Titelfoto: Marco Piecuch (zu sehen sind: Fenna Benetz, Johannes Bauer und Juliane Pempelfort)
Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Ist denn schon wieder ein Jahr rum? Spekulatius, Dominosteine, Weihnachtstee und Co. verraten es uns bereits seit September: Weihnachten steht vor der Tür! Zeit also, dass die Theater der Republik wieder ihre Pforten für das alljährliche Weihnachtsmärchen öffnen. In diesem Jahr kredenzt das Rheinische Landestheater Neuss seinem Publikum Die Schneekönigin nach Hans Christian Andersen, in der Fassung von Hausautor Olivier Garofalo und Evelyn Nagel. Ein Festschmaus oder ein verbrannter Gänsebraten?!
Vor aller Kritik sei zunächst etwas angemerkt, das wir lange nicht mehr gesehen haben: ein ausverkauftes Haus! Mit ausverkauft meinen wir nicht eine Besetzung nach Schachbrettmuster, Reihen von Sicherheitsabständen, oder ein halbes Kartenkontingent, sondern ein wirklich ausverkauftes Haus, mit vollen Rängen. Ein schönes Gefühl, beklagten (und beklagen z.T. immer noch!) viele Kulturinstitutionen immer noch reduzierte Publikumszahlen. Ob dabei inzwischen noch die Angst vor Corona eine Rolle spielt oder die Angst vor einem Preis-Explosions-Winter, das kann man nicht so genau sagen. Doch in Neuss wurde bei der Premiere deutlich: Das Theater ist noch da!

Die Schneekönigin wurde bereits 1844 vom dänischen Dichter Hans Christian Andersen veröffentlicht. Seitdem wurde das Märchen unzählige Male be- und überarbeitet, in verschiedene Fassungen gebracht und Motive daraus sogar verfilmt. Berühmtester Ableger dürfte wohl Disneys Die Eiskönigin sein. Auch Hausautor Olivier Garofalo hat in Zusammenarbeit mit Kollegin Evelyn Nagel eine angepasste Version geschrieben, die 2012 ihre Uraufführung im Theater Bruchsal feierte. Nun hatte das Stück in der Regie von Thomas Goritzki in Neuss Premiere.
Gerda (Fenna Benetz) und Kay (Johannes Bauer) sind unzertrennliche Freunde. Gemeinsam albern sie rum, erzählen sich alles und haben eine blühende Fantasie. Doch eines Tages wird Kay vom Splitter eines Zauberspiegels ins Herz getroffen, sein Herz gefriert und er gibt sich der Schneekönigin (Juliane Pempelfort) hin. Gerda beginnt darauf hin ihre Suche nach Kay, da sie ihren Freund nicht aufgeben möchte. Eine abenteuerliche Reise durch verschiedene Welten beginnt, bei der Gerda auf allerhand fantasievolle Charaktere und einen seltsamen Vogel trifft, um Kay aus den Fängen der Schneekönigin zu befreien.
Regisseur Thomas Goritzki, der in den letzten Jahren schon mehrfach in Neuss inszeniert hat, gelingt es wieder einmal ein Stück voller Humor, aber auch Tiefe auf die Bühne zu bringen. Fast schon zu seiner Handschrift gehören groß gespielte Momente: große Gesten, große Emotionen, groß(artige) Charaktere. Dabei geht während der gesamten Inszenierungen nie der Ernst verloren, der hinter dem unterhaltsamen Stück steckt, denn es geht um Freundschaft und wie schnell einen das Böse verführen kann und dass daran alles zerbricht.
