Beitragsbild: Anne Barth
Text: Marius Panitz (marius.panitz@theaterwg.de)
Endlich wieder Theater! Nach monatelangen Pausen wegen coronabedingter Schließungen, dürfen wir nun endlich wieder in die Theatersäle der Republik und das tun, was uns so lange verwehrt blieb: eintauchen in Geschichten, in Bilder, in Emotionen und Gedanken, erzeugt durch dieses zauberhafte Handwerk, was die Menschen auf und hinter der Bühne uns präsentieren.
Obwohl die Corona-Politik der Bundesregierung uns das oben beschriebene geliebte Theater genommen hat, können wir in gewisser Weise die Notwendigkeit nachvollziehen, wieso es zuerst zu radikalen Lockdowns kam. Das Virus war unbekannt, wir ahnten nicht, welche Gefahren es für uns mitbrachte, wir gingen auf Nummer sicher, posteten #stayhome-Beiträge bei Instagram und fühlten uns gut damit. Je länger die Krise andauerte, je mehr Lapsus das Krisenmanagement der Bundesregierung sich erlaubte, desto kritischer wurden die Denker im Volk. Wo die einen die Emotionen schluckten, machten andere ihrem Unmut in sozialen Netzwerken Luft. Wieder andere sahen in den Corona-Maßnahmen Angriffe auf unsere Grundrechte und stilisierten sich zu Gallionsfiguren eines neuen Widerstands gegen so etwas, was diese Leute in ihrem Kampfvokabular als „Corona-Diktatur“ definierten.
Mit genau diesen Personen und den Bewegungen, die sie im vermeintlichen Widerstand gegen vermeintliche Diktaturen und vermeintliche Ermächtigungsgesetze (gemeint sind hier die Corona-Verordnungen) befinden, beschäftigt sich das nö-Theater in seiner neusten Produktion no corona, no cry. Den Einstieg nimmt das Stück über Anselm Lenz, Journalist und Dramaturg, der sich als „eigentlich links“ bezeichnet, sogar für die TAZ schrieb aber als einer der ersten eine Verschwörung hinter Corona und hierdurch einen Angriff auf Grundrechte vermutete und alsbald Falschinformationen auf Blogs verbreitete. Sodann betritt Verschwörungsmystiker Ken Jebsen die Bühne, gefolgt von „Querdenker“-Gründer Michael Ballweg und schließlich Tamara K., eine den Reichsbürgern nah stehende Heilpraktikerin, die im August 2020 zum Sturm auf den Reichstag aufrief. Wie auch bereits bei Francos Hermansschlacht bleibt das nö-Theater seinem Stil und seiner Herangehensweise in seiner neusten Produktion treu. In no corona, no cry wird sauber recherchiertes Material zu den vier Figuren präsentiert, welche entscheidenden Einfluss auf die Anti-Corona-Bewegungen hatten und unter Verschwörungstheoretiker:innen hohes Ansehen sowie Gehör genießen. Dies bringt nicht nur biografische Informationen, sondern auch das eine oder andere pikante Detail ans Tageslicht.
Der Inhalt scheint dem politischen Kabarett zu entspringen, zu Theater wird es durch Schauspielerin Anne Müller, die im Stück als einzige Darstellerin alle Rollen in wechselnder Kostümierung verkörpert. Hierzu bewegt sie sich auf einer spärlich dekorierten Bühne. Rechts steht ein Flügel, der neben den musikalischen Einlagen gern zum Klettern oder Verstecken genutzt wird, an der Rückwand sehen wir eine auf und ab gehende Diagramm-Kurve. Visualisiert werden Einsichten in die vermeintliche Corona-Diktatur nicht nur über eine Lichterkette, an welche Müller verschiedene Schilder, Plakate Lego-Bauplatten hängt, die den humoristisch dargestellten Aussagen ihrer Rollen visuellen Nachdruck verleihen, sondern auch über ihr Schauspiel selbst. Untermalt wird die Inszenierung zudem durch selbst gespielte und gesungene Musik auf Piano, Blockflöte und Ukulele sowie eingespielte Songs aus dem Off, von denen die Titelmelodie von Baywatch nur einen von vielen Gründen zum Schmunzeln liefert. Durch nahezu omnipräsente ausladende Gestik und Mimik sowie viel Pathos in der Stimme legt Müller die verschiedenen Rollen der Corona-Verschwörungstheoretiker, die das Publikum direkt ansprechen, groß an mit dem Ziel, den Rechercheergebnissen einen übertrieben komischen Esprit zu verleihen.
