Beitragsbild: Klaudius Dziuk
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)
Am 2. Februar 2020 besprachen wir das erste Stück, das wir vom nö-Theater gesehen haben, Francos Hermannsschlacht. Hierbei begeisterte uns der Stil des Kollektivs, die dem Schauspiel vorangehenden intensiven Recherchen über politisch und gesellschaftlich äußerst brenzlige Themen sowie die Art, wie das Schauspiel uns Zuschauer:innen packt und mit der Nase durch alle Rechercheergebnisse zieht und dabei nie den Humor verliert, auf Anhieb.
Francos Hermannsschlacht, ein Stück, das die Fühler ausstreckte und den Fall um Franco Albrecht aufarbeitete, ein Bundeswehrsoldat, der nicht nur durch eine Masterarbeit mit extrem rechten Esprit auffiel, sondern mit seiner fragwürdigen Gesinnung gerade erst dadurch, dass österreichische Behörden am Flughafen Wien zufällig darauf aufmerksam wurden, dass er dort eine scharfe Schusswaffe deponierte und abholen wurde. Durch die Arbeit der Polizei wurde schnell klar, dass dieser Schusswaffenfund bloß ein Tropfen war in einem Ozean an Radikalisierung, Verschwörung und rechter Gesinnung dort, wo wir Bürger:innen sie in keiner Weise vermuten wollten.
Hier setzt nun Der Hannibal Komplex an, man könnte sagen, das Stück ist eine Erweiterung, eine Vertiefung, ein Sequel, eine Fortführung der Erzählung in Francos Hermannsschlacht, genau das also, was wir uns wünschten, denn die Geschichte war noch lange nicht zu Ende erzählt.
Der Hannibal Komplex thematisiert das gleichnamige rechtsextreme Netzwerk, dessen Mitglieder sich teilweise aus Kreisen der Polizei, der Bundeswehr und sogar aus einem der drei deutschen Nachrichtendienste, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) rekrutieren. Männer, wie es auf dem Flyer zum Stück heißt, „mit Zugriff auf die höchsten Sicherheitsstufen und mit Zugang zu Waffen und Munition der deutschen Exekutive.“ Im Zentrum steht hier das Jahr 2015, in welchem augenscheinlich aufgrund einer sogenannten europaweiten Flüchtlingskrise eine enorme Rechtsradikalisierung der Massen mit Wähler:innenzuwachs bei der AfD, Protestmärschen von PEGIDA, brennenden Flüchtlingsheimen und erschreckend permanent präsenten „Wir sind das Volk“-Rufen, stattfand.
In gewohnt humoristischer Manier stellt das nö Theater durch seine drei Schauspielerinnen Julia Knorst, Anne K. Müller und Asta Nechajute die wasserdicht recherchierten Fakten zum Hannibal-Netzwerk vor, wechseln dabei in sauberem Timing vielfach Rollen, lassen Akteure des Netzwerks auftreten genauso wie ermittelnde Polizisten, BKA-Beamte oder Bundeswehr-Generäle. Die Wahl des Maskulinums ist hier beabsichtigt, sind das Problem, wie es das Stück uns selbst mitteilt, in diesem Fall durchgehend Männer. Die Schauspielerinnen beherrschen das Stück in starker Bühnenpräsenz durchweg, liefern mit einer Variation an stilistischen Sprechwechseln, mal Mono- oder Dialog, mal im Chor, hin und wieder auch gesungen, eine variantenreiche Erzählung. Diese, also die Erzählperspektive, wird durch die wiederholte Nutzung von Mikrofonen noch einmal bildlich sowie visuell auf eine höhere Ebene gebracht, was es für unseren Geschmack nicht gebraucht hätte. Knorst, Müller und Nechajute gelingt es auch ohne technische Hilfsmittel, alleine durch Kostüm und Körperlichkeit, ihre Rollen voneinander abzuheben und das Publikum hierbei nie zu verlieren.
Das Stück durchbricht nämlich nahezu durchgehend die vierte Wand, ist, im Stile des dokumentarischen Theaters, direkt an das Publikum gerichtet. Knapp anderthalb Stunden werden wir überschüttet von Informationen über Personen, Orte, Treffen, Chatgruppen, Pläne, noch mehr Personen, deren Verbindungen, Motivationen und Hintergründe. Und dennoch gelingt es dem Ensemble um Regisseur Asim Odobašić und in der Dramaturgie von Janosch Roloff, dank eines lobenswerten Händchens für leicht bekömmliches Schauspiel, dass nahezu keine Längen auftreten. Es ist fast schon paradox, wenn wir sagen, dass wir uns bei politisch so schwerer Kost bestens unterhalten fühlten. Dennoch sollte man sich als Zuschauer:in des nö Theaters stets auf einen durchweg faktenkreichen Abend einstellen.
