Beitragsbild: Hannah Berghus
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)
Man stelle sich vor, man lebt in einem Land, in dem die eigene Muttersprache nicht so präsent ist, wie man sich dies gern wünscht. Das Land ist ein tolles Land, man hat dort Familie, Freunde, Arbeit, es geht einem gut. Noch besser ginge es einem aber, wenn man ab und zu die Möglichkeit bekäme, sich kreativ in der eigenen Muttersprache auszutoben.
Zugegeben – eine viel zu abstrakte Einleitung für ein viel zu konkretes Thema. Multikulturalismus ist eine tolle Sache. Wenn viele Kulturen zusammen an einem Ort leben, können sie gegenseitig so viel voneinander mitnehmen. Verschiedene Bräuche, verschiedene Geschmäcker und vor allem: Verschiedene Geschichten. Besonders toll ist dieser Multikulturalismus, wenn er niemanden dazu zwingt, sich für eine Kultur zu entscheiden und eine andere links liegen zu lassen.
Ein solches Angebot bietet das THEATRO Mehrsprachentheater in Köln, welches wir vergangene Woche besuchten, um im Interview mit dessen Gründerin sowie Leiterin Eva Hevicke mehr über diesen Theaterraum und sein besonderes Konzept zu erfahren.
Eva ist staatlich anerkannte Theaterpädagogin, Regisseurin und Romanistin, die sich schon immer ganz besonders für den hispanophonen Sprachraum interessiert hat und mit ihrem THEATRO einen Weg fand, diese Leidenschaft mit ihrer zweiten, dem Theater, zu verbinden: „Seit mehr als zwölf Jahren mache ich Theater auf Spanisch in den unterschiedlichsten Bereichen. Begonnen hat alles, als ich an der Heinrich Heine-Universität in Düsseldorf mein Zweitstudium der Romanistik absolvierte und dort die Gruppe Anímateatro gründete und mit Studierenden und Lehrenden zahlreiche Stücke auf Spanisch inszenierte.“

Eva, die vor ihrem akademischen Weg in die Romanistik bereits lange dem Theater verfallen war, an der Akademie für darstellende Kunst in Ulm studiert und an den Städtischen Bühnen Krefeld-Mönchengladbach tätig und zudem als freie Theaterpädagogin und Regisseurin im Raum Nordrhein-Westfalen unterwegs war, hat mit der Gründung des THEATRO eine Nische gefunden, die von Anfang die Zuschauer*innen begeisterte: „Wir haben festgestellt, dass es ein Bedürfnis gab, das überhaupt nicht gedeckt war. Unsere Säle waren immer gefüllt von einem bunten Theaterpublikum, das Theater auf Spanisch sehen wollte“, erinnert sich Eva an ihre Zeit an der Uni Düsseldorf zurück. Hiervon angespornt intensivierte Eva ihre Arbeit und stellte schnell auch Begeisterung seitens der Künstler*innen fest: „Die Nachfrage wurde immer größer, nicht nur durch das Publikum. Es gibt viele Schauspieler*innen, Tänzer*innen oder Sänger*innen, die in Deutschland aufgrund von Sprachbarrieren ihre Berufe nicht in Gänze ausüben können, für die wir auf diese Weise ein Forum schaffen konnten.“
Dieses Forum bot Eva den Zuschauer*innen und Künstler*innen eine lange Zeit selbstständig, bis ihr dann bewusst wurde, dass es hierfür eines größeren Rahmens bedürfte, sodass sie 2017 das Mehrsprachentheater gründete, zu dieser Zeit allerdings noch ohne Räumlichkeiten, ein Umstand, den vermutlich viele freie Theaterkollektive kennen: „Wir mussten uns Räume anmieten. Hauptsächlich waren wir abends im Tor 28 in der Nähe des Hauptbahnhofs. Auch hatten wir Räume im Stollwerck oder im Studio 11 in Ehrenfeld, im Barnes Crossing in Rodenkirchen, im TPZAK im Belgischen Viertel und im Urania, auch in Ehrenfeld“, erinnert sich Eva zurück.