Hin und wieder, so könnte man meinen, fehlt dem Stück und der Darstellung hierdurch die notwendige Ernsthaftigkeit. Wo die Darstellung Ken Jebsen in Lederjacke, dessen temporeiche Sprache sogleich von einer Blockflöte zensiert wird, noch unterhaltsam ist, müssen sich die Zuschauer:innen die Frage stellen, ob ein im Kontrast langsam und fast trantütig sprechender Michael Ballweg im Schafskostüm noch die äußerst notwendige Kritik an der Sache darstellen oder nur seinen Charakter verballhornen will. Keine Frage, wir positionieren uns da ganz nah am nö-Theater. Die Initiatoren der Anti-Corona-Bewegungen sind Pappfiguren, die sich allesamt einem vollkommen realitätsfernen und die Grenzen des guten politischen Geschmacks sprengenden Ideal verschrieben haben, wobei sie nur zu gern geschichtsklitternde Beispiele aus der deutschen Historie heranziehen, um auf Missstände aufmerksam zu machen, die nur durch ihr Dazutun zu solchen modifiziert werden. Keine Frage, die Corona-Politik der Bundesregierung ist nicht in Gänze zu beklatschen. Auch wir haben uns gefragt, wieso die Schauspielhäuser trotz keiner einzigen nachgewiesenen Infektion im Rahmen einer Theaterveranstaltung sowie für viel Geld neu angeschaffte Luftfilteranlagen lange nicht öffnen durften. Auch wir wussten nicht, wieso Gastronomen trotz ausgeklügelter Hygienekonzepte, überall präsenter Desinfektionsmittelspender und Plexiglasscheiben zwischen den weit auseinander stehenden Tischen ihre Restaurants geschlossen halten mussten. Auch wir verstehen nicht, wieso an Schulen noch immer nicht großflächig Luftfilter installiert wurden, obwohl es sich hier nicht nur um gefährliche Infektions-Hotspots handelt, sondern auch die Gesundheit unserer Kinder auf dem Spiel steht. Es kann, darf, nein, soll also durchaus kritisch nachgefragt werden. Aber gleichzeitig soll eine Verhältnismäßigkeit herrschen, die realistische Forderungen an die aktuellen Umstände stellt.
Dass diese Verhältnismäßigkeit nicht bei allen Menschen gegeben ist, zeigt no corona, no cry. Das Stück stellt nicht nur die Protagonist:innen in einer vermeintlichen Widerstandsbewegung vor, es macht auch deutlich, welche Gefahr diese Botschaften haben, wenn sie auf aufmerksame Ohren treffen, zwischen denen sich bei so mancher:m lediglich Luft befindet. Traurige Gewissheit, wie sehr das nö-Theater mit seinem neusten Stück ins Schwarze trifft, zeigt der 18. September 2021, an welchem ein Mann aus Idar-Oberstein aus Wut über die Maskenpflicht im Verkaufsgebäude einer Tankstelle den 20-jährigen Kassierer erschoss. Nicht nur die Tat selbst zeigt, dass sich die Szene radikalisiert, auch die aus ihr herrührenden Reaktionen, die die Bluttat verherrlichen. Behörden sprechen bei dieser Tat von einem „Einzelfall“. Wir fragen uns da, wie viele Einzelfälle zusammenkommen müssen, bis man wirklich von einer akuten Bedrohung ausgeht.
Das nö-Theater beweist mit no corona, no cry erneut den Richtigen Riecher für ein wichtiges Thema. Die Inszenierung ist wahrlich kein so opulentes Werk wie Francos Hermannsschlacht, doch bringt Schauspielerin Müller in die One-Women-Show die gleiche Energie wie ein ganzes Schauspieler:innenensemble. Zwar dokumentiert die Inszenierung auf eine äußerst humorvolle Art lediglich die Geschichte der Entstehung verschiedener Bewegungen im Jahr 2020 sowie ihrer Gründer, doch bietet sie den Zuschauer:innen genügend Raum, das Gesehene mit dem Hier und Jetzt zu verknüpfen und Schlüsse daraus zu ziehen, welch gefährliches Fass Lenz, Jebsen, Ballweg und Co. tagtäglich mit Schwarzpulver befüllen. Der überzogene Humor des Stückes ist Geschmackssache, jede:r soll für sich entscheiden, wie sehr man Verschwörungstheoretiker:innen ernst nehmen oder wie laut man über sie lachen darf. Aus unserer Sicht ist dem nö-Theater mit Müllers Darstellung eine äußerst ansehnliche Karikatur gelungen, die dank guter Recherche durch ihre Faktentreue glaubwürdig die Entwicklung der Corona-Verschwörer und ihrer Bewegungen Schritt für Schritt dokumentiert und gleichzeitig mit beißender Zunge kommentiert.
no corona, no cry wird in diesem Jahr noch mehrere Male in Köln und Bielefeld gespielt. Weitere Infos zum Stück, den Terminen und anderen Projekten der Gruppe findet ihr wie immer auf der Website des Kollektivs.
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Ein Gedanke zu “no corona, no cry – Die Geschichte vermeintlicher Freiheitskämpfer:innen”