Politisches Puppentheater? M? – Eine Stadt sucht keinen Mörder

Beitragsbild: Klaudius Dziuk
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)

Endlich wieder nö Theater. Zum dritten Mal in kurzer Zeit, sind wir nach no corona, no cryDer Hannibal Komplex und Francos Hermannsschlacht wieder zu Gast bei einer Premiere des äußerst produktiven Theaterkollektivs, das sich die Form des dokumentarischen Theaters auf die Fahne geschrieben hat und diese mit M? – Eine Stadt sucht keinen Mörder weiter hochzuhalten versucht. Ob das geklappt hat? Wir starten einen Versuch der Antwort. 

Eines vorweg: Wir sind weder Expert:innen im Schaffenswerk von Fritz Lang, noch haben wir seinen Film M gesehen oder aber die hierauf basierende und dem Stücktitel ähnelnde Fernsehserie M – Eine Stadt sucht einen Mörder. Wir besuchten das Theater gestern völlig ahnungslos und unvorbereitet. 

Hier merkten wir schnell, dass das nö Theater mit etwas Neuem auf die Bühne kam, was wir so noch nicht gewohnt waren. Es wartete keine Flut an sauber inszenierten Fakten zu einem politisch brisanten Thema auf uns, welche uns Zuschauer:innen in humoristischer und zugleich eindrucksvoller Art als theatrale Feinkost serviert wurde. Nein, dieses Mal war es anders. 

So war es auch keine Überraschung, dass wir, gerade durch den performativen Einstieg in das Stück, eine Weile brauchten, um einen Anschluss an das Gespielte zu finden. Und ganz sicher, ob wir diesen nicht hin und wieder verloren haben, sind wir nicht. Im Zentrum steht ein Mann, Soundso sein Name, der als Fremder in eine Stadt kommt. Hier scheint nicht viel los zu sein, die Einwohner:innen sind grimmig und Fremden gegenüber nicht offen. Ein Soldat mit langem Schnabel und Tricorino, einer Kopfbedeckung, die wir aus dem franquistischen Spanien kennen, marschiert umher. Der Fremde beschreibt sich selbst als Geschichtensammler. Geschichten, die er nicht aufschreibt, sondern aufnimmt und einfach weitererzählt. Er wird nicht herzlich begrüßt und trifft sich mit einer Autorin für politisches Puppentheater. Sie schreibt ein Stück über eine rassistische Hetzjagd, die am 12. August 1979 in Merseburg im Lynchmord an den beiden Kubanern Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra endete. Plötzlich: Zeitsprung. Wir befinden uns in der NS-Zeit. In Köln. In der Küche der Familie eines SA-Mannes, der auf einen Kommunisten trifft, die sich gegenseitig hochtraben in eine gewaltige Spannung, die sich aber nie entlädt. Und plötzlich tritt Fritz Lang auf. Samt Kamera und Regie-Team. 

Foto: Klaudius Dziuk

Wir sind da ganz ehrlich: Die Handlung, wenn es denn eine solche gibt, lädt dazu ein, das Stück ein zweites oder drittes Mal zu schauen. Vergeudete Zeit wäre dies keinesfalls. Denn zu sehen und zu hören gibt es viel Tolles. 

Den erstklassigen Humor, den wir vom nö Theater kennen, hat sich das Ensemble um Regisseur Stefan Rogge auch in M? erhalten. Gerade in den teilweise fast schon ins Tarantinoesque mündenden Dialogen stellt die Gruppe ihr Feingefühl für die perfekte Mischung zwischen Unterhaltung und Ernsthaftigkeit im Theatertext unter Beweis. Einer nicht ganz sauber erinnerten Geschichte des Soundso, die sich verdächtig nah ans Märchen Hänsel und Gretel anlehnt, hätten wir gerne noch länger gelauscht. Da können wir dem Stück verzeihen, dass einige wenige, etwas längere Dialoge der Dynamik ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen.

