Vielleicht ist das, was die meisten wollen nicht immer das beste. Diesen Satz kann man so erstmal stehen lassen. Die Siebtklässler der Christine Koch Schule, Schmallenberg, die Darsteller des Stückes „Den fünften Quer“ müssen dies erstmal erkennen. Und der Weg zu dieser Erkenntnis ist ein Feuerwerk für das Publikum.
Die Jugendlichen, die eine Schulklasse auf der Bühne spielen, die vom Ministerium für Schule und Wetterbildung gebeten wird, herauszufinden, welches das besteKlima ist, hierbei dem Wetterfröschen vom Ministerium Rechenschaft ablegen muss, beginnen mit ihrer Froschung. Der Leser erhebt sicher den Finger, sagt: Aha! Vertippt. Das heißt FoRschung. Aber nein, die Kinder fRoschen, was das beste Wetter ist. Was zuerst nach Tippfehler aussieht und für den Außenstehenden vielleicht gerade schwierig zu greifen ist, hat System. Die darstellenden Schülerinnen und Schüler sind die einzigen Hauptschüler. Und: man merkt es nicht. Das Tolle am Theater – es stehen keine Hauptschüler, Gymnasiasten oder Grundschüler auf der Bühne, sondern Menschen. Die Christine Koch Schule zeichnet sich aus als Vorzeigeschule der Inklusion, „[d]ie Förderung eines solidarischen Miteinanders sowie die Anerkennung von Stärken und Schwächen sind im gemeinsamen Lernen von besonderer Bedeutung“ heißt es auf der Homepage der Schule. Und das ist nicht einfach nur eine Floskel zur Bewerbung des Profils, sondern schlicht das Programm der Schule, das sich bis in die Theaterklasse hineinzieht. Die Gruppe bringt Schüler verschiedener Förderschwerpunkte mit sich, hier ein paar Begriffe aus der Lehrerwelt: ES (emotionale und soziale Entwicklung), LE (Lernen), GG (geistige Entwicklung), SQ (Sprache), SE (Sehen), KME (körperliche und motorische Entwicklung). Jedem Förderschwerpunkt liegt ein eigenes pädagogisches Konzept zugrunde. Ausgehend von dieser großen Palette war es nun Aufgabe der Spielleitern Claudia Schwan ein Theaterkonzept zu erarbeiten, in welchem jeder bedient wird. So kommt jedem Spieler im Stück, neben dem eigentlichen Spiel eine besondere Aufgabe zu. Es gibt eine live gespielte Posaune nebst Trommelbegleitung zur Erzeugung von Hintergrundgeräuschen sowie teilweise gänzlicher musikalischer Begleitung.
Ein Highlight war ganz klar die tadellose Verwendung eines Schattenspiels. Die gesamte linke Seite der Bühne wurde eingenommen voneiner weit vorn stehenden Projektionsleinwand. Dahinter – so durften wir bei der Besprechung des Stückes im Nachhinein selber ausprobieren – eine Vielzahl von Overheadprojektoren mit verschiedenen Folien und Formen. Endergebnis war eine tolle Symbiose aus physischem Schattenspiel der Schüler und toller Illusion mit einfachsten Mitteln, mit denen wunderschöne, dynamische, lustige Bilder zu mitreißender Musik erzeugt wurden. So wie dies auch in der Welt der Zauberei ein Kapitalverbrechen ist, geht das natürlich auch im Theater nicht: wir verraten die Tricks natürlich nicht, empfehlen eher, sich das Stück anzusehen und sich selbst verzaubern zu lassen von erstens, den eigentlich so simplen Mitteln und ihrer starken Wirkung und zweitens, der Spielfreude, mit der die Spieler an ihr Stück herangehen.
Wir sehen Parallelen zum Bildungssystem. Der Titel des Ministeriums erinnert überraschenderweise und nicht zufällig an den offiziellen Titel unseres Schulministeriums. „Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten“ wird dahingehend Dieter Nuhr zitiert. Da kommt dann irgendein Schlippsträger daher und erzählt allen etwas von Selbstbestimmung, soll heißen „Macht ihr mal, wir gucken dann am Ende, was dabei herauskommt.“
Und die Schüler machen mal, versuchen , herauszufinden, was das beste Klima ist, stellen fest, dass alles, was seine tollen Seiten hat, auch gefährlich sein kann. Sonnenschein bringt Waldbrände, Regen bringt Flut, Schnee bringt Glatteis, Nebel bringt Unfälle. Diese Dichotomie wird schön dargestellt durch die schönen Seiten auf der Schattenwand und die grausamen Seiten durch nüchtern vorgelesene Pressemeldungen, die von Unfällen mit Toten berichten. Die Umfrage, welche dieser Szene zu Grunde liegt wurde übrigens ebenfalls von den Schülern selber durchführt und ausgerechnet. So flechtet die Stückentwicklung sogar den Mathematikunterricht durch die Verwendung und Bearbeitung von Statistiken und durch den Umgang mit dem Licht und den gegenüberliegenden Kegeln der OHPs auch den Physikunterricht mit ein.
Am Ende wird festgestellt, dass es irgendwie nicht DAS perfekte Wetter gibt. Es gibt aber eine Symbiose. Nach dem Regen kommt der Sonnenschein. Ein Regenbogen ist zu sehen. Alle Farben (wieder Physik!) des Lichtspektrums fallen hier zusammen. Und so ist es doch irgendwie auch mit uns. Und da war es konsequent, dass alle Spieler – wortwörtlich – die Hosen runterließen. Alle sagten, was ihnen gefällt. Und so entstand ein großer Regenbogen von Unterhosen auf der Bühne, stellvertretend für eine ganz wichtige Botschaft, jeder Jeck ist anders (so sagt man das in Köln). Man kann bei der Mitbestimmung nicht immer das bekommen, was man will, auch hier eine Weisheit aus Köln: Ett kütt wie ett kütt (es kommt, wie es kommt).
Was hat uns das Stück gebracht? Vor allem Leichtigkeit. Das Thema Wetter wurde nicht tiefergehend, philosophisch oder auf spezielleren Ebenen aufgezogen, sondern das Stück lebte von der Spielfreude der Spieler und der Magie der Technik. Nach den bisherigen Stücken, die immer versucht haben eine Botschaft zu vermitteln war dies eine angenehme Abwechslung. Schon jetzt hoffen wir ganz stark auch in Zukunft wieder mehr von der Schule, ihre Leiterin und der Gruppe hören zu dürfen.