Aus Hate Speech wird Respect Speech – Robert Christott über die Kraft des Miteinander-Redens

Titelfoto: Robert Christott
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)

„Demokratie ist die falsche Staatsform, um die Klimakrise zu bewältigen.“

„Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ist nicht notwendig.“

„Querdenkerdemos müssen verboten werden.“

„Frauen sind die besseren Führungskräfte.“

Na? Habt ihr als Leser*innen dieser vier Statements das Bedürfnis, euch dazu zu äußern? Eure Meinung zu nennen? Diejenigen, die diese Thesen vertreten, vielleicht gar von einer anderen Meinung, eurer Meinung zu überzeugen? Wie wäre es, wenn es zum Besprechen dieser gesellschaftlich und tagespolitisch aktuellen Themen einen festen Raum gibt, in dem ihr euch respektvoll und konstruktiv zu sämtlichen Kontroversen, die tagtäglich die Zeitungen der Welt füllen, austauschen könnt, eben ganz ohne, dass jemand „Fake News!“ brüllt, aufstampft, die Arme verschränkt und schmollend-zickig gar nichts mehr sagt. 

Im Jahr 2017 nahm der Kölner Theatermacher Robert Christott an einer Veranstaltung der Initiative „Deutschland Spricht“ von ZEIT Online teil, einer „Plattform“, wie es auf der Website heißt, „für politische Zwiegespräche“ mit dem Versprechen: „Menschen zusammenbringen, die politisch völlig unterschiedlich denken und möglichst nahe beieinander wohnen.“ Dieser Ansatz beeindruckt Robert so sehr, dass er ihn sich gleich einpacken und für sein Theaterkonzept adaptieren wollte. Im Interview verriet er uns, was er sich hierdurch erhoffte, wie er das Konzept in Köln etablierte und wie es sich entwickelt(e). 

„Ich bewundere diese Leute, die sich in den Hambi stellen und dort friedlich demonstrieren, denn friedlicher Protest ist superwichtig in der Demokratie. Allerdings sehe ich mich selbst nicht als Aktivist, das ist nicht mein Format. Daher hatte ich den Wunsch, etwas anderes zu machen, wo ich als Bürger Verantwortung übernehmen kann“, erklärt uns Robert seine innere Motivation. Nach seiner Teilnahme an „Deutschland Spricht“ fragte er den Redakteur Philip Faigle, ob er das Format adaptieren dürfe, was dieser nur bejahte: „Die Offenheit von Philip Faigle hat mich begeistert. Die wollen ja, dass die Leute diskutieren und haben darauf kein Copyright“. Also sucht Robert in seiner Heimatstadt Köln nach Kolleg*innen, die ihn in dieser Sache unterstützen und wird auch schnell fündig: „Ich saß zufällig mit Ruth zum Kley vom Kölner Künstler*innen Theater (KKT) zusammen, um mit ihr Termine zu besprechen. Dabei habe ich ihr auch von dieser Idee erzählt und sie war direkt davon begeistert.“ Die Idee des Gesprächsformats passte perfekt in ein bereits bestehendes Workshopformat des KKT mit dem Namen Respect Speech. Auch das Netzwerk THEATER & DEMOKRATIE wurde gegründet mit dem Ziel, demokratische Formate zu entwickeln, die das Theater in die Gesellschaft öffnen. Von nun an sollte das KKT Gesprächsraum sein für tagespolitischen Diskurs aller Art mit Teilnehmer*innen jedweder Couleur. Auch die beiden Schauspielerinnen Elena Boecken und Aylin Duman vom aachener Schauspielensemble Das Theaterbüro holt Robert sich ins Boot, genauso wie Schauspielschüler Philip Birkmann, der bereits seit Jahren an seinem alten Gymnasium in Mönchengladbach Kinder- und Jugendtheater betreibt und dessen Mission es ist, herauszufinden, wie das Format Respect Speech einer jüngeren Zielgruppe erschlossen werden kann. 

„Ich bewundere diese Leute, die sich in den Hambi stellen und dort friedlich demonstrieren, denn friedlicher Protest ist superwichtig in der Demokratie. Allerdings sehe ich mich selbst nicht als Aktivist, das ist nicht mein Format. Daher hatte ich den Wunsch, etwas anderes zu machen, wo ich als Bürger Verantwortung übernehmen kann.“ (Robert Christott, Foto: Simon Howar/Neue Bilder)

