#backstage im Theater Essen-Süd

Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Beitragsbild: Werner Alderath

Eigentlich stellt man beim Blick auf die Essener Stadtkarte schnell fest, dass das Theater Essen-Süd einen eher verwirrenden Namen hat, sitzt es doch vielmehr im Norden von Essen, genauer im Stadtteil Bochold. Doch muss man auch hinzufügen, dass das noch sehr junge Theater bei seiner Gründung 2014 noch im Süden Essens, nämlich in Rüttenscheid, saß. Erst kürzlich ist das Theater umgezogen und hat so einige neue Herausforderungen zu stemmen gehabt. Dann kam auch noch Corona dazu. Entsprechend haben Raphael Batzik, Thilo Matschke und Sebastian Kubis, die ich zum #backstage Gespräch traf, einiges über sich und das Theater, aktuelle Herausforderungen, aber auch einen hoffnungsfrohen Ausblick zu berichten.

Gegründet wurde das Theater durch Philipp Steimel, Raphael Batzik und Moritz Mittelberg-Kind. Thilo Matschke, der heutige Intendant des Theaters (und damaliger Dozent von Philipp Steimel für Clownerie) kam dann 2015, also ein Jahr nach der Gründung an das Haus. An die Räumlichkeiten in der Susannastraße in Rüttenscheid ist die Gruppe damals über Philipp Steimel gekommen, der die Räumlichkeiten, die einer Theaterschule gehörten, für Proben nutzte. „Die Besitzerin wollte dann irgendwann Programm in den Räumlichkeiten haben, da der Raum am Wochenende, sowie unter der Woche abends, meistens leer stand.“, erklärt Raphael. Philipp Steimel und Raphael Batzik haben sich über eine gemeinsame Produktion kennengelernt und als Philipp von seinem Plan erzählte, die Räumlichkeiten anmieten zu wollen, konnte er auch Raphael dafür begeistert. Damals waren Raphael und Moritz noch als MoRa-Theater unterwegs und Raphael kannte Philipp aus einer gemeinsamen Arbeit. „So fusionierte unsere Arbeit dann in diesen Räumlichkeiten und das Theater Essen-Süd entstand.“, so Raphael.

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Raphael Batzik, Thilo Matschke und Sebastian Kubis (v.l.) empfingen mich in den neuen Räumlichkeiten des Theater-Essen Süd im Stadtteil Bochold. (Bild: Werner Alderath

Als die Gruppe ihre Arbeit aufnahm, stürzten sie sich zunächst in die Proben und die Arbeit, sie wollten ein Theater gründen, welche Arbeit dahintersteckte war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch keinem klar. Die Zusammenarbeit wurde schließlich zunehmend professioneller, sodass man irgendwann an den Punkt kam sich zu fragen, wie man die Arbeit weiter betreiben wolle, auch weil sie immer zeitintensiver wurde, so Raphael. Da man zu Beginn mit dem Minimum an Ausstattung arbeiten musste, mussten bald Gelder her, denn das Theater konnte sich auf kurz oder lang nicht nur von Eintrittsgeldern finanzieren. Bei einer Kapazität von maximal 40 Zuschauer*innen spülte eine Aufführung nicht das große Geld herein. 2016 wurde dann der Verein gegründet, um die Professionalität weiter auszubauen, aber auch um eine Basis zu schaffen, damit Spenden gesammelt werden konnten. Thilo gibt auch zu bedenken, dass beispielsweise Raphael nahezu Vollzeit für das Theater arbeite, er also eigentlich auch das geregelte Einkommen bräuchte, doch das kann das Theater aktuell noch nicht abwerfen. So können sie lediglich gelegentlich kleinere Gagen an sich und ihr Team ausschütten.

