhaftig auch 20 Jahre nach Veröffentlichung des Buches noch nicht in allen Köpfen angekommen. Daher ist es wichtig, dass viele Kinder (aber auch viele Erwachsene) sich einmal 70 Minuten Zeit nehmen und eine Vorstellung von In einem tiefen, dunklen Wald… besuchen sollten. Wir sprechen da jedenfalls eine klare Empfehlung aus. Weitere Infos zum Theaterstück, zu den Mitwirkenden oder zum Kauf der Tickets gibt es natürlich wie immer auf der Website des Theaters. 


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