Die ersten Treffen liefen an und waren bereits mit Begeisterung besucht worden. Doch gab es ein Problem: „Die Leute, die kamen, konnte man größtenteils in den Theater- und Kulturkontext einordnen, man kannte sich untereinander, sie hatten also auch keine Berührungsängste mit so einem Ort wie dem Theater.“ Wie also nun die Leute erreichen, die dem Theater nicht so sehr verschrieben, die für Respect Speech aber genauso eingeladen sind, wie die Theatergänger*innen? Wie die Leute, die im Idealfall alle unterschiedliche Meinungen vertreten, erreichen und ins Theater bringen? Ein erster Schritt war die Änderung des Namens des gegründeten Netzwerks. Aus THEATER & DEMOKRATIE wurde DIALOG & DEMOKRATIE und das nicht nur wegen der wohlklingenden Alliteration: „Eine Befragung ergab, dass der Begriff Theater zwar für einige ein Gütesiegel ist, für viele Menschen jedoch eine Hürde darstellt“, erklärt eine Pressemitteilung. Außerdem gab es Unterstützung von der Stadt: „Wir wurden unterstützt von Benjamin Thele vom Kulturamt der Stadt Köln. Der hat uns wertvolle Tipps gegeben, an welche Interessengruppen wir uns wenden können. Er ist zuständig für den Bereich ‚kulturelle Teilhabe‘ und das ist genau die Kerbe, in die Respect Speech hineinschlagen will“, erklärt Robert. Und so langsam, aber sicher kamen Teilnehmer*innen, die das Team nicht kannte, Menschen, die sich nicht im Theaterkontext bewegten, sondern einfach nur am Konzept interessiert waren und daran, mit fremden Menschen einen respektvollen Diskurs zu führen, oder, wie Robert es formuliert: „Dieser Zauber, der entsteht, wenn die Menschen, die sich nicht kennen, sich an einen Tisch setzen und miteinander ins Gespräch kommen.“

Doch ist das wirklich so leicht, mit einer fremden Person einfach so einen Diskurs zu beginnen? Bedarf es hier nicht des berühmten Eisbrechers? Des Smalltalks? Zur Vermeidung der Gefahr, dass man sich anschweigt für Minuten, die dann wirken wie Stunden? Robert klärt auf: „Anfänglich formulierten wir Thesen für die Gespräche auf einem Fragebogen, so etwas wie ‚Frauen sind die besseren Führungskräfte‘ oder ‚Wir bekommen den Klimawandel nicht mehr in den Griff‘. Dann haben wir aber festgestellt, wie sehr das die Leute lenkt und wie sie dann in den Runden nur über die Themen der Fragebögen gesprochen haben.“ Das Problem, das die Theatermacher*innen feststellten: Die Teilmehmer*innen wollten regelrecht Themen vorgegeben bekommen. Roberts Vermutung hierfür: „Sie empfinden den Gesprächseinstieg oft als große Hürde und fragen sich: ‚Worüber sollen wir jetzt reden?‘, ‚Darf ich ein Thema vorschlagen?‘ oder ‚Findet mein Gegenüber das Thema vielleicht blöd?‘“

So begann man, das Konzept zu reflektieren und anzupassen.  Nun, mittlerweile coronabedingt auf ZOOM, ist das Respect Speech-Team einen Schritt weiter. „Wir starten den Abend mit einer kleinen Einleitung, in der wir erklären, wie der Abend abläuft und in der wir den Tipp geben, dass die tagespolitischen Themen nur Anregungen sind, um dahin zu kommen, dass man auch über seine eigenen Themen spricht und sich traut, zu sagen, welches Thema einen persönlich betrifft oder was man vom Gegenüber zu einem bestimmten Thema wissen möchte“. Auch die Tipps, keinen Smalltalk zu halten und nicht zu verraten, was man beruflich macht, geben die Veranstalter*innen ihren Teilnehmer*innen mit auf den Weg, hoffen dadurch, dass der Verzicht auf zu viele Infos den Gesprächsrahmen nicht zu eng zieht und die Besucher*innen somit zur Selbstverantwortung ermutigt. 

„Wir starten den Abend mit einer kleinen Einleitung, in der wir erklären, wie der Abend abläuft und in der wir den Tipp geben, dass die tagespolitischen Themen nur Anregungen sind, um dahin zu kommen, dass man auch über seine eigenen Themen spricht und sich traut, zu sagen, welches Thema einen persönlich betrifft oder was man vom Gegenüber zu einem bestimmten Thema wissen möchte.“ (Teilnehmer*innen im Gespräch während einer Respect Speech-Sitzung im Kölner Künstler*innen Theater, Foto: Robert Christott)

Und so starten die Teilnehmer*innen in zwei jeweils 20-minütige Breakout-Sessions, das sind bei ZOOM jene virtuellen Räume, die besonders die Schüler*innen und Studierenden für ihre Gruppenarbeiten kennen, kleinere ZOOM-Räume, in denen man ganz ungestört zu zweit reden kann. Ein paar Spielregeln gibt es da natürlich auch: „Es geht darum, dem Gegenüber zuzuhören und bereit zu sein, dessen Position empathisch einzunehmen. Falls man bei einem Thema nicht einer Meinung ist, dabei aber das jeweils andere Argument wertschätzend betrachtet, kann man trotzdem dabei bleiben, nicht einer Meinung zu sein, aber man kann sich konstruktiv austauschen.“ 