Die Inszenierung ist gespickt mit großer Gestik und Mimik, karikierenden Überspitzungen, Darstellungen von Polizisten mit übertrieben großen angeklebten Schnauzbärten oder mit gelungenem Medieneinsatz mit passend gewählter Musik und Videoprojektionen zum Beginn und Ende des Stückes. Bis ins kleinste Detail ausgeklügelte Visualisierungen, wie beispielsweise die deutschen Nationalfarben, die sich in den Socken der Darstellerinen wiederfinden, zeugen von der Liebe zum Detail. Doch auch das Lichtkonzept von David Horsters trägt einiges zur Atmosphäre bei. Nicht nur ein diffuser hinterer Bühnenbereich, abgetrennt durch einen durchsichtigen Vorhang und nur durch Scheinwerferlicht zu erahnen. Auch die Symbiose des Lichtspiels der Schauspielerinnen, die mit Kopflampen auf einer sonst dunklen, doch zugleich mit Nebel durchfluteten Bühne die einzige Lichtquelle bieten, lässt nicht nur erdrückende Gefühle aufkommen, sondern schmiegt sich auch an das thematische Setting der Prepper im Untergrund an. Durch ein entschlacktes Bühnenbild, das eigentlich nur aus drei Munitionskisten besteht und zusätzlich am Rande einige Kostümteile erahnen lässt, wirkt Der Hannibal Komplex auch nie überladen. Man bleibt sich treu und arbeitet mit nur wenigen Requisiten, legt den Fokus weiterhin auf Schauspiel und Text und erschafft dennoch sehr konzise eine Welt mit beunruhigend vielen Protagonisten.
Thematisch wollen wir gar nicht großartig auf das Hannibal-Netzwerk eingehen und empfehlen hierfür eher einen Besuch des Stückes. Hierbei sollte es auch den Zuschauer:innen überlassen sein, wie sie mit dem leichten Beigeschmack eines Behörden-Bashings umgehen. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass das Hannibal-Netzwerk zweifelsohne ein eklatant großes Problem ist, ein großer Komplex, der noch immer nicht sauber genug aufgearbeitet ist und der uns Bürger:innen, deren Schutz oberstes Ziel von Polizei und Bundeswehr sein sollte, zutiefst beunruhigt, gerade, wenn solche Kreise untereinander und gegenseitig über die Vorkommnisse selbst ermitteln und hierbei maßlos viele Ungereimtheiten auftreten. Doch warnen wir zugleich vor einer Pauschalisierung der rechten Polizei und haben das Bedürfnis, hier noch einmal festzustellen, dass es unter den Behörden auch gute Menschen gibt, die dem Schwur, den sie bei ihrer Vereidigung schworen, wahrlich Treue leisten, Demokraten sind, die liberale Gesellschaft schützen, weltoffen sind und rechtem Gedankengut abschwören. Zugleich verstehen wir auch die schwierige Aufgabe, der sich ein solches Stück wie Der Hannibal Komplex stellt, zum einen deutlich Stellung zu beziehen und zugleich nicht alle über einen Kamm zu scheren mit der potenziellen Gefahr, die Aussagekraft des Stückes zu entschärfen.
Unterm Strich sahen wir mit Der Hannibal Komplex gewohnte saubere Recherche zu einem politisch höchst brisanten Thema in theatral geschliffenem Gewand, eben schwer verdauliche Kost, zugleich mit viel Liebe zum Schauspiel kredenzt. Eine Produktion, die zum intensiven Nachdenken anregt, die lange Gespräche in der Kneipe hinterher provoziert und die uns, und das macht Theater doch aus, die Welt erneut mit etwas anderen Augen sehen lässt.
Das Stück wird heute Abend ein letztes Mal in der Tanzfaktur in Köln gespielt. Mit Blick auf die vollen Zuschauer:innenränge sind wir aber zuversichtlich, dass es nicht bloß bei diesem Wochenende bleiben wird. Mit Blick auf die politische Situation um rechtsextreme „Einzelfälle“ mit Bezug auf Sicherheitsbehörden sind wir zudem überzeugt, dass das nö Theater leider noch viel mehr Material sammeln und das Thema in einem vielleicht dritten Theaterstück weiterführen kann. Alle Infos hierzu findet ihr dann auf der Website der Gruppe.
Dir gefallen die Texte der Theater WG? Dann lass uns doch ein Like bei Facebook oder ein Abo bei Instagram da und stell sicher, dass Du in Zukunft nichts von uns verpasst. Du willst selbst Rezensionen schreiben und auf unserem Blog veröffentlichen? Wir sind stets auf der Suche nach neuen Autor:innen. Zögere also nicht und melde Dich über kontakt@theaterwg.de.
Klingt nach einem sehr sehenswerten Theaterstück.
LikeLike