Dass das Regiekonzept von Thomas Goritzki aufgeht zeigt die Besetzung, allen voran Fenna Benetz, die in dieser Spielzeit erstmalig in Neuss auf der Bühne steht. Benetz steigt tief in ihre Rolle ein und egal ob Groß oder Klein, jede:r fühlt sich bei ihr wieder wie ein Kind. Sie spielt ihre Rolle mit einer Spielfreude und füllt sie mit einer dermaßen großen kindlichen Neugier, dass man als Zuschauer:in mitgerissen wird. Außer Benetz ist der Rest des Ensembles immer wieder in verschiedenen Rollen zu sehen. Das schafft Dynamik und lässt die Produktion zwar minimalistisch, jedoch nicht weniger unterhaltsam wirken. Johannes Bauer ist neben seiner Rolle als Kay unter anderem als Chef einer Räuberbande zu sehen. Im Zusammenspiel mit Yasmin Münter, die neben dem fantasievollen Blumenmädchen auch die Räubertochter gibt, bilden die zwei ein starkes Gespann, das sich gegenseitig mitreißt. Doch Münter – in dieser Spielzeit Gast am RLT – beweist, dass sie die Bühne auch (fast) alleine bespielen kann. Besonders in der Rolle als Räubertochter ist sie allzeit präsent, dabei aber nie drüber, sondern spielerisch immer genau auf den Punkt. Juliane Pempelfort spielt unter anderem die Schneekönigin, die in einem pompösen, weißen Mantel mit Eiskrone (Kostüm: Heiko Mönnich) auftritt. Die Kälte der Schneekönigin nehmen wir ihr vollends ab, besonders da sie den sehr ruhigen, kalten Gegenpart zu den anderen Charakteren abbildet. Dennoch wirkt die Schneekönigin in manchen, kurzen Sequenzen, etwas verloren auf der großen Bühne. Peter Waros stellt in dieser Inszenierung wieder sein komödiantisches Feingefühl unter Beweis. Sowohl als Rabe, wie auch als Rentier versteht er es die Kinder im Saal mit seinem Spiel zum Lachen zu bringen (natürlich auch die Erwachsenen!). Dafür braucht Waros nicht immer die Sprache, seine Mimik und Gestik passen immer zu den jeweiligen Situationen und sagen manchmal mehr als 1.000 Worte. Als weiterer Gast ist Nabil Pöhls dabei, der beispielsweise als Prinz neben Juliane Pempelfort als Prinzessin auftritt. Im Vergleich zum Rest des Ensembles sticht Pöhls durch sein bescheidenes Spiel hervor. Damit bildet er in der Szene mit Juliane Pempelfort den idealen Spielpartner, da sich beide in ihrer Art wunderbar ergänzen und auch sonst rundet Pöhls mit seiner Art die Arbeit des gesamten Ensemble an diesem Nachmittag ab und fügt sich wunderbar in die Inszenierung ein.
Auffällig an der Inszenierung ist neben der Mehrfachbesetzung der Schauspieler:innen auch der sehr reduzierte Einsatz von Requisiten und des Bühnenbilds. Lediglich ein großer Schrank in der Bühnenmitte, der komplett bespielbar ist, dominiert das Bild. Dabei kann sich der Mittelteil des Schranks, Dank verschiedener Einbauten und Lichteinstellungen, immer wieder verändern: Er wird zur Garderobe der Prinzessin, zum Tor für die Eiskönigin oder zum Durchgang in eine neue Welt. Aus den verschiedenen Fächern schauen immer wieder Hände, Puppen und Requisiten heraus, die andeuten, in welche Welt sich Gerda bei ihrer Reise als nächstes begibt, was sehr ansehnliche Übergänge bildet. Die Kostüme für Gerda, Kay und das Ensemble sind ebenfalls einfach gehalten, im Gegensatz der Kostüme für die einzelnen Charaktere in den unterschiedlichen Welten. Dies lenkt gezielt die Aufmerksamkeit, aber auch die Fantasie des Publikums, denn mit Hilfe der Kostüme, des Lichts und der dezenten, aber sehr klangvollen Musik (Timo Willecke) gibt es Vorgaben, doch es erfolgen keine aufwendigen Bühnenumbauten, sondern das Publikum ist eingeladen seine eigene Fantasie zu nutzen, um Gerda auf ihrer Reise durch die verschiedenen Welten zu begleiten. Wer bereit ist, sich auf diese Reise einzulassen, der oder die wird aus als Erwachsene:r definitiv abgeholt.

Am Ende gibt es einen wohlverdienten, langen Premierenapplaus. Der Inszenierung ist es gelungen die Kinder und Erwachsenen im Saal immer wieder einzufangen und abzuholen. Trotz einiger längerer Textpassagen gelingt es dem Team um Regisseur Thomas Goritzki vor allem das junge Publikum rund 75 Minuten bei Laune zu halten. Ein schönes Familienstück, mit kleineren Schwächen, über die man aber durchaus bei der gezeigten Leistung hinwegsehen kann.
Wer die Inszenierung sehen möchte, muss nicht unbedingt nach Neuss, denn die Inszenierung gastiert in den nächsten Wochen in vielen Städten. Die Termine sind auf der Website des Theaters zu finden.
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