Märzporträt: Mein Job ist mehr als Flüstern – Christina Schumann, Souffleuse

Beitragsbild: Marco Piecuch, RLT Neuss

Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)

Was der Theaterzuschauer immer wieder besonders genießt, ist die Unmittelbarkeit des Bühnengeschehens. Wenn wir es uns als Zuschauer in den Sitzen im Auditorium bequem machen, uns zurücklehnen und den Blick auf die Bühne richten und den Schauspielern bei ihrer Arbeit zusehen, ist es doch genau das, was das Theater ausmacht: Da stehen echte Menschen zur gleichen Zeit im gleichen Raum und spielen ein Stück, tanzen, singen, sprechen. Wenn das Stück einmal läuft, kann – anders als im Film – bei Fehlern nicht unterbrochen und nach eventuell cholerischem Regisseur-Ausraster die Szene von vorn gespielt werden. Am Theater muss die Show weitergehen, wie Queen das schon 1991 gesungen haben. Da kann es schon zu einer Mammutaufgabe werden, wenn die Textbücher so viele Seiten aufweisen wie so mancher Roman. Und so kann es passieren, dass auch der geübteste, professionellste und fleißigste Schauspieler mal einen Texthänger hat. Für die Kontinuität in diesem Notfall dann verantwortlich: Der Souffleur oder die Souffleuse. Dass die Soufflage mehr ist als das Mitlesen des Stückes und das hin und wieder aufkommende Hereinrufen des Texteinsatzes, warum Post-Its fast das wichtigste Werkzeug sind und warum man bei Goethe pingeliger sein muss als bei Shakespeare, das hat uns Christina „Tine“ Schumann, Souffleuse am Rheinischen Landestheater in Neuss (RLT) im Interview erzählt.

Wenn man auf Tine trifft, hat man sofort gute Laune. Das liegt an ihrer positiven Ausstrahlung, ihrer Offenheit und ihrer Hilfsbereitschaft, welche sie selber als sehr wichtige Eigenschaft für ihren Beruf beschreibt. Und so vielseitig wie sie selbst, ist auch Tines bisheriger Lebensweg, denn dieser hatte anfangs erst einmal gar nichts mit dem Theater zu tun und führt auch erst über einen weiten Bogen zu ihrem jetzigen Beruf.

„Ursprünglich wollte ich Reiseverkehrskauffrau werden, habe die Ausbildung aber schnell abgebrochen und begann dann eine Ausbildung zur Physiotherapeutin, die ich dann auch abgeschlossen habe.“ In diesen eher bühnenfernen Berufen war es dann wie so oft das Hobby, das Tine den richtigen Weg einschlagen ließ: „Während der Ausbildung habe ich als Sängerin den Einstieg in eine Band gefunden und bin darüber in die Tourneebegleitung gerutscht. Darüber wiederum bin ich zu einem Tourneeveranstalter gekommen, der Gala- und Musicaltourneen veranstaltet und bin dann acht Jahre lang quer durch Europa unterwegs gewesen.“ Diese Arbeit gefiel Tine sehr, doch merkte sie schnell, dass der Beruf sich negativ auf ihre sozialen Kontakte auswirkte, denn, eine Tour von mehreren Monaten schlaucht, man ist ja kaum zu Hause, arbeitet fernab von Familie und Freunden. „Und da habe ich nach acht Jahren den Schlussstrich gezogen, habe aber gemerkt, dass ich unbedingt gerne im Bereich des Theaters arbeiten will.“

