Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Beitragsbild: Thomas Schermer (zu sehen: Claudia Ortiz Arraiza)
Es sind seltsame Zeiten, das kann man gar nicht mehr anders sagen. Nachdem im ersten Lockdown noch massenhaft Theaterstücke gestreamt wurden, teils live, teils aber auch aus der Konserve, ist man heute – rund ein halbes Jahr später – soweit, dass es nicht nur Live-Theater, sondern gleich ganze Events gibt, bei denen das Publikum Teil des Geschehens wird. So war es, zumindest unbewusst, auch bei der neuesten Premiere vom Schauspiel Köln. Inszeniert wurde All For One And One For The Money von Richard Siegal und seinem Ballet of Difference, keine Unbekannten mehr, haben wir damals auch über die erste Premiere des Tanzensembles berichtet.
Nun, worum sollte es dieses Mal gehen? Als Zuschauer vor dem heimischen Fernseher (Dank Kopplung mit dem Mobiltelefon!) bot sich uns die Möglichkeit, während der 70-Minütigen Performance kontinuierlich zwischen drei Streams zu wechseln. In einem Stream waren die Tänzer*innen des Ballet of Difference zu sehen, die beiden anderen Streams zeigten zwei Schauspieler des Hauses, die als Gamer verschiedene Spiele (u.a. Sims 4 oder Minecraft) zockten. Nach ein paar Minuten erschien ein sehr nerviges Fenster, das immer wieder darauf hinwies, dass man gegen eine Spende (zwischen 1-100€) auch noch Special Stream 1 und 2 sehen könne. Wir entschieden uns dagegen und akzeptierten unser Schicksal, dass diese Art Werbung immer wieder auftauchte. Später stellte sich raus, dass diese Special Streams nur von kurzer Dauer waren und scheinbar auch nicht viel mehr zu sehen war, was im dauerhaft zugeschalteten Chat für Frust sorgte. Zugegeben: die Idee dahinter ist sehr clever, verweist sie doch auf die kapitalistischen Züge, die im Internet herrschen, denn wer heutzutage nicht mehr zahlt, muss akzeptieren, dass er oder sie permanent von Werbung und Einschränkungen genervt wird, bis man dann doch entnervt das Abo abschließt, um endlich in Ruhe einen Artikel lesen, oder ein Video anschauen zu können, um dann eventuell festzustellen, dass das Geld doch die reine Verschwendung war.
Wir müssen zugeben, dass uns diese drei Streams teilweise überfordert haben, wir mögen es gerne, möglichst viel mitzubekommen, doch ist auch das ein Phänomen unserer modernen Gesellschaft, eine Bahnfahrt wird genutzt, um Sprachnachrichten zu verschicken, zu telefonieren, Facebook, TikTok und Instagram zu checken und um noch schnell bei seinem Lieblingsspiel ein paar Punkte zu machen. Manche beschreiben gar eine Angst, etwas verpassen zu können, bekommen Schweißausbrüche, wenn ihr Datenvolumen aufgebraucht ist und das WLAN nicht funktioniert, also ist es nur logisch, dass man auch bei einer solchen Performance alles mitbekommen möchte. Und trotzdem stand für uns das Tänzerische des Ballet of Difference im Vordergrund. Die Tänzer*innen machten wieder einen grandiosen Job, selbst durch die Distanz des Internets konnte man eine enorme Spannung und viel Energie auf der Bühne erleben, die wunderbar einherging mit der Musik, für die sich Lorenzo Bianchi Hoesch verantwortlich zeichnet. Dadurch, dass die Tänzer*innen auch sehr nah an der Kamera getanzt haben, fühlte man sich selbst abgeholt und mitgenommen. Die intime Atmosphäre ging jedoch immer wieder verloren, wenn die Perspektive in die Totale wechselte. Lieber hätten wir mehr Nähe zu den Tänzer*innen gehabt, denn die Perspektive, im Zusammenspiel mit den Wandbühnenelementen und den Projektionen bot uns eine Perspektive, die wir aus einem Zuschauersaal so nicht erlebt hätten.
Und auch, wenn wir die beiden anderen Streams eher nebenbei verfolgt haben, müssen wir auch auf sie zu sprechen kommen. Zunächst erlebten wir Yuri Englert, der uns zu Beginn in die Performance einführte. Als die Einführung fertig war, startet er die Sims 4, was für Verwirrung sorgte, wirkte es doch zunächst so, als wollte er eine private Runde spielen und hätte vergessen, dass er gerade Live im Internet zu sehen ist. Als er dann ausführlich begann zu berichten, wie man sich einen Sim baut und dass man sich anhand von Profilen aus Facebook ganz einfach jede Person nachbauen könnte, die ihre Bilder im Internet preisgibt, wird klar, dass dies ein Teil der Performance ist. Und auch wenn die Streams in Teilen immer wieder miteinander verschmolzen, so wirkte es eher wie eine Kritik an der Gamer-Szene, denn beiläufig wurden Snapchat-Filter aktiviert, welche zum Teil sehr seltsam aussahen, oder die Spiele wurden nicht richtig gespielt. Die Masken, die als Filter genutzt wurden, haben wir dennoch als interessante Kritik gesehen, dass man sich im Internet, vor allem aber in Spielen, wie Sims oder Minecraft seine eigene Welt schaffen kann. Selbst im Kontakt mit anderen Gamern kann man sich hinter seinem Avatar oder seinem Charakter verstecken. Doch nicht nur uns stießen diese Streams übel auf, auch das Publikum im Chat empfand die Performance in Teilen als zu langwierig und hätte gern mehr aus der Welt des Tanzes gesehen.
