Ein Stück zwischen Leben und Tod – Premiere von „Camping Paraíso**“ des Analogtheater Köln

Titelfoto: Daniel Burgmüller
Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)

Das Analogtheater ist bekannt für seine performativen Stücke, für neue Ansätze, für starke Bilder, doch was wir nun zu sehen bekamen, das war noch einmal etwas, das uns in der Form vorher nicht begegnet ist. Ein Stück über den Essener (Comedy)Autor Dirk Roß, der 2020 einen schweren Unfall hatte und bis heute unter den Folgen leidet. Das Analogtheater begleitete Dirk Roß und seine Frau und lies so ein Stück entstehen, das einen nur in den Bann ziehen kann, auch wenn inhaltlich gelegentlich Fragezeichen stehen bleiben.

Bild: Daniel Burgmüller

Dirk Roß hatte 2020 einen Unfall mit seinem Motorroller und wurde von einem SUV erfasst, die Folge: Ein wochen- und monatelanger Überlebenskampf, zum Teil in einer Welt zwischen Leben und Tod. Genau diese Zwischenwelt, diese immer wieder aufkommende Unruhe, aber auch die ganz ruhigen Momente hat das Analogtheater (Regie: Daniel Schüßler) mit Hilfe von vielen Gesprächen versucht einzufangen und szenisch umzusetzen. Entstanden ist das Projekt in der Coronazeit als Filmprojekt, ein sogenanntes fiktionales Biopic, sprich eine Filmbiographie in fiktionaler Form, die das Leben einer belegbaren Figur erzählt. Nun gab es die dazugehörige Theateraufführung, wobei das Publikum parallel den Film zu sehen bekam. Natürlich wissen wir zu gut um Fluch und Segen der Mediennutzung in Theaterstücken, doch ein sehr reduziertes Bühnenbild, das die Szenerie aus dem Film widerspiegelte und genau abgestimmte Momente, in denen das Spiel auf der Bühne und die Filmsequenzen ineinander griffen machten es zu einem perfekten Theaterabend. Zu keiner Zeit hatte man das Gefühl nur dem Film oder nur der Bühnenhandlung folgen zu müssen, es wirkte zum Teil als seien die Charaktere aus dem Video entsprungen, um das Gezeigte im realen Bühnenraum weiter zu unterstreichen.

Bild: Daniel Burgmüller

Ja, es gibt sie, diese beklemmenden Momente, in denen einem die Luft wegbleibt. Von Atemnot und dem Schnappen nach Luft über piepende – wahrscheinlich lebenserhaltende – Krankenhausmaschinen bis hin zu persönlichen Erzählungen, dass der eigene Sohn 18 geworden ist und das Abitur abgelegt hat, während man selbst unbeweglich im Krankenhaus lag, gab es viel zu hören, zu sehen, zu fühlen. Natürlich, dies ist die Geschichte von Dirk Roß, doch irgendwie bekommt man das Gefühl, dass dies die Geschichte von so vielen Menschen ist, die in den Krankenhäusern dieser Welt liegen, die unverschuldet in Unfälle, Katastrophen oder von Schicksalsschlägen getroffen wurden, denen plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird, die nur noch eins wollen: leben oder sterben, aber nicht auf ewig in einer Zwischenwelt gefangen sein. Und doch ist es auch eine Inszenierung, die Raum für eigene Gedanken lässt, die respektvoll mit dem Thema umgeht und durch Mittel, wie einem kleinen Wasserbecken oder auch sehr imposanten Masken, eine Atmosphäre schafft, die es einem als Zuschauer:in nicht zu viel werden lässt. Man möchte da bleiben, die Geschichte weiterverfolgen und nicht aufstehen und weglaufen, weil man emotional überfordert wird.

Doch ist es eine Inszenierung, die gerade in diese sehr turbulente, gar anstrengende Zeit passt, in der schon so viel Schlechtes in der Welt passiert? Ja! Das Analogtheater schafft es, dass man sich 60 Minuten lang verliert, verliert in den Gedanken und Bildern von Dirk Roß und seiner Frau. Dabei gibt es auch die kurzen Momente, die einen zum Schmunzeln bringen. Ob das richtig ist? Das muss jede:r für sich entscheiden, doch was in der Inszenierung auch deutlich wird ist, dass das Schicksal hart ist, doch das Leben geht weiter, für die Angehörigen und irgendwo auch für Dirk Roß. Dieser war im Übrigen auch an der Produktion aktiv beteiligt, etwas, das unter die Haut geht, aber genau das schafft eine Nähe zu den Bildern des Analogtheater, fast schon eine Vertrautheit, die einen als Zuschauer:in in den Bann zieht. Da scheint es nur menschlich, dass auch die Gedanken ausgesprochen werden, dass man dem Fahrer des SUV gerne einen Nagel in den Reifen stechen würde und sich wünscht, dass dieser bei 130 Sachen auf der Autobahn platzt. Nein, man sollte wirklich niemandem den Tod wünschen, aber jeder sollte einen kurzen Moment in sich gehen und für sich überlegen, ob man nicht doch jemandem schon mal etwas Schlechtes gewünscht hat, vielleicht nicht den Tod, aber eine Verletzung, einen materiellen Schaden, einen Verlust, etwas, das die Person in unseren Augen verdient hat, nachdem sie uns selbst etwas genommen hat. Auch das ist nur menschlich und am Ende des Stücks nur allzu gut nachzuvollziehen.

Bild: Nathan Ishar

Am Ende stellen wir fest: inhaltlich konnten wir nicht immer folgen, doch hat uns die Inszenierung Dank ihrer starken Bilder in keiner Sekunde verloren. Mit einem reduzierten Bühnenbild und einfachen Mitteln gelingt es den Darsteller:innen die perfekte Verbindung zwischen Publikum und Film zu sein. Besonders ist auch, dass die Darsteller:innen durch den gezielten Einsatz von Mikrofonen und Masken teilweise fast unsichtbar werden, weil sie aussehen als seien sie Teil eines Bühnenbilds, einer Installation, andererseits bewegen sie sich an der Projektion des Films vorbei und werden so wieder ein Teil des Films. Videoeinspielungen sind uns immer wieder begegnet, doch dass eine Gruppe einen 60-minütigen Film, der auch bereits mehrfach ausgezeichnet und zu Filmfestivals eingeladen wurde, der eigentlich für sich steht, derart geschickt in eine Live-Performance einbindet, das ist uns auch zum ersten Mal begegnet. Die Filmpremiere war bereits am 17. Oktober 2021 im Rahmen des WOW PERFORMANCE FESTIVAL.

Deshalb können wir Camping Paraíso – Über das Sterben Leben sehr empfehlen, das Stück gibt es noch bis Sonntag, den 27. März 2022 im Orangerietheater zu sehen. Übrigens: Der Titel der Inszenierung war ursprünglich ohne den Zusatz Leben und das durchgestrichene Sterben, doch hat man sich in Anbetracht der aktuellen Situation dazu entschlossen den Titel anzupassen, um das Leben mehr hervorzuheben.


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