Titelfoto: Knut Klaßen
Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Es war wieder Zeit für das Ballet of Difference im Schauspiel Köln. Gymnastik – Stretching out to past and future dances heißt die von Gintersdorfer/Klaßen in Zusammenarbeit mit dem Ballet of Difference sowie Ordinateur, Alaingo und Hans Unstern erarbeitete Tanzperformance, die sich mit der Tanznation Deutschland seit der Weimarer Republik auseinandersetzt. Eine sehr spezielle Tanzperformance, die als digitales Format Premiere feierte. Ist dies gelungen?
Seit der Weimarer Republik wurde in Deutschland die körperliche Ertüchtigung, bereits zu Schulzeit, stark in den Fokus gerückt. Was den meisten heute schlichtweg als Sportunterricht bekannt ist, wurde damals noch zelebriert und hatte nicht nur zum Ziel, Kindern und Jugendlichen den Sport im Allgemeinen näher zu bringen und sie damit aus ihrem bewegungsarmen Schullalltag herauszuholen, um so etwas für ihre Gesundheit zu tun, sondern es sollte auch eine Schärfung für den eigenen Körper stattfinden, eine fast militärische Erziehung, die letzten Endes auch zum Wehrdienst motivieren sollte. Einen Höhepunkt (wenn man ihn denn als einen solchen bezeichnen kann, denn der Grund und Zweck dieser Institution ist natürlich mehr als fraglich!) fand diese körperliche Ertüchtigung, als 1932 eigens ein Reichskuratorium für Jugendertüchtigung gegründet wurde. In der Inszenierung setzten sich die Tänzer*innen deshalb nicht nur tänzerisch, sondern auch sprachlich mit den Geschehnissen auseinander und sprechen während der Inszenierung immer wieder Texte in verschiedenen Sprachen, mal mit und mal ohne Übersetzung.
Zu Beginn der Inszenierung stellen wir direkt mehrere Dinge fest: Als Publikum sind wir mittendrin, statt nur dabei, denn nicht nur fest installierte Kameras geben uns die Möglichkeit, das Stück aus verschiedenen Perspektiven zu sehen, sondern auch mobile Kameras, die sich mit den Tänzer*innen über die Bühne bewegen. Leider war die Kameraführung nicht immer sehr ruhig und auch einige Perspektiven, wie beispielsweise der Blick auf halbdunkle Tänzer*innen im Zuschauersaal oder der Blick über das Regiepult auf die Bühne, wodurch das eigentliche Geschehen halb verdeckt wurde, waren eher störend als anregend. Auch die schrillen Grundkostüme in Pastellfarben erinnern an die Hochzeit des Aerobics in den 80er Jahren, als man sich Dank Videokassetten von schrill gekleideten Hampelmännern und -frauen hat anleiten und ins Schwitzen bringen lassen. Zudem gibt es wieder Live-Musik vom Musiker und Performer Hans Unstern. Direkt zu Beginn sehen wir zunächst angeleitete Übungen, wie es den Anschein macht. Was wie ein Aufwärmen wirkt, soll sicherlich auch eines sein, ein Einstieg für die Performer*innen und das Publikum gleichermaßen, dann, nach knapp fünf Minuten beginnt die Darbietung.
Unanfechtbar sind wieder einmal die Leistungen der Tänzer*innen, die in beeindruckender Konzentration und Präzision ihre Bewegungen ausführen. Körperspannung und Selbstkontrolle par excellence, so wie wir es bereits in vorherigen Darbietungen des Ballet of Difference erstaunt betrachten konnten. Und doch möchte uns die Vorstellung an diesem Abend nicht so richtig mitreißen. Durch die Kamerawechsel sind immer wieder im Saal sitzende Personen oder auch ein anderer Kameramann zu sehen, die nicht so richtig in das Gesamtbild passen wollen oder ein Tontechniker läuft mit der Tonangel durchs Bild. Zwar gewinnt man als Zuschauer*in den Eindruck selbst auf der Bühne zu stehen, allerdings erhält es dadurch auch immer wieder Probencharakter. Auch die gesprochenen Texte der Tänzer*innen sind teils nur schwer zu verstehen, was weniger daran liegt, dass sie in Englisch oder Französisch oder dann parallel in Deutsch synchronisiert sind, sondern vielmehr am Umstand, dass das hingehaltene Mikrofon (welches mal im Bild ist und mal nicht) teilweise zu weit von den Tänzer*innen entfernt war. Auch waren die gesprochenen Sequenzen teils sehr lang. Die Botschaften, die dahinter steckten waren durchaus wichtig, doch die Länge der Texte nahm immer wieder die Dynamik und den Zauber des Tanzes und war für unseren Geschmack in einer Tanzperformance etwas zu unverhältnismäßig. Mit der Zeit entstand ein Eindruck, dass man Teil eines fortgeschrittenen Probenprozesses geworden ist.