Passenderweise schrieb das Rheinische Landestheater in Neuss damals eine Stelle als Souffleuse aus, ein Beruf, für den es keine Ausbildung gibt. „Ich habe mich da einfach mit meinem langen Lebenslauf beworben und bin dann auch genommen worden“, erzählt Tine und betont dabei, dass es eben diese etwas auffälligere Vita war, die dem Theater damals unter den Bewerbern auffiel. „Ich war ja auch Sängerin und ich kenne damit ein bisschen das Gefühl, auf der Bühne zu stehen und plötzlich festzustellen, dass einem der blöde Text nicht mehr einfällt. Eine gewisse Musikalität ist zudem auch wichtig für den Beruf der Souffleuse, ein Text ist so ähnlich zu betrachten wie eine Partitur. Ich weiß durch die Proben, wer wann eine Sprechpause macht und wann eine Pause einfach zu lang ist.“

Und damit stellt Tine auch direkt eine Sache klar: Die Souffleuse nimmt sich nicht am Abend der Vorstellung das Textbuch und setzt sich damit gemütlich in ihren Kasten, liest mit und gibt dann notfalls einen Einsatz, wenn es zu Hängern kommt. Jeder, der einmal einen etwas längeren Text auswendig gelernt hat, weiß, wie schnell dieser wieder verschwindet, wenn dazu noch andere Tätigkeiten kommen: „Es geht für die Schauspieler zuerst darum, den Text flüssig sprechen zu können, das ist ja auch einfach, wenn man dabei nur steht oder sitzt. Aber spätestens, wenn weitere Regieanweisungen umgesetzt werden müssen, geht der Text auch schnell mal wieder flöten.“ Und hier liegt der Hund begraben: Die Souffleuse probt genauso fleißig ein Stück ein, wie das die Schauspieler tun, begleitet das Probengeschehen von vorne bis hinten und pendelt sich selbst in den Sprechrhythmus der Dartsteller ein: „Ich souffliere noch relativ häufig bei den Proben, während ich bei den Vorstellungen hoffe, ein Gefühl dafür entwickelt zu haben, welcher Schauspieler wann und wo eine Denkpause macht oder eine ganz bewusste Pause setzt, weil er eine Aktion ausführt.“ Und so sind die Einsätze der Souffleuse während der Vorstellungen eher von seltener Natur: „Wenn ich spontan eine Statistik heranziehen müsste, würde ich sagen, dass ich in jeder vierten Vorstellung einmal ein Wörtchen soufflieren muss.“

Tine nimmt ihren Beruf sehr ernst und ist von der ersten Minute der Probenarbeit sehr engagiert dabei: „Bei der Leseprobe fange ich schon an, mir die ersten Notizen zu machen. Bereits hier bemerke ich unterschiedliche Lernmentalitäten. Da gibt es die Kollegen, die bereits hier den Text fast frei mitsprechen, aber auch jene, die sich sehr darauf verlassen, dass ich helfe.“ Und das, so stellt Tine klar, hat nichts mit faulen Schauspielern zu tun. In den Proben ist die Souffleuse mehr eine Lernunterstützung, Tine sagt, dass sie hilft, „dass der Text in den Körper geht.“ Für die Schauspieler ist es bei der Probe hilfreicher, das Textbuch aus der Hand legen zu können und im Notfall um Soufflage zu bitten. Diese Stütze gibt den Schauspielern dann die Möglichkeit, sich mehr auf das Gesamtspiel zu konzentrieren. „Wenn ich viel rede, dann will ich erreichen, dass der Spieler flüssig weitersprechen kann und keine Lücken entstehen.“ Dass sich der eine oder andere Schauspieler dabei auf den Schlips getreten fühlt, hängt dann von der Mentalität der Künstler ab: „Es gibt sowohl Kollegen, die genau das einfordern als auch solche, die meine Hilfe zuerst gar nicht wollen, sich vielleicht sogar vorgeführt fühlen. Da suche ich aber nach der Probe immer noch einmal das persönliche Gespräch, denn ich will, dass der Kollege weiß, dass ich ihn nicht ermahnen will, den Text nicht gelernt zu haben, sondern dass ich ihn nur in der sicheren Umsetzung seiner Rolle unterstützen möchte.“ Und spätestens hier merkt man, wie wichtig es ist, dass die Souffleuse sich mit in das Stück einprobt und jeden Schauspieler und jeden Einsatz, wirklich jede Pause kennt: „Es wäre ein Horror für mich, wenn ich plötzlich an einem fremden Theater in einem fremden Stück einspringen müsste, ich hätte keine Ahnung, wie die Schauspieler drauf sind, wer da wie tickt.“

