Titelfoto: Marco Piecuch/Pi-Pix
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)
Bereits lange bevor die Elektronikmarktkette Mediamarkt ihre Produkte mit dem Slogan „Geiz ist geil“ in Fernsehen und Druckerzeugnis anpries, ließ der französische Schriftsteller und Schauspieler Molière , oder Jean-Baptiste Poquelin, wie er wirklich hieß, im Jahr 1668 eine Figur auf die Bühne des königlichen Hofs in Paris treten, die sich den Mediamarkt-Slogan vermutlich ohne zu zögern auf die Stirn tätowiert hätte. (Hätte dies nichts gekostet!).
Diese Figur ist Harpagon, der Protagonist eines der bekanntesten Schauspiele der französischen Klassik, Der Geizige. Auch heute noch ist die Komödie eines der beim Publikum beliebtesten Stücke, das weltweit die Theatersäle füllt. Und so fand das Stück auch seinen Weg ins Repertoire des Rheinischen Landestheaters Neuss, welches seine Fassung in der Regie von Thomas Goritzki am vergangenen Samstag zum ersten Mal dem Publikum präsentierte.
Kurz konzentrieren, jetzt kommt der Inhalt mit vielen Namen und vielen Verwobenheiten und versprochen, auch, wenn sie verworren und unsexy klingt, lohnt es sich am Ende, durchzusteigen! Wer es doch eilig hat, der oder die folge dem Link am Ende des Absatzes und lasse sich von einem Video über die Handlung aufklären.

Der bereits vorgestellte Harpagon, der so reich ist wie geizig, hat zwei Kinder, Sohn Cléante und Tochter Élise. Cléante liebt Mariane, Élise liebt Valère. Mariane und Valère sind Kinder des Anselme, das weiß aber anfangs noch keiner und überhaupt steht Valère Harpagon als Diener im Haus zur Seite. Klar soweit? Weiter geht’s: Alle im Haus des Harpagon leiden unter seinem Geiz, überall vermutet dieser Verschwörungen und kriminelle Machenschaften, die sich allesamt gegen sein Geld richten, weshalb er sicherheitshalber eine Geldkassette im Garten vergräbt. Als Harpagon offenbart, dass er Mariane heiraten will – wir erinnern uns, sein Sohn Cléante ist ebenfalls in sie verliebt – und zudem mit Anselme einen Deal aushandelt, dass dieser Élise ohne Mitgift (schön billig!) heiratet, nimmt die Handlung Fahrt auf. Cléante, der Geld braucht und hierbei nicht auf seinen Vater setzen kann, nimmt Kontakt auf zu einem dubiosen Geldverleiher, der sein Geld allerdings nur zu übertriebenen Konditionen weitergibt und welcher, wie sich später herausstellt, Harpagon selbst ist. Es kommt zum Streit. Parallel hierzu tritt die Heiratsvermittlerin Frosine auf, die Harpagon seine Skepsis über die Heirat ausreden will und ihm einredet, die junge Mariane bevorzuge besonders alte Männer, zu denen Harpagon sich zählt. Bei einem Essen, zu dem Harpagon Mariane einlädt, um den Heiratsvertrag zu unterschreiben, kommt schließlich alles zusammen: Mariane ist angeekelt von Harpagon und tauscht sich mit Cléante, der ebenfalls anwesend ist, in Zweideutigkeiten über ihre Liebe zu ihm aus, was Harpagon durch eine List aufdeckt. Als es La Flèche, Harpagons Diener, auch noch gelingt, die Geldkassette seines Herren zu stehlen, steht der Eskalation nichts mehr im Wege. Er wird wahnsinnig und verdächtigt jede*n, will ganz Paris befragen lassen, um die Dieb*innen zu finden. Doch noch bevor es dazu kommt, betritt Anselme die Bühne, der offenbart, ein reicher Neapolitaner zu sein, der seine Kinder bei einem Schiffbruch verloren hat. Als sich herausstellt, dass Valère und Mariane diese Kinder sind, löst sich alles auf. Anselme erklärt sich bereit, die Hochzeiten beider seiner Kinder mit den Kindern Harpagons zu bezahlen, ebenjenem auch noch einen Anzug zu finanzieren und zu guter Letzt erhält Harpagon auch noch seine Geldkassette zurück. Tout est bien qui finit bien!
