Titelfoto: Foto: Marco Piecuch, zu sehen: Benjamin Schardt, Niklas Maienschein
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)
Schon wieder Shakespeare? Jo! Schon wieder Hamlet? Jo!
Mit der Frage, mit dem sich Theatergänger:innen stets beschäftigen müssen, nämlich mit jener, wieso man steinalte Stoffe noch immer auf die Bühne bringt, wollen wir uns in diesem Beitrag nun wahrlich nicht mehr beschäftigen und positionieren uns mit Blick auf die beiden Eingangssätze ganz deutlich im Spektrum Pro-Immer-Wieder-Shakespeare und Pro-Immer-Wieder-Hamlet, für uns völlig indiskutabel. Handfeste Beweise, warum ein stets gleicher, 400 Jahre alter Text noch immer für neuen Schwung auf der Bühne sorgt, lieferte das Rheinische Landestheater Neuss (RLT) gestern bei seiner Premiere von Hamlet.
Auf die Geschichte des jungen Dänen-Prinzen, der mäandert zwischen Witz, Wahnsinn und Rachegelüsten und seine Figur gehen wir in diesem Beitrag nicht mehr ein. Zu häufig schon haben wir diese hier dargestellt und verweisen der Einfachheit halber auf unsere Besprechungen der Inszenierungen aus Köln sowie aus Dresden / Düsseldorf und auf das Porträt Christian Friedels, der sich im Interview selbst mit der Figur Hamlet auseinandersetzt.
Viel spannender ist allerdings die oben aufgemachte Frage, wie Theater es seit Jahrhunderten schaffen, ihre Zuschauer:innen für dieses Shakespeare-Stücke von 1602 zu begeistern. In ihrer Inszenierung von Hamlet entschied sich die RLT-Intendantin und Regisseurin Caroline Stolz für einen Ansatz, der vermutlich nicht jede:n Shakespeare-Fan hinterm Ofen hervorlocken wird: Tödliches Drama garniert mit Klamauk und Witz.

Doch von vorn: Zu Beginn blicken wir auf eine nahezu leere Bühne, in der Mitte steht ein großes Podest umgeben von einem riesigen Bilderrahmen. Im hinteren Bühnenbereich hängen weitere, kleine, leere Bilderrahmen von den Zügen. Diese vermehren sich im Laufe des Stückes, säumen am Ende das gesamte Portal der Bühne einfach und unaufgeregt, sehen durchaus hübsch aus, werfen allerdings – zumindest für uns – bis zuletzt Bedeutungsfragen auf. Farbästhetisch setzt Nina Wronka (Bühne/Kostüm) hier, passend zum Stück, erdrückend düstere Akzente. Neben den goldenen Bilderrahmen sehen wir größtenteils schwarz-weiße Kostüme. Lediglich Ophelias rotes Kleid und das später zuhauf (und eigentlich gerne sogar noch mehr!) splatternde Blut bringen die einzige Farbe ins Spiel. Inwiefern es sinnig ist, hier unser Abiturwissen über die zu Shakespeares Zeiten durchaus gängige Vier-Säfte-Lehre anzubringen und bei einem Überhang des roten Safts Blut von einem:r Sanguiniker:in, also einem heiteren, lebhaften und leichtsinnigen Menschen zu sprechen, überlassen wir der Interpretation der Zuschauer:innen.