Ein auf den ersten Blick für eine Souffleuse eher unübliches, aber für Tine eines der bewährtesten Hilfsmittel in ihrer Arbeit ist ein Post-It Block: „Als ich damals in diesem Beruf angefangen habe, wusste ich selber nicht, wie genau das geht mit der Soufflage. Ich habe versucht, mich im Internet durch Artikel über Souffleusen einzulesen und da las ich von einer Kollegin, die den Schauspielern Zettel macht und ihnen aufschreibt, wo sie in der Probe vom Textbuch abweichen. Daraus habe ich mir abgeleitet, dass ich immer einen Block Post-Its bei mir habe. Da kann es schon mal vorkommen, dass Schauspieler ihr ganzes Textbuch zugepflastert haben mit Post-Its, weil ich diese Zettel auch so schreibe, dass ich beispielsweise den ganzen Satz zitiere und dann das Wort, das anders gesagt wird richtig in Großbuchstaben schreibe, während der Rest klein bleibt.“ Ein bisschen merkt man Tine auch an, dass sie stolz ist auf diese Methode und das kann sie auch zu Recht sein, denn das Kollegium gibt ihr recht, viele Schauspieler fordern ihre Zettelchen regelrecht ein und freuen sich über diese aufmerksame Geste, die den Künstlern ihre Arbeit sehr erleichtert. Und auch „wenn der eine oder andere Kollege den Zettel nimmt, einmal draufguckt, ihn dann zerknüddelt und wegschmeißt“, bricht das Tine nicht das Herz, denn mittlerweile hat sie sich daran gewöhnt, dass die Schauspieler die Zettel dennoch lesen und ihre Unterstützung gerne wahrnehmen.

Tine ist froh, dass sie am RLT die Möglichkeit bekommt, das Stück und die Beteiligten ausreichend und mit viel Vorlauf kennen zu lernen. Sie und ihre Kollegin Anna Dreher werden auf die jeweiligen Produktionen aufgeteilt, die sie dann betreuen. Dies hat seine Vor- und Nachteile. An anderen Theatern können mehrere Souffleusen mehrere Stücke betreuen, dafür fehlt diesen dann die intensive Probenzeit. Fällt am Rheinischen Landestheater allerdings eine Souffleuse aus, ist es schwieriger für die andere, einzuspringen. Hier wird die Souffleuse dann eher vom Regieassistenten vertreten, der ebenfalls den Probenprozess von Anfang an begleitet und damit die Einsätze besser kennt.

Foto Christina
„Ich muss abschätzen können, wie viele Sekunden ich warten darf und ich glaube, für den Schauspieler, der vielleicht gerade wirklich einen Hänger hat, kommen dann zwei oder drei Sekunden vor wie zehn Minuten.“ (Foto: Frank-Uwe Orbons, RLT Neuss)