Trotzdem gelingt es dem Regieduo Monika Gintersdorfer und Knut Klaßen immer wieder, Akzente zu setzen, inhaltlicher, wie auch ästhetischer Art. Beispielsweise werden Turnelemente, die teilweise mit einer Art flexiblen Stoffschlange in schneller Folge durchgeführt werden, bei denen diese auch mal herunterfallen, direkt von außen mit dem Wort „Mistake“ kommentiert. Andererseits werden besonders schöne und gelungene Bewegungen auch bejubelt und beklatscht. Eine Anspielung darauf, wie perfekt alles sein muss, wie perfekt Tänzer*innen, aber eben auch Sportler*innen sein müssen, denn gleichzeitig wird damit auf die Disziplin der Rhythmischen Sportgymnastik verwiesen, die seit 1984 olympisch ist. Besonders beeindruckend war auch das Tanzduo Ordinateur und Alaingo, die beide mit dem ivorischen Tanzstil der Coupé-Décalé-Bewegung, aber auch mit dem Hiphop und der Afro-Dance-Szene vertraut und auch bereits mit Preisen ausgezeichnet sind. Die Abstimmung der beiden aufeinander in den Abläufen ließ einen für einige Minuten vergessen, dass man in den eigenen vier Wänden sitzt, denn die Präzision in Bewegung und Tonerzeugung war durch und durch beeindruckend.
Etwas irritierend war hingegen die Musik von Hans Unstern, die zum Teil mit sehr schrillen Klängen aufwartete. Allerdings wurden einzelne Musikstücke durch eine selbstgebaute Harfe erzeugt, was wiederum sehr harmonisch wirkte. Eventuell sollte dies zur Unterstützung und zum Kontrast zu den gezeigten Bewegungen stehen und vertonen, was im Tanz oft auch zu sehen ist: die Harmonie, aber eben auch die Schwierigkeit, Bewegungen exakt auszuführen, beziehungsweise sich diese Bewegungen in ihrer Exaktheit anzueignen. Sicherlich ist dies auch als Kritik zu verstehen als, wie oben beschrieben, der Tanz und Sport als Erziehungsmaßnahme zur Vorbereitung auf militärische Dienste entfremdet wurde. Eine weitere Irritation gab es, als eine Tänzerin plötzlich mit freiem Oberkörper tanzte. Auch hier waren die Bewegungen ansehnlich und ästhetisch und die Szene im gesamten hätte durchaus auch ohne die Nacktheit funktioniert, da diese eher störend als unterstützend wirkte. Wir können lediglich mutmaßen, dass damit der Seelenstriptease gemeint sei kann, den man als Tänzer*in hinlegen muss, man gibt sich und seinen Körper her, um der Musik, den Bewegungen und den Abläufen zu verfallen, andererseits muss man kontinuierlich an sich selbst arbeiten, um im Training zu bleiben, schlussendlich verpflichtet man sein Leben dem Tanz. Doch dies sei, wie gesagt, nur eine Mutmaßung unsererseits. Dem entgegen stand ein kurzer Auftritt von Monika Gintersdorfer, in welchem sie selbst einige Minuten tanzte und das Publikum schon fast um Entschuldigung oder Erlaubnis bat, dass sie als über 50-jährige auch tanze. Hier war die Message klar: Tanz sollte keine Grenzen kennen und nicht für bestimmte Gruppen, sondern für jeden bestimmt sein, egal welchen Alters, welcher Herkunft, ob mit oder ohne Handicap, denn Tanz verbindet.
Nach rund zwei Stunden endet die Performance. Auch, wenn es durchaus einige Momente gab, die zum Nachdenken anregen oder einen fesseln, so haben die erwähnten Elemente, die immer wieder den Fluss unterbrochen haben, dazu beigetragen, dass sich die Inszenierung etwas zog. Trotzdem glauben wir, dass Freund*innen des Tanzes und von Performances auf ihre Kosten kommen und vielleicht auch ein etwas anderes Zeitempfinden während der Vorstellung haben werden, als es bei uns der Fall war. In jedem Fall wird es am 07., 18. und 26. März noch einmal jje einen Stream geben, wer sich dafür interessiert, sollte die Seite des Schauspiel Köln besuchen. Tickets gibt es nach dem Pay-What-You-Want-Prinzip für einen bis 100 Euro. Wir wünschen allen Beteiligten, dass die nächste Vorstellung auch gut gebucht ist, denn insgesamt ist es eine tolle Sache, die das Schauspiel Köln mit ihren Streams aus dem Haus anbietet, um in der aktuellen Situation die Kultur zum Publikum zu bringen.
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