Königin Kreon, Rapper und Antigone stellt das Gesetz auf die Probe – Voraufführung im Jungen Schauspielhaus Düsseldorf

Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Beitragsbild: David Baltzer

Bei schmuddeligem Wetter am Feiertag machten wir uns auf nach Düsseldorf, zum Jungen Schauspielhaus. Antigone von Sophokles stand auf dem Programm. Sprachlich, sowie inhaltlich kein allzu leichter Stoff für einen Feiertag und doch wurden wir eines Besseren belehrt und uns wurde gezeigt, wie man diese Tragödie mit ein paar Kniffen ins 21. Jahrhundert katapultieren kann.

Ungewohnt war es dieses Mal, dass wir nicht in vollen Rängen saßen, sondern zwischen knapp drei Dutzend anderen Zuschauern, die allesamt Zeuge einer Voraufführung, bzw. Probe wurden. Das Stück beginnt nicht, nachdem alle Platz genommen haben, sondern wir werden ganz herzlich von der Regisseurin Liesbeth Coltof (die wir auch zum Interview trafen, das bald veröffentlicht wird) begrüßt. Auch die Darsteller*innen stehen noch privat auf der Bühne, trinken noch etwas, lauschen der Einleitung. Es könne mal was schief gehen, die Darsteller*innen dürfen auch jeder Zeit unterbrechen und eine Wiederholung fordern, vielleicht geht es mal nicht weiter, so schildert Coltof den Ablauf. Immerhin gebe es noch eine Woche zum Proben, viel Zeit am Theater, in der könne noch viel passieren. Und dann gehen alle an ihre Positionen und es beginnt.

Antigone
Foto: David Baltzer, mit Selin Dörtkardeş, Noëmi Krausz, Aylin Celik

In der Tragödie, die Schätzungen zufolge um 442 v. Chr. das erste Mal uraufgeführt wurde, geht es um Antigone, Tochter von Iokaste und Ödipus, die sich dem tyrannischen Herrscher Kreon, ihrem Onkel widersetzt. Auslöser des Ganzen ist der Tod ihrer beiden Brüder Eteokles und Polyneikes. Erstgenannter soll ein würdiges Begräbnis erhalten, da er sich, nach Kreons Ansicht, heldenhaft verhalten hat und die Heimatstadt Theben schützen wollte. Polyneikes hingegen wird als Verräter angeprangert, der sich von Theben abwandte und einen Krieg begann. Beide Brüder sollten nach dem Tod ihres Vaters abwechselnd herrschen und wurden darüber zu Feinden, am Ende töteten sie sich gegenseitig. Antigone möchte dieses Schicksal nicht hinnehmen und auch Polyneikes ein würdiges Begräbnis ermöglichen. Da Kreon dies per Gesetz verbietet, widersetzt sich Antigone diesem und wird zum Tode verurteilt und in ein Steingefängnis eingemauert. Ihre Schwester Ismene möchte ihr beistehen, doch Antigone möchte dies nicht. Aus Verzweiflung tötet sich Antigones Verlobter Haimon, als Antigone dies erfährt, bringt auch sie sich um. Zu spät gelangt Kreon zur Einsicht, nachdem er den Seher Teiresias aufgesucht hat, denn alle sind bereits tot.

Kein leichter Stoff, schon gar nicht für junges Publikum. Manch einer mag sich noch vage an Schulzeiten erinnern, als man  diese Tragödie in dem einen oder anderen Deutschkurs die durcharbeiten musste. Und doch sind auf den zweiten Blick viele Motive in dieser Tragödie enthalten, die junge Menschen von heute immer noch (oder wieder) bewegen: der Starrsinn und die Gesetztestreue eines Herrschers, bzw. Erwachsenen, die späte Einsicht der älteren Generation, das Aufbegehren der jungen Menschen gegen bestehende Systeme. „Fridays for Future“ oder die „March for Our Lives“-Bewegung von Emma Gonzáles scheinen den Zuschauer fast unterschwellig anzusprechen. Und genau das beabsichtigt diese Produktion auch. Sie versucht zu zeigen, dass das, was vor über 2.000 Jahren bereits niedergeschrieben wurde, immer noch aktuell ist.