Eines Tages jedoch sollte diese Odyssee der Suche nach Proben- und Aufführungsräumen ein Ende haben, eigene Räumlichkeiten waren das ersehnte Ziel, welches Eva und ihr Team sich zeit- und energieaufwändig erkämpfen mussten: „Zwei Jahre lang haben wir gesucht und sind dann hier, auf der Zülpicher Straße in Sülz, fündig geworden.“ Wer bei der Suche nach Theaterräumen fündig wird, findet allerdings selten einen fertig ausgestatteten Proben-, Kurs-und Aufführungsraum vor, gerade in Köln startet ein schönes kleines Hinterhoftheater zumeist in Form einer Garage. Und so war es auch bei Eva: „Es gab hier erst einmal nichts. Kein Wasser, keinen Strom. Einfach ein leerer, roher Raum, der hergerichtet werden musste. Wir haben sehr viel Zeit und Energie investiert, im Februar waren wir startklar und am ersten April wäre die Eröffnung gewesen“, erklärt uns Eva mit an Ernüchterung gewinnender Stimme. Denn dieser Konjunktiv in Verbindung mit Monaten wie März oder April des Jahres 2020 haben immer einen ganz besonderen „Und dann“-Satz zur Folge, den wir in vielen Interviews mit Theatermacher*innen, die kurz vorm Abschluss neuer Projekte, Stücke, Spielpläne standen, bereits zuhauf gehört haben: „Und dann kam Corona.“ Ein Umstand, der für viele kleine Theaterhäuser und –institutionen einen gefährlichen Todesstoß mit sich brachte. Und auch für das THEATRO sah es anfangs nicht gerade rosig aus: „Für die Renovierung haben wir eine Produktion ausgesetzt, wir waren enorm auf den Fortlauf unseres Kursbetriebs angewiesen, damit wir den Neustart überhaupt stemmen konnten“, erklärt Eva die Relevanz der sich gegenseitig befruchtenden Standbeine des Theaterraums, auf die wir unten noch genauer eingehen. „Wir hatten gerade die letzten Lampen installiert und dann mussten wir schließen.“

Existenzängste machten sich nun auch beim THEATRO breit. Vielen Theatern entzog Corona alle Einkommensquellen, staatliche Unterstützung war, wie so oft, ein unzuverlässiges Pferd, auf das Künstler*innen nur allzu selten ihre gesamte Existenz setzen wollten. Von ganz oben wurde vieles versprochen doch kaum etwas geliefert. Sollte Corona auch das Ende des Mehrsprachentheaters bedeuten?
„Wir sind noch hier!“, macht Eva voller Freude und Dankbarkeit klar: „Und dass nur dank der außerordentlich starken Solidarität unserer Teilnehmer*innen, unserem Publikum und Menschen die uns so unterstützen. Spenden waren im März und April der Hauptgrund, warum ich überhaupt versuchen konnte, den Raum und sein Konzept zu retten. „Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle!“ Einige haben auch unsere Online-Formate angenommen, obwohl man über Online-Theater durchaus streiten kann, denn Theater entsteht nun mal im Kontakt. Ohne diese enorme Unterstützung hätten wir das nicht geschafft.“
Corona ist noch lange nicht überwunden, doch der Theaterbetrieb läuft in kleinen, vorsichtigen, von nie da gewesenen Hygienekonzepten abgesegneten Schritten wieder an. Auch beim THEATRO wird langsam wieder Theater gemacht, besonders im Bereich der Theaterkurse, in der Hoffnung, dass das Drei-Säulen-Konzept bald wieder vollends blühen kann.

