Endlich wieder Theater! – Die Spielplanpräsentation der Landestheater NRW

Titelfoto: Volker Beushausen (zu sehen: Anna Sonnenschein, Niklas Maienschein, Juliane Pempelfort, vorne: Katrin Haupt)
Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)

Es ist ein sonniger Dienstagmorgen, als wir die Spielplanpräsentation der Landestheater NRW im Konzert- und Bühnenhaus der Wallfahrtsstadt Kevelaer besuchen. Allerdings trägt nicht nur das Wetter dazu bei, dass im Inneren gute Stimmung herrscht, von Aufbruchsstimmung möchte man fast reden, denn die Landestheater dürfen wieder spielen. Endlich! 

Expert:innen in der Runde mögen sagen: „Moment mal! Die Spielplanpräsentation fand doch auch letztes Jahr in Solingen statt, also was ist so besonders daran?“ Die Antwort ist simpel: Im September 2020 herrschte viel Unsicherheit. Wie wird der Winter? Kommt ein neuer Lockdown? Die Theater waren bereits gestresst von den sich täglich ändernden Vorgaben und niemand wusste so richtig was auf sie alle noch zukommt. Diese Unsicherheit ist heute, im September 2021, zumindest ein Stück weit verflogen, denn so lästig die 3-G-Regeln, Maskenpflicht, Abstandsregelungen, ja auch die sich weiterhin ändernden Coronaverordnungen, sein mögen, so geben sie (zumindest im Moment) ein klares Zeichen an die Branche: Diesen Herbst/ Winter muss niemand mehr schließen! Dass Politiker:innen ihre Meinung dahingehend schnell mal ändern, haben wir in den letzten 18 Monaten zu Genüge erfahren, doch mit den Impfungen und den Erfahrungswerten der letzten Wochen und Monate fühlt man sich etwas sicherer. Und das ist gerade für die gebeutelte Kultur- und Veranstaltungsbranche ein ganz wichtiger Schritt zurück in Richtung Normalität. Aus eigenen Erfahrungen wissen wir: die letzten Monate waren für einige nicht nur finanziell, sondern vor allem psychisch eine enorme Herausforderung. 

Endlich wieder Theater: Die Spielplanpräsentation der Landestheater NRW 2021 in der Wallfahrtsstadt Kevelaer war gut besucht und die Stimmung war ebenfalls gut.
(Bild: Die Landestheater NRW / Volker Beushausen)

Doch zurück zum eigentlichen Thema, die Spielplanpräsentation. Hierbei geht es nicht um die gerade angelaufene Spielzeit, sondern um die darauffolgende, also 2022/23. Da Landestheater nicht nur ihre eigene Bühnen bespielen, sondern auch Gastspiele in Städten spielen, die zwar eigene Bühnen besitzen, dafür aber kein eigenes Theaterensemble haben, (deshalb auch die Bezeichnung >>Landes<<theater), geht es darum den Verantwortlichen der Städten und Kommunen zu zeigen, dass das eigene Programm interessant und sehenswert ist und man es für die kommende Spielzeit buchen sollte. Platt gesagt ist es eine Verkaufsveranstaltung, oder zumindest etwas wie eine kleine Messe, die aber sehr liebenswert vom Büro der Landestheater organisiert wird und bei der man sich als Besucher:in willkommen fühlt, egal ob man alte Bekannte wiedertrifft oder neue Bekanntschaften knüpft. 