Heute ist Raphael der künstlerische Leiter, und Thilo der Intendant des Hauses. Sebastian ist als Schauspieler am Haus beschäftigt, macht dies aber nebenbei zu seinem eigentlichen Beruf als Immobilienmakler. Neben den Dreien gibt es insgesamt noch elf weitere Kolleginnen und Kollegen, die am Theater Essen-Süd tätig sind. Neben Produktionen kann man am Theater auch Workshops oder Kurse buchen. Aktuell ist dies noch eher eine Nische, die bald ausgebaut werden soll. Es gibt auch Überlegungen einen Jugendclub zu gründen, doch aktuell liegt der Fokus erst einmal darauf den alltäglichen Betrieb wieder langsam aufzunehmen.

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„Man dachte dann auch irgendwann ‚Okay, davon könnte man auch leben.‘ und so haben wir das auch weiter professionalisiert, […]“. Der Bühnenraum ist noch von einem Pen & Paper Spiel umgebaut, das das Theater bald auch als Serie online stellt. (Bild: Werner Alderath

Beim Blick auf das Programm des Hauses entdeckt man schnell zwei Ansätze: einerseits Filmadaptionen, wie Shutter Island, Pulp Fiction oder Reservoir Dogs und andererseits Klassiker, wie Goethes Faust, Lessings Nathan der Weise oder Kafkas Verwandlung. „Plötzlich kamen Schulklassen ins Haus und keiner wusste warum, bis wir dann bemerkt haben, dass wir Stücke spielen, die die Jungs und Mädels im Abitur behandeln.“, lächelt Raphael. Das führt auch dazu, dass Faust bereits seit sechs Jahren im Spielplan ist. Irgendwann begannen sie ihre Stücke in den Schulen zu spielen, da immer mehr die Nachfrage nach Engagements kam. „Man dachte dann auch irgendwann ‚Okay, davon könnte man auch leben.‘ und so haben wir das auch weiter professionalisiert, zum Beispiel mit Mindestgagen.“, erklärt Thilo Matschke. Und so konnte das Theater nach und nach die Schullandschaft für sich gewinnen, wodurch man auch Zuschauer*innen an das Haus binden konnte. Andersherum werden auch die Filmadaptionen sehr gut angenommen: „Das ist unsere Art von Werbung, wir haben keine oder wenige Flyer oder große Plakate, sondern wir haben die Filmadaptionen im Programm“, erklärt Thilo, „Das ist auch ein Türöffner, denn einige sind erst durch beispielsweise Reservoir Dogs auch zu Faust gucken gekommen.“

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Das Theater Essen-Süd von außen in seinen neuen Räumlichkeiten. Es sieht aus als würde man ein Wohnhaus betreten. Einmal im Theater sieht man sofort wie viel Herzblut und Arbeit bereits in das Theater geflossen sind. (Bild: Werner Alderath)

Der Umzug in die neuen Räumlichkeiten nach Bochold kam dann etwas schneller als geplant. Dennoch wollen Raphael, Thilo und Sebastian nicht abstreiten, dass bei all dem auch etwas Glück dabei war. Auslöser für die Suche nach einer neuen Bleibe war der Rückzug der alten Vermieterin. Sie hätten die alten Räumlichkeiten übernehmen können, doch am Ende mussten sie auch abschätzen, ob die Räumlichkeiten noch zum Theater passen, berichtet Raphael. „Wir hätten die volle Miete übernehmen können, doch die wäre um das Vierfache höher gewesen als vorher. Wir fragten uns woher wir das Geld nehmen sollten und der Raum war auch sehr klein, da wägt man das Für und Wider sehr sorgfältig ab.“, so Raphael weiter. Schließlich begann er ganz simpel bei Immobilienscout zu suchen und stieß unter anderem auf die Räumlichkeiten, in Bochold. Raphaels Erwartungen waren erst einmal gering, denn er wusste, dass ein Anruf mit dem Hintergrund, dass man Kultur machen wolle bei den meisten Vermietern eher auf Bedenken stößt. Doch dann die Überraschung: „Der Makler sagte direkt wir können rumkommen und uns die Räumlichkeiten ansehen.“ Dann habe man noch einen zweiten Fluchtweg im Keller entdeckt, denn eigentlich sollte nur der Keller vermietet werden, und plötzlich fingen alle Beteiligten an zu überlegen, wie man ein Theater daraus machen könne. „Und dann kommt der Makler von sich aus und sagt zu uns: ‚Wisst ihr was? Hier oben kann man doch prima ein Foyer draus machen. ‘, das war früher ein Büro, das jetzt ungenutzt ist.“, schildert Raphael die Situation weiter. Als dann die Zusage vom Vermieter kam, dass er Kultur in den Räumlichkeiten haben wolle, war die Überraschung perfekt. Über verschiedene Förderanträge, sowie Crowdfunding-Plattformen wurde in den letzten anderthalb Jahren immer mehr Geld gesammelt, das sie nun beispielsweise in die Raummiete, eigene Technik, Podeste oder auch die allgemeine Ausstattung des Theaters investieren konnten.