„Wir bieten als erste Säule Kurse an, in denen die Teilnehmer*innen Theater auf unterschiedlichen Leveln erleben können, Anfänger- und Fortgeschrittenenkurse, Projekte, Workshops am Wochenende. Die Schauspielkurse vermitteln die Grundlagen der Schauspielerei, die Projekt-Kurse erarbeiten innerhalb von zehn Monaten ein Stück. Das können selbst geschriebene Werke sein oder Vorlagen, wie der aktuelle Kurs, der zehn Wochen lang mit einer Dozentin Stanislawski behandelt hat und nun eine zeitgenössische Inszenierung auf die Bühne bringt, die von der RESAD, der staatlichen Schauspielschule in Madrid, geschrieben wurde.“ Auch autobiografisches Theater ist beim Mehrsprachentheater keine Seltenheit: „Gerade dank der verschiedenen Herkünfte und Identitäten ergibt sich dieser Ansatz gern. Häufig suchen wir den Ansatz der Kurse auch in den Bedürfnissen der Gruppe, das entspricht nämlich auch oft dem Bedürfnis des Publikums, was es am Ende sehen möchte.“ Auch die Workshops, die das THEATRO anbietet, sind unterschiedlich: „Gestern noch habe ich einen Maskentheaterworkshop geplant, wir machen aber auch Körper- und Clowntheater mit Buffonerie. Ich bin aber auch gern bereit, jemanden dazuzuholen, wenn die Arbeiten meinen persönlichen Kompetenzbereich überschreiten, wie beispielsweise für tänzerische Arbeiten oder Physical Theatre“, verdeutlicht Eva die Offenheit ihres Hauses gegenüber all den unterschiedlichen Ausprägungen des Theaters.
Die professionellen Theaterproduktionen im THEATRO, die zweite Säule, finden hauptsächlich auf Spanisch statt und werden, wenn möglich übertitelt, auch wie im letzten Jahr in Zusammenarbeit mit dem Studiengang Literaturübersetzen an der Heinrich Heine-Universität in Düsseldorf. Bei der Auswahl der Stücke nimmt sich Eva die Freiheiten, die das Theater bietet: „Wir haben Klassiker wie Yerma von Frederico García Lorca gemacht, genauso wie zeitgenössische Stücke, wie z.B. „Las Paredes“ von Griselda Gambaro, einer argentinischen Autorin, mit Förderung vom argentinischen Konsulat.“
Die dritte Säule des THEATRO-Angebots ist die Arbeit mit und an den Schulen, also dem Ort, an dem viele Menschen zum ersten Mal mit Fremdsprachen in Berührung kommen. Hierfür hat Eva Theatermethoden für den Fremdsprachenerwerb weiterentwickelt und gibt Lehrer*innen Fortbildungen darin, wie sie diese Methoden gezielt in ihren Unterricht integrieren können. Bei diesen Fortbildungen bemerkt Eva immer wieder, mit welcher Offenheit die Lehrer*innen ihren Methoden und dem Theater als solchem begegnen und bekommt auch nicht selten Rückmeldungen, dass die Schüler*innen das Theater, vielleicht mit anfänglich pubertärer Rebellion, am Ende begeistert annehmen: „Zwei Lateinlehrerinnen hatten den Mut, ihren Unterricht umzustrukturieren und die Theaterübungen einzubauen. Anfangs hatten ihre Schüler*innen wenig Lust, zu Beginn jeder Stunde die Tische an die Wand zu rücken und zehn Minuten Klatschübungen zu machen. Doch bemerkten alle schnell, dass diese Übungen die Energie der Schüler*innen sammeln und ihre Aufmerksamkeit fokussieren konnten. Als die beiden Lehrerinnen dann später in Rente gingen, haben die Schüler*innen einen Brief an die Schulleitung geschrieben mit der Bitte, nur noch neue Lehrer*innen einzustellen, bei denen sie zu Beginn der Stunde die Tische wegrücken müssen“, erinnert sich Eva begeistert lächelnd. Auch für die Vermittlung der deutschen Sprache setzt sich Eva ein und reist hierfür beispielsweise nach Amsterdam, um dort Workshops für Deutschlernende anzubieten.

