Perfekt ist, wer unperfekt ist – „21-22-23“ im Box Theater

Beitragsbild: Timo Vogt
Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)

Theaterstücke über das Thema Perfektion haben wir schon einige gesehen, das Thema selbst ist ein alter Hut und doch findet es immer wieder den Weg auf die Bühne, so auch im Box Theater in Köln. Rangetraut hat sich die Regieklasse 2023 der Theaterakademie Köln, die sich mit den Schönheits- und Leistungsidealen unserer Zeit befasst hat. Schaffen Sie es sich von altbekannten Dystopien, wie von Huxley oder Orwell abzuheben?

21-22-23 ist der simple Titel der Produktion, der uns direkt zum Nachdenken gebracht hat. Zunächst fühlt es sich wie die Aufzählung der letzten drei Jahre an, dann hatten wir den Eindruck es geht um ein Anzählen, ein Abwarten, das man durchaus aus der Theaterarbeit, aber auch dem Lehrerberuf kennt. Es ist eine gängige Methode, um anderen Zeit zu geben, zu reagieren oder auch, um ein abgestimmtes Timing zu nutzen. Gerade im Theater ist Timing für Bühnenauf- und abgänge, das Einsetzen eines Chors oder Ähnlichem enorm wichtig. So entsteht Timing, alle wissen, was zu tun ist, in gewissem Maße hilft das Anzählen dabei Dinge perfekt abzustimmen. Wir sind uns selbst nicht sicher, ob die Interpretation die richtige Richtung annimmt, doch braucht es in jedem Fall den zweiten Blick und das Stück selbst, um den Titel im Kontext einordnen zu können.

Elena Makrellis (Bild: Timo Vogt)

Fünf Darsteller:innen sind einheitlich in weißen Anzügen mit Nummern darauf gekleidet, auf einer mehr oder weniger leeren Bühne. Immer wieder werden die Insass:innen einer Art Anstalt zur Ordnung gerufen, sie sollen nicht nur sich selbst, sondern auch uns als Publikum verkaufen, dass es das Beste ist, wenn man perfekt ist und Perfektion anstrebt. Doch mit der Zeit kommen Zweifel auf, bis dann eine Insassin den Schmerz und die Strafen – in Form von Elektroschocks – erträgt und sich der Über-Ich-Instanz aus dem Off widersetzt. Sie zieht ihren Anzug aus, unter dem sie türkise Kleidung trägt, sie sticht nun aus der Masse heraus und motiviert auch die anderen auszubrechen. Das scheint zu gelingen, doch eine Insassin bleibt dem System treu. Sie denkt am Ende zu gewinnen, dabei ist sie die eigentliche Verliererin.

Inhaltlich wurde das Thema damit nicht neu erfunden, Perfektionismus macht dich auf Dauer kaputt und niemand ist perfekt und die, die es meinen zu sein, sind es erst recht nicht. Keine Message, die wir nicht irgendwo schon einmal gehört haben. Und doch schafft es die Regieklasse, rund um Regisseurin Nora Maria Harreiß, immer wieder mit theaterästhetischen Stilmitteln die Aufmerksamkeit für die Inszenierung und die Thematik aufrecht zu erhalten. Da wären direkt zu Beginn die roten Shirts, die an alle im Publikum ausgegeben werden. So werden wir als Zuschauer:innen direkt Teil der perfekten Welt, indem auch wir uniformiert im Saal platz nehmen. Zudem bekommt jeder einen kleinen Zettel mit Texten zum Thema Perfektionismus. Schade fanden wir es dann, dass auf beide Elemente nicht weiter eingegangen wird. Lediglich gegen Ende kommt der Impuls aus dem Publikum den Außbrecher:innen Folge zu leisten und die eigene Uniform in Form der T-Shirts auszuziehen, wodurch auch wir unsere Individualität zurückerlangen. Ein schönes Element, das man noch weiter hätte ausbauen können.

Besonders beeindruckt haben uns die Bilder, die immer wieder durch einfache Elemente geschaffen wurden, beispielsweise eine Belohnung in Form einer Banane, allerdings gab es vier überreife, etwas bräunliche Bananen und eine perfekt gereifte. Schnell entbrennt ein Kampf und der Neid um die perfekte Banane. Auch Gießkannen, die genutzt werden, um eine Person mit Eigenschaften zu übergießen, die für den perfekten Mensch stehen, wie Energie, allerdings doch dann eher dazu führen, dass dieser Mensch immer weiter verkümmert haben uns sehr beeindruckt. Auf solche Szenen folgten meist textliche Einschübe, die es unserer Ansicht nach oft nicht gebraucht hätte, da die Szenen spielerisch und auch inhaltlich für sich standen und keiner weiteren Erklärung bedurften.

Hervorgehoben werden sollte der minimalistische Ansatz, mit dem das Ensemble ein rund einstündiges Stück auf die Bühne gebracht hat. Bis auf wenige Lichteinstellungen, etwas Musik und nur sehr wenigen Requisiten, wird ansonsten auf das schauspielerische Talent der fünf Darsteller:innen gesetzt. Dass dieser Ansatz gelingt, zeigt das begeisterte Publikum am Ende, denn spielerisch waren Tabea Kötter, Johannes Krämer, Elena Makrellis, Anton Rat und Shirin Zettl voll und ganz überzeugend. Fasziniert waren wir vom gemeinsamen und harmonischen Spiel, sowie von den physischen Elementen der Inszenierung, von denen wir uns gerne noch mehr gewünscht hätten. Dennoch ein großes Lob an die Darsteller:innen, die eine tolle Energie auf die Bühne gebracht haben.

Ensemble (Bild: Timo Vogt)

Am Ende hat 21-22-23 eine vorhersehbare Struktur einer dystopischen Geschichte aus der eine gleichgeschaltete Gruppe ausbricht und alle mitnimmt, fast schon ein Happy End, auch wenn am Ende eine Insassin zurückbleibt. Allerdings fordert Perfektionismus immer auf Opfer. Das war in der Szene mit der Gießkanne bereits sehr schön angedeutet, doch gelegentlich fehlte uns der Schritt mehr, der Mut zu zeigen, dass es nicht nur darum geht auszubrechen, sondern, dass diejenigen, die es nicht schaffen auszubrechen daran zerbrechen (können). Durch das Verteilen der Zettel und T-Shirts wurde auch eine immersive Stückstruktur angedeutet, die jedoch nicht genutzt wurde.

Dennoch: Auch wenn die Inszenierung inhaltlich keine Überraschungen bereithält, ist sie technisch sehr sehenswert. Es gibt keine Message gibt, die wir nicht schon gehört haben, trotzdem lädt die Produktion ein, danach über das Gesehene zu diskutieren und sich seine Gedanken zu machen, sich selbst oder andere darin wiederzuerkennen. Vor allem ist eine Ensembleleistung zu erkennen, die Spaß macht und von der wir uns wünschen, dass sie in der Form weiter ausgebaut wird. Leider ist die Produktion bereits abgespielt, doch wer interessiert ist, dem empfehlen wir dem Instagram Account der Regieklasse 2023 der Theaterakademie zu folgen.  


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