Bei diesem Gedanken wagt Tine auch einen Blick in die Zukunft des Berufs der Souffleuse und spricht aus, was alle früher oder später vermuten: „Der Beruf der Souffleuse ist vom Aussterben bedroht. Es gibt viele Theater, an denen es gar keine Souffleusen mehr gibt. Ich merke das auch, wenn junge Schauspieler, gerade frisch von der Schauspielschule, zu uns kommen, dass sie das Konzept der Soufflage gar nicht mehr kennen, da muss man sich erst einmal aneinander gewöhnen.“ Hierbei ist es sicherlich auch nicht hilfreich, irgendjemandem den schwarzen Peter zuschieben zu wollen, am Ende ist es immer eine Frage des Geldes: „Es ist eine traurige Entwicklung, dass unsere Regieassistenten immer mehr können müssen. In erster Linie ist es ein personelles Problem. Ich verstehe auch, dass ein Theater aus Kosten- oder Verwaltungsgründen sagen muss, dass es nicht drei Souffleusen, drei Regieassistenten und drei Inspizienten haben kann. Es kommt durchaus vor, dass der Regieassistent in einem Stück assistieren, die Inspizienz machen und auch noch soufflieren muss. Ich hoffe, das ist kein sich verstärkender Trend, aber wenn mal jemand auf die Idee kommt, dass das Ensemble zwei Schauspieler mehr benötigt, dann werden zuerst die Souffleusenstellen gestrichen.“ Etwas beruhigt schiebt Tine aber auch hinterher: „Gott sei Dank gibt es aber auch Intendanten, die für die Souffleuse eine Lanze brechen.“ Und auch wir hoffen, dass dieser wundervolle Beruf noch lange überlebt.

Doch wie sieht er denn nun genau aus, dieser Moment, den wir alle mit der Souffleuse assoziieren. Der Schauspieler steht auf der Bühne, rezitiert einen ewig langen Monolog und kommt plötzlich raus. Texthänger. Was nun?

Hin und wieder kommt es vor, dass die Schauspieler sich dann selber aushelfen. „Ich habe mal einen Schauspieler beobachtet, der sich einsprach, der konnte sich hierbei bereits alle Antworten seiner Kollegen geben, die noch nicht vor Ort waren.“ So kommt es dann auch häufig vor, dass die Schauspieler sich gegenseitig aus der Patsche helfen, sodass Tine scherzt: „Wenn ich als Souffleuse dann mal ausfalle, dann reicht das, wenn so ein Kollege auf der Bühne steht, der macht das dann schon.“ Improvisation ist nun mal nicht umsonst ein Schulfach an jeder Schauspielschule und sollte jedem Bühnenkünstler jederzeit durchs Blut fließen. Dennoch gibt es Texte, die wenig Freiraum zur Improvisation lassen: „Wenn der Text mal anders gesprochen wird, als er im Textbuch steht, ist mir das erstmal egal, denn so lange der Inhalt stimmt, bemerkt der Zuschauer den Fehler weniger, als wenn ich hineinrufe, dann fällt es auf. Es kommt aber auch häufig auf den Autor und die Epoche an. Bei Shakespeare beispielsweise gibt es mittlerweile so viele Übersetzungen, dass ich da ein bisschen lockerer sein muss, weil wir häufig mit Texten unterschiedlicher Übersetzungen arbeiten. Bei Goethe allerdings bin ich sehr pingelig, da gehe ich den Kollegen auch eher mal rein, wenn ich merke, dass sich da jemand etwas zu mundfertig gemacht hat und es nicht mehr nach Goethe klingt.“