Neben dem minimalistischen Bühnendesign und den akzentuierten Kostümen sind es auch die Lichteffekte von Tommy Vella, die großartige Bilder erzeugen. Ein Spaziergang im Regen, erzeugt durch eine Spritzpumpe aus dem Hintergrund, macht im richtigen Scheinwerferlicht außerordentlich guten Eindruck. Auch eine bis auf Kerzen- oder Taschenlampenlicht vollkommen im Dunklen gespielte Szene, die die Bühne regelrecht in ein Gruselkabinett verwandelt, bleibt im Gedächtnis. Von diesen Bildern hätten wir uns gern noch mehr gewünscht. 

Ebenfalls zur Stimmung trug Musiker Philipp Ullrich bei, der, mit seinen Gitarren am Rande platziert, nicht nur für Hintergrundbeschallung sorgte, sondern auch Soundeffekte beisteuerte oder die von den Darsteller:innen live gesungenen Songs begleitete. 

Das Ensemble, bestehend aus Janosch Roloff, Lucia Schulz, Yannick Hehlgans, Sergio Hoenen Salas und Sophie Roßfeld, begeisterte nicht nur durch lebhaftes Schauspiel. Auch zeigten die Schauspieler:innen, dass sie als Gruppe harmonierten und präzises Timing beherrschten. Wenn eine Darstellerin vorn steht und spielt und von der Seitenbühne ein Stuhl geflogen kommt, den sie für die nächste Szene benötigt, oder aber, wenn Lucia Schulz auf virtuose Weise ein spanisches Lied zum Besten gibt und parallel das Podest, auf dem sie steht reduziert und abgebaut wird, greift alles ineinander wie bei einem Schweizer Uhrwerk. Es entsteht ein gewisser Flow, der dem Stück seine Kurzweil verleiht. Und dennoch nimmt sich das Ensemble nicht zu ernst, häufig erlaubt man sich sympathische Scherze, schnackt beispielsweise kurz mit Musiker Ullrich und sorgt so immer wieder für Aufheiterung in einem doch sehr ernsthaften Thema. 

Foto: Klaudius Dziuk

Dieses war wohl der Faschismus. Zu 100% haben wir wahrlich nicht alles verstanden. Doch haben wir umso mehr gefühlt. Wer geduldig die Fragezeichen über dem persönlichen Haupt innerhalb der ersten 20 performativen Minuten abwartet, dem oder der lichtet sich hinterher der Nebel etwas, das Stück wird greifbarer, auch, wenn so manche Übergänge, so manche Passage oder so mancher Dialekt uns noch immer nicht klar sind. 

Am Ende wird in einem wütenden Monolog von Darstellerin Lucia Schulz irgendwie auf alles geschissen. Jedoch nicht so, dass eine etwaige vulgäre Pipi-Kaka-Sprache uns Zuschauer:innen unangenehm oder zu moralinsauer war. Eher spürten wir den Pessimismus und die Resignation, wenn Schulz ihren Charakter wutentbrannt brüllen lässt, sie scheiße auf alles, was uns sittlich beschäftigen sollte und uns damit kalt erwischt. Wir fühlen uns selbst ertappt und werden angestiftet, darüber nachzudenken, worauf wir alles scheißen, indem wir uns zu wenig damit beschäftigen oder gar die Augen davor schließen und ob das alles so seine Richtigkeit hat. 

Schließlich sahen wir mit M? – Eine Stadt sucht keinen Mörder ein nö Theater-Stück, das heraussticht, das weniger dokumentarisch war, eher lyrisch, poetisch. Ein Stück, das uns mehr in seiner Ästhetik und seine Kurzweil verzauberte als mit seinen Recherchen und Fakten ins Grübeln stürzen lässt. Wir empfehlen das Stück gerne allen Theatergänger:innen, besonders aber jenen, die es gerne etwas abstrakter mögen. Bis zum 23. Januar 2022 habt ihr noch die Möglichkeit, das Stück im der Alten Feuerwache in Köln zu sehen. Alle weiteren Infos findet ihr wie immer auf der Website der Gruppe


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