Dreiviertel Jedermann bei den Salzburger Festspielen

Titelfoto: © SF / Matthias Horn (zu sehen sind: Lars Eidinger (Jedermann), Verena Altenberger (Buhlschaft), Ensemble)
Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)

Wie schreibt man über ein Stück, dessen Ende man nicht gesehen hat, das unter recht widrigen Umständen gespielt wird und seit Jahrzehnten auf einem der schönsten Plätze in Salzburg aufgeführt wird und von dem der ehemalige Kanzler Österreichs Christian Kern findet, dass es nur ein Hype sei um ein Stück, das weniger Tiefgang hätte als ein Yoga-Kurs? Indem man seine ganz persönlichen Eindrücke nimmt und sie in diesen Text verpackt. Subjektive Sichtweise nicht ausgeschlossen, trotzdem der Versuch eine objektive Kritik zu verfassen.

Als Hugo von Hofmannsthal 1903 begann, sein Drama Jedermann zu verfassen, das erst acht Jahre später in Berlin seine Uraufführung feierte, hat er sich sicher nicht ausgemalt, dass sein Stück 111 Jahre später immer noch fester Bestandteil der Salzburger Festspiele ist. Die Inszenierungen von Jedermann werden regelmäßig gefeiert und zerrissen. Die einen finden das Stück zeitlos, die anderen finden, dass eine Generalüberholung dringend notwendig wäre. Auch wenn das Stück abseits von Salzburg bereits von zahlreichen Häusern und Gruppen inszeniert wurde, so ist keine Inszenierung so sehr im Fokus, wie die in Salzburg, was allein die Google-Suche nach dem Stück zeigt: Diverse Artikel über die Salzburger Festspiele.

Gustav Peter Wöhler (Dicker Vetter), Tino Hillebrand (Dünner Vetter), Lars Eidinger (Jedermann) (Bild: © SF / Matthias Horn)

Jedermann ist der Name des Hauptcharakters (Lars Eidinger), der nicht gerade durch seinen Altruismus auffällt. Er lässt sein Geld für sich arbeiten, das er angehäuft hat. Für die Armen hat er nichts übrig, Schuldenerlass kennt er nicht. Einzig für seine Buhlschaft (Verena Altenberger), seine Geliebte, hat er Augen und möchte ihr einen Lustgarten bauen. Schlecht nur, dass Gott (Mavie Höbiger) dem Tod (Edith Clevers) gerade aufgetragen hat, Jedermann zu holen, um den Menschen wieder die Wertschätzung für Gott einzuflößen. Jedermanns Mutter (Angela Winkler) kritisiert den Umgang ihres Sohnes mit den Menschen und mit Gott und findet sowieso, dass es Zeit wird, dass ihr Junggeselle heiratet. Als Jedermanns Buhlschaft ihn zu seinem Fest abholt, das er organisiert hat, hört er plötzlich Glockengeläut und jemanden seinen Namen rufen. Die Festgesellschaft denkt, er sei krank, doch dann begegnet Jedermann dem Tod. Nach einiger Diskussion erhält er einen Aufschub von einer Stunde, um eine Person mitnehmen zu dürfen, die ihn vor gottes Gericht begleitet. Allerdings entsagen ihm alle die Begleitung und so muss Jedermann auf die Gnade Gottes hoffen, da ihn sonst der Teufel holen soll.

Für alle, die mit den Salzburger Festspielen nicht vertraut sind, ein paar zusätzliche Infos: Die Inszenierung wird seit 1920 jährlich auf dem Domplatz in Salzburg gespielt. Alle paar Jahre wird eine neue Inszenierung von einer neuen Regie umgesetzt, dabei kann es sein, dass die Rollen gleich besetzt bleiben oder durchwechseln. Aktuell gibt es die Inszenierung in der Regie von Michael Sturminger zu sehen. Von Hofmannsthal hat bei der Begründung der Festspiele mitgeholfen, sie sollten als inklusiverer Gegenpart zu den Bayreuther Festspielen umgesetzt werden. Beim Blick über die Köpfe des Publikums wird jedoch deutlich, dass auch in Salzburg eine gewisse Exklusivität nicht ausgeschlossen ist, denn schicke Anzüge und das eine oder andere auffällige Kleid dominieren das Geschehen. Mit unseren kurzen Hosen – die bei den Temperaturen für uns alternativlos waren – und unseren eher sportlich-schicken Hemden kamen wir uns dennoch etwas underdressed vor. Für manche sind die Festspiele vielleicht auch nur ein Schaulaufen, ein Sehen und Gesehen werden, da geht es nur darum, das Stück zu sehen, um sich anschließend in bester Champagner-Laune darüber unterhalten zu können. Allerdings merkt man auch, dass es genügend Leute gibt, die wegen der Inszenierung und den theaterästhetischen Aspekten, natürlich aber auch wegen der Besetzung, vor Ort sind.