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„Wir lagen uns in den Armen, wir haben Ex Machina gespielt und dachten einfach nur, wir haben es geschafft.“, schildert Raphael die Genehmigung der Institutionellen Förderung. Auf dem Bild sieht man das Foyer des Theaters. (Bild: Werner Alderath)

Doch dann begann ein Spießroutenlauf, um an entsprechende Gelder für die sogenannte Institutionelle Förderung zu kommen, denn die Miete sollte ähnlich hoch sein, wie in den Räumlichkeiten in Rüttenscheid, wenn sie diese übernehmen würden. Erfreulicherweise kam der Vermieter dem Theater schon einige Male entgegen, da sich die Anträge bei den entsprechenden Stellen der Stadt länger hinzogen. Jedoch wussten alle, dass dies keine Lösung auf Dauer sein kann. So begannen sie bereits im Sommer 2019 alle Politiker*innen, die in der Kulturratssitzung tagen, zu kontaktieren, um sich vorzustellen und ihr Anliegen zu erläutern. „Ich habe sie alle angerufen“, lacht Thilo. Doch schnell verging ihm das Lachen, denn die Gespräche mit allen zuständigen Politiker*innen waren sehr zeitaufwendig. Ein erneuter Glücksgriff war dann eine E-Mail, mit anschließendem Treffen und Theaterbesuch vom Kulturdezernenten der Stadt Essen Muchtar Al Ghusain. Dieser zeigte sich insgesamt sehr begeistert von der Arbeit des Theaters, sodass Raphael, Thilo und Sebastian sich sicher waren, dass sie einen wertvollen Ansprechpartner für ihr Anliegen überzeugt haben.Nach langem Hin und Her kam am 06. März 2020 die Erlösung, der Antrag ist durch: „Wir lagen uns in den Armen, wir haben Ex Machina gespielt und dachten einfach nur, wir haben es geschafft. Dann kam eine Woche später der Shutdown.“, erinnern sich Raphael, Thilo und Sebastian noch genau. Ein deutlicheres Wechselbad der Gefühle kann man nicht erleben. Denn eine Institutionelle Förderung bedeutet nicht, dass man Zeit seines Lebens die Gelder sicher hat, es müssen auch Ergebnisse gezeigt werden, sodass der Ausschuss am Ende sieht, dass sich die Investition gelohnt hat.

Die Besucherzahlen gaben dem Theater bis zum Shutdown Recht, denn der Februar 2020 war der bisher stärkste Monat, den das Theater bisher hatte, doch dann wurden alle durch Corona ausgebremst. Noch im März stand eine Premiere an und es gab kurz vor dem offiziellen Shutdown eine große Unsicherheit, wie Thilo schildert: „Mittwochs habe ich noch gesagt, es wird gespielt, Donnerstag habe ich auch die Nachrichten beobachtet und daraufhin habe ich gesagt, dass wir nicht mehr spielen und dann kam der Shutdown am Freitag.“ Für Thilo steht auch fest: „Wir steigen nicht mehr da ein, wo wir ausgestiegen sind, sondern wir machen einfach weiter.“ Das bedeutet konkret, dass das Theater nicht jede ausgefallene Vorstellung nachholen wird, sondern man das Programm weiter so gestaltet, wie es die aktuellen Gegebenheiten zulassen. So wird aktuell nur mit einem Monatsplan für September geplant, auf welchem speziell Stücke stehen werden, die in kleineren Besetzungen gespielt werden können, wie beispielsweise Faust oder auch Kafkas Der Prozess, welches wiederaufgenommen werden soll. „Es gibt zwar auch größere Theater, die wieder größere Inszenierungen spielen dürfen, aber ich habe jetzt erst mal entschieden, dass wir die kleinen Stücke spielen, damit wir auch planen können.“, so Thilo.