Antigone
Foto: David Baltzer, mit Jonathan Gyles, Selin Dörtkardeş, Uğur Kepenek, Aylin Celik, Eduard Lind

Vor allem löst sich die Inszenierung vom staubigen Chor aus der Antike und setzt stattdessen auf moderne Texte und Rap. Eine gewagte Mischung, die unserer Meinung nach voll aufgeht. Aylin Celik und Uğur Kepenek, die dem Ensemble als Rapper zur Seite stehen, sowie Jonathan Gyles vom Ensemble, harmonieren oft wunderbar zusammen und vermitteln ausdrucksstark ihre Texte. So bekommt der Zuschauer immer wieder moderne Texte zu hören, an Stelle derer eigentlich der Chor agiert. Die eigentlichen Szenen wurden jedoch aus dem Original entnommen. Überzeugend war auch Selin Dörtkardeş als Antigone. Sie hat uns mit ihrer Art fasziniert auf der einen Seite gefühlvoll zu agieren, dann aber auszubrechen, laut zu werden, sich mit ihrer Schwester und Kreon anzulegen. Unterstützt wurde dies durch eine tolle Körpersprache, so brauchte sie oft gar keine Worte, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Natalie Hanslik steht dem als Kreon gegenüber. Doch Moment mal! Kreon, ist doch eigentlich ein König, ein Mann? Genau! Doch nicht in dieser Inszenierung. Kreon ist eine Königin, Mutter von Haimon und trotzdem keinen Deut weniger tyrannisch. Hanslik geht so sehr in ihrer Rolle als Herrscherin auf, dass die Irritierung schon Sekunden später nachlässt. Unserer Meinung nach, ein guter Schritt, um der Inszenierung noch etwas Modernes mitzugeben und zu zeigen, dass auch Frauen die Dominanz und Präsenz auf die Bühne bringen können, die diese Rolle mit sich bringt. Ismene wurde durch Noëmi Krausz verkörpert: stark, präsent, aber doch verletzlich. Ihre Verzweiflung springt förmlich auf den Zuschauer über, sie möchte ihre Schwester retten und kann es doch nicht. Am Ende gibt Krausz den Zuschauern noch eine starke Botschaft mit, welche nicht nur uns berührt, sondern auch sie. Das macht diese Botschaft für uns als Publikum ehrlich und überzeugend. Eduard Lind verkörpert Haimon. Auch er steht zunehmend zwischen den Fronten, sein innerer Konflikt, sich zwischen Kreon und Antigone entscheiden zu müssen, nimmt zu und wird toll von Lind dargestellt. Besonders gefühlvoll überzeugt er am Ende mit einem gemeinsamen Tanz mit Selin Dörtkardeş, der ausdrucksstark war und die Verbindung von Antigone und Haimon noch einmal unterstreicht. Jonathan Gyles agiert in verschiedenen Rollen, er spielt den Wächter, den Boten, den Seher, ist aber auch Teil der Rapper. Es ist nicht einfach, so viele Rollen zu belegen, doch meistert er dies oftmals mit viel Witz. Dennoch erscheinen seine Rollen nie albern, sie unterhalten, lockern die Tragödie etwas auf, doch wenn es drauf ankommt, agiert er auf den Punkt genau.

Antigone
Foto: David Baltzer, mit Selin Dörtkardeş, Eduard Lind, Natalie Hanslik, Aylin Celik

