Foto: Ausschnitt aus „besser ist besser“ von icanbeyourtranslator, eingeladen zum Common Places Festival 2022
Text: @hannakuhlmann
Auch unsere Autorin Hanna war zu Besuch beim Common Places Festival 2022. Ob nun der Vortrag „Elfenbeinturm oder Kultur für alle?“ von Prof. Dr. Julius Heinicke (Universität Hildesheim) oder die Diskussion zum Thema „Rhythm is not everything“ mit Joop Oonk, künstlerische Leitung der Misiconi Dance Company, Monica Delgadillo Aguilar, künstlerische Leitung von Tanz die Toleranz und Graham Smith, Leitung Tanz am Jungen Theater Freiburg: Allen Diskussionsräumen ist die intensive Auseinandersetzung mit der Gegenüberstellung von „klassischer“ und „sozialer Kunst“ gemein.
Die Tage für Partizipation und Theater, so der Untertitel des Festivals, haben Künstler*innen den Raum gegeben eben diese Spannungen, die stetig ihre tägliche Arbeit begleiten, offen zu legen und zu besprechen. Zum ersten Festivaltag offenbart Prof. Dr. Heinicke seine Perspektive auf das vermeintliche Paradoxon von „sozialer Kunst“: „Der ästhetische Wert ist zwischen den Menschen“, sagt er und klärt somit als Erstes, dass alle künstlerischen Produkte, ob nun im professionellen oder vermittelnden Kontext, künstlerischen Wert hervorbringen. Zudem benennt er diese Trennung als Problem der europäischen Kunst: „Bei afrikanischen Kunstschaffenden zum Beispiel gibt es eine solche Aufteilung zwischen professionalisierter, klassischer und sozialer Kunst nicht.“, erzählt er und empfiehlt den Zuhörenden „Kritik der schwarzen Vernunft“ von Achille Mbembe. Wollen wir die Kunst von ihrem Elfenbeinturm holen, so müsse man in die Gesellschaft gehen und sich als Institution öffnen. „Man sollte aber darauf achten, dass dieser Prozess nicht top-down gestaltet wird.“, so Heinicke.
An dieser Stelle könnte man sich fragen, woher man als ambitionierte*r Kulturvermittler*in oder Künstler*in nun wissen kann, ob dieser Öffnungsprozess der großen Kulturinstitutionen überhaupt ein Wandel ist, der von Menschen, die dieser Institution bisher fern waren, gewünscht ist. Wollt ihr Teil einer musiktheatralen Performance sein?, müsste man fragen. Denn alles andere setzt ohnehin eine top-down-Einstellung voraus. Wenn die Kultur und die Kunst, die für die Institution „die Richtige“ ist, als erstrebenswertes Ziel gesetzt wird, so kann ich nicht wissen, ob meine Zielgruppe möglicherweise andere kulturelle Ideen hatte. Andererseits könnte man argumentieren: Wenn ich nicht weiß, was eine musiktheatrale Performance sein soll, woher kann ich dann wissen, ob ich das mag? Tänzerin und Choreografin Monica Delgadillo Aguilar setzt sich in ihrer Arbeit dafür ein, allen die Chance zu geben, bisher unbekannte Kultur- und Kunstformen kennenzulernen: „Man kann bei uns zu offenen Klassen oder Workshops gehen und da ist dann manchmal eine Stunde Hip-Hop und in der nächsten Woche vielleicht eine Stunde Contemporary. So entdecke ich vielleicht ganz zufällig: Oh, wow, das fühlt sich gut an! Wenn das Contemporary ist, dann mache ich das mal weiter.“. Solange diese Offenheit auf Gegenseitigkeit beruht und keine Kultur als weniger gut gelabelt wird, bietet diese Einstellung großes Potenzial, um sich gegenseitig mit kultureller Vielfalt zu bereichern. Wenn dann jemand keine Lust auf den ein oder anderen Tanzstil hat, ist das okay! Aber der Zugang war da – „unabhängig von Talent, Erfahrung, Alter, Geschlecht, Hautfarbe, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialer Herkunft“ (https://www.tanzdietoleranz.at/).
