Von Kaffee holen bis Blitzableiter sein – Emotionsarbeit am Theater

Text: Hanna Kuhlmann @hannakuhlmann

Foto: © Dante Nicolai Lümmen

Was macht eigentlich ein*e Regieassistent*in am Theater? Und was hat seine*ihre Arbeit mit Emotionen zu tun?

Ein freundliches Lächeln zum Kaffee oder ein beruhigendes Gespräch, das die Stimmung reguliert: Emotionen als Dienstleistung. Das ist kurz gesagt das Prinzip der Emotionsarbeit (mehr dazu bei Hochschild: Emotion Work, Feeling Rules, and Social Structures). Wir haben mit Dante Nicolai Lümmen, Regieassistent im Ruhrgebiet, gesprochen und über Gaslighting, Perfektionismus und Selbstschutz am Arbeitsplatz diskutiert. Warum er seine Arbeit am Theater liebt, aber trotzdem Kritik äußern möchte und was er von der Idee hält Emotionsarbeit als Teil der Assistierendentätigkeit zu begreifen, erfahrt ihr in diesem Interview.

Dante, wer bist du?

Dante Nicolai Lümmen, 24, Bühnen- und Portraitfotograf, Regieassistent, künstlerischer Mitarbeiter, freischaffender Regisseur in meinem eigenen Kollektiv „Büro für Zeitverschwendung“, Inspizient, wenn das gebraucht wird und ich studiere parallel Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität für Künste in Essen.

Wie fühlst du dich heute?

Ein bisschen müde, aber insgesamt ziemlich gut. Ich hatte heute schon ein Konzeptionstreffen für ein queeres Projekt, wo ich fotografieren werde. Das war sehr ergiebig und wir haben uns auch privat gut verstanden – das hat mich total motiviert. Trotzdem befinde ich mich grade so in dieser „Freelance-Hölle“, in der man selbst bestimmt, wann man arbeitet und dann arbeitet man irgendwie immer.

Du arbeitest unter anderem als Regieassistent. Was gehört zu deinen „klassischen“ Aufgabenbereichen?

Alles von Kaffee holen bis Blitzableiter sein, aber ganz ehrlich noch so viel mehr: Einrichten der Szenen, Regiebuch mit Cues führen, d.h. sowohl die Regieanweisungen, als auch Licht-/Technikanweisungen eintragen, einkaufen gehen für Kekse und Kaffee und Probenpläne organisieren. Falls an einem Haus kein*e Inspizient*in zur Verfügung steht, übernehmen wir auch den Aufgabenbereich eines*r Inspizient*innen oder statten aus, falls ein Haus dafür kein Werk hat. Regieassistierende sind also der „Kleber“, sprich der Kommunikationspunkt zwischen allen Abteilungen.

Stellenausschreibungen für Assistierende beinhalten gerne Formulierungen, wie „eine hohe Stressresistenz erforderlich“ oder „absolute Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft“ – was bedeutet das für dich in deiner täglichen Arbeit?

Kommt ganz auf das Theater an, um ehrlich zu sein. Und auf die Regie. In manchen Situationen bedeutet das, dass die Regie dich um 23:30 Uhr an einem Samstag anruft und noch dringend was gebraucht wird. Es kann bedeuten, dass du den Kopf hinhalten musst, wenn etwas schief läuft. Aber auch der Stress der Endproben spielt da eine Rolle: Man muss immer Bescheid wissen, wann wo was und wer gebraucht wird und dementsprechend das Stück „auswendig“ kennen, um immer und überall eine Antwort bereit zu haben. An anderer Stelle hat das aber auch schon bedeutet, dass auf der Probe Flaschen nach Assistierenden geworfen wurden und wir das einfach aushalten mussten (lacht).  An manchen Theatern ist das aber auch ganz anders: Pausenzeiten werden eingehalten, es wird offen kommuniziert, man wird eingebunden in kreative Prozesse, wird gefördert und gefordert, kann bei der Regie abschauen und lernt viel. Ensembles halten zusammen wie Familien und das auch wenn die Endproben mal stressig sind.

Das Konzept der Emotionsarbeit geht auf die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild zurück. Es geht um einen „Handel mit den eigenen Gefühlen“, d.h. man bietet seine Arbeit mit seinen eigenen und den Emotionen anderer als Dienstleistung an. Klassisch finden wir diese Emotionsarbeiter*innen in Tätigkeitsfeldern der Dienstleistungen, wie z.B. beim Friseur: Der*die Friseur*in verkauft das persönliche Gespräch, das freundliche Lächeln und eine angenehme Atmosphäre mit. In pädagogischen Berufen ist die Emotionsarbeit noch zentraler: Es wird erwartet, dass ein*e Erzieher*in bspw. Freude zeigt, wenn ein Kind ihr*ihm eine gebastelte Blume schenkt. Die Beziehungsarbeit läuft über die Emotionen. Nun hast du schon einige Aspekte der Emotionsarbeit am Theater angesprochen. Wie gehst du in deiner Arbeit damit um?

