Heimgesucht – Gespräche mit Theatermachern in Zeiten von Corona, Teil I

Text: Werner Alderath (werner.alderath@theaterwg.de)
Beitragsbild: v.l. Gordon Schmitz (Bild: Gordon Schmitz), Marie Förster (Bild: Christine Bongartz), Arne Hoffmann (Bild: Arne Hoffmann/ Ralf Borgartz), Evi Amon (Bild: Evi Amon)

Wer hätte mal gedacht, dass Edward Hopper mit seinen Bildern nicht nur den Wunsch einiger Menschen nach Einsamkeit, sondern auch die unabdingbaren Verhaltensregeln im Jahr 2020 beschreiben würde? Hopper selbst hätte das sicher mit einem müden Lächeln zur Kenntnis genommen, doch hier und heute ist die Isolation, oder neudeutsch >Social Distancing< so hip, wie Schulterpolster in den 80ern oder das Tamagotchi in den 90ern. Jeder macht (hoffentlich) mit, dieses Mal ist es leider überhaupt nicht cool, dem Trend nicht zu folgen und ein Rebell zu sein, und ehrlich gesagt hoffen auch wir, dass uns dieser Trend eher ein Jahr als ein Jahrzehnt begleitet. Doch was macht das mit uns? Wir persönlich fragen uns ganz besonders: Was macht das mit den Theatermenschen? All denjenigen, die vom Kontakt zu anderen leben, permanent in Kontakt zu anderen stehen, für deren Arbeit der persönliche Kontakt das täglich Brot ist?

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„Ein guter Wechsel zwischen Arbeit und Erholung ist gerade enorm wichtig.“ Mein erstes Gespräch für diese Reihe mit Marie Förster (Bild: privat)

Wir sind (digital) losgezogen und haben einige Theatermacher via Skype getroffen und mit ihnen gesprochen. In unserer Reihe Heimgesucht sprechen wir in den nächsten Wochen mit Menschen, die wir bereits in der Vergangenheit interviewt haben, aber auch solchen, die wir noch interviewen wollen oder, die einfach Lust haben, sich virtuell auf einen Kaffee mit uns zu treffen. Den Anfang machen Marie Förster (freie Schauspielerin), Evi Amon (Lehrerin und Theaterpädagogin am Heinrich Mann-Gymnasium, Köln), Arne Hoffmann (Schauspieler und Geschäftsführer vom Scala Theater in Köln), sowie Gordon Schmitz (Schauspieler und Leiter vom Hamburger Horrortheater).

Die einfachste aller Fragen war schnell gestellt: „Wie geht es euch?“ Die Antworten kamen schnell und zusammengefasst identisch: gut. Marie gewinnt der ganzen Situation viel Gutes ab: „Man lernt neue Wege zu gehen.“ Damit bezieht sie sich speziell auf die Tatsache, dass vieles im Moment kontaktlos und digital ablaufen muss. Als Schauspielerin für sie aktuell noch kein Problem: Sie arbeitet von zu Hause unter anderem als Sprecherin und spricht ihre Texte statt im Studio einfach vom heimischen Schreibtisch ein. Außerdem hat sie Zeit, ihre Profile zu überarbeiten und an E-Castings teilzunehmen. „Es ist wichtig, dranzubleiben, gar keine Frage.“ Gordon, den wir im Rahmen dieser Reihe zum ersten Mal getroffen haben, berichtet sogar davon, dass ihm das Genre, in welchem er arbeitet (Horror-Theater) gerade größtenteils finanzielle Sicherheit gibt. Gordon lebt nämlich nicht nur von den Aufführungen, sondern veröffentlicht auch immer wieder Romane, die aus seiner Theaterarbeit hervorgehen. Außerdem arbeitet er auch an Schulen, gibt dort Theaterkurse und ist dadurch oft auch angestellt und bekommt weiterhin sein Geld.

