Wie viel Deutsch braucht die Deutsche Bühne? – Kaspar From Abroad von DIPHTHONG

Beitragsbild: Alessandro De Matteis
Text: Marius Panitz

Das Theater ist weltoffen, liberal und umarmt alle Menschen, unabhängig ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder Kultur. Denn Theater ist, wie viele andere Kunstformen, eine ganz eigene, in sich geschlossene Sprache, die von allen gesprochen wird. 

So, oder so ähnlich könnte sie klingen, die Utopie des Theaters. Denn ganz besonders, wenn es um die Sprache geht, liegt beim deutschen Theater noch so einiges im Argen! 

Absolvent:innen deutscher Schauspielschulen durchlaufen ein jahrelanges Programm, welches ihnen die Besonderheiten der deutschen Standardlautung vermittelt. Sie nehmen Sprechunterricht, der zuerst die Physis der Sprachproduktion berücksichtigt und bauen theoriegestützt und Lautschrift lesend und schreibend eine Kompetenz auf, die ganz besonders auf staatlichen Bühnen ein Nonplusultra ist: sauberes, akzentfreies Deutsch. Was als Vokabel schon ziemlich braun daher kommt, ist in der Praxis, gerade für Schauspieler:innen nicht-deutschen Hintergrunds, ein fundamentales Problem, welches in manchen Fällen bereits an Rassismus grenzt. 

Foto: Alessandro De Matteis

Selten wurde uns dieses Problem so deutlich vor Augen geführt wie in der gestrigen Vorstellung von Kaspar from Abroad, einer Bearbeitung von Peter Handkes Kaspar, inszeniert und dargestellt von Nikos Konstantakis aus dem Kollektiv DIPHTHONG. Als dieser, seines Zeichens selbst Grieche, nach acht Jahren in Deutschland einen Monolog gänzlich auf Deutsch inszenierte, kam ihm die Idee zu Kaspar from Abroad. Ausgehend von nur einem Satz, den Kaspar beherrscht, „Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist“, nimmt uns Konstantakis mit auf eine Reise, eine Entwicklungsgeschichte, fast schon eine Posse, wenn die aufgezeigten Probleme nicht im 21. Jahrhundert doch noch so ernst wären. Schonungslos zeigt Konstantakis seine eigenen Erfahrungen als Schauspieler auf, verbindet sie mit O-Tönen anderer Schauspieler:innen mit Migrationsgeschichte und setzt dem deutschen Theater in einer hochästhetischen und poetischen Umgebung die Pistole auf die Brust: Wie kann es sein, dass Schauspieler:innen, deren Aussprache durch einen muttersprachlichen Akzent gefärbt ist, am deutschen Theater weniger Chancen auf Rollenangebote haben, obwohl sie schauspielerisch auf gleichem Niveau spielen wie ihre deutschen Kolleg:innen? Die Antwort ist so einfach wie problematisch: Weil das deutsche Theater seine konservativen und staubtrockenen Ansichten schon vor Ewigkeiten fossilisiert hat und seitdem sehr gern so verkrustet bleibt. Kaum ein Mindset repräsentiert Deutschsein so wie der Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht, das bleibt jetzt auch so!“. 

Die Symbiose aus Handkes Vorlage, Konstantakis‘ Autobiographie sowie Einspielern von weiteren betroffenen Bühnenkünstler:innen machen schnell deutlich, dass das Problem nicht nur bei der Sprache liegt. Wie viele migrantische Schauspieler:innen leiden darunter, nach ihrem Typ nur als Kioskbesitzer oder Reinigungskraft besetzt zu werden? Rollen, bei denen der Akzent plötzlich wieder passt? Spätestens hier wird uns wieder vor Augen geführt: Das Problem ist systemisch. Und da Sprache einen enormen Beitrag zur Identifikation leistet, wird die Schwierigkeit besonders deutlich. Wer also meint, migrantische Schauspieler:innen müssten einfach etwas mehr üben, um ihren Akzent zu verlieren, hat das Problem nicht einmal an der Oberfläche erkannt. 

Liebes deutsches Theater, auch du hast dich zu verändern. Du hast dich anzupassen. Du hast so weltoffen zu sein, wie du dich gern nach vorne gibst. Wen stört es, wenn Doktor Faust das „R“ rollt? Wer stößt sich daran, dass Karl und Franz Moor Vokale ein wenig mehr schwingen? Wer ist entrüstet darüber, dass Jedermann Konsonanten etwas knackender und knallender ausspricht? Etwa die alten, weißen Männer, die sagen, dass auf der deutschen Bühne Standardlautung gesprochen wird, das immer so war und das gefälligst auch so zu bleiben hat?

Foto: Alessandro De Matteis

Nikos Konstantakis‘ Kaspar from Abroad ist ein einhelliger Appell an die deutsche Bühne, ihr verbissenes Festhalten an der Akzentfreiheit aufzugeben und endlich der sprachlichen Diversität Tür und Tor zu öffnen. Dass das funktioniert, zeigte Konstantakis uns gestern in aller Deutlichkeit. Selbstbewusst tritt er auf die Bühne, begrüßt uns Zuschauer:innen auf Griechisch, stellt augenzwinkernd fest, dass wir das zumeist nicht verstanden haben und macht dann auf Deutsch mit deutlich hörbarem griechischen Akzent weiter. Mit einem Akzent, den er mit Würde und Stolz seine Sprache färben lässt, einem Aktzent, dessen Konstantakis sich nicht schämen muss. Und wo war die Sprachbarriere hier? Nirgends! Wir haben alles verstanden und fühlten uns von Konstantakis‘ Verbal- sowie Körpersprache gleichmäßig abgeholt und in eine 70-minütige Inszenierung mitgenommen, die gern zwischen poetischer Sprache und Metabetrachtung abwechselt und uns wahrlich mit jedem Wort deutlich macht, dass Sprache und Schauspiel Freund und Feind zugleich sind und die Lösung doch eigentlich so einfach wäre. 

Es gibt also noch viel zu tun. Ein Satz, der leider viel zu oft fällt. Umso mehr danken wir Nikos Konstantakis und DIPHTHONG für Kaspar from Abroad. Eine Performance, welche vielleicht allein nicht die Welt verändern wird. Aber wenn wir diese Message nach draußen tragen, ist es vielleicht irgendwann so, dass niemand mehr „ein solcher werden [will], wie einmal ein anderer gewesen ist“, sondern alle so sein (und sprechen!) dürfen, wie sie selbst sind!

Kaspar from Abroad wird heute ein letztes Mal im Orangerie-Theater in Köln gespielt, ein spontaner Besuch der Vorstellung lohnt sich wirklich. Doch auch abseits dieser Vorstellung sind die Arbeiten von Diphthong und Nikos Konstantakis bereichernd und sollten eurer Aufmerksamkeit nicht entgehen. Ein Besuch der Website wird wärmstens angeraten.


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