Titelfoto: Camilla Green
Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Wieder einmal ist Wochenende, immer noch ist Corona, erneut fragt man sich: Was soll man machen? Das Tanz Köln, einer von vielen europäischen Kooperationspartnern, lockte mit einer interessanten Beschreibung der Gruppe Rambert aus England. Rooms heißt die Tanzperformance, die als „ambitionierter Tanztheaterfilm“ beworben wird. Doch wer Material vom Band erwartet, irrt, denn die Gruppe, unter der Regie des norwegischen Choreographen und Tänzers Jo Strømgren, performt live. 65 Minuten, und das nehmen wir als Eindruck direkt vorweg, pure Faszination, weil Tanz und Technik so perfekt ineinander greifen, dass man völlig vergisst, wo man sich gerade befindet und vollkommen in die kurzen Geschichten, die erzählt werden, eintaucht.
Die Rambert – Contemporary Dance Company London wie die Gruppe vollständig heißt, ist ein Tanzensemble aus England. Mit ihrem Rambert Home Studio haben sie eine Plattform geschaffen, auf welcher die Gruppe in der aktuellen Zeit Angebote online anbietet, wie beispielsweise Rooms oder andere Inszenierungen, aber auch Yoga- und Contemporay-Kurse. Wie der Name der Gruppe schon verrät, hat sie sich auf Contemporary-Tänze spezialisiert. Einem Laien ist der Begriff vielleicht noch aus der Tanzschule oder Sendungen wie Let’s Dance ein Begriff. Einfach gesagt handelt es sich um einen zeitgenössischen Tanzstil, der sich verschiedener Tanzelemente (u.a. Ballett, Modern Dance, Breakdance, aber auch klassischer Tänze, die man aus Tanzschulen kennt) bedient. Dieser Stil definiert sich seit den 70ern immer wieder neu und entwickelt sich somit stetig weiter, bleibt in seiner Fassung aber weiter sehr experimentell und offen.
„Wir alle lieben es, einen Blick in andere Leben und ihr jeweiliges Zuhause zu werfen. Zum Beispiel, wenn wir Miniaturszenen durch das Zugfenster beobachten oder durch die Straßen radeln und in Wohnungen spähen.“ Mit diesen Worten wird die Tanzperformance auf der Seite des Tanz Köln beworben. Das Konzept ist relativ simpel: Es gibt drei Räume, zwischen denen man als Zuschauer:in immer wieder wechselt. Doch jeder Raum erzählt immer wieder eine neue Geschichte und das Konzept, dass ein Eindruck entstehen soll, als würde man Mäuschen spielen, nur kurz einen Blick in die Leben anderer werfen, geht schnell auf. Das Publikum schaut vom heimischen Fernseher quasi in Form einer Guckkastenbühne in die Räume. Präzise gewählte Kameraperspektiven, aber auch sehr saubere Kamerafahrten lassen uns von Geschichte zu Geschichte schweben, mal etwas Distanz gewinnen, dann aber auch wieder mitten drin sein. Es bleibt gar keine Zeit jede Geschichte zu verstehen oder zu reflektieren, denn jede einzelne Szene dauert im Schnitt zwei Minuten.
Mit der Zeit bekommen wir unterschiedlichste Einblicke in die verschiedensten Leben der Menschen, die so auch in der eigenen Nachbarschaft des Publikums vorkommen könnten. Gut, zum Teil werden diese etwas abstrus, wenn wir beispielsweise Zeugen eines rituellen Selbstmords werden, bei dem sich Personen, in Roben gekleidet, aus dem Fenster stürzen und schlussendlich eine Frau, die zögert, noch aus dem Fenster geschmissen wird. Wobei: Es gibt nichts, was es nicht gibt! Doch auch, wenn wir Zeugen von häuslicher Gewalt, Selbstmord oder auch eines Versteckspiels, da man fremdgegangen ist, werden, so hat die Inszenierung viele lustige Momente, beispielsweise, wenn ein Tänzer als UPS-Lieferant eine scheinbar verwechselte Urne austauscht (und gegen Schluss in der Masse noch einmal von hinten auftaucht und die ausgetauschte Urne dem richtigen Besitzer gibt). Es sind diese kleinen Momente, die der Inszenierung eine gewissen Lockerheit geben. Noch während die Inszenierung läuft beginnt man sich zu fragen: Wie stehen die Personen zueinander, lieben sie sich, hassen sie sich, was ist der Grund für den Selbstmord, ist die Person jetzt Tod und bei einer anderen Person, die sich in einem anderen Raum umgebracht hat und was sollte eigentlich die Tanzperformance mit dem Schrank bedeuten?