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„Einige haben uns sogar ihr Ticket zurückgeschickt und wollten das Geld nicht wieder. […] Das ist Wahnsinn!“ Arne Hoffmann über die Solidarität der Zuschauerinnen und Zuschauer. (Bild: privat)

„Über Geld spricht man nicht, Geld hat man“, ein Zitat welches dem Industriellen (und damals stinkreichen!) Jean Paul Getty zugesprochen wird. Trotzdem zeigten sich unsere Gesprächspartner offen, gerade Arne, für den vieles vom täglichen Theaterbetrieb im Scala abhängt, bricht nun eine wichtige Einnahmequelle weg. Vor allem besitzt er als Geschäftsführer auch Personalverantwortung und sorgt sich um das Wohl seiner Kolleginnen und Kollegen. „Wir haben dann jeden angerufen, gefragt wie es den Leuten geht, und ihnen die Situation erklärt. Viele waren sogar dankbar, auch wenn die Nachrichten bessere sein könnten, doch der persönliche Kontakt hilft etwas, dass sich alle finanziell etwas zurücknehmen müssen.“ „Außerdem“, so Arne weiter, „war bereits alles für die neue Produktion druckbereit, wir haben aber glücklicherweise noch nichts in Auftrag gegeben, sonst hätten wir die Kosten für Plakate und Flyer auch noch zahlen müssen, obwohl der Vorverkauf für die neue Produktion noch gar nicht starten konnte.“ Marie bekommt aktuell Unterstützung von Hilfsgeldern, die freigemacht wurden, doch sie kennt viele, die durch das Raster gefallen sind und sich um die eigene Existenz Sorgen machen.

Ein Thema, das Evi zunächst nicht beschäftigt, als Angestellte an einer Schule ist sie finanziell abgesichert, doch sie sieht ihre ganze Theaterarbeit vom Schuljahr den Bach heruntergehen: „Ich habe es lange versucht zu verdrängen, doch irgendwann war klar: dieses Jahr wird es keine Theateraufführungen geben“, so Evi. Aktuell sei es kein Thema, die Aufführungen nachzuholen. Evi selbst habe sich dann damit abgefunden, ihr tue es nur für die Schülerinnen und Schüler leid: „Die haben jetzt so viel geleistet und können sich nicht ihren Applaus abholen. Nach den Ferien sind alle in anderen Jahrgängen, dann noch eine Aufführung zu stemmen, das ist unmöglich.“ Nicht nur, dass der Jahresterminplan angepasst werden müsste, man müsse auch Zeit für Proben finden, obwohl zeitgleich auch andere Jahrgänge mit neuen Projekten starten würden, eine Doppelbelastung, die neben dem Schulalltag nicht schaffbar ist.

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„Die Hoffnung, dass etwas Neues nach dieser Krise kommt, ist schön.“ Dieser Spruch von Evi Amon sollte uns allen Mut machen! (Bild: privat)

Arne lobt allerdings auch die Solidarität, nicht nur unter den Kolleginnen und Kollegen, sondern auch von den Zuschauerinnen und Zuschauern. Das Scala verkauft seine Tickets im Vorverkauf, in welchem sie meist auch restlos weggehen. Natürlich hat jeder das Anrecht, sein Ticket in diesen Zeiten zurückzugeben, doch nur die wenigsten machen dies. „Einige haben uns sogar ihr Ticket zurückgeschickt und wollten das Geld nicht wieder. Stattdessen kaufen sie sich ein neues Ticket, wenn wir wieder spielen dürfen. Das ist Wahnsinn!“, so Arne. Das Scala habe daraufhin wenigstens Wertgutscheine für die hauseigene Gastronomie verschickt, um sich erkenntlich zu zeigen. Doch das Wichtigste ist, dass den Leuten bewusst ist, wenn sie all ihre Tickets nun umtauschen, dass dies der finanzielle Ruin für das Theater bedeuten würde. Auch wir haben Tickets für Kulturveranstaltungen und können nur den Aufruf unterstützen, nicht direkt das Geld zurückzufordern, sondern auf alternative Lösungen zu warten. Wer das Geld dennoch dringend benötigt, könnte aber zumindest eine kleine Spende abgeben, wir unterstützen das, denn sonst sind viele Tausende Jobs in Gefahr, die alle an kulturellen Institutionen hängen.

