Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Beitragsbild: v.l. Raphael Batzik (Bild: Boris Goroncy), Laura Tontsch (Bild: Intrige Magazin), Nick Julius Schuck (Bild: bystephangabriel)
Gut zwei Monate beschäftigt uns alle der Corona-Lockdown schon. Doch seit dem Lockdown hat es auch schon wieder Lockerungen gegeben, ganz langsam scheint das Alltagsleben überall wieder Fahrt aufzunehmen. Überall? Nicht ganz! Besonders die Menschen aus der Theater-, Film- und Kulturbranche müssen oft noch mit angezogener Handbremse agieren oder dürfen immer noch nicht arbeiten. Doch was geht im Moment und was nicht? Das wird der dritte Teil unserer Reihe heimgesucht zeigen.
In meiner persönlichen zweiten Runde an Interviews habe ich drei weitere, spannende Menschen auf einen virtuellen Kaffee getroffen: Nick Julius Schuck (Schauspieler, vielen sicher bekannt als „Hugo“ aus der erfolgreichen Serie „Club der roten Bänder“), Raphael Batzik (Schauspieler und Leiter des Theater Essen-Süd) und Laura Tontsch (angehende Regisseurin). Die Gespräche waren alle wieder einmal spannend, sehr fröhlich, aber der Ton wurde bereits deutlich nachdenklicher.

Natürlich war die erste Frage auch hier wieder: Wie geht es euch? Und obwohl einem der Lockdown und die Corona-Nachrichten langsam zu den Ohren rauskommen, ist die Antwort immer noch flächendeckend: „Gut!“. Laura, die an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) kurz vor ihrem Abschluss in Regie steht, gibt sogar offen zu: „Mir geht es gut! Punkt. Das sage ich immer, denn es geht mir gut. Man findet immer etwas zum Meckern, aber ich finde es wird so viel gemeckert in den letzten Wochen, teils auf sehr hohem Niveau.“ Raphael beschreibt seine letzten Tage eher so: „Es gibt Tage, da stehst du auf und willst viel machen, doch dann siehst du wieder die Nachrichten und man ist wieder demotiviert.“ Besonders bezieht Raphael dies auf die Öffnung der Theater, die ab 30. Mai in Aussicht gestellt wird. Im Theater Essen-Süd, welches Raphael und das Team gerade erst 2018 neu hergerichtet haben, da sie umgezogen sind, könnten normalerweise rund 50 Personen Platz nehmen, mit den Vorgaben, die ab 30. Mai gelten wären es noch maximal acht Personen. „Nach dem Umzug dachten wir das Existenzbangen ist rum, und jetzt sowas.“
Um die Existenz geht es bei Nick glücklicherweise noch nicht. Er hat seit gut einem Jahr sein Abitur in der Tasche und befand sich eigentlich gerade in einem Praktikum bei einer Produktionsfirma in Hamburg. „Ich habe die Lage lange unterschätzt.“, gibt Nick zu, doch als sein Praktikum in Hamburg abrupt endete und der Lockdown kam, da war ihm klar, das ist alles etwas größer als, er zunächst dachte. Kürzlich hatte Nick sogar wieder zwei Drehtage in Köln, allerdings war die Arbeit am Set für ihn mehr als ungewohnt: „Alle fünf Minuten kam jemand mit Desinfektionsmittel, wenn man nicht vor der Kamera stand und gedreht wurde, dann herrschte überall Maskenpflicht, sogar wenn Szenen angespielt wurden.“ Dennoch fühlte Nick sich sehr sicher und wohl und er hält die Maßnahmen für richtig, auch wenn sie gerade beim Anspielen der Szene etwas hinderlich sind, da man die Mimik des Spielpartners (wenn vorhanden) nicht erkennen kann. Mit solchen Jobs kann er sich wieder etwas dazuverdienen, um dann den großen Schritt Richtung Berlin zu wagen, allerdings schätzt er es sehr, dass er noch die Möglichkeit hat, bei seinen Eltern zu wohnen, denn ihm ist bewusst, dass viele Verpflichtungen, wie etwa Mietkosten, auch während der Corona-Krise keine Pause machen.