Wenn es dann aber doch zum Totalausfall des Textes kommt, ist das noch lange nicht der Super-GAU, denn dann kann die Souffleuse immer noch flüstern, was, wenn man die aus dem Französischen stammende Berufsbezeichnung untersucht (souffler = flüstern), in Tines Fall eher ein irreführender Name ist: „Wir sitzen bei uns nicht im berühmten Souffleusenkasten, der in die Bühne eingelassen ist, sondern im Portal und, wenn dies das Bühnenbild nicht zulässt, im Zuschauerraum, da hilft es nicht, wenn ich flüstere, das muss mindestens Zimmerlautstärke sein.“ Wenn die Souffleuse dann ein Stichwort hineinruft, bekommt der Zuschauer das, so möchte man meinen, sofort mit, doch Tine hat im Laufe ihres Berufs etwas festgestellt: „Interessanterweise hören die Zuschauer mich, wenn sie mich nicht sehen, kaum. Sie hören zwar etwas, aber können das nicht zuordnen. Wenn ich aus der ersten Sitzreihe aus souffliere, ist meine Unterstützung kein Geheimnis mehr, allerdings hat es hier den Vorteil, dass ich auf die Bühne spreche und das bereits in der dritten Reihe niemand mehr mitbekommt.“ Dieser eine Moment aber, in dem die Souffleuse entscheiden muss, ob sie nun unterstützt oder aber ob der Schauspieler gerade nur eine bewusste Denkpause macht, die er so in den Proben vielleicht nicht angebracht hat, ist immer wieder ein Nervenkitzel: „Ich muss abschätzen können, wie viele Sekunden ich warten darf und ich glaube, für den Schauspieler, der vielleicht gerade wirklich einen Hänger hat, kommen dann zwei oder drei Sekunden vor wie zehn Minuten.“ Manchmal aber muss Tine ihren Einsatz nicht erahnen, wenn es passt, bitten die Schauspieler sie auch bewusst um Hilfe. Was aber in einer Probe noch durch den offenen Ruf nach Text geschehen kann, sollte in einer Vorstellung natürlich heimlicher von statten gehen: „Es gibt ja auch verschiedene Varianten, wie ein Schauspieler mir einen Hinweis gibt, dass er meine Hilfe braucht. Zum Beispiel über Blickkontakt. In der Vorstellung weiß ich dann genau, dass der Kollege in seiner Rolle auf keinen Fall auf die Idee kommt, mich anzugucken, wenn er keine Hilfe bräuchte. Es gibt auch Kollegen, die schnipsen, was für den Zuschauer tatsächlich auch eher unauffällig ist.“

Neben der aufregenden Tätigkeit als Souffleuse, hat Tine am RLT auch noch andere Pflichten inne. Sie ist beispielsweise auch mitverantwortlich für die Akquise von Gastspielen, denn das RLT geht als Landestheater auch auf so genannte Abstecher, spielt seine Stücke auch auf fremden Bühnen im ganzen Bundesland und darüber hinaus. Auch die Pflege der Seiten in den Sozialen Medien ist Tines Aufgabe, eine Arbeit, die auch bei ihr eher aus einer Laune heraus entstand und mittlerweile für das RLT, sowie für jedes andere Unternehmen, das auf sich aufmerksam machen will, immer wichtiger wird. „Um mit den Kollegen, die es damals nach einem Intendantenwechsel in alle Winde verstreute, Kontakt zu halten, habe ich eine Facebook-Gruppe gegründet, in der wir Nachrichten austauschen konnten. Dort habe ich immer Postings veröffentlicht über das, was an unserem Theater gerade so läuft und irgendwann hat die Theaterleitung davon Wind bekommen und gefragt, ob ich diese Gruppenseite nicht veröffentlichen wollte. Und so entwickelte sich die offizielle Facebook-Seite, die ich auch jetzt noch führe.“ Auch den Instagram- und Twitter-Account des Theaters führt Tine zusammen mit dem Leiter der PR- und Marketingabteilung, Frank-Uwe Orbons. Tine und ihr Kollege wissen um den Einfluss, den die Soziale Medien auf die Zuschauer haben, dass gerade über kurze und übersichtliche Postings potenzielle neue Zuschauer gewonnen und alte auf dem Laufenden gehalten werden können. Häufig bekommt sie zu hören, dass gerade Theater doch eigentlich Unmengen an Bildmaterial zur Verfügung hätten, das sie doch getrost veröffentlichen könnten. Warum sie dies nicht tut, erklärt Tine vollkommen nachvollziehbar: „Man darf nicht vergessen, dass Theater in sich natürlich auch eine geschlossene Gemeinschaft ist. Gäbe ich beispielsweise aus den Proben ständig Fotos oder Videos für die Öffentlichkeit heraus, missfiele das den meisten Kollegen natürlich und dafür habe ich Verständnis, denn der Probenraum ist ein geschützter Raum, in dem dürfen Fehler passieren, hier ist man in Probenkostümen unterwegs. Auch, wenn das Stück am Ende fertig auf der Bühne ist, kann man kaum etwas filmen oder fotografieren, der Zuschauer soll es ja am Ende in der Aufführung sehen.“