Doch trotz aller Sorgen, aller entfallen Aufführungen, abgesagten Projekten sind sich alle vier einig: es geht weiter! Außerdem ist es auch eine Zeit der Demut und um wieder zu sich selbst zu finden. Marie empfindet die Zeit gerade als ideal, um ihren „Inspirations-Topf aufzufüllen“. Dabei helfen ihr alte Filme, die sie sich wieder ansieht und die sie als Kind oder Jugendliche inspiriert haben. Auch backt und kocht sie öfters, vor allem neue Sachen, die sie vorher noch nicht ausprobiert hat, und übt öfters mit ihrem Cello. Evi, die auch Sportlehrerin ist, macht täglich ihre Übungen und berichtet begeistert davon, dass sie schon neue Projekte plant: „Ich wurde von Stefan Hermann von der Comedia angesprochen, wir haben dann geskyped, zu der Zeit war ich etwas motivationslos, doch das hat mir einen Push von außen gegeben, das hat viel kreative Energie freigesetzt.“ Für alle, die vielleicht noch auf der Suche nach einer guten Serie sind, empfiehlt Evi „Black Mirror“, eine Serie, die aufzeigt, wie sich die unterschiedliche Verwendung von Technik und Medien auf die Gesellschaft auswirkt. Außerdem könne Evi den Besuch eines Autokinos empfehlen. Gordon nutzt die Zeit, um weiter seiner Arbeit nachzugehen. „Ich schreibe gerade an einem neuen Roman, dafür nutze ich die Zeit.“ Außerdem widmet sich Gordon einem alten Projekt, das er bisher noch nicht realisieren konnte: er möchte zu „Marquis de Sades“, einem belgischen Film von 1989, der sich auch mit der Person beschäftigt, ein Stück rund um das Thema Gefangenschaft entwickeln. Arne nutzt die Zeit mit seinem Mann, um auch die Zuschauerinnen und Zuschauer weiter zu unterhalten, so produziert das Ensemble des Scala Theater aktuell fleißig „Scala Camelle“, kurze Clips, in denen sie Witze nachspielen, die von den Zuschauerinnen und Zuschauern eingeschickt werden können (u.a. auch auf Youtube zu finden). Außerdem nutzt er auch die Zeit, um sich durch die ARD- und ZDF-Mediathek zu arbeiten und um neue Talente zu entdecken: „Vor kurzem haben wir zum ersten Mal Brot gebacken, sogar ohne Hefe.“

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„Ich schreibe gerade an einem neuen Roman, dafür nutze ich die Zeit.“ Wahlhamburger Gordon darüber, wie er die Zeit zu Hause nutzt. (Bild: privat)

Man sieht: es gibt ausreichend Beschäftigung, der man auch abseits der eigentlichen Arbeit nachgehen kann. Marie trifft den Nagel mit ihrer Einstellung auf den Kopf: „Man sollte die freie Zeit nutzen, sich erholen, aber auch die Arbeit nicht vergessen. Ein guter Wechsel zwischen Arbeit und Erholung ist gerade enorm wichtig.“ Die Message sollte sein, nicht Trübsal zu blasen, sondern sich selbst weiter herauszufordern, aber auch mit Menschen in Kontakt zu bleiben. Diese vier Gespräche haben auch mich etwas aus dem Tief herausgeholt und mich motiviert neue Projekte anzugehen. Und für die Zeit nach Corona hat Evi noch einmal wunderbare Worte gefunden:

„Die Hoffnung, dass etwas Neues nach dieser Krise kommt, ist schön.“

Für uns ist mit dieser Reihe auch etwas Neues entstanden, das uns Freude bereitet und an dem wir weiterarbeiten wollen. Weitere spannende Gespräche sind geplant, doch ihr könnt gerne auch auf uns zukommen. Schreibt uns per Facebook, Instagram oder Mail, wenn ihr Lust habt, mit uns zu sprechen, dann machen wir einen Termin aus und dann geben wir auch eure Meinung, Erfahrung oder euren Umgang mit der aktuellen Situation gerne in unserem Blog weiter! Sagt uns aber auch gerne eure Meinung zu dieser Reihe, schlagt uns vor, welche Fragen wir noch stellen sollen, was euch interessiert oder bewegt. Wir freuen uns auf eure Zuschriften!


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