Es ist kurz nach elf als das Saallicht ausgeht, im Saal darf man die Masken abnehmen, man sieht viele interessierte Blicke, die schon fleißig die Angebote der Theater studieren und diskutieren, egal ob Kafkas Verwandlung oder Der kleine Vampir, dramatisiert von Wolf-Dietrich Sprenger, das Angebot ist breit und es wird schon vorab besprochen, was sich die Städte in ihre Hallen holen wollen. Das erste Grußwort ist traditionell dem Bürgermeister der Gastgeberstadt, in diesem Falle Herrn Dr. Dominik Pichler, überlassen. „Ich sehe Sie nicht, aber Sie sind da.“, beginnt er seine Rede und schließt am Ende damit, dass alle nach Kevelaer gekommen seien, um die Erlösung zu erfahren. Ein pathetisches Bild, das aber mehr als passend für diese Zeit ist, denn sowohl die Mitarbeiter:innen der Theater, als auch die Städte, aber vor allem das Publikum haben viel zu lange darauf warten müssen, dass endlich wieder Kulturveranstaltungen stattfinden dürfen. Eigentlich soll es um die Landestheater gehen, doch ein Wort noch zu Oliver Keymis, Vizepräsident des NRW Landtags und Vorsitzender des Ausschusses für Kultur und Medien. Er bringt es provokant auf den Punkt, dass die neue Political Correctness es uns allen schwer macht Dinge umzusetzen, weil man sich bei allem Fragen muss: Darf man das überhaupt? Sprache ist eine Herausforderung geworden, derer sich auch die Theater annehmen, dort sieht er Parallelen zur Politik. Doch als es um die Selbstbeweihräucherung im Punkto Unterstützung der Kultur- und Veranstaltungsbranche geht merkt man eine gewisse Zurückhaltung im Saal. Ja, es sind Gelder geflossen, ja man darf sich auch Spitzen gegen andere Landesregierungen erlauben, die etwas langsamer agiert haben und es noch immer tun, doch am Ende ist es schon fast eine Farce, dass es heißt das Land NRW habe mit seinen Geldern allen geholfen. Zu tief stecken wir selbst im Thema drin und kennen zu viele, vor allem freischaffende, Künstler:innen, die enorme Schwierigkeiten hatten an Gelder zu kommen, denen man sogar sagte sie sollen doch darüber nachdenken ihre Lebensversicherung aufzulösen, um die Zeit finanziell zu überbrücken. Nicht überall wurden Jobs gerettet, einige haben auch Anstellungen oder Aufträge verloren, Personen, die gerade frisch von Schauspielschulen kamen hatten nahezu keine Chance in der Corona-Zeit einen Job zu erlangen. Da erscheint es als ein schlechter Witz zu sagen: „Das haben wir gut gemacht“, vergleicht man die Gelder, die in die Kultur- und Veranstaltungsbranche geflossen sind mit denen, die in die Wirtschaft geflossen sind. Auch dort galt es Jobs zu retten, keine Frage, doch hatte man immer wieder das Gefühl es wird mit unterschiedlichem Maß gemessen. Dies sei an dieser Stelle als unsere Meinung festgehalten, aber gut, zu diesem Zeitpunkt war auch noch Wahlkampf. Weiter folgten Grußworte per Videobotschaft von Klaus Kaiser, dem parlamentarischen Staatssekretär im Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, sowie von Dr. Carsten Brosda, dem Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Doch bei allem Unmut über politische Botschaften herrscht auch hier vor allem eins: Erleichterung. Man möchte positiv in die Zukunft schauen und das Publikum wieder dazu bringen zurück in die Theater zu kommen. Unter dem Hashtag Theatermomente haben die vier Landestheater eine Kampagne gestartet, die genau diesen Aufbruch in den kommenden Wochen und Monaten thematisieren soll. 

Ein Bild aus der gemeinsamen Kampagne der Landestheater NRW
(Bild: Die Landestheater NRW, zu sehen ist Nelly Politt)

Dann werden endlich die Szenenausschnitte der Landestheater gezeigt, die ihre Spielzeit in einer Collage verpackt dem Publikum präsentieren. Den Auftakt macht das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel, das sich als Setting eine Bushaltestelle ausgewählt hat, an welcher die Darsteller:innen warten und dort nach und nach Auszüge aus Antigone von Jean Anouilh, nach Sophokles, Büchners Woyzeck oder, wie sollte es passender kaum sein, Warten auf’n Bus, basierend auf der deutschen Comedyserie von Oliver Bukowski, präsentieren. 

Im Landestheater Detmold bekommen wir ein älteres Ehepaar (Kerstin Klinder und Jürgen Roth) zu sehen, dass sich gleich den Spielplan ins Wohnzimmer tapeziert hat. Sie freuen sich, dass in Detmold wieder gespielt wird und lassen ihre Gedanken schweifen, wenn es beispielsweise um Frank Wedekinds Frühlingserwachen, Hammer, einen Liederabend von Franz Wittenbrink oder Giacomo Puccinis Oper Madame Butterfly geht. Untermalt werden die Gedanken mit kurzen Sprech-, Tanz oder auch Gesangeinlagen, die definitiv Lust auf mehr machen. Das ältere Paar auf der Bühne ist sich in jedem Fall sicher: das Theaterabo muss wieder her. 

Szenenausschnitt des Landestheater Detmold, hinten: Jürgen Roth, vorne: Marcelo Kanopka, Iaçanã Castro (Bild: Die Landestheater NRW / Volker Beushausen)

Am Rheinischen Landestheater Neuss gibt es traditionell ein Spielzeitmotto: „Was ist mit mir GESCHEHEN?“ lautet die Frage an die Stücke, Inszenierungen und das Publikum in der Spielzeit 2022/23. Viele Kostüme kommen auf die Bühne, das Bild ist abstrakt, doch spätestens als ein Moderator (Carl-Ludwig Weinknecht) auftaucht, der das Publikum abholt und mitnimmt auf die kleine, szenische Reise des RLT Neuss, ist auch hier wieder das Bild des Aufbruchs zu bemerken. In Neuss wird es u.a. Roland Schimmelpfennigs Die Biene im Kopf, Die Schneekönigin, ein Familienstück nach dem Märchen von Hans Christian Andersen, aber auch schwere Kost, aber nicht weniger wichtig, wie Shakespeares Hamlet zu sehen geben. Ob die Kost auch in der Inszenierung in Neuss schwer bleibt? Das kann man in der Spielzeit 2022/23 herausfinden.