Wie für das RLT bekannt, steht zu Beginn großer Produktionen zuerst einmal eine Reduktion an. Die Dramatis Personae von ursprünglich über 20 möglichen Figuren ist im RLT reduziert auf neun Charaktere gespielt von sieben Darsteller:innen. Eine klassische Doppelbesetzung hat Carl-Ludwig Weinknecht als Claudius sowie als Geist des verstorbenen Königs inne, welche er, als alter Hase des Neusser Ensembles beide in voller Gänze ausfüllt. Claudius ist der Bösewicht des Stückes und so serviert Weinknecht uns einen machtgeilen, überheblichen und arroganten König mit viel Pathos, aus dessen Schatten auch seine Ehefrau Gertrud, gespielt von Juliane Pempelfort, nicht hervortritt und eine kühle Distanz zur Hauptfigur aufbaut und diese bis zum Ende beibehält. Nelly Politt gibt eine Ophelia im breiten Spektrum der Gefühle, verkörpert die wankelnde Liebe zu Hamlet gleichsam nachvollziehbar wie die Entwicklung zum steigenden Wahnsinn nach dem Tod ihres Vaters, welcher sie selbst ins Ableben führt und uns auch dieses Mal wieder diskutieren lässt: War es ein Unfall oder Suizid? Ebenjener Vater, Polonius (sowie der Yorick-Schädel-kickende Totengräber), wird von Stefan Schleue gespielt in einem von ihm stets bekannten breiten authentischen Spektrum zwischen ernsthaft und komisch, ganz besonders bei der Meldung von Hamlets Liebesbriefen an Ophelia. Ihr Bruder Laertes, gespielt von Simon Rußig, geht im ganzen Spektakel um Mord, Wahnsinn und Rache unter, durch zu viel großen Gestus und Gebrüll werden jene Chancen zur Rollenzeichnung nicht genutzt, die das Stück für Laertes leider auch nur im letzten Viertel bietet. Herzerwärmende Best-Buddy-Momente bietet uns Niklas Maienschein als Horatio. Der einzige Freund Hamlets, eine Vertrauensperson und die Figur, die die Chose am Ende als einzige überlebt, gilt in jeder Hamlet-Inszenierung als Leuchtfeuer der Hoffnung zwischen Klarheit und Wahnsinn, Hamlet öffnet sich ihm im Dialog am meisten. Maienschein zeigt eine angenehme Beziehung zu Hamlet und brilliert auch monologisch beim Publikum sowohl in Komik als auch in Tragik. Übrig bleibt die titelgebende Hauptfigur. So fällt bei der Besetzung gleich Benjamin Schardt auf, der uns zumeist durch sein komödiantisches Talent in Sprache und Physis in Erinnerung geblieben ist, wodurch es ihm bisher in zahlreichen Inszenierungen gelang, das Publikum zu erheitern. Die große Kunst solcher komödiantisch starken Schauspieler:innen ist es immer, zu zeigen, dass sie auch tragisch können. Schafft Schardt diesen Balance-Akt?
Diese Frage können wir leider nur sehr unbefriedigend mit einer Jurist:innen-Plattitüde beantworten: „Es kommt darauf an“. Darauf nämlich, welchen Anspruch die Zuschauer:innen an die Figur und das Stück Hamlet haben. Schardt bringt, besonders durch viel Klamauk und Sprachwitz, enorm viel frischen Wind mit rein in eine Inszenierung, die sich bereits seit fast einem halben Jahrtausend immer wieder neu erfinden muss. Das funktioniert besonders gut durch die abseitigen zynischen Kommentare, die Schardt Hamlet immer wieder in seinen Bart murmeln lässt. Auch in der Stück-im-Stück Inszenierung von „Die Mausefalle“, jenem Theaterstück, das Hamlet und sein Freund Horatio nutzen, um Claudius mit seiner eigenen Tat, dem Königsmord, zu konfrontieren, störte uns die Komik nicht. Im Rahmen der RLT-Kürzung kommt nämlich keine Theatergruppe auf, Hamlet und Horatio spielen selbst. Und zwar ein Potpourri aus Romeo und Julia, Titanic und Dirty Dancing samt billiger Perücke, ausgestopftem Busen und angedeuteter Hebefigur. Das Premieren-Publikum dankte es mit viel Gelächter und Applaus, einige Herr- und Damschaften verließen allerdings auch den Saal. Es kommt eben darauf an. Allerdings kommt es ebenfalls darauf an, irgendwann einmal zu erkennen, dass Schluss ist mit Lustig. So empfanden wir den Einstieg des Fechtkampfes zwischen Hamlet und Laertes der Tragik des Moments gegenüber unangemessen und hätten uns hier die nötige Ernsthaftigkeit ob eines Umstandes, der gleich mehrere Leichen zur Folge hat, gewünscht. So muss also jede:r Besucher:in für sich selbst entscheiden, wie viel Witz und Humor sie der eigentlich tragischen Figur des Hamlets zumuten wollen. Wir jedenfalls bedanken uns für diese abwechslungsreiche Perspektive auf eine eigentlich so düstere Figur und den Mut des zumeist gelungenen Versuchs, dem Stück seine Schwere zu nehmen.
Und deshalb möchten wir euch Leser:innen herzlich einladen, euch selbst ein Bild zu machen (und uns im Zuge dessen vielleicht auch zu erklären, was die Bilderrahmen aussagen). Wie das geht? Wir empfehlen einen Besuch der Website des Theaters, einen Kauf eines Tickets und damit einhergehend einen Besuch der Vorstellung.
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