Edith Clever (Tod), Lars Eidinger (Jedermann) (Bild: © SF / Matthias Horn)

Beeindruckend ist die Kulisse in jedem Fall. Rechts und links ragen Holztürme in die Höhe, ansonsten besteht die Bühne aus Podesten, die z.T. höhenverstellbar sind. Im Hintergrund befindet sich eine Treppe, die leicht zum Dom hineinragt. Der Dom selbst überragt das gesamte Bühnenbild, was ein schönes Sinnbild für Gott ist, der über den Dingen steht. Die Kostüme sind teils einfach, teils etwas aufwendiger gehalten. Verena Altenberger als Buhlschaft ist in ein rotes Kleid gehüllt, Lars Eidinger als Jedermann trägt eine hellgoldene Hose, dunkelblaue Pumps und ein Jackett, darunter nichts, auch spielt er öfters bloß in Unterhose. Aufwendiger ist dagegen das dunkle Kleid mitsamt Hörnern, das Kostüm von Edith Clevers als Tod oder auch die Kostüme der Vetter (Gustav Peter Wöhler und Tino Hillebrand). Bühnenbild und Kostüme (Renate Martin und Andreas Donhauser) fügen sich in jedem Fall gut zum Gesamtbild der Inszenierung ein.

Lars Eidinger (Jedermann), Verena Altenberger (Buhlschaft) (Bild: © SF / Matthias Horn)

Lars Eidinger, der als Jedermann in der zweiten Saison spielt, ist durchaus für seine exzentrische Spielweise bekannt. Erst vor einigen Monaten hieß es in einer Tatort-Kritik, dass Eidinger mal wieder einen Schauspieler spiele. Auch in manchen Theaterstücken ist Eidinger sehr stark im Mittelpunkt, das Ensemble um ihn herum verblasst schnell in seiner Bühnenpräsenz. Nicht jedoch in dieser Inszenierung. Eidinger gibt einen tollen Jedermann, der präzise gespielt ist, den man in seiner exzentrischen Art durchaus als Ekel empfinden kann und dem man nicht die Gnade Gottes wünscht. Neben Eidinger gibt Verena Altenberger eine sehr dominante und präsente Buhlschaft. Beide spielen auf Augenhöhe und verstehen es immer wieder, dem oder der anderen den Vortritt zu lassen. Dabei wird klar: Die Buhlschaft ist in dieser Inszenierung nicht nur die Partnerin zum Ausleben der Lust, sie hat den Jedermann in gewissen Teilen sogar in der Hand, steht über ihm und der männlichen Dominanz. Neben Eidinger und Altenberger wird die Inszenierung auch maßgeblich vom weiteren Ensemble getragen. Auch wenn Edith Clevers als Tod nicht furchteinflößend wirkt, so ist ihr Spiel sehr erhaben, eine Art, die wunderbar als Gegensatz zu Eidingers Rolle passt. Angela Winkler bildet dagegen den ruhigen Part der Inszenierung. Als besorgte Mutter liegt ihr das Glück ihres Sohnes am Herzen, doch sorgt sie sich auch um seine Zukunft und Lebensweise. Mirco Kreibich fällt vor allem in der Rolle des Mammon auf, der Personifizierung von Jedermanns Besitz. Arrogant, teilweise laut und schnippig führt er Jedermann vor, dass nicht er das Geld besitzt, sondern das Geld ihn, was überzeugend von Kreibich gespielt wurde. Das Zusammenspiel zwischen Gustav Peter Wöhler und Tino Hillebrand als dicker und dünner Vetter ist schon fast ein kleines Stück im Stück. Beide harmonieren gut miteinander und ergeben so ein komödiantisches Duo, auf das man dringend in ihren Auftritten achten sollte. Der treue Gesell, gespielt von Anton Spieker, ist Jedermanns bester Freund. Spieker ist neben der Buhlschaft die Person, die Jedermann in dieser Inszenierung am nächsten ist. Trotz der Freundschaft verweigert er ihm die Hilfe mit ihm vor Gottes Gericht zu treten. Spieker spielt das Fähnchen im Wind, das sich nach seinem Vorteil ausrichtet, was uns überzeugt hat.