Auch wenn noch einige Stellschrauben in der Inszenierung gedreht werden, es einige kleinere Fehler gab, empfanden wir es bereits als eine starke Ensembleleistung. Zu dieser beigetragen haben auch die Musik von Matts Johan Leenders und Philipp Alfons Heitmann, die mal laut und mal leise war, aber oft zur Situation passte. Auch die deutlich moderneren Kostüme von Martina Lebert passen sehr gut zur Inszenierung. Noch einmal fasziniert hat uns mit der Zeit das Bühnenbild von Guus van Geffen. Die Bühne selbst wird nahezu gar nicht bespielt, die Darsteller*innen stehen auf Erhöhungen, die noch einmal abgetrennt sind. Das vordere Podest etwas schmaler, mehr im Halbrund gebaut, das hintere etwas größer und höher. Verbunden werden beide Elemente mit kleinen Bretterbrücken. Mitten durch den Zuschauerraum verläuft zudem noch eine Rampe, die den Zuschauer immer wieder dazu bringt hochschauen zu müssen, was manchmal etwas lästig ist, wenn man weit vorne sitzt. Dennoch lässt das Bühnenbild perfekt zu, dass auf unterschiedlichen Ebenen gespielt wird. Machtverhältnisse werden durch die Stellung der Schauspieler deutlich, Hoch- und Tiefstatus sind klar geregelt. Und immer wieder werden die Grenzen überschritten, auch zum Publikum hin, das an einigen Stellen zum Mitmachen (in Form von Mitklatschen oder Wiederholen von Gesangspassagen) animiert wird. So ist man als Zuschauer ebenso mittendrin im Geschehen. Denn auch wir können nur still dort sitzen und zuschauen oder mitmachen, die Grenzen überschreiten. Alles in einem gewissen Rahmen, doch die Botschaft ist an dieser Stelle klar.

Obwohl es der erste Durchgang ohne Unterbrechung war, wie wir später im Foyer erfuhren, hat uns die Inszenierung gepackt. Dass einige noch mit Textzetteln auf der Bühne standen, einige Stichworte hineingerufen wurden oder die Schauspieler schon mal den Einsatz diskutierten, fanden wir, ehrlich gesagt, auch sehr sympathisch. Genau wie Liesbeth Coltof, die am Rand saß und das Stück Wort für Wort mitfühlte und jeden Einsatz aufmerksam verfolgte. Alle waren konzentriert und fanden binnen Sekunden zurück in ihre Rollen, was zu einer überzeugenden Darbietung führte, die am Schluss sehr berührte. Für uns war es somit nicht nur spannend zu sehen, wie mit der Textvorlage, sondern wie auch live vor Ort am Stück gearbeitet wurde. Ein kurzes Gespräch mit Dramaturgin Kirstin Hess im Foyer ließ durchblicken, dass dies für beide Seiten spannend sei. Auch wäre nun deutlich, woran man noch einmal arbeiten müsse. Dennoch waren wir sehr angetan, von dem was wir bisher gesehen haben.

Antigone
Foto: David Baltzer, mit Selin Dörtkardeş, Eduard Lind

Dem Publikum wird eine Version von Antigone angeboten, die frisch ist, die auch zum Diskutieren anregen soll, die berührt und Spaß macht. Wir sind gespannt, wie sich die Inszenierung in der restlichen Probenzeit verändert und werden in jedem Fall versuchen, eine der regulären Vorstellungen zu besuchen. Abseits dessen können wir jedem Theaterinteressierten auch das Format empfehlen, sich eine noch nicht fertige Vorstellung anzusehen. Man bekommt einen wunderbaren Einblick in die Inszenierung und die Arbeit und ist gefühlt noch etwas näher dran. Sollte auch seitens der Regie das Interesse bestehen, so kann man sogar mit den Beteiligten in ein Gespräch kommen oder aber man verlässt nach dem Durchlauf den Saal. So oder so ist es jedoch spannend zu sehen, wie vor Ort noch einmal am Feinschliff gearbeitet wird.. Wir wünschen dem gesamten Team für die Premiere am 09. November viel Erfolg und werden verfolgen, auf welche Resonanz die Inszenierung stößt.

Tickets können über die Website vom Düsseldorfer Schauspielhaus erworben werden.


Dir gefallen die Texte der Theater WG? Dann lass uns doch ein Like bei Facebook oder ein Abo bei Instagram da und stell sicher, dass Du in Zukunft nichts von uns verpasst.

2 Gedanken zu “Königin Kreon, Rapper und Antigone stellt das Gesetz auf die Probe – Voraufführung im Jungen Schauspielhaus Düsseldorf

Hinterlasse einen Kommentar