Ich glaube als Regieassistent*in musst du auf jeden Fall wissen, wie du dich abgrenzen kannst. Ein Regisseur hat mich mal in dem ersten Monat meiner Assistenz komplett ignoriert und mich nie angesprochen oder gegrüßt. Damit musst du dann erstmal umgehen. Alles an Kommunikation lief dann über die Dramaturgie. Damals war ich noch relativ grün hinter den Ohren und wusste echt nicht, was ich falsch gemacht hatte. Aber der Regisseur mochte einfach keine Assistierenden. Es hatte also echt nichts mit mir zu tun. Sowas passiert manchmal. Zum Beispiel in einem Kollektiv war dieses Verhalten so schlimm, dass die gesamte Besetzung sich regelmäßig bei mir – dem 10-20 Jahre jüngeren Assistenten – über die Regie beschwert hat. Nach der Kritik wollte niemand in der Bar bleiben, obwohl alle fünf Minuten fußläufig wohnten. Und das einfach weil niemand mehr ausgehalten hat, wie jähzornig der Regisseur war und wie er mit mir umgegangen ist.

Aber das muss auch nicht immer so sein. Ich habe zum Beispiel, besonders wenn ich mit Regisseurinnen gearbeitet habe, auch erfahren, wie toll Ensemblearbeit sein kann! Ich wurde gefördert, in kreative Entscheidungen eingebunden, aktiv nach meiner Meinung zu Szenen gefragt und wenn es Streitpunkte gab, wurden diese offen angesprochen und in der Gruppe diskutiert, bis sich Kompromisse gefunden hatten. Sowas würde ich mir auch für meine zukünftigen Assistenzen wünschen. Es kommt wie gesagt ganz darauf an, wie weit ein Haus auf so etwas achtet, wer Regie führt und mit wem man arbeitet.

Gefühlsarbeit im Hinblick auf die Endprobenzeit – was fällt dir dazu spontan ein?

Stress, Stress, Stress. Die Endprobenzeit geht natürlich allen hammermäßig aufs Zahnfleisch. Zehn Requisiten fehlen, der wichtige Teil des Bühnenbilds fehlt: „Hat jemand mein Kostüm gesehen?“, „Warum sind wir schon wieder zwei Stunden auf der Probe ohne zu spielen? „Wann wird eigentlich das Licht eingerichtet?“. Das ist einfach der absolute Stress und die wichtigste Woche der Probenzeit. Als Assistent bist du eigentlich konstant beschäftigt. Du kannst oft davon ausgehen von 10 bis 10 zu organisieren, zu planen, E-Mails zu schreiben und anzurufen.

Wie gehst du mit emotional herausfordernden Situationen um? Und: Was würde dir in deiner Arbeit helfen?

Ich muss sagen, dass ich mich mittlerweile an solche Situationen auf den Proben gewöhnt habe. Am Anfang versteht man es nicht, denkt man etwas falsch gemacht und bezieht alles auf sich. Aber mittlerweile weiß ich, dass ich meinen Job gut mache und versuche in alles, was ich tue, die Extraportion Liebe reinzustecken. Wenn es dann mal wieder Blitzableiter-Situationen gibt, weiß ich, dass das auch gut am Stress des Inszenierens oder dem extrem großen Druck liegen kann. Man distanziert sich davon und darf sich nicht gaslighten lassen. Und selbst wenn man dann mal was persönlich nimmt oder an sich ranlässt, gibt es natürlich noch die Ensemblefamilie, die man mal fragen kann: „Hey, hast du das auch so erlebt?“ oder „Da konnte ich doch echt nichts machen, oder?“. Und da kommt dann oft der Realitycheck und man stellt fest, dass man keine Schuld trägt und das wahrscheinlich nur im Affekt passiert ist.

Mir hat mal ein Inspizient gesagt: „Wenn du 90% auf einer Probe richtig eingerichtet hast, dann bist du ein guter Assistent.“. Das hat gesessen. Denn es kann in den seltensten Fällen 100% sein, da sich so häufig etwas innerhalb der Prozesse ändert. Das zu wissen, hat mir total geholfen! Zu wissen, dass ich auch mit meinem Perfektionismus und meiner 24/7-Arbeitsmoral das nicht schaffen kann. Und dass auch nicht erwartet wird, dass alles perfekt ist.