Mirco Kreibich (Ein Schuldknecht), Lars Eidinger (Jedermann), Anton Spieker (Jedermanns guter Gesell), Ensemble (Bild: © SF / Matthias Horn)

Besonders beeindruckt hat uns das Einbinden des Doms, wenn Jedermann das Glockengeläut hört. Ausgeleuchtet und mit den Domglocken erklingend konnte es nicht nur dem Jedermann, sondern auch einem selbst eine Gänsehaut über die Arme jagen. Auch die Rufe des Jedermann, die von außerhalb des Domplatzes kamen waren unheimlich und beeindruckend zugleich. Allerdings musste diese Szene wiederholt werden, da Eidinger das Spiel wegen eines Sanitätseinsatzes unterbrach. Immer wieder führten hitzebedingte Kreislaufzusammenbrüche zu Sanitätseinsätzen, für die man an dieser Stelle auch die Fachkräfte vor Ort loben muss. Schnell waren diese vor Ort und darum bemüht möglichst unauffällig zu agieren. Umso schwieriger war es danach wieder in das Spiel zu finden, was allen Beteiligten absolut gelungen ist. Als die Szene dann wiederholt wurde, bellte in der Ferne auch noch ein Hund, auch er schien Jedermann zu rufen, was für Erheiterung im Publikum sorgte. Das ist eben Open-Air und das ist live und das macht das Theater aus. Noch recht zu Beginn des Stücks gab es auch einen inszenierten Boxkampf zwischen Jedermann und Mirco Kreibisch als Schuldknecht. Dieser kämpft um den Erlass seiner Schulden. Mit großen Gesten, teils in Zeitlupe und mit Slap-Stick-Einlagen wird ein Boxkampf geboten, der von beiden in schnellen Tempowechseln gespielt wird. Klarer kann ein Hoch-Tief-Status in einem Theaterstück nicht gezeigt werden. Außerdem wurde der Kampf von sehr präzisen Einsätzen der Live-Musik (Komposition: Wolfgang Mitterer, musikalische Leitung: Hannes Löschel) unterstützt, die auch insgesamt sehr harmonisch zum Spiel des Ensembles passte und jeder Situation die richtige Untermalung gab.

Jedoch ließ die nächste Unterbrechung mit einem aufziehenden Gewitter nicht lange auf sich warten. Schade war, dass bereits mit den ersten Regentropfen einige Zuschauer:innen das Weite suchten. „Es ist doch nur Regen“, kommentierte Eidinger aus seiner Rolle heraus an passender Stelle das Geschehen, doch auch das hielt die Leute nicht auf. Als die Regentropfen dicker wurden, unterbrach Eidinger erneut augenzwinkernd – „Ich weiß, die Lederhosen dürfen nicht nass werden“ –  und gab bekannt, dass man auf eine offizielle Ansage warte, ob man weiterspielen dürfe. Das noch anwesende Publikum war sich einig, es sollte weitergespielt werden, doch die Verantwortlichen entschieden anders. Und so bekamen wir leider nicht mehr das Ende, das Sterben des Jedermann in den Armen des Todes und nicht mehr den Teufel (Mavie Höbinger) und den Glauben (Kathleen Morgeneyer) zu sehen.

Mirco Kreibich (Mammon), Lars Eidinger (Jedermann) (Bild: © SF / Matthias Horn)

Ja, Jedermann ist auch ein Event. Das Stück hat im 21. Jahrhundert sicher seine Schwächen, die Entwicklung der Geschichte geht sehr schnell voran und dass sich Jedermann am Ende damit rettet, seine Taten zu bereuen und seinen Glauben wiederzufinden, erscheint etwas unglaubwürdig. Doch im Angesicht des Todes hat noch so mancher  (literarische) Charakter einen Sinneswandel durchgemacht (man denke nur mal an Ebenezer Scrooge in A Christmas Carol). Und auch wenn wir das Stück nicht bis zum Ende sehen konnten, fanden wir es doch sehenswert. Wer seinen oder ihren Blick nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf theatrale Umsetzung und das Zusammenspiel zwischen Musik, Schauspiel und der Ensembleleistung legt, der oder die kommt in jedem Fall auf seine oder ihre Kosten. Und die Behauptung, dass Jedermann nichts für das Fußvolk sei, ist auch nicht korrekt, denn Karten gibt es bereits ab 10,00€, allerdings muss man dafür auch schnell sein, denn nach wie vor erfreuen sich die Vorführungen Sommer für Sommer einer großen Beliebtheit. Lediglich der sehr festliche Charakter mag den oder die eine:n oder andere:n abschrecken, doch aus eigener Erfahrung wissen wir: Alle sind willkommen. Deshalb können wir nur dazu ermutigen, eine solch tolle Veranstaltung wahrzunehmen, bei der über mehrere Wochen auch viele andere Produktionen gezeigt werden.

Zwar werden wir nicht mehr die Chance haben die Inszenierung mit Verena Altenberger und Lars Eidinger zu sehen, da beide ihren Abschied nach dieser Saison bekanntgegeben haben, doch steht Salzburg in jedem Fall weiter auf unserer Liste, einerseits wegen des Stücks, aber auch wegen der Stadt, die wir gleichermaßen für eine Reise empfehlen können. Wer sich jetzt für die Festspiele interessiert: Diese laufen noch bis zum 31. August. Auf der Website der Festspiele, aber auch Instagram und Facebook kann man sich über Veranstaltungen, Tickets, aber natürlich auch die kommenden Festspiele nächstes Jahr zu jeder Zeit informieren.


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