Aber die Frage bleibt: Ist das Kunst oder „nur“ Sozialarbeit? Als ich den Titel formulieren wollte, waren die Überlegungen nach der richtigen Wortwahl langwierig; insbesondere aufgrund der Begriffsverschwimmungen, die nicht nur aus dem Bereich der partizipativen Kunst, sondern auch von Seiten der pädagogischen Fachrichtungen entstehen. „Inklusion wird so inflationär benutzt, [wie Diversität,] was Vor- und Nachteile mit sich bringt“, erzählt Choreografin Joop Oonk. Der Titel dieses Textes spielt natürlich zum einen auf das niedrigere Ansehen von pädagogischen Fachkräften, sogenannten Multiplikator*innen, wie Lehrkräften oder Sozialpädagog*innen, in der Kunst- und Kulturszene überhaupt an, was sich ebenso in der kulturvermittelnden Arbeit, wie z.B. in der Tanz-/Theaterpädagogik, widerspiegelt. Noch immer genießen diese Berufszweige weniger Ansehen, als die künstlerischen Sparten an einem Haus und es kann zu Geringschätzung unter Kolleg*innen, sowie einer Ressourcenverteilung, die die Kinder- und Jugendtheaterbereiche und die Vermittlungsarbeit im Allgemeinen vernachlässigt, kommen. Diese Einstellungen geraten zum Glück aktuell ins Wanken, aber nicht zuletzt, weil die Theater den Nachwuchs brauchen.
Und all diese Diskussionspunkte beeinflussen die Prozesse partizipativen Arbeitens. Das ist in vielen Punkten sehr kritisch zu sehen, denn: Wenn ein Theater eine Produktion als „sozial“ versteht, weil auch behinderte Künstler*innen daran beteiligt sind, dann ist das schlicht eine Selbstauskunft über die ableistische Haltung eines Hauses. Und nun wird es wirklich verzwickt: Es gibt Projekte, die ein künstlerisches Medium nutzen, um sozialarbeiterisch zu wirken. Also zum Beispiel, um die Ausdrucksfähigkeit von Jugendlichen zu verbessern, werden theaterpädagogische Angebote im Stadtteil gestartet. Diese Arbeit kann als Sozialarbeit mithilfe von Theater verstanden werden, ist aber nicht vorrangig Kunst. Es ist aber kein „soziales Ziel“, dass Künstler*innen mit Behinderung ihren Job ausüben dürfen oder dass das Publikum sich an die diversen Körper dieser Welt gewöhnt. Viele Projekte, so kam es in der Diskussion über den Bereich Tanz zur Sprache, erfahren häufig in der Kunst- und Kulturszene eine Degradierung aufgrund ihres partizipativen Ansatzes. Dabei sollte doch dieser die neue Normalität formen, oder? Oonk beispielsweise betont: „Bei der Misiconi Dance Company trainieren wir professionelle Techniken. Viele der Tänzer*innen berichten, dass es kaum vergleichbare Möglichkeiten für sie gibt, da immer noch der Normkörper Voraussetzung für den professionellen Tanz ist.“. Sie waren mit ihrer Arbeit „Shifting Faces“ bei Common Places eingeladen – eine Performance bei der gezielt die Masken auf den Gesichtern dazu genutzt wurden, um den Blick auf die Körper der Darstellenden zu lenken. Die Kritiker*innen-Seite? Zweifelte ihre choreografischen Fähigkeiten an. „Wir haben als Choreograf*innen die Verantwortung immer das Beste aus dem Material zu machen. Auch mit anderen Körpern.“, so Aguilar kopfschüttelnd, als sie von Oonks Erfahrungen hört.
An diesen Gesprächen zeichnet sich ab, dass es an vielen Stellen des Kulturbetriebs an Wissen mangelt. Wissen, Verständnis und Informationen über die Bedeutung von Diversität, von Partizipation und einer kritischen Betrachtung unseres eigenen Blicks auf Kunst und Kultur, welcher schließlich auch durch die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft mitbestimmt wird. Wäre unsere Gesellschaft inklusiv und chancengleich, dann würde man diese Arbeiten vielleicht gar nicht mehr mit dem Wort „partizipativ“ beschreiben müssen. Sie wären Kunst – wie alle anderen Arbeiten auch. Das Common Places Festival hat diese Utopie in einen öffentlichen Diskurs getragen – lasst uns daran festhalten.
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