Was mich mal total überrascht hat, war, als sich mal jemand bei mir entschuldigt hat. Das klingt jetzt wirklich bescheuert, aber ich habe mich so gefreut, weil das einfach echt selten vorkommt und oft nur begraben oder „vergessen“ wird. Die Person kam einfach nach einer unglücklichen Situation auf mich zu und hat gesagt, dass sie selbst vollkommen im Stress war und es nicht in Ordnung war, dass ich das abbekommen habe. Und das war einfach total schön. Es wäre auch sonst kein großes Ding gewesen, aber einfach diese Tatsache, dass das jemand auf mich zugegangen ist und das doch noch gesehen hat, hat mich so gefreut. So etwas würde ich mir zukünftig wünschen: Eine offene Kommunikationskultur, die auch Fehler zulässt. Denn Theater machen basiert ja sehr stark darauf, Fehler zu erlauben und auszuprobieren. Wenn ich dann an dieses Bühnensprichwort denke: „Krankheit bzw. Ausfälle sind Manipulation“ wird mir bewusst, dass diese Theaterfolklore „Ich muss immer auf Abrufbereitschaft sein.“ hinterfragt werden muss: Ist das wirklich so? Wäre das in einem anderen Arbeitskontext auch so?

Falls ihr aber in einer Situation seid, in der ihr diskriminiert, belästigt oder bedrängt werdet: Da sprechen wir nicht mehr von einem „persönlichen Konflikt“: Auf keinen Fall das Ganze runterschlucken, sondern das Problem ansprechen. Geht auf jeden Fall zur Intendanz oder jemandem, dem ihr vertrauen könnt. Da gibt es eigentlich immer jemanden, der ein offenes Ohr hat. Das sind Sachen, die dürfen nicht passieren, wie in jedem anderen Arbeitsumfeld auch.

Sollte die Emotionsarbeit als klarer Bestandteil der (Regie-)Assistierendentätigkeit ausgeschrieben werden?

Kommt ganz darauf an, ob man das wirklich so nennen kann. Nicht bei jedem Theater ist ja das „bezahlte Lächeln“ gefordert, sondern es gibt natürlich auch Häuser, an denen ein angenehmer und professioneller Umgang gepflegt wird. Da müsste man das natürlich nicht mit aufnehmen, wenn es nicht Bestandteil der Arbeit darstellt. Ich glaube zudem, dass jede*r, der*die assistiert, ja auch in etwa weiß, was auf sie*ihn zukommt. Spätestens nach den ersten Erfahrungen als Assistenz wird schnell klar, dass die Arbeit mit schwierigen Regisseur*innen und die insofern geforderte Emotionsarbeit Teil deiner Arbeit sein kann. An dieser Stelle ist eben auch der Austausch unter Assistierenden elementar wichtig, Stichwort Assistierendennetzwerk: Es ist super, wenn du Leute hast, die dieselben Probleme haben und mit denen du auch über die Arbeit mit unterschiedlichen Regisseur*innen oder Intendant*innen sprechen kannst. Dann weiß man auch, was auf einen zukommt.

Ich frage aber trotz alledem bei Bewerbungsgesprächen mittlerweile nach dem Umgang mit Diskriminierungsfällen am Haus und merke an, dass ich auch mit schwierigen Regisseur*innen Erfahrung habe und damit professionell umgehen kann. Es wäre aber natürlich trotzdem wünschenswert, wenn es in solchen Fällen mehr Unterstützung vom Haus geben würde. Viele Häuser stellen mittlerweile Personen ein, die sich speziell mit Themen wie Diversity und Diskriminierung auseinandersetzen. Ich wünsche mir von meiner Theatergeneration, dass wir den Personenkult abschaffen: Wenn sich jemand wirklich alles herausnehmen kann, nur weil er*sie Künstler*in ist. Eine Person ist so bekannt, gefragt, berühmt, dass es kein Problem ist, wenn er*sie z.B. betrunken zur Probe erscheint, Assistenten*innen und Darsteller*innen anschreit oder persönliche Konflikte auf der Bühne austrägt.

Ich halte mich da ganz nach Tim Tonndorf: „Ich möchte niemanden auf der Probe deckeln, weder intellektuell noch körperlich noch emotional. Ich möchte die Schöpfung eines Kunstwerks nicht erreichen durch die Herabwürdigung der Menschen, die mit mir gemeinsam schöpfen.“ Ich will eine Kunst die im Entstehungsprozess niemandem weh tun muss, um gut zu sein, sondern mit den Menschen denkt. Und ich glaube, wenn das in den Fokus rückt, können die wirklich großen Dinge entstehen.

Danke für deine Zeit, Dante. Deine Spezialität sind Memes: Mit welchem schließt du das heutige Interview ab?

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Per Mail: capermuralis@gmx.net

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Per Mail: assistierende@ensemble-netzwerk.de

Website: www.ensemble-netzwerk.de/assistnw/

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