All diese Aufgaben erfüllen Tine sehr und sie fühlt sich auch sehr wohl in Neuss und denkt für die Zukunft auch erst einmal nicht an eine andere Tätigkeit, obwohl es sie doch ein wenig reizen würde, einmal in der Oper zu soufflieren: „Das ist natürlich eine andere Soufflage, da muss man Noten lesen können, das kann ich zwar, aber ich weiß nicht, ob das für eine Opernpartitur reicht. Dann ist es durchaus in der Oper eine Grundvoraussetzung, dass man zumindest Italienisch, Spanisch, Französisch oder Russisch kann, Sprachen, die ich vielleicht aussprechen kann, aber wirklich eher nur rudimentär beherrsche, und ich bin mir gar nicht sicher, ob das dann ein Aufstieg wäre oder nur eine andere Form der Soufflage.“ Da bleibt die Oper vielleicht nur ein Gedankenexperiment, denn in Neuss gibt es sowieso genug zu tun.

Und was macht eine Souffleuse in ihrer Freizeit? Natürlich geht sie ins Theater. Sofern sie es schafft, bei ihren Arbeitszeiten: „Ich probe mit den Schauspielern, Regisseuren und Regieassistenten von 10 bis 14 und von 18 bis 22 Uhr und das auch durchaus an Wochenenden. Dass ich es mal in ein anderes Theater schaffe, ist schon eher selten. Ich schaue natürlich alle Stücke bei uns im Haus an und das nicht nur aus reinem Interesse an der Arbeit der Kollegen, sondern auch an den Stücken selbst.“ Die Stücke, die Tine dann privat sieht, kann sie auch genießen, den Beruf lässt sie dann zu Hause. Dennoch stellt sie fest: „Mir fallen Dinge auf, die der normale Zuschauer vielleicht nicht wahrnimmt. Ich gucke beispielsweise sehr gerne auf die Technik, ich erwische mich häufig dabei, dass ich, wenn ich ein neues Theater betrete, an die Decke schaue und gucke, was da alles hängt. Das ist eine Krankheit, die sicherlich in vielen Berufen vorkommt,“ erzählt Tine und denkt dabei an ihre Vergangenheit: „Ich habe eine Zeit lang als Türsteherin gearbeitet, Freunde sagten mir, dass man mit mir nicht in die Disko gehen konnte, man hatte immer das Gefühl, dass ich nur die Notausgänge im Blick hatte und über alle hinweggeguckt habe.“ Dies abzuschalten gelingt ihr aber schließlich dennoch, wenn das Stück dann losgeht. „Ich kann Stücke definitiv für mich genießen. Vielleicht fällt mir mal kurz auf, dass ein Lichtwechsel zu langsam kam, ein Sprecheinsatz sich etwas zu spät anfühlt oder da vielleicht wirklich gerade eine Kollegin souffliert hat, aber ich kann mich dann trotzdem auch ganz schnell auf die Stücke einlassen.“

Halten wir fest: Physiotherapeutin, Sängerin, Tourneebegleiterin, Türsteherin, Souffleuse, Social Media Beauftragte mit hohem energetischen Potenzial für gute Laune, das ist Tine Schumann, eine echte Powerfrau, die man sicherlich getrost die gute Seele am RLT nennen kann. Wir haben viel gelernt über den Beruf der Souffleuse und bedanken uns für das Interview und hoffen, dass am RLT, sowie an allen anderen Theatern dieser Welt noch ganz lange souffliert wird, und dieser tolle Beruf nicht ausstirbt.

Wenn ihr auch einen coolen Theatermenschen kennt, der hier porträtiert werden sollte, zögert nicht, uns anzuschreiben: kontakt@theaterwg.de

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