Der Chat selbst zog dabei immer wieder unsere volle Aufmerksamkeit auf sich, dadurch, dass das Chatfenster nicht vergrößert werden konnte, verschwanden Nachrichten schnell wieder aus dem Sichtfeld, minutenlang lasen wir die (zum Teil wirklich unterirdischen!) Kommentare mit. Neben Lob, Interesse und Diskussionen gab es immer wieder unqualifizierte Kommentare. Leider gab es nicht die Möglichkeit, den Chat so auszublenden, dass die bewegten Bilder größer dargestellt wurden, man konnte lediglich den Chat allein ausblenden. Dennoch können wir nicht leugnen, dass ein gewisses Interesse am geschriebenen Wort bestand, was wiederum zu den eingangs genannten Punkten passt, dass man Angst hat, etwas zu verpassen. Gleichzeitig hat der Chat für uns aber nur einen höheren Stellenwert erlangt, wenn die Performance uns nicht abgeholt hat. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass der Chat auch zur Performance gehörte und man so als Publikum selbst Teil der Inszenierung wurde.
Spannend wurde es, als wieder eine Tanzsequenz zu sehen war und im Hintergrund QR-Codes abgebildet wurden. Der Neugier nachgebend, zückten wir unsere Handys und scannten die Codes und tatsächlich: man kam zu einem Ergebnis. In unserem Fall war es die Aufforderung die sozialen Medien zu deinstallieren (im Original: „uninstall social media“). Ein netter Ansatz, doch solche Aussagen gibt es inzwischen zu Genüge, wenn auch die Message wichtig ist, denn weniger soziale Medien würden sicher auch wieder mehr soziale Kontakte in der realen Welt bedeuten, außerdem würde man sich weniger zum Glasmenschen machen, da die sozialen Medien oft eigene Daten und Bilder an Dritte weitergeben.
Als es dann noch zu einer Mok-Bang-Sequenz (ein Trend aus Südkorea, bei dem Personen live vor der Kamera ins Mikrofon schmatzend unermesslich viel Essen zu sich nehmen) kam, verging auch uns der Appetit. Ergänzt von verzögerten Essensgeräuschen mussten wir bald den Stream wechseln, um dem unappetitlichen Geschehen nicht weiter beiwohnen zu müssen. Welcher tiefere Sinn sich hinter diesem Ausschnitt verbirgt, ist uns noch ein Rätsel, eventuell, dass man heutzutage mit allem im Internet berühmt werden kann.
Abschließend gab es auch immer wieder Abschnitte, in welchen einzelne Streams offline waren. Stream zwei war später von einem permanenten Störbild geprägt. Zunächst vermuteten wir eine schlechte Verbindung, doch schnell wurde deutlich, dass auch dies ein Teil der Performance war, der unserer Ansicht nach, das Problem aufzeigt, dass wir selbst im 21. Jahrhundert immer noch haben: kein flächendeckendes Internet, Zonen, in denen man sich wie in der Steinzeit fühlt. Sicher gab es auch einige Zuschauer*innen, die bereits nervös zu ihrem Router liefen und überprüft haben, ob die eigene Verbindung eventuell zu schlecht ist.
Nach rund 70 Minuten endet die Performance mit einigen Texteinblendungen, Shakespare wird zitiert, vermutet man im Chat. Es folgen weitere „Wows“, „Congratulations“-Nachrichten, teilweise gefolgt von „Boring“ bis zu dem Punkt, dass ein User findet, das war die größte Verschwendung an Lebenszeit. Die Geister scheiden sich, doch eines zeigt es ganz klar: Im Schutz der Anonymität (kaum einer nutzte seinen richtigen Namen) kann wieder ordentlich vom Leder gezogen werden und es spricht leider sehr für unsere Gesellschaft, die an allem etwas auszusetzen hat und sich im Schatten des Internets sicher genug fühlt, um beleidigend zu werden. Trotzdem sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass es auch viel Lob und Anerkennung für die Performance gab.
70 Minuten sind keine lange Zeit, doch zog sich die Performance gerade in der ersten Hälfte sehr hin, versprachen wir uns doch mehr tänzerische Elemente und weniger Gamer-Streams. Ab der zweiten Hälfte jedoch packte uns die Performance zunehmend und die gezeigten Deutungsversuche machen deutlich, dass Richard Siegal uns zum Nachdenken angeregt hat. Damit ist für uns der Abend gelungen, wenn auch nicht jedes Element verstanden wurde. Dennoch halten wir fest, dass es uns auf Dauer lieber gewesen wäre, hätten wir noch mehr von den tollen Perspektiven und den Tänzer*innen gesehen, denn die Bewegungsabläufe waren sehr beeindruckend und das Zusammenspiel mit den Projektionen war einzigartig. Wer klassisches Theater oder aber eine reine Tanz-Performance erwartet, wird bitter enttäuscht werden, doch wer offen in die Veranstaltung geht und bereit ist sich auf diesen Aufbau einzulassen, der wird im Laufe des Abends auf seine oder ihre Kosten kommen.
Stand heute, hat das Schauspiel Köln am 05. und 06.12. weitere Online-Events geplant, bei denen man sich die Inszenierung ansehen kann. Weitere Informationen gibt es auf der Seite des Schauspiel Köln. Auch wenn uns das Konzept nicht gänzlich überzeugt hat, so hat es doch das Ballet of Difference an sich wieder und wir freuen uns schon jetzt auf weitere Produktionen, dann hoffentlich auch wieder live vor Ort.
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Ein Gedanke zu “Digitale Premiere am Schauspiel Köln – Richard Siegals All For One And One For The Money”