Doch alle können der aktuellen Situation auch etwas Positives abgewinnen. „Plötzlich sprechen alle über mein Master-Thema.“, lächelt Laura, denn schon lange vor Corona hat sie interessiert, wie man das Theater digitalisieren kann. Trotzdem sorgt es sie auch, denn der Input sei plötzlich so groß, dass sie gar nicht wisse, wie sie das alle verarbeiten solle. Zum Thema Streaming hat sie ebenfalls eine klare Meinung: „Warum ist eine solche Angst dahinter, dass das Theater am Stream zu Grunde geht?“, fragt sich die Studentin. Ihrer Ansicht nach sei es ein tolles Angebot, das man zukünftig auch anbieten solle, wenn auch nicht wie im aktuellen Umfang. Außerdem sei es jedem selbst überlassen, ob man das Theater von der heimischen Couch, oder lieber vor Ort schauen möchte. Raphael feilt mit seinem Kollegen sogar an neuen Ideen. „Schlauchboot-Theater“ heißt das neueste Projekt. Auf der Ruhr könne man an bestimmten Stellen schwimmen und das will sich Raphael zu Nutze machen, denn er möchte gemeinsam mit seinem Kollegen ausprobieren, wie man Theater in einem Schlauchboot spielen kann. Die Zuschauer sollen auf Brücken oder am Ufer stehen. „Auch das macht Corona mit mir, ich komme auf einige sehr verrückte Gedanken.“, lacht Raphael. Nick hatte endlich Gelegenheit, seine Klamotten zu sortieren und auszumisten. Außerdem genießt er es aktuell viel zu Hause zu sein. „Man kann sich nicht persönlich treffen, aber dennoch treffe ich Freunde online und wir spielen zum Beispiel Stadt-Land-Fluss zusammen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann wir in unserem Alter das letzte Mal abends Stadt-Land-Fluss gespielt haben.“, schmunzelt Nick. Allerdings ist Nick auch produktiv, er hat einige Ideen und möchte in Zukunft mehr als Produzent Fuß fassen. „Ich setze mich in den Garten und schreibe dann etwas.“, beschreibt uns Nick einen Teil seiner Freizeit. So könne er bereits vieles vorbereiten und planen, auch Drehs können vorbereitet werden.
Und dennoch werden die Sorgen nicht weniger, sondern eher mehr, je länger die aktuelle Situation anhält. „Füße hoch, Druck raus.“ war anfangs Raphaels Motto, das sei auch angenehm gewesen, doch nun merkt er, dass sich eine gewisse Bipolarität daraus entwickelt, denn immer öfters passiere es, dass man der Lage erst viel Gutes, dann auch viel Schlechtes abgewinne. Er selbst hat die Soforthilfe vom Land, in Höhe von 9.000€ erhalten, diese dürfen jedoch nur für betriebliche Zwecke genutzt werden, heißt Miete für das Theater, laufende Kosten oder Ähnliches. Dass das Theater dabei auch einen Teil seiner Einkünfte ausmacht, ist nicht relevant, denn die 9.000€ darf er nicht nutzen, um sich selbst zu versorgen. Freunde und Bekannte, die in ähnlichen Situationen sind, wurde sogar schon geraten, dass sie ihr Auto verkaufen oder ihre Lebensversicherung auflösen sollen. Für Raphael keine Option, denn damit nehme man sich nicht nur Flexibilität, sondern man mache sich auch die persönliche Absicherung und Vorsorge für die Zukunft kaputt. Laura freut sich zwar ihr Studium bald geschafft zu haben, doch die Herausforderungen mit denen sie konfrontiert wird sind nun deutlich andere: „Ich habe Angst nichts leisten zu können, da selbst die, die etabliert sind auf Jahre zu kämpfen haben.“, fasst Laura ihre Befürchtung zusammen, mit Blick auf die den deutlich geringeren Bedarf an Regisseuren in der momentanen Lage. Ehrliche Worte und Gedanken, die man nicht ignorieren sollte. Wir alle sind es sicherlich leid über die aktuelle Situation zu sprechen, doch die eigenen Ängste und Sorgen zu ignorieren kann und sollte nicht der richtige Weg sein. Zumal Laura im Moment noch darauf wartet, wie ihr letztes Semester aussehen wird. Dieses habe sie versucht von Kursen freizuhalten, doch die entfallenen Kurse müsse sie noch nachholen, das muss nun im Abschlusssemester erfolgen.

Raphael geht sogar noch einen Schritt weiter. „Im Süden nichts Neues?“ heißt der Podcast, den er gemeinsam mit seinen Theaterkolleginnen und -kollegen ins Leben gerufen hat. Denn ohne die Kultur wird es ganz plötzlich still, so heißt auch eine Folge des Podcasts „Ohne uns wird es still“, in welcher man nichts außer Geräuschen hört. Keine Kommentare, keine Lesung, keine Diskussion, kein Dia- oder Monolog. Ein, im wahrsten Sinne des Wortes, stiller Protest, der mehr Aufmerksamkeit auf die Kulturbranche lenken soll. Laura arbeitet nebenbei auch noch als Autorin für das Intrige-Magazin und kann sich auch dort etwas die Zeit vertreiben. Ihr bereitet das Schreiben für das Magazin viel Freude, auch wenn momentan nicht viel über Veranstaltungen berichtet werden kann. Doch widmet sich das Magazin gerade auch verstärkt dem Digitalen Theater, sodass Laura auch weiterhin viel Input von ihren Erfahrungen und ihrer Arbeit geben kann.
Die zweite Runde der Gespräche zeigt mir, dass man jetzt, einige Wochen weiter, schon etwas besorgter ist. Und dennoch wurde mir in allen drei Gesprächen auch klar: Ängste und Sorgen sind normal, doch man darf sich nicht überrennen lassen. Auch, wenn es erst einmal nur eingeschränkt weitergeht, es geht weiter! Und das sollte die deutliche Message sein. Plötzlich ist es auch nicht mehr seltsam, wenn Leute einen anschreiben und nach einem Video-Chat fragen, stelle ich gemeinsam mit Laura fest. Es ist ein bisschen zur neuen Normalität geworden, was auch Vorteile hat, denn so kann man auch über größere Distanzen miteinander kommunizieren und sich vernetzen.
Wir sind in jedem Fall selbst gespannt, wie die Entwicklungen in den nächsten Wochen das Tagesgeschäft in der Theater- und Schauspielbranche beeinflussen wird. Und auch,wenn die Auflagen hoch sind: sollten die Theater sich dazu entscheiden, wieder zu öffnen, dann sollte dies von den Zuschauern gefördert werden. Auch wenn die Atmosphäre eine andere ist, aber vielleicht macht gerade diese Atmosphäre den Besuch zu etwas Besonderem, denn die Theatermacher lassen sich derzeit vieles einfallen. Wir verfolgen es in jedem Fall aufmerksam weiter und wenn auch ihr Lust habt, mit uns zu sprechen oder uns jemanden empfehlen wollt, dann schreibt uns gerne. Wir freuen uns auf euch. Bis dahin, bleibt gesund!
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Ein Gedanke zu “Heimgesucht – Gespräche mit Theatermachern in Zeiten von Corona, Teil III”