Willkommen, Bienvenue, Welcome! – Cabaret im Düsseldorfer Schauspielhaus

Beitragsbild: Thomas Rabsch
Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)

Cabaret ist Versuchung und Geschichtsstunde zugleich. Cabaret ist Sex, ohne direkten Sex auf der Bühne und beschreibt gleichzeitig den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland. Cabaret ist irgendwo zwischen eskalativer Ekstase, menschlichen Abgründen, zwischen greller Showwelt und dunklen Gassen. Cabaret ist ein Musical, das 1966 am Broadway uraufgeführt und 1972 noch einmal wegen seines Erfolgs verfilmt wurde. Ein Erfolg, den auch das Düsseldorfer Schauspielhaus für sich mit seiner Inszenierung in der Regie von André Kaczmarczyk verbuchen kann?

Berlin Ende 1929/ Anfang 1930: Das Publikum wird vom Conférencier (André Kaczmarczyk) im Kit Kat Klub in Berlin begrüßt, Showgirls laufen ein, die Band wird vorgestellt, es wird gesungen, gefeiert, gelacht. Der Börsencrash vom schwarzen Freitag, damit einhergehend die Weltwirtschaftskrise, schwierige politische Verhältnisse, alles scheint im Kit Kat Klub vergessen. Fast parallel zum Geschehen kommt der junge, amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshwaw (Belendjwa Peter) nach Berlin. Auch er besucht den Kit Kat Klub am Silvesterabend, lernt dort die Sängerin Sally Bowles (Lou Strenger) kennen und verliebt sich in sie. Nach und nach scheint es, als könnten die beiden eine Zukunft haben, genau wie die Vermieterin des Zimmers, in dem Cliff wohnt, Fräulein Schneider (Rosa Enskat) und Herr Schultz (Thomas Wittmann). Auf der Verlobungsfeier der beiden eskaliert die Lage plötzlich, als sich herausstellt, dass Herr Schultz Jude ist. Ein Spießrutenlauf beginnt, an dessen Ende sich jeder und jede entscheiden muss, auf welcher Seite er oder sie künftig stehen möchte.

Belendjwa Peter, Inga Krischke (Bild: Thomas Rabsch)

So schrill die Stimmung zu Beginn noch ist, als der Conférencier das Publikum in Düsseldorf begrüßt, so düster ist sie am Ende, als auf der sich drehenden Bühne noch einmal alle Charaktere in Standbildern dem Publikum vorgeführt werden und quasi die letzten 180 Minuten Revue passiert gelassen werden. Das liegt allerdings nicht nur am Inhalt, sondern vor allem an einem starken und facettenreichen Ensemble, das an diesem Abend zu Hochleistung auffährt. Zusätzlich sind es die kleinen Feinheiten, wie die Begrüßung zu Beginn, als noch alle Menschen vom Conférencier begrüßt werden, auch jene, die sich welchem Geschlecht auch immer zuordnen und dem Ende, an dem klar nur noch die Damen und Herren begrüßt werden, denn Minderheiten haben im NS-Regime keinen Platz, die dafür sorgen, dass die Inszenierung und deren dramaturgische Entwicklung funktionieren, aber zugleich mit kurzen Einschüben, wie diesen, einen modernen Anstrich bekommen.

Durch die sich drehende Bühne können immer wieder unterschiedliche Settings (Bühnenbild: Ansgar Prüwer) bespielt werden, schnell verschwindet der Kit Kat Klub und die vermietete Wohnung von Cliff oder eine angedeutete, dunkle Gasse, in Berlin erscheinen. Es wirkt wie ein Abbild der berüchtigten zwei Seiten einer Medaille. Auch das Lichtkonzept (Konstantin Sonneson) und die Kostüme (Martina Lebert) tragen zum Erfolg der Inszenierung bei. Obwohl neben den stellenweisen auffälligen Kostümen die Farbe schwarz sehr dominant ist, so glitzert es zu Beginn dank vieler Pailletten, noch, doch je dunkler die Stimmung wird, desto matter und trister werden auch die Kostüme – vor allem im Kit Kat Klub. Die Lichteinstellungen werden besonders im zweiten Teil sehr kalt. Musikalisch überzeugt die Band unter der Leitung von Matts Johan Leenders ab der ersten Sekunde an.