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„Die Kultur soll ja überleben, aber das geht nicht, wenn in solchen Zeiten alle Inhalte umsonst sind.“, findet Raphael, im Puncto Angebot von Online-Inhalten. Im Foyer stehen auch einige Sofas, die zu einer Wohnzimmer-Atmosphäre im Theater beitragen. (Bild: Werner Alderath)

Beim Thema Planung schneiden die drei auch ein ganz neues Thema an. Während unter anderem die Kulturbranche komplett zum Erliegen kam, haben sie begonnen ihren Podcast Im Süden nichts Neues zu produzieren. „Da geht es weniger darum Gelder einzunehmen, sondern zu zeigen, dass man weiter für die Leute da ist.“, schildert Sebastian Kubis. Kürzlich habe man auch Pen & Paper gespielt und dies mitgefilmt, die Aufnahmen seien gerade zum Schneiden wegegeben worden, denn daraus solle eine kurze Online-Serie entstehen, erklären die Drei weiter. Allerdings spielt man auch mit dem Gedanken sich eine Art Polster zu schaffen, sollte ein erneuter Shutdown unvermeidbar sein. Hier könnte die Plattform Steady Abhilfe schaffen, die das deutsche Pendent zum US-Amerikanischen Patreon darstellt. Die Funktionsweise ist ähnlich wie bei Youtube: Man lädt Inhalte hoch, die sich die Nutzer ansehen können. Allerdings erst, wenn sie eine Spende an das Theater abgeben. Diese kann einmalig oder regelmäßig sein, dafür erhält der Nutzer Zugang zu den Inhalten, die das Theater regelmäßig hochladen möchte, beispielsweise Videos. Doch soll es hierbei nicht um die Erschaffung eines exklusiven Clubs gehen, denn Kultur solle nach wie vor für alle zugänglich bleiben, vielmehr wollen sie ihren treuen Zuschauer*innen, die teilweise jetzt schon spenden, die Möglichkeit bieten, dafür auch eine Gegenleistung zu erhalten. „Wenn dann beispielswiese 100 Leute im Jahr jeden Monat fünf Euro zahlen, dann habe ich wieder etwas womit ich rechnen kann, auch wenn mal Eintrittsgelder wegfallen.“, erläutert Thilo den Gedanken dahinter. „Die Kultur soll ja überleben, aber das geht nicht, wenn in solchen Zeiten alle Inhalte umsonst sind.“, ergänzt Raphael.

Pläne haben sie also, die Köpfe hinter dem Theater Essen-Süd. Wir sind in jedem Fall begeistert vom Engagement und der Leidenschaft der Macher, aber auch von den Räumlichkeiten. Natürlich ist es kein großes Haus, mit übermäßig professioneller Ausstattung und einem Foyer voller Blingbling, doch das braucht es auch nicht. Man erkennt in jeder Ecke des Theaters, dass die Besitzer selbst angepackt haben. Und so arbeiten sie sich immer weiter durch und bereichern die freie Theaterszene mit einem kleinen Theater, das es sich zu besuchen lohnt. Wir werden den Start im September aufmerksam verfolgen und auch bald eine Produktion besuchen. Wer Up-To-Date bleiben möchte, dem können wir die Website, Facebook– oder Instagramseite des Theaters empfehlen. Ansonsten drücken wir kräftig die Daumen für einen erfolgreichen Neustart und dass sich das Theater schon bald wieder so füllt (und auch füllen darf!) wie vor Corona.


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