Ganz konkret bietet das THEATRO die Sprachen Spanisch, Englisch und Deutsch als Fremdsprache an. Französisch und Portugiesisch befinden sich in einer Experimentierphase und wachsen langsam an. Ein Missverständnis will Eva allerdings gleich aus dem Weg räumen: „Wir bieten keine Sprachkurse an. Das gesamte Angebot richtet sich an Muttersprachler*innen und Zweitsprachler*innen, die die Sprachen bereits als Fremdsprache fließend sprechen und verstehen können. Wir wollen verhindern, dass die Atmosphäre zu einer Sprachlehrveranstaltung kippt und hierdurch die Theaterarbeit nicht mehr im Fokus steht. Häufig sind unsere Teilnehmer*innen auch Fremdsprachenlehrer*innen zum Beispiel. Oder Kinder, die zweisprachig aufwachsen und sich hier in ihrer Muttersprache einmal richtig austoben wollen und sie dadurch besser erlernen können. Beim Theaterspiel werden viele Blockaden aufgelöst und Energien freigesetzt, hierdurch kann die Sprache wirklich erlebt und gelebt werden.“
Auf eine bestimmte Auswahl an Sprachen limitieren will sich Eva allerdings nicht. Nur eine Sache ist ihr dabei wichtig: „Die Sprachen, in denen wir arbeiten, müssen für unser Theater eine Zukunft haben. Wir sind kein buntes Haus, in dem sich jede Sprache einmal präsentiert und dann wieder verschwindet. Wir möchten die Sprache im Angebot des Mehrsprachentheaters etablieren, da sich die drei Säulen, auf denen das Konzept beruht, gegenseitig befruchten sollen.“
Und dieses Konzept scheint aufzugehen, was man nicht nur daran sieht, dass die Angebote des THEATRO begeistert angenommen werden, sondern auch am bunt gemischten Publikum, das den abendlichen Theaterproduktionen und Kurspräsentationen mit viel Energie einheizt: „Wir haben, besonders in den spanischsprachigen Produktionen, viel mehr Energie im Publikum. Das Theaterspiel ist für sie viel mehr eine Feier als für uns. Die Zuschauer*innen gehen mit, sie stehen am Ende viel schneller auf und geben begeisterte Standing Ovations, das ist ein Push, der für die Theaterarbeit wahnsinnig schön ist“, berichtet Eva begeistert von den Vorstellungen in ihrem Haus.
Diese Energie ist vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass das Publikum des THEATRO in vielerlei Hinsicht bunt gemischt ist und mit einem Theaterpublikum, wie wir es aus dem Stadttheater kennen, nicht viel gemein hat: „Ich würde unsere Zuschauer*innen als jünger einschätzen als am Stadttheater. Allerdings besuchen uns auch die älteren, die Akademiker, die das gespielte Stück zuvor gelesen haben und vorfreudig mit dem Textbuch in der Hand in die Vorstellung kommen. Auch finden sich Leute, die eigentlich nur einmal eine*n Bekannte*n begleitet haben, selbst kein Spanisch sprachen, die Energie hier aber so toll fanden, dass sie gerne wiederkamen. Oder aber gemischte Paare, von denen ein*e Partner*in tiefer in die Muttersprache des oder der anderen Partner*in eintauchen möchte. Demografisch ganz bunt gemischt.“, schwärmt Eva von ihren Zuschauer*innen, die sich sicherlich jedes Theater wünscht.

Und was wünscht sich Eva zum Abschluss für ihr Theater? „Mein Wunsch ist es, dass wir hier wieder ganz schnell ans Theaterspielen kommen. Beim Theater geht es darum, viel in Kontakt zu kommen, das wird sicherlich nicht allzu bald wieder möglich sein. Aber besonders habe ich den Wunsch, gemeinsam mit meinem Team neue Wege zu finden, die wir gehen können, um trotz Corona verantwortungsvoll wieder Theater zu machen.“ Und hier hegen Eva und ihr Team bereits viele Ideen, sind enthusiastisch, sie auszuprobieren und versuchen, an Corona auch irgendwie etwas Positives zu sehen: „Die Zeit war nie besser, sich neu auszuprobieren, den öffentlichen Raum für Theater zu entdecken und in spannendem Crossover zwischen Profis und Amateuren und ihren Geschichten, die sie aus den vergangenen Monaten mitbringen, aufzublühen.
Diesen Enthusiasmus wollen wir natürlich unterstützen, bedanken uns für das tolle Interview und versprechen bereits jetzt, dass ihr Leser*innen hier auf unserem Blog nicht das letzte Mal vom THEATRO Mehrsprachentheater gelesen habt.
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