Den Abschluss macht die Burghofbühne Dinslaken, das kleinste der vier Landestheater, das auch mit lediglich drei Schauspieler:innen (Marie Förster, Dennis Winkelmann und Christoph Bahr) und drei Mikrofonen, aber nicht weniger motiviert, in seine Spielzeit einführt. Von Grimm – Kein Märchen!, einem Schauspiel über die märchensammelnden Brüder, über Yasmin Rezas Komödie Der Gott des Gemetzels bis hin zum Jugendstück Aschewolken von Jutta Bierbaum, hat auch die Burghofbühne Dinslaken in der Spielzeit 2022/23 einiges zu bieten. 

Szenenausschnitt der Burghofbühne Dinslaken, zu sehen sind: hinten: Dennis Winkelmann, Christoph Bahr (Bild: Die Landestheater NRW / Volker Beushausen)

Alle Stücke und weitere Programme der Theater aufzuzählen würde noch viele weitere Seiten füllen, denn insgesamt sind über 100 Produktionen, darunter knapp 60 Premieren, an den Landestheatern geplant. Egal ob Jung oder Alt, Theaterkenner oder Theaterneulinge, solche die der Schule wegen in das Theater müssen oder aber diejenigen, die auch aus Eigeninteresse den Weg in das Theater finden, für alle ist etwas dabei. Selbst unterschiedliche Genres wie Tanz, Oper, Musikabende oder das klassische Sprechtheater werden bedient. Es kann niemand behaupten die Auswahl sei nicht groß genug. Wer die sich einen Überblick über alle Stücke verschaffen möchte, sollte die Webseiten der Theater (Links sind bei den obigen Nennungen der Theater hinterlegt) besuchen oder sich auf der Seite des Büros der Landestheater NRW umsehen. Und noch eines wird an diesem sonnigen Tag in Kevelaer klar: Die Theater haben Bock! Bock zu spielen, Bock auf Publikum, Austausch, Live-Reaktionen aus dem Saal. Dabei ist zunächst zweitrangig, dass die Säle noch nicht voll besetzt werden dürfen, Hauptsache man kommt wieder in Kontakt. 

Einen kurzen Kontakt konnte man nach dem gemeinsamen Mittagessen auch noch bei fünf kurzen Lesungen zeitgenössischer Stücke genießen. Den Auftakt machte die Burghofbühne Dinslaken mit dem Schauspiel Alles ist erleuchtet nach dem Roman von Jonathan Safran Foer. Doch bevor die beiden Schauspieler:innen (Marie Förster und Christoph Bahr) beginnen betont Intendant Mirko Schombert, dass es auch ein Auftrag der Theaterlandschaft sei den zeitgenössischen Stücken, den Autor:innen unserer Zeit, einen Raum zu geben, ihre Stücke, Romane und Ideen zu präsentieren, bzw. inszenieren zu lassen. Das Theater genieße leider immer noch den Ruf die alten Werke zu spielen und damit eingestaubt zu sein, deshalb sei es so wichtig auch die zeitgenössischen Stücke mit ins Repertoire zu nehmen. Anschließend präsentiert das Rheinische Landestheater Neuss Auszüge aus Power, nach dem Roman von Verena Günther, in einer Bühnenfassung von Eva Veiders, sowie Johanna ist tot von Olivier Garofalo. Das Landestheater Detmold liest danach aus ELSE (OHNE FRÄULEIN), einem Schauspiel von Thomas Arzt nach Arthur Schnitzlers innerem Monolog aus Fräulein Else. Den Abschluss macht das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel mit dem wohl emotionalsten Ausschnitt aus Wir haben Worte von Georges Salines und Azdyne Amimour, wo es um die Terroranschläge in Paris vom 13. November 2015 geht, bei welchem zwei Väter, einer von einem Opfer und einer von einem Täter, aufeinandertreffen. 

Mario Thomanek vom WLT Castrop-Rauxel liest aus „Wir haben Worte“, Gänsehautmoment zum Ende der Veranstaltung
(Bild: Die Landestheater NRW / Volker Beushausen)

So fesselnd und emotional die letzte Lesung auch war, muss man an dieser Stelle sagen, dass er genau in diesem Moment da war, der Theatermoment. Er rundete einen Tag ab, an dem man es wieder genossen hat in einem Saal zu sitzen, sich ein wenig Theater anzuschauen, verbunden zu sein mit Publikum und den Darsteller:innen auf der Bühne. Das war schön und macht Lust auf mehr. Wir werden in jedem Fall einige Stücke der Spielzeit 22/23 auf unsere Agenda packen, doch nun blicken wir erst einmal hoffnungsvoll in diese Spielzeit und hoffe, dass der Theaterbetrieb auch über den Herbst und Winter 21/22 weiterlaufen kann, wofür wir allen Beteiligten die Daumen drücken und viel Erfolg, vor allem aber gut besuchte Vorstellungen wünschen.


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