Und welches Resümee kann das Respect Speech-Team bisher ziehen? Robert schwärmt: „Die Menschen, die aus den Breakout-Sessions herauskommen, sind oft sehr berührt, sie haben dort intensive Empathieerlebnisse gehabt, auch, wenn das von außen betrachtet vielleicht nicht so spektakulär ist, was da passiert ist, aber es ist genau das: man redet miteinander, man redet zueinander, übereinander, man hört vor allem auch einander zu und, wenn beide Seiten das so machen, ist das so eine kleine Zeitblase von Wertschätzung und Anerkennung, obwohl man nicht einer Meinung sein muss.“

Auch das Online-Format bringt bei Respect Speech seine Vorteile, wie Robert beobachtet: „Der Theaterraum ist für viele Menschen eine Hürde. Sie wissen nicht genau, wie die Codes dort sind, wie sie sich verhalten oder ob sie etwas Bestimmtes anziehen müssen. Und da bringt ZOOM einen entscheidenden Vorteil: Alle sind zu Hause, man ist in seinem privaten Umfeld, das macht das ZOOM-Format zu einem Demokratisierungsschub.“

„Die Menschen, die aus den Breakout-Sessions herauskommen, sind oft sehr berührt, sie haben dort intensive Empathieerlebnisse gehabt, auch, wenn das von außen betrachtet vielleicht nicht so spektakulär ist, was da passiert ist, aber es ist genau das: man redet miteinander, man redet zueinander, übereinander, man hört vor allem auch einander zu und, wenn beide Seiten das so machen, ist das so eine kleine Zeitblase von Wertschätzung und Anerkennung, obwohl man nicht einer Meinung sein muss.“ (Teilnehmer*innen eines ZOOM-Treffens bei Respect Speech, Foto: Robert Christott)

Trotz der Vorteile, die das Online-Konferenz-Tool bietet, ist sich Robert auch seiner Ausgrenzungen bewusst: „Natürlich schließt dieses Format leider auch Menschen aus, die vielleicht über kein Endgerät verfügen oder bei denen das WLAN nicht funktioniert, so haben Leute teilweise nicht die Möglichkeit, an den Treffen teilzunehmen. Aber das Bestreben, immer mehr Teilnehmer*innen zu inkludieren, ist durch ZOOM dennoch bereits gefördert worden. 

Doch in postpandemischen Zeiten soll es wieder raus gehen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Waren bisherige Treffpunkte das KKT oder eben ZOOM, soll es, wenn es nach dem Team vom Netzwerk DIALOG & DEMOKRATIE geht, in der Zeit nach den Pandemiebeschränkungen herausgehen in die Veedel: „Unsere Wunschvorstellung ist es, dass ganz viele Leute Lust haben, mitzumachen und so zu sagen Agenten von Respect Speech werden. Wir arbeiten auch an einem Angebot für Lehrer*innen, weil wir von dieser Zielgruppe großes Interesse signalisiert bekommen haben.“ Vielleicht, so Roberts Vision, ist es auch die Tanzlehrerin oder der Fußballtrainer, die diese Konzepte in ihre Gruppen und Mannschaften tragen wollen, auch hier will Respect Speech bald Möglichkeiten bieten: „Allen Leuten, die Lust haben, mitzumachen, eignen wir in einem Coaching nötige Kommunikationsgrundregeln an und dann können sie losziehen in die Veedel und dort zu Gesprächen anstiften in Bürger- oder Jugendzentren und dort vor Ort schauen, mit welchen lokalen Identifikationspersönlichkeiten man die Leute interessieren und begeistern kann. 

Es ist offenkundig unstreitbar, dass Respect Speech ein wundervolles Projekt ist, das hoffentlich noch eine große Zukunft hat und von dem alle Teilnehmer*innen, ob im KKT, bei ZOOM oder später in den Veedeln sehr stark profitieren. Gefördert wurde Respect Speech bis 2020 durch das Kulturamt der Stadt Köln und die Bundesinitiative Demokratie leben!. Ab 2021 heißt das Format #RESPECTSPEECH 3.0 und erhält ab jetzt Förderung vom Fonds Darstellende Künste, dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und vom NRW Landesbüro Freie Darstellende Künste des Kulturministeriums NRW sowie jetzt und hiermit auch durch diesen Autor der Theater WG und alle Leser*innen dieses Textes: Wer nämlich mehr erfahren will über Respect Speech oder gar an der nächsten Session am 02.02. oder 02.03.2021, jeweils um 19:30 Uhr teilnehmen will, dem oder der sei die Website des KKT empfohlen. Die Teilnahme ist kostenlos und direkt über diesen ZOOM-Link erreichbar (Meeting-ID: 870 9973 4360; Kenncode: 92937).

Abschließend bleibt nur noch zu hoffen, dass solch bemerkenswerte Projekte wie Respect Speech in Zukunft noch viel mehr begeisterte Teilnehmer*innen verzeichnen und wir so Fake News und Hate Speech auf der Ebene kultivierter und konstruktiver Debatte den Wind aus den Segeln nehmen. 


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