Am Ende ist es fast egal, dass man gar nicht zu jeder Szene eine Geschichte oder eine Auflösung gefunden hat, denn die tollen Choreographien lassen einen als Zuschauer:in vollkommen eintauchen in eine andere Welt. Zwar sieht man immer wieder Geschichten, doch wenn (scheinbar) keine Geschichte erzählt wird, ist dies nicht schlimm, denn die Präsenz und Präzision, mit der die Choreographien getanzt werden, bieten ihren ganz eigenen Kosmos an Geschichten, den jede:r für sich selbst definieren kann. Neben der Leistung der Tänzer:innen ist auch die Leistung der dahinerstehenden Techniker:innen nicht zu vernachlässigen. Durch eine konstant sehr gute, zum Teil geniale, Kameraführung, die uns immer wieder unterschiedliche Perspektiven und Einblicke gibt, hat man zu keiner Sekunde das Gefühl, dass diese Performance eine Bühne gebraucht hätte. Im Gegenteil, sie scheint für den Konsum am heimischen Bildschirm gemacht worden zu sein. Auch Elemente wie Licht, Nebel und Musik greifen so harmonisch ineinander, dass selbst die Wechsel der Räume nur wie ein Gang über den Hausflur erscheinen, um hinter die nächste Haustür (oder auch nur durch den Türspion) zu schauen. Ein besonderer Kniff war die Kamerafahrt von der Seite, wodurch man gleichzeitig in alle drei Räume blicken konnte. Wurden zunächst nach und nach Türen geöffnet, so wurden sie einem auch wieder der Reihe nach vor der Nase zugeschlagen.
Als sich die Performance nach ca. 60 Minuten dem Ende nähert, blicken wir als Publikum noch einmal aus einem Fenster, an welchem alle Tänzer:innen noch einmal in ihren unterschiedlichen Rollen performen, oft auch in Zeitlupe und mit großen Gesten und großer Mimik. Spätestens hier wird deutlich, wie gut alle Beteiligten auf und hinter der Bühne aufeinander abgestimmt sind, denn in dieser Schlussszene stimmt einfach alles und als Zuschauer:in ist man verwundert, in wie viele Geschichten man in der letzten Stunde eingetaucht ist. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es leider immer mal wieder vorkommt, dass Tänzer:innen auch Theater spielen (sollen), was oftmals aufgesetzt wirkt, allerdings können wir bei dieser Performance festhalten, dass nicht nur der Tanz, sondern auch das Schauspiel auf den Punkt sind. Doch das Vorbeiziehen aller Geschichten ist auch ein trauriges Ende, denn zuletzt wird noch ein Selbstmord begangen, dieser wird nur angedeutet und das Vorbeiziehen der Szenen wirkt gleichzeitig wie das Vorbeiziehen des Lebens, bis der Tänzer, der sich umgebebracht hat, schlussendlich in ein Bett steigt, in welchem bereits eine Frau liegt, die vorher ebenfalls durch häusliche Gewalt starb.
Rooms ist eine absolut gelungene Tanzperformance, die man nur weiterempfehlen kann, egal ob man selbst einen starken Bezug zum Tanz hat oder nicht, denn auch auf der Bild- und Sprachebene findet so viel statt, dass man sich einfach auf das, was einen als Zuschauer:in erwartet, einlassen muss. Da die Performance live gespielt wurde, gibt es leider bis dato keine Aufzeichnung, die man sich ansehen kann, doch es wäre nicht verwunderlich, wenn die Inszenierung noch einmal aufgeführt wird, spätestens dann sollte man zuschlagen. Ansonsten empfehlen wir die Website der Gruppe zu besuchen oder ihrem Instagramkanal zu folgen. Auch auf der Seite des Tanz Köln kann man sich über die Inszenierung informieren und sollte es zu weiteren Aufführungen kommen, sind die Termine dort sicherlich auch zu finden.
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