Ensemble (Bild: Thomas Rabsch)

Knapp drei Stunden, inklusive einer Pause, dauert die Inszenierung und für uns steht fest: Wer sich das entgehen lässt, ist selbst schuld! Auch wenn es anfangs vor Sex trieft und das manch einem zu viel sein mag (beispielsweise gibt es zum Song Two Ladies glänzende, übergroße Umschnallpenisse und Brüste, mit denen die Darsteller:innen arbeiten) bekommt man so doch am ehesten ein Gefühl dafür, wie es in Berlin Ende der 1920er Jahre zuging. Umso deutlicher wird der Umschwung mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und als das Lied Der morgige Tag ist mein gesungen wird. Ein Kontrast, der gerade durch die gewählten Mittel, besonders schön anzusehen ist und bei uns zur Pause einen Kloß im Hals hinterlässt, weil man so sehr mit den Betroffenen mitfühlt. Erstaunlich ist, dass die gesamte Inszenierung ganz ohne Nazisymbolik auskommt: keine Flaggen, Hakenkreuze oder ein Hitlergruß, der meist im Zusammenhang mit dem Lied Der morgige Tag ist mein gezeigt wird. Es gibt zwar Andeutungen, doch die Entscheidung darauf zu verzichten war unseres Erachtens sehr passend zur Inszenierung, da alles Notwendige aus dem Kontext deutlich wird. Dass das Düsseldorfer Schauspielhaus es versteht das Showkonzept des Kit Kat Klub zu übernehmen, zeigt sich auch in der Pause, denn während das Saallicht an, und der Vorhang noch geschlossen ist, zeigt Yaroslav Ros einige Kunststücke. Manche gelingen erst nach mehreren Anläufen, doch das Publikum dankt es mit immer wieder kurzem Applaus. Um nach der Pause das Tempo direkt wieder aufzunehmen legt Ros nach Wiederbeginn eine Steppnummer hin, die uns erstaunt und begeistert hat. Auch in Düsseldorf können wir unsere Sorgen kurz vergessen und uns vom Programm mitreißen lassen.

Ensemble (Bild: Thomas Rabsch)

Besonders überzeugt hat uns André Kaczmarczyk als Conférencier, dem man eine Manie unterstellen möchte, wenn es darum geht die Leute in seinem Kit Kat Klub zu bespaßen. Auch Lou Strenger als Sally Bowles zeigt nicht nur ihr schauspielerisches, sondern auch ihr überragendes gesangliches Talent. Belendjwa Peter als Clifford wirkt dagegen fast wie ein Ruhepol in der Inszenierung. Mit seiner sehr präzisen Spielart nimmt man ihm seine Unsicherheit gegenüber dem Berliner Nachtleben, aber auch seine Positionierung und seine Bedenken gegen die politischen Vorgänge Anfang 1930 ab. Dem gegenüber steht Raphael Gerhmann als Ernst Ludwig, einem Nachbarn Cliffords, den man durchaus als Ekelpaket bezeichnen kann, da er Cliffords anfängliche Naivität ausnutzt, um wichtige Dokumente für seine Partei von Paris nach Berlin zu schmuggeln und dem man später die Rolle als lupenreinen Nationalsozialisten abnimmt. Rosa Enskat als Vermieterin Fräulein Schneider und Thomas Wittmann als Herr Schultz überzeugen nicht nur in ihren Rollen, sondern harmonieren auch als Paar wunderbar auf der Bühne, sodass man sich schnell von ihrer Liebe, aber auch dem späteren Bruch dieser als Zuschauer:in sehr mitnehmen lässt. Fräulein Kost, die es liebt, ihre Dienste gegen Geld lokal stationierten Marinern anzubieten, wird von Claudia Hübbecker verkörpert. Auch sie überzeugt schauspielerisch, vor allem aber auch gesanglich, wenn sie im Laufe des Stücks zum Lied Der morgige Tag ist mein mit einstimmt. Allerdings möchten wir auch alle anderen Beteiligten nicht in den Schatten stellen, jeder und jede hat zu einem erfolgreichen Abend beigetragen. Das Zusammenspiel des Ensembles, die Choreografien, der Gesang im Chor, einfach alles hat innerhalb eines sehr stimmigen Theaterabends wunderbar ineinander gegriffen.

Raphael Gehrmann, Valentin Stückl, Yaroslav Ros (Bild: Thomas Rabsch)

Am Ende merkt man im Saal ein leichtes Zögern, das liegt allerdings nicht an einer schlechten Inszenierung, sondern an der Stimmung, die hinterlassen wird. Von der anfänglichen Fröhlichkeit und Lockerheit ist nicht viel geblieben, stattdessen zeichnen sich düstere Zeiten ab und vieles ist bereits in die Brüche gegangen. Das wiederum ist ein großartiger Erfolg und eine tolle Leistung des gesamten Teams, die am Ende mit Standing Ovations honoriert wird. Wir sind uns einig, dass es an der Umsetzung des Musicals nichts Negatives zu kritisieren gibt. Der etwas höhere Preis lohnt sich und qualitativ konnte dieser Abend durchaus mit einem Abend einer Stage-Produktion mithalten.

Wer sich Cabaret ansehen möchte, hat noch bis Juni Zeit dafür und kann sich auf der Website des Theaters Karten sichern.


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