Es wäre durchaus nachzuvollziehen, dass bei der ersten Lektüre dieser – übrigens auch abgekürzten – Inhaltsübersicht noch nicht alles klar ist. Für diesen Fall empfehlen wir gern die sympathisch von Michael Sommer mit Playmobil nachgespielte Handlung des Stückes.

Nun kann man vermutlich einen Großteil der Deutungen des Stückes darauf herunterbrechen, dass es hier irgendwie darum geht, dass Geld und Reichtum schon immer eine Komponente war, die für viele Menschen große Wichtigkeit hat(te), der man allerdings vielleicht nicht die allerhöchste Priorität einräumen sollte, besonders, wenn man in einem sozialen Kollektiv wie einer Familie lebt, wo auch Emotionen und gute persönliche Beziehungen zueinander einen hohen, im Idealfall auch höheren Stellenwert, als der des guten (oder bösen?) Geldes innehat. Zwar ist der Streit, was denn wichtiger sei – Geld? Liebe? Gesundheit? Freundschaft? – ein nicht enden wollender und besonders auf subjektiver Ebene ausgetragener Disput, aber Molière setzt mit der flachen Charakterzeichnung von Harpagon, der sich das gesamte Stück über nicht entwickelt und wirklich nur daran interessiert ist, seinen Reichtum zu erhalten, nicht einmal unbedingt daran, ihn zu vermehren, ein klares Statement: Pecunia olet! Zumindest im Hinblick auf familiäre Harmonie.
Dies mag vielleicht für manche Theaterzuschauer*innen eine gewagte These sein, aber wir stehen voll dahinter: Regisseur Thomass Goritzki war der perfekte Mann in der Regie für diese Inszenierung, wenn (!) man eine bestimmte Art von Humor vertritt. Und dieses „Wenn“ wollen wir im Folgenden etwas eruieren.
Man weiß eigentlich bereits in dem Moment, in dem sich der Vorhang zu einer schlecht mit einer Blockflöte nachgespielten 20th Century Fox-Melodie öffnet, auf welcher Humorwellenlänge man sein muss, um die folgenden 95 Minuten mitlachen zu können. In Molières Basisfassung bereits vorhandene komödiantische Elemente wie die teilweise sehr dynamischen Dialoge mit kurzen Worten, Verkleidungs- und Verwechselungselemente sowie Sprach- und Situationskomik, verbindet Goritzki mit einer Menge Slapstick und lässt seine Schauspieler*innen in großen Gesten und viel Pathos sprechen, ganz so, als wäre das gesamte Stück eine Hommage an Louis de Funes, der – so manch eine*r erinnert sich – selbst im Jahr 1980 auf der Kinoleinwand in Louis, der Geizkragen in die Rolle des Harpagon schlüpfte. Die Parallelen des Schauspiels auf der Bühne mit jenen des großen französischen Filmemachers sind nicht zu übersehen, die große Mimik, das Grimassenspiel, alles wirkt stets immer ein bisschen „drüber“, wie man im Rheinland zu sagen pflegt, und doch handelt es sich hierbei, bei Goritzki sowie bei de Funes, um peinlich genau ausgearbeitete humoristische Präzision. Und spätestens, wenn die Darsteller*innen die Enthüllung der Identitäten von Anselme, Valère und Mariane am Ende nach jedem Satz in chorischem „Nein! Doch! Oh!“ – in Anlehnung an de Funes‘ Film Hasch mich – Ich bin der Mörder unterbrechen, sollte auch beim letzten Zuschauer der Groschen gefallen sein.

Louis de Funes wurde seinerzeit Kritikern regelmäßig zerrissen, man sagt ihm nach, er habe die Zeitung immer von hinten zu lesen begonnen und dort das Feuilleton herausgerissen und dieses nie gelesen. Sein Humor war nicht derjenige, der aus großen Texten, Mono- oder Dialogen herrührte, sondern eben auf körperlicher Energie beruhte. Große Fußstapfen, in die Goritzki seine Schauspieler*innen da stapfen lässt. Da kann man sich die Frage stellen: Geht das gut?
Wir finden: Ja! Die reduzierte Bühne von Heiko Mönnich, die lediglich aus die Spielfläche begrenzenden Vorhängen mit Möglichkeiten zum Auf- und Abgang besteht und ansonsten leer ist, legt den Fokus auf die Schauspieler*innen, ihre an die französische Klassik angelehnten Kostüme (ebenfalls Mönnich) sowie die Requisiten, die sie mit auf die Bühne bringen und die nie über die Größe eines Klappstuhls oder Teppichs hinausgehen, erlauben dynamische Wechsel des Settings und unterstützen das Spiel passend. Die Spielfläche ist also für alle groß genug, sich einmal so richtig auszutoben. Und so entwickelt sich ein anderthalbstündiges Gagfeuerwerk, das allerdings, so fair müssen wir sein, teilweise die Geduld des Publikums auf die Probe stellt, wenn Pausen bewusst humoristisch lang gezogen werden oder man so manchen Running-Gag nach dem dritten Mal schon kommen sieht, obwohl die Szene noch nicht begonnen hat. Ein Humor eben, den wir, ohne böse Absichten zu hegen, gern als flach bezeichnen wollen und auf den man sich einlassen muss. Wer intellektuell-politkabarettistisches Bla Bla erwartet, ist bei Molière sowieso an der falschen Adresse.
Den an einigen Theatern fast schon verzweifelt wirkenden Versuch, den Stoff aus dem 17. Jahrhundert mit Finanzangelegenheiten der Gegenwart zu verbinden, umschiffen die Neusser auf eine augenzwinkernde Weise. Ein kleiner Seitenhieb gegen die Wirecard-Affäre wird selbstkritisch von Schauspieler Peter Waros kommentiert, indem er uns Zuschauer*innen die Gedanken vorwegnimmt und im Meckerton sagt, dass modernes Theater aktuelle gesellschaftliche Missstände kritisieren muss. Zwischen den Zeilen hier: „Eigentlich haben wir das nicht nötig“ und diese Ansicht teilen wir!
Getragen wird die Inszenierung aber nicht von einem Schauspieler oder einer Schauspielerin. Obwohl das Stück seine Haupt- und Nebenfiguren hat, wirkt die Energie des Ensembles auf uns omnipotent. Jede*r Darsteller*in bekommt genügend Bühnenzeit, uns Zuschauer*innen zu begeistern und alle wirken in den schnellen Abfolgen von Dialogen und Schauspiel wie ein perfekt ineinandergreifendes Uhrwerk. Doch auch im Einzelnen liefern die Darsteller*innen amtlich ab.

Es ist schon eine Wucht, wenn Carl-Ludwig Weinknechts Harpagon mit einer Peitsche um sich schlagend auf die Bühne kommt. Sehr erfolgreich mimt der Schauspieler einen wahrhaftigen Drecksack, was sich auch in seinem Kostüm widerspiegelt. Harpagon ist unsympathisch, ein grummeliger Miesepeter, der nur sein Geld im Blick hat und hiermit füllt Weinknecht bei jedem Auftritt den gesamten Saal. Niklas Maienschein als Cléante und Nelly Politt als Élise überraschen uns Zuschauer*innen zu Beginn, indem sie bewusst aus der Rolle fallen und uns erklären, dass sie privat ein Paar seien und es daher bezugnehmend auf die Corona-Situation keine Bedenken gebe, wenn Cléante seiner Schwester Élise ein Küsschen auf die Wange gebe. Dieses Wallbreaks hätte es für uns nicht unbedingt gebraucht, aber bei all den Hygienefanatikern in urdeutscher Meckermentalität wollte man da vermutlich auf Nummer Sicher gehen. Wenn nicht bei Molière, wo dann? Der Switch zurück zur Rolle gelingt den beiden im Handumdrehen und für den Rest des Stückes erfreuen sie uns mit ihrer jugendlichen Dynamik. Hergard Engert gibt uns die Hochzeitsvermittlerin Frosine als Diva im pompösen Hofkleid und legt besonders im schwungvollen Wortwechsel, wenn Frosine Harpagon davon überzeugen will, dass er bei weitem die perfekte Partie für Mariane sei und ihn parallel hierzu um etwas Geld für ein privates Problem bitten will, eine überzeugend schwungvolle Achterbahnfahrt der Gefühle hin. Juliane Pempelfort hat es mit ihrer Rolle als doppeltes Objekt der Begierde, Mariane, nicht leicht. Dieser Molières Vorlage geschuldeten Objektifizierung tritt sie allerdings mit komödiantischer Energie entgegen und gibt uns die anfangs übernervöse Mariane, die ihren neuen Ehemann kennenlernen wird und hierbei einen bombastischen Nervositäts-Monolog hält, mit dem sie sich sofort in die Herzen der Zuschauer*innen spielt und für den sie sich sogar persönlichen und wohl verdienten Szenenapplaus abholt. Valère wird verkörpert von Johannes Bauer und trifft genau die Doppelbödigkeit und Geheimniskrämerei dieser Rolle, auf den arschkriechenden Hapargon-Diener folgt ein über beide Ohren in Élise verliebter Romantiker und das teilweise mitten im Dialog, das hat überzeugt. Zu Publikums Liebling avancierte Tom Kramer als Meister Jacques, der zum einen der Koch, zum anderen der Kutscher des Harpagon ist. Kramer übernimmt die bereits bei Molière komisch und etwas dusselig gezeichnete Rolle und baut sie durch eine Unsicherheit ausstrahlende Körperlichkeit und besonders die hohe und dünne Art zu sprechen im Zusammenspiel mit dem vor Hochstatus strotzenden Harpagon Weinknechts außerordentlich lustig aus. Auch Peter Waros spielt zwei Rollen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Als zerzauster Diener La Flèche bekommt auch er die Möglichkeit, seine komödiantische Expression zu zeigen, als Anselme im strengen Rollkragenpulli legt er das gänzliche Gegengewicht ins Seriöse. Im Zusammenspiel, das können wir nicht wiederholen, trägt das Ensemble das Stück auf mitreißende Weise, weiß die Anschlüsse nicht zu verpassen und seine Energie auf das Publikum zu übertragen.
Wer wird also bei Der Geizige am Rheinischen Landestheater auf seine oder ihre Kosten kommen? Vermutlich Freund*innen von einem Konglomerat aus albernem de Funes‘schem Blödelhumor und tollen Molière’schen Texten die in Teilen sogar vereinfacht ins Gehör der Zuschauer*innen dringen, dynamischem Requisitentheater, tollen Molière-Texten, und vor allem einem energiegeladenen Ensemble, das großen Spaß auf der Bühne hat und das es versteht, diesen Spaß zu senden.
Wer sich selbst von dieser Energie mitreißen lassen möchte, dem empfehlen wir einen Besuch auf der Website des Theaters für weitere Einblicke in die Inszenierung, einen Trailer und natürlich Ticketinfos.
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Ein Gedanke zu “Nein. Doch. Oh! – Der